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Minderjährigenadoption – Erbteilserwerb bei Adoptiveltern und leiblichen Eltern

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 170/21 – Beschluss vom 15.12.2021

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 6) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Stadt1 vom 23.08.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde unter Einschluss der dem Beteiligten zu 1) im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden den Beteiligten zu 2) bis 6) auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Geschäftswert der Beschwerde wird festgesetzt auf 1.374.527,77 €.

Gründe

I.

Die verwitwete und kinderlose Erblasserin ist am XX.XX.2016 mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Stadt2 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben.

Der Vater der Erblasserin war 1943, die Mutter 1979 vorverstorben.

Aus der Ehe der Eltern der Erblasserin sind neben der Erblasserin ein 1974 verstorbener Bruder, Vater der Beteiligten zu 2) bis 5), eine 2009 verstorbene Schwester, Mutter des Beteiligten zu 6), eine 1981 verstorbene Schwester, zugleich Adoptivmutter des Beteiligten zu 1), sowie die 1975 verstorbene, leibliche Mutter des Beteiligten zu 1) hervorgegangen. Der am XX.XX.1960 geborene Beteiligte zu 1) ist einziges Kind seiner unverheiratet gebliebenen Mutter.

Die Adoptivmutter des Beteiligten zu 1) war bis zu ihrem Ableben im Jahre 1981 mit Vorname1 A verheiratet. Nach ihrem Ableben ehelichte ihr Witwer im Jahre 1982 die Erblasserin. Er verstarb sodann im Jahre 1996.

Mit Wirkung vom XX.XX.1967 wurde der Beteiligte zu 1) durch seine Tante Vorname2 A und deren damaligen Ehemann Vorname1 A, späterer Ehemann der Erblasserin, adoptiert.

Das Amtsgericht Stadt3 hat mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 09.04.2021 (Bl. 42 d.A.) mitgeteilt, dass dort Vorgänge nach Art. 12 § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 02.07.1976 (BGBl. I 1749, nachfolgend: AdoptG) mit Bezug auf die seinerzeitige Adoption des Beteiligten zu 1) nicht ermittelt werden konnten.

Mit notariellem Antrag vom 16.03.2021 hat der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge als Miterben der Erblasserin zu ½, die Beteiligten zu 2) bis 5) als Miterben zu je 1/16 und den Beteiligten zu 5) als Miterben zu ¼ ausweisen soll.

Der Beteiligte zu 1) legt seinem Erbscheinsantrag zugrunde, dass ihm aufgrund Vorversterbens sowohl seiner Großeltern wie auch seiner leiblichen Mutter und seiner Adoptivmutter sowohl der in den Stamm der leiblichen Mutter wie auch der in den Stamm seiner Adoptivmutter fallende Erbteil nach der Erblasserin von jeweils ¼ zustehe.

Die Beteiligten zu 2) bis 6) sind dem Erbscheinsantrag entgegengetreten, da auf die im Jahre 1967 erfolgte Adoption des Beteiligten zu 1) die Vorschriften der §§ 1754 ff. BGB in ihrer seit dem 01.01.1977 maßgeblichen Fassung nicht anwendbar seien.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 23.08.2021 die zur Erteilung des von dem Beteiligten zu 1) am 18.03.2021 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Da eine Erklärung der dazu gemäß Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG Erklärungsberechtigten, dass auf die 1967 erfolgte Adoption des Beteiligten zu 1) durch seine Adoptiveltern die mit Inkrafttreten des AdoptG maßgeblichen Vorschriften keine Anwendung finden sollten, ausweislich der dazu vorliegenden Mitteilung des Amtsgerichts Stadt3 nicht abgegeben worden sei, beurteile sich die Erbfolge nach der Erblasserin hinsichtlich der erbrechtlichen Folgen der Adoption des Beteiligten zu 1) durch die Schwester seiner leiblichen Mutter nach den seit dem 01.01.1977 maßgeblichen Vorschriften und damit insbesondere nach § 1756 Abs. 1 BGB (n.F.). Gemäß dieser Vorschrift habe eine Verwandtenadoption jedoch nur das Erlöschen der Verwandtschaftsverhältnisse des Kindes zu seinen leiblichen Eltern, aber nicht auch zu den übrigen Verwandten zweiten oder dritten Grades zur Folge. Der Antragsteller habe die Erblasserin daher zugleich als Abkömmling seiner Adoptivmutter und über die insoweit weiterhin bestehende Verwandtschaft zu seiner leiblichen Mutter beerbt.

Die Beteiligten zu 2) bis 6) haben gegen diesen ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 06.09.2021 zugestellten Beschluss mit am 04.10.2021 bei dem Nachlassgericht eingereichten Schriftsatz Beschwerde erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass der Beteiligte zu 1) die Erblasserin nur über seine Adoptivmutter, aber nicht zugleich auch über seine leibliche Mutter beerbt habe. Als Ausnahmevorschrift zu dem in § 1755 BGB (n.F.) angeordneten Erlöschen der Verwandtschaftsbeziehungen des Angenommenen zu seinen leiblichen Eltern bedürfe die in § 1756 Abs. 1 BGB (n.F.) für den Fall einer Verwandtenadoption angeordnete Fortbestehensregelung einer einschränkenden Interpretation dahin, dass die Adoptivverwandtschaft in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 1924 Abs. 4 BGB die leibliche Verwandtschaft verdränge und der Beteiligte zu 1) die Erblasserin somit nur im Stamm seiner vorverstorbenen Adoptivmutter, aber nicht zugleich auch im Stamm seiner gleichfalls vorverstorbenen leiblichen Mutter beerbt habe.

Der Beteiligte zu 1) tritt der Beschwerde entgegen. Es entspreche einer anerkannten Rechtsauffassung, dass die Vorschrift des § 1756 BGB (n.F.) zu einer kumulativen Berufung des Angenommenen sowohl im Stamm seiner Adoptiveltern wie auch im Stamm seiner leiblichen Eltern geführt habe.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27.10.2021 (Bl. 84 d.A.) nicht abgeholfen.

Die Parteien sind mit Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 09.11.2021 (Bl. 88 d.A.) darauf hingewiesen worden, dass der Senat nicht vor dem 03.12.2021 entscheiden werde. Stellungnahmen der Beteiligten sind sodann weder binnen dieser Frist noch seither eingegangen.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 6) ist statthaft, insbesondere gemäß §§ 58 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegt worden.

In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

Das Nachlassgericht hat zu Recht die für die Erteilung des von dem Beteiligten zu 1) am 16.03.2021 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich mangels einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin, für deren Vorhandensein Anhaltspunkte weder ersichtlich noch von den Beteiligten geltend gemacht worden sind, nach den Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge.

Die kinderlos und verwitwet verstorbene Erblasserin wurde damit gemäß §§ 1930, 1925 BGB gemäß der Erbfolge in der zweiten Ordnung beerbt.

Gesetzliche Erben der zweiten Ordnung sind nach § 1925 Abs. 1 BGB die Eltern der Erblasserin und deren Abkömmlinge.

Die Eltern der Erblasserin sind jeweils 1943 und 1979 vorverstorben.

Gemäß § 1925 Abs. 3 Satz 2 BGB treten in diesem Fall an die Stelle der vorverstorbenen Eltern der Erblasserin deren Abkömmlinge nach den für die Beerbung in der ersten Ordnung maßgeblichen Vorschriften.

Die aus der Ehe der Eltern der Erblasserin neben ihr hervorgegangenen Geschwister, nämlich der Vater der Beteiligten zu 2) bis 5), die Mutter des Beteiligten zu 6), sowie die Adoptivmutter und die leibliche Mutter des Beteiligten zu 1) waren im Zeitpunkt des Erbfalls am XX.XX.2016 sämtlich vorverstorben.

Der von § 1925 Abs. 3 Satz 1 BGB als Vorschrift über die Erbfolge in der ersten Ordnung in Bezug genommene § 1924 Abs. 3 BGB sieht für diesen Fall vor, dass in der Erbfolge der zweiten Ordnung an die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings der Eltern des Erblassers die durch diesen mit den Eltern des Erblassers verwandten Abkömmlinge treten.

Das Landgericht ist zu Recht der Auffassung gewesen, dass der Beteiligte zu 1) nach diesen Vorschriften sowohl den auf seine leibliche Mutter wie auch den auf seine Adoptivmutter entfallenden Erbteil von je ¼ nach der Erblasserin erlangt hat und damit in mehreren Stämmen zur Erbfolge nach der Erblasserin berufen worden ist. Für den Fall einer solchen mehrfachen Berufung ordnet § 1927 Satz 1 BGB an, dass der Erbe in Abweichung zu der von § 1924 Abs. 4 BGB angeordneten Gleichverteilung den in jedem dieser Stämme ihm zugefallenen Anteil beanspruchen kann. Eine solche mehrfache Berufung liegt nach zutreffender Auffassung insbesondere dann vor, wenn der jeweilige Erbprätendent als Minderjähriger von einem Geschwister seines leiblichen Elternteils adoptiert worden war und sodann nach dem Ableben beider Geschwister sowie ihrer Eltern ein weiteres Geschwisterkind, hier die Erblasserin, verstirbt.

Nach den im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Adoption des 1960 geborenen Erblassers zum XX.XX.1967 maßgeblichen Vorschriften der §§ 1757, 1763 BGB a.F. wurde für das angenommene Kind ein Verwandtschaftsverhältnis zu den Verwandten des Annehmenden zwar nicht begründet (§ 1763 BGB a.F.), sondern nur zu dem Annehmenden selbst (§ 1757 BGB a.F.). Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu der leiblichen Verwandtschaft des angenommenen Kindes blieben von der Adoption unberührt (§ 1767 BGB). Der Beteiligte zu 1) war hiernach mit der Erblasserin nur über seine vorverstorbene leibliche Mutter (§ 1767 BGB), aber nicht auch insoweit verwandt, als es sich bei der Erblasserin um eine Schwester und damit eine Verwandte (§ 1763 BGB a.F.) seiner Adoptivmutter handelte. Hiernach wäre der Beteiligte zu 1) nur Erbe nach seiner leiblichen Mutter geworden. Denn soweit es sich bei der Erblasserin zugleich um eine Verwandte seiner Adoptivmutter gehandelt hat, schloss § 1763 BGB a.F. ein über den Adoptivelternteil vermitteltes Verwandtschaftsverhältnis aus.

Jedoch beurteilt sich das Erbrecht des Beteiligten zu 1) so, als wäre der Beteiligte zu 1) erst nach Inkrafttreten der §§ 1755, 1756, 1925 Abs. 4 BGB (n.F.) von seiner Adoptivmutter an Kindes statt angenommen worden.

Denn nach Art. 12 § 2 Abs. 1 Satz 1 BGB beurteilen sich die Rechtsfolgen einer Minderjährigenadoption seit Inkrafttreten des AdoptG zum 01.01.1977 (vgl. Art. 12 § 10 AdoptG) unter der Voraussetzung, dass das Adoptivkind am 01.01.1997 noch minderjährig war, für danach eingetretene Rechtslagen nach den Vorschriften über die Minderjährigenadoption in ihrer durch das AdoptG geänderten Fassung.

Etwas anderes gilt nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AdoptG nur, falls bis zum 01.01.1977 gegenüber dem Amtsgericht Stadt3 eine Erklärung durch die Adoptionsbeteiligten abgegeben worden war, dass das Annahmeverhältnis auch für den Zeitraum ab dem 01.01.1977 den Vorschriften des bisherigen Rechts unterliegen solle. Dies ist nach der von dem Nachlassgericht eingeholten Auskunft des Amtsgerichts Stadt3 jedoch nicht der Fall. Dass eine solche Erklärung abgegeben worden sein soll, wird zudem auch von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht.

Der Beteiligte zu 1) ist am XX.XX.1960 geboren worden. Am 01.01.1997 war er damit noch minderjährig. Mangels Abgabe einer Erklärung nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 AdoptG beurteilen sich die Rechtsfolgen seiner Adoption damit für den am XX.XX.2016 eingetretenen Erbfall nach den seither maßgeblichen Vorschriften.

Nach diesen ist der Beteiligte zu 1) im Sinne des § 1927 Satz 1 BGB in mehreren Stämmen und damit zu mehreren Erbteilen zum Erben nach der Erblasserin berufen worden.

Der Erwerb des Anteils nach seiner Adoptivmutter beruht auf § 1754 Abs. 1 BGB. Danach erlangt ein durch ein Ehepaar angenommenes Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten. Von einer zu § 1763 BGB a.F. entsprechenden Vorschrift, wonach das Kind hierdurch nur unmittelbar mit seinen Adoptiveltern verwandt wird, sich die Wirkungen der Annahme aber nicht auch auf die weiteren Verwandten der Adoptiveltern erstrecken, hat der Gesetzgeber bei der 1977 erfolgten Neuregelung des Adoptionsrechts gerade abgesehen. Vielmehr ordnet das Gesetz seither im Sinne der sogenannten Volladoption eine vollständige Einordnung des angenommenen Kindes in die Adoptivfamilie an (vgl. Palandt/Götz, BGB, 2021, § 1754 BGB Rn. 1). Der Beteiligte zu 1) ist damit so anzusehen, als ob es sich bei ihm um ein leibliches Kind seiner Adoptivmutter gehandelt hätte. Ein leibliches Kind wäre nach Ableben seiner Mutter und seiner Großeltern in dem seiner leiblichen Mutter zustehenden Umfang von ¼ Miterbe nach der Erblasserin geworden. Gleiches trifft nach § 1754 BGB n.F. auf den Beteiligten zu 1) als Adoptivkind zu.

Der Erwerb des weiteren Anteils von ¼ nach der im Jahre 1975 verstorbenen leiblichen Mutter des Beteiligten zu 1) beruht auf § 1756 BGB (n.F.).

Diese von der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – bislang noch nicht behandelte Fragestellung ist in der Literatur allerdings umstritten.

Von einem Teil der Literatur wird für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ein mehrfacher Erbantritt des Adoptivkinds abgelehnt (vgl. Erman/Lieder, 2020, § 1924 BGB Rn. 4) oder jedenfalls als zweifelhaft angesehen (vgl. MüKo-BGB/Maurer, 2020, § 1756 BGB Rn. 19; Erman/Saar, BGB, 2020, § 1756 BGB Rn. 5). Dafür wird geltend gemacht, dass die von § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB für ein solches Eintrittsrecht des Adoptivkinds in den Stamm seines vorverstorbenen leiblichen Elternteils vorausgesetzte Verwandtschaftsbeziehung zu dem leiblichen Elternteil durch §§ 1755, 1756 BGB n.F. gerade abgeschnitten worden sei. Nach § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB sei das Verwandtschaftsverhältnis des Adoptivkinds zu seinem leiblichen Elternteil mit der Adoption erloschen. Daran ändere auch die in § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Fall der Verwandtenadoption getroffene Sonderregelung nichts. Zwar ordnet § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Fall, dass die Annehmenden mit dem Kind im zweiten oder dritten Grad verwandt oder verschwägert sind, als Ausnahme zu § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB an, dass nur das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den Eltern des Kindes und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Der Gesetzeswortlaut des § 1756 Abs. 1 BGB ist damit für ein Verständnis offen, wonach nur das unmittelbare Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinem leiblichen Elternteil erlischt, die über die Abstammung von dem leiblichen Elternteil vermittelten Verwandtschaftsverhältnisse zur übrigen Verwandtschaft des leiblichen Elternteils aber bestehen bleiben sollen. Einer über die Verwandtschaft zum vorverstorbenen leiblichen Elternteil vermittelten Erbenstellung des Adoptivkinds nach § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB (hier: in Verbindung mit § 1925 Abs. 3 Satz 1 BGB) soll aber nach dieser Auffassung der Charakter des § 1756 BGB als einer eng auszulegenden Ausnahmevorschrift entgegenstehen. Zudem wird es als unbillig angesehen, dass mit dem Adoptivkind konkurrierende Verwandte auf diese Weise hinter das in mehreren Stämmen erbberechtigte Kind zurückgesetzt werden (so etwa: MüKo-BGB/Maurer, 2020, § 1756 BGB Rn. 19).

Nach der Gegenauffassung erbt das Adoptivkind gemäß § 1756 Abs. 1 BGB nach Ableben der leiblichen und der Adoptiveltern nicht nur aus dem Stamm der Adoptiveltern, sondern in der von § 1927 Satz 1 BGB für einen mehrfachen Erbteilserwerb geforderten Weise zugleich auch aus dem Stamm des leiblichen Elternteils (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 2021, § 1927 BGB Rn. 2; MüKo-BGB/Leipold, 2020, § 1924 BGB Rn. 26 u. § 1927 BGB Rn. 3; Staudinger/Werner, 2021, § 1927 BGB Rn. 3; BeckOK-BGB/Pöcker, 2021 § 1756 BGB Rn. 5.2; BeckOGK-BGB/Löhning, § 1756 BGB Rn. 18; Firsching/Krätzschel, Nachlassrecht, 2019, § 3 Rn. 32).

Dieser Auffassung wird zwar entgegengehalten, dass es an der von dem Wortlaut des § 1924 Abs. 3 BGB geforderten Vermittlung der Erbenstellung „durch“ den weggefallenen leiblichen Adoptivelternteil fehle. Die mit dem Wort „durch“ angesprochene Verwandtschaftsbeziehung des Adoptivkinds zu seinem leiblichen Elternteil sei von § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB „durchschnitten“ worden (vgl. Dieckmann, FamRZ 1979, 389, 394). Jedoch will § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB die durch den weggefallenen leiblichen Adoptivelternteil vermittelte Verwandtschaftsbeziehung des Adoptivkinds allein im Verhältnis zum leiblichen Elternteil, aber nicht auch hinsichtlich der darüber vermittelten leiblichen Verwandtschaft des Adoptivkinds unterbrechen. Dies wird in § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB durch die Formulierung klargestellt, dass „nur“ das Verwandtschaftsverhältnis des Adoptivkinds zum leiblichen Elternteil erlöschen soll. Die Anordnung aus § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB, dass „nur““ das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen leiblichen Eltern erlöschen sollen, wollte der Gesetzgeber gerade dahin verstanden wissen, dass nur das unmittelbare Verwandtschaftsverhältnis zum leiblichen Elternteil erlöschen soll, aber nicht zum darüber vermittelten übrigen Stamm der Herkunftsfamilie. Dem liegt als Erwägung zugrunde, dass das Kind im Falle einer Verwandtenadoption durch Verwandte zweiten oder dritten Gerades nicht in einen neuen Familienverband eintritt. Vielmehr kommt es zu einem bloßen Wechsel der Zuordnung innerhalb desselben Familienverbands. Der Gesetzgeber hat es deshalb als unangemessen angesehen, dass über die unmittelbare Verwandtschaftsbeziehung des Adoptivkinds zu seinem leiblichen Elternteil auch die gesamten übrigen, über diesen leiblichen Elternteil vermittelten Verwandtschaftsbeziehungen zu seiner leiblichen Herkunftsfamilie erlöschen sollen (vgl. BT-Drs. 7/3061, S. 44). Um eine solche Vermittlung der Verwandtschaftsbeziehung durch den verstorbenen leiblichen Elternteil zu dessen übriger Verwandtschaft geht es jedoch auch in § 1924 Abs. 3 BGB. Es besteht dann keine Veranlassung, der Vorschrift des § 1756 Abs. 1 BGB bei Anwendung im Rahmen des § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB einen weitergehenden Aussagegehalt als in sonstigen Fällen beizulegen, indem sie dahin verstanden wird, dass das Verwandtschaftsverhältnis zum leiblichen Elternteil auch in seiner Funktion als Bindeglied zur übrigen leiblichen Herkunftsfamilie des Adoptivkinds abgeschnitten werden soll.

Daran ändert auch die Natur des § 1756 Abs. 1 BGB als einer Ausnahmevorschrift nichts. Zwar sind Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen. Jedoch gilt dieser Grundsatz nur im Rahmen des jeweiligen Zwecks der Ausnahmevorschrift. Zweck des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB ist es, das Verwandtschaftsverhältnis zur Herkunftsfamilie insoweit aufrecht zu erhalten, als gerade nicht das unmittelbare Verwandtschaftsverhältnis zum leiblichen Elternteil betroffen ist. Es hält sich im Rahmen dieser Zweckrichtung, wenn § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB im Rahmen des § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB wortlautgetreu dahin angewendet wird, dass das Vorversterben des leiblichen Elternteils auch einem Adoptivkind das Eintrittsrecht in einen zum Stamm der leiblichen Eltern gehörigen Erbteil vermitteln kann.

Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB zudem erkannt, dass eine Anwendung dieser Vorschrift auf dem Gebiet des Erbrechts zu einer Erbberechtigung des Adoptivkinds im Stamm des leiblichen Elternteils führen kann. Als sachlich unangemessen hat der Gesetzgeber jedoch nur eine Erbberechtigung im unmittelbaren Verhältnis zum leiblichen Elternteil sowie in absteigender Linie vom leiblichen Elternteil zu Geschwistern des Adoptivkinds angesehen (vgl. BT-Drs. 7/3061, S. 44). Die Unbilligkeit hat der Gesetzgeber dabei maßgeblich darin gesehen, dass das Vermögen des Adoptivkinds im Falle seines Ablebens an die Adoptiveltern oder deren Abkömmlinge abfließen kann. Ferner wollte er verhindern, dass das Adoptivkind nach Ableben seiner leiblichen Eltern in eine Erbengemeinschaft mit leiblichen Geschwistern seiner Ursprungsfamilie eintritt. Er hat deshalb im Zusammenhang mit der Schaffung des § 1756 Abs. 1 BGB (n.F.) durch die erst in den Beratungen des Rechtsausschusses zustande gekommene Regelung des § 1925 Abs. 4 BGB (n.F.) klargestellt, dass das Adoptivkind unbeschadet der ansonsten nach § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB fortbestehenden Verwandtschaftsbeziehungen zum Stamm seines leiblichen Elternteils weder diese noch seine leiblichen Geschwister beerben kann (vgl. BT-Drs. 7/5087, S. 17). Die leibliche Mutter des Beteiligten zu 1) ist jedoch unverheiratet und ansonsten kinderlos verstorben. Es besteht deshalb bei Zulassung eines Erbteilserwerbs des Beteiligten zu 1) aus dem Stamm seiner leiblichen Mutter nicht die von dem Gesetzgeber gesehene Gefahr, dass der Beteiligte zu 1) hinsichtlich des in den Stamm seiner leiblichen Mutter fallenden Erbteils nach der Erblasserin in eine Erbengemeinschaft mit leiblichen Geschwistern oder deren Abkömmlinge eintreten könnte.

Die Möglichkeit, dass das von dem einen Geschwister des leiblichen Elternteils adoptierte Kind nach Ableben eines weiteren Geschwisters seines leiblichen Elternteils sodann in beiden Stämmen – Stamm des Adoptivelternteils und des leiblichen Elternteils – als Erbe des weiteren Geschwisters seiner leiblichen Eltern in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber dabei ebenfalls gesehen. Es beruht auf einer bewussten Entscheidung, wenn er es für diesen Fall bei der von § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB eröffneten Möglichkeit eines mehrfachen Erbteilserwerbs belassen hat. Die Gesetz gewordene Fassung der §§ 1756, 1925 BGB ist erst in den Beratungen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zustande gekommen. Dieser hat seiner Entwurfsbegründung ein Schaubild mit Darstellung der möglichen Verwandtschaftsbeziehungen und der von ihm gewollten Regelungswirkungen der §§ 1756, 1925 Abs. 4 BGB (n.F.) beigegeben, in dem auch das Vorhandensein weiterer Geschwister neben dem Adoptivelternteil (leiblicher Onkel bzw. Tante des Adoptivkinds) und leiblichem Elternteil berücksichtigt worden ist (vgl. Anlage 1 zu § 1756 BGB-E, BT-Drs. 7/5087, S. 30). Es wird deshalb auch von Vertretern derjenigen Auffassung, die einen mehrfachen Erbteilserwerb des Adoptivkinds aus dem Stamm seiner Adoptiveltern und seiner leiblichen Eltern für Fälle der vorliegenden Art als unbillig oder unsachgerecht ansehen, nicht in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB eine kumulative Erbberechtigung gerade auch selbst in Kauf genommen hat (vgl. Staudinger/Helms, BGB, 2019, § 1756 BGB Rn. 17; MüKo-BGB/Maurer, 2020, § 1756 BGB Rn. 14 <Text in Fußn. 23>).

Es überzeugt zudem auch in der Sache nicht, wenn für einen Ausschluss des Adoptivkinds von einem kumulativen Erbteilserwerb aus dem Stamm seiner leiblichen und seiner Adoptiveltern geltend gemacht wird, dass dies gegen die von § 1924 Abs. 4 BGB angeordnete Gleichbehandlung der jeweiligen Stämme verstoße. Denn insoweit beruht die Bevorzugung des Adoptivkinds in erster Linie auf der in § 1927 Satz 1 BGB enthaltenen Entscheidung des Gesetzgebers, dass einem in zwei Stämmen gleichzeitig berechtigten Erben die Erbteile aus beiden Stämmen zustehen sollen. Zu einer solchen Bevorzugung einzelner Abkömmlinge kann es dabei aber nicht allein in Adoptionsfällen, sondern etwa auch dadurch kommen, dass der Erbe aus einer Ehe von Geschwisterkindern (Cousin und Cousine) herrührt und deshalb nach dem Ableben beider Elternteile in beiden Stämmen neben etwa noch vorhandenen weiteren Abkömmlingen erbt (vgl. Staudinger/Werner, BGB, 2017, § 1927 BGB Rn. 4). Es besteht dann keine Veranlassung, ein Adoptivkind nur deshalb vom Anwendungsbereich des § 1927 Satz 1 BGB auszunehmen, weil seine mehrfache Erbberechtigung auf Adoption anstelle natürlicher Abstammung beruht. Vielmehr hat es auch im Ergebnis bei der von § 1927 Satz 1 BGB angeordneten Mehrfachberechtigung des Beteiligten zu 1) als Angehöriger zweier Stämme zu bleiben.

Es ergibt sich damit die folgende Berechnung der Erbquoten: Nach dem Ableben der Erblasserin und Vorversterben ihrer Großeltern verteilt sich ihr Nachlass zu gleichen Teilen auf die Stämme ihrer Geschwister. Neben der Erblasserin waren aus der Ehe der vorverstorbenen Großeltern vier weitere, im Zeitpunkt des Erbfalls vorverstorbene Geschwister hervorgegangen. Das Erbe teilt sich damit gemäß § 1934 Abs. 4 BGB auf 4 Stämme zu je ¼ auf. Den Beteiligten zu 2) bis 5) steht damit je ¼ des auf ihre Mutter entfallenden Anteils von ¼, somit je 1/16 zu. Der Beteiligte zu 6) hat als einziges Kind seiner vorverstorbenen Mutter den ihr zustehenden Anteil von ¼ erlangt. Der Beteiligte zu 1) kann zum einen den seiner vorverstorbenen Adoptivmutter zustehenden Anteil von ¼ beanspruchen. Zugleich steht ihm als einziges Kind seiner vorverstorbenen und ledig gebliebenen Adoptivmutter der ihr zustehende Anteil von ¼, insgesamt damit ½ zu. Dem hat der Beteiligte zu 1) mit den in seinem Erbscheinsantrag ausgewiesenen Erbquoten zutreffend Rechnung getragen.

Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) ist nicht deshalb unrichtig, weil er mit seinem Erbscheinsantrag eine Erbquote von ½ für sich in Anspruch genommen hat, während nach § 1927 Satz 2 BGB im Falle der mehrfachen Berufung jeder der beiden Erbteile als besonderer Erbteil „gilt“. Daraus folgt nicht, dass der Erbscheinsantrag zur Vermeidung einer Unrichtigkeit dahin formuliert werden müsste, dass der Beteiligte zu 1) zu ¼ (Erbteil nach seiner leiblichen Mutter) und einem weiteren ¼ (Erbteil nach seiner Adoptivmutter) Miterbe geworden war. Vielmehr zeigt gerade der Umstand, dass nach § 1927 Satz 2 BGB die beiden Erbteile als besondere Erbteile „gelten“, also so zu behandeln sind, „als ob“ sie getrennt wären, dass das Gesetz von einem im Ausgangspunkt einheitlichen Erbteil des von § 1927 Satz 1 BGB begünstigten Erben ausgeht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach sollen die Kosten einer erfolglos gebliebenen Beschwerde dem jeweiligen Rechtsmittelführer, hier den Beteiligten zu 2) bis 6) auferlegt werden. Auch bei Abwägung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen der Beteiligten und des Umstands, dass die zutreffende Auslegung der hier in erster Linie maßgeblichen Vorschrift des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB ernstlich zweifelhaft erscheint, ist eine Abweichung von dieser Soll-Regelung im Ergebnis nicht veranlasst.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen. Die Auslegung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ist in der Literatur umstritten und – soweit ersichtlich – bislang noch kein Gegenstand einer veröffentlichten Entscheidung gewesen.

Die Wertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 61, 40 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61 Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags des Beschwerdeführers dient. Ziel des Antrags der Beteiligten zu 2) ist die Erteilung des beantragten Erbscheins und die Verhinderung des von der Beteiligten zu 1) beantragten Alleinerbscheins. Damit ist für den Geschäftswert auch des Beschwerdeverfahrens die spezielle Regelung betreffend der Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins in § 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG heranzuziehen, wonach maßgeblich der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ist, von dem nur die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten abgezogen werden. Den Wert des Nachlasses bemisst der Senat auf der Grundlage der Angaben des Beteiligten zu 1) aus seinem Erbscheinsantrag vom 16.03.2021 (Bl. 3 ff. d.A.) auf 1.374.527,77 €. Daraus ergibt sich der im Tenor festgesetzte Beschwerdewert.

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