Ausgleichung von Pflichtteilsansprüchen durch soziale Leistungen
Ein kürzlich ergangenes Urteil (2 O 120/15) wirft interessante Fragen im Zusammenhang mit dem Erbrecht und dem Konzept des Pflichtteils auf. Das Gericht hat entschieden, dass soziale Leistungen zur Minderung der sogenannten „pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen“ beitragen können.
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Subjektive Äquivalenz im Erbrecht
Die Kernfrage dieses Falls lag in der Anrechnung von sozialen Leistungen auf den Pflichtteilsanspruch. Der Fall beinhaltete eine Partei (die Klägerin), die Anspruch auf einen Teil des Erbes erhob. Die Mutter der Parteien hatte allerdings zu Lebzeiten Vermögenswerte an die Beklagte übertragen. Die Klägerin argumentierte, dass diese Übertragung auf ihren Pflichtteilsanspruch angerechnet werden sollte.
Das Gericht musste darüber entscheiden, ob die Leistungen der Beklagten – einschließlich sozialer Interaktionen und Pflegeleistungen für die Mutter – eine legitime Minderung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin darstellen könnten. Im Kern geht es also um das Prinzip der subjektiven Äquivalenz im Erbrecht. Dieses Prinzip besagt, dass die Bewertung von Leistungen grundsätzlich dem Ermessen des Erblassers unterliegt.
Bewertung von sozialen Leistungen im Erbrecht
Die Beklagte hatte ihre Mutter im Seniorenheim mehrmals wöchentlich besucht und sie gelegentlich zum Essen nach Hause oder ins Restaurant eingeladen. Die Mutter schätzte diese Aktivitäten offenbar sehr hoch ein und ordnete sie den Pflegeleistungen zu Hause gleich.
Das Gericht stellte fest, dass es im Rahmen der Privatautonomie der Erblasserin stand, diesen sozialen Verrichtungen einen hohen Stellenwert einzuräumen und sie entsprechend finanziell zu bewerten. Es ist somit nicht maßgeblich, welchen tatsächlichen „Marktwert“ diese Dienste haben, sondern welche Bedeutung sie aus Sicht der Erblasserin haben.
Zeitpunkt für die Bewertung von Leistungen
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils war die Feststellung, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung von Pflegeleistungen und anderen Verrichtungen der Zeitpunkt ist, an dem die Leistungen miteinander verknüpft werden. Das bedeutet, dass der Wert der Leistungen zum Zeitpunkt der Verknüpfung mit der Vermögensüberlassung und nicht zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin oder zu einem späteren Zeitpunkt bewertet wird.
Diese Entscheidung verdeutlicht, dass es im Erbrecht oft auf die subjektive Einschätzung des Erblassers ankommt und dass die Anrechnung von Pflichtteilsansprüchen ein komplexer Prozess sein kann. Es unterstreicht auch die Bedeutung sozialer Leistungen und ihre potenzielle Rolle bei der Minderung von Pflichtteilsansprüchen.
Subjektive Bewertung gegenüber tatsächlicher Entwicklung
Ein wichtiger Punkt, den das Gericht hervorhebt, ist, dass für die Bewertung der Leistungen nicht die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände maßgebend ist, sondern die subjektive Bewertung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Somit wird eine etwa eingetretene Pflegebedürftigkeit der Erblasserin nicht als entscheidend angesehen.
Dieses Urteil hebt die Bedeutung der Privatautonomie im Erbrecht hervor. Es unterstreicht, dass die Erblasserin die Möglichkeit hatte, frei über ihr Vermögen zu verfügen und dabei ihre eigenen Werturteile und Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Schlussbetrachtung
Das Urteil verdeutlicht, dass die Beurteilung von Pflichtteilsansprüchen oft eine komplexe Abwägung verschiedener Faktoren erfordert, einschließlich der subjektiven Bewertungen und Präferenzen des Erblassers. Es zeigt auch, dass nicht nur monetäre Werte, sondern auch soziale Leistungen eine erhebliche Rolle spielen können. Daher sollten sowohl Erblasser als auch potenzielle Erben die möglichen Auswirkungen dieser Faktoren auf Pflichtteilsansprüche berücksichtigen.
Das vorliegende Urteil
OLG Koblenz – Az.: 12 U 646/20 – Beschluss vom 24.09.2020
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 06.04.2020, Az. 2 O 120/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 07.10.2020.
Gründe
Der Klägerin steht ein mit der Klage geltend gemachter Pflichtteils- und/oder Pflichtteilsergänzungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Soweit die Klägerin mit der Berufung beanstandet, das Landgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass zum Nachlassvermögen auch eine Münzsammlung gehöre, die – nach ihrer Auffassung – mit einem Wert von 25.000,00 € in den aktiven Nachlass einzuberechnen sei, vermag der Senat ihrer Argumentation nicht zu folgen. Die diesbezüglichen Behauptungen der Klägerin sind, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht hinreichend substantiiert und einer Beweiserhebung daher nicht zugänglich. Es ist weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht hinreichend dargetan, dies auch im Rahmen des Berufungsverfahrens, um welche Münzen es sich hierbei im Einzelnen handeln soll, noch sind Anhaltspunkte erkennbar, die eine materielle Bewertung dieser Nachlassposition zulassen würden. Die klägerseits unter Beweis gestellten Beobachtungen des von ihr benannten Zeugen …[A] sind nicht geeignet, im Falle ihrer Erweislichkeit eine Tatsachenlage zu schaffen, die belastbar die Grundlage für die Feststellung eines den Wert des Nachlassvermögens erhöhenden Sachverhalts begründen könnte. Insoweit hat das Landgericht daher zu Recht die von der Klägerin behauptete Existenz einer Münzsammlung bei der Wertberechnung außer Ansatz gelassen. Entsprechendes gilt auch hinsichtlich des klägerseits behaupteten höheren Wertes für das Mobiliar der Erblasserin. In dieser Hinsicht fehlt es auch hier an einer für die abweichende Wertbemessung erforderlichen validen Tatsachengrundlage, so dass eine Änderung der Berechnungsgrundlage in diesem Punkt nicht veranlasst war.
Auch die weitergehenden Angriffe der Berufung führen vorliegend nicht zu einer wertmäßigen Erhöhung des Nachlassvermögens und damit auch nicht zu einem weitergehenden pflichtteilserhöhenden Anspruch der Klägerin.
Soweit die Klägerin den von dem Landgericht übernommenen Wertansatz der Beklagten für die von der Erblasserin hinterlassenen Schmuckstücke in Abrede stellt und behauptet, diese seien mit einem höheren Wert von 6.300,00 € in das Nachlassvermögen einzubeziehen, kann die Beurteilung dieser streitigen Tatsache letztlich dahinstehen, da sich auch unter Berücksichtigung eines – im Vergleich zur Berechnung des Landgerichts – um 3.210,00 € höheren Wertansatzes im Ergebnis ein pflichtteilsmäßiger Auszahlungsanspruch der Klägerin nicht ergibt. Auch in diesem Fall wäre – wie noch darzulegen ist – der zu errechnende Pflichtteilsanspruch durch die beklagtenseits erklärte „Primäraufrechnung“ mit der wertmäßigen Rückforderung des durch die Klägerin vereinnahmten Depots bei der …[B] Bank erloschen.
Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang argumentiert, mit dem von ihr zu Lebzeiten der Mutter aus deren Vermögen im Jahre 2011 entnommenen Depot sei nach der Vorschrift des § 2327 BGB zu verfahren, so dass dieser Umstand wertmäßig bei der Ermittlung des (fiktiven) Nachlasses zu berücksichtigen sei und ihr, der Klägerin, damit auf ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin de facto in der Lage und aufgrund der ihr erteilten Vollmacht gegenüber der Bank auch legitimiert war, diese Wertanlage aus dem Vermögen der Mutter ihrem eigenen Vermögen zuzuführen, handelte es sich hierbei keineswegs um eine unentgeltliche Zuwendung der Mutter, sondern um eine von der Klägerin eigenmächtig, ohne Rechtsgrund, lediglich zu dem Zweck, einer eventuellen Benachteiligung bei der Erbaufteilung vorzubeugen, ihrem Vermögen einverleibte Wertanlage. Zu Recht ist das Landgericht daher von einer Forderung der Mutter aus ungerechtfertigter Bereicherung ausgegangen, die mit dem Erbfall in den Nachlass gefallen ist. In Höhe eines Betrages von 14.670,45 € bestand somit ein aufrechenbarer Gegenanspruch der Beklagten als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter, mit dem diese wirksam die Aufrechnung gegenüber dem Pflichtteilsanspruch der Klägerin erklärt hat.
Ausgehend von dieser Feststellung hätte sich der aktive Nachlass bei einem um 3.210,00 € höheren Wertansatz für den hinterlassenen Schmuck vorliegend von 37.686,97 € auf 40.896,97 €, der um die Passiva bereinigte Nachlass von 31.489,04 € auf 34.699,04 € erhöht, so dass der Pflichtteilsanspruch der Klägerin (vorbehaltlich im Folgenden noch zu erörternder weiterer Positionen) mit 8.674,76 € zu veranschlagen wäre. Auch dieser Betrag wäre durch den zur Aufrechnung gestellten Rückforderungsanspruch in Höhe von 14.670,45 € betreffend den Depotwert mithin vollständig aufgezehrt worden.
Soweit die Klägerin mit der Berufung darüber hinaus die Feststellungen des Landgerichts zu dem mit der Klage geltend gemachten Pflichtteilsergänzungsanspruch angreift, richtet sich ihr Einwand in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen gegen die wertmäßige Behandlung des der Beklagten zugewandten Verkaufserlöses in Höhe von 150.000,00 € aus dem Verkauf des Hauses im Juli 2011 und die hierauf erfolgte Anrechnung von Pflege-/Betreuungsleistungen der Beklagten. Zutreffend hat das Landgericht diese Zuwendung im Hinblick auf die als „Bestätigung“ deklarierte Erklärung der Erblasserin vom 20.01.2012 als gemischte Schenkung gewertet mit der Folge, dass nur der die Gegenleistung überschießende Teil der Zuwendung als unentgeltlich in die Berechnung i. S. d. § 2325 BGB einzustellen war.
Entgegen den Angriffen der Berufung ergeben sich vorliegend keine belastbaren Anhaltspunkte für die klägerische Behauptung, die Erblasserin sei am 20.01.2012 nicht mehr geschäftsfähig gewesen, so dass es an der Rechtswirksamkeit der abgegebenen Erklärung fehle. Weder nach der Aktenlage noch aus dem Sachvortrag der Klägerin sind verlässliche und dem Beweis zugängliche Umstände erkennbar, die begründete Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin wecken könnten.
Mit ihrer Erklärung vom 20.01.2012 hat die Erblasserin auf die Vergangenheit (ausgehend von Oktober 2010) und die Zukunft gerichtet eine Verknüpfung zwischen dem der Beklagten schenkweise zugewandten Erlös aus dem Verkauf des Hauses einerseits und den täglichen Verrichtungen sowie der persönlichen Zuwendung hergestellt, die ihr, der Erblasserin, von der Beklagten im Rahmen ihrer täglichen Bedürfnisse seit Oktober 2010 entgegengebracht wurde und nach ihren Vorstellungen auch künftig entgegengebracht werden würde. Diese persönlichen Leistungen der Beklagten sind entgegen der Ansicht der Klägerin – dem Grunde nach zunächst – unabhängig davon in die Bewertung mit einzubeziehen, ob die Erblasserin im Zeitpunkt ihrer Erklärung pflegebedürftig war, ob sie zu Hause durch eine professionelle Tagespflege (mit-)versorgt wurde und/oder sich in einem Pflegeheim befand (vgl. BGH NJW 2017, 329). Allein die subjektiven Vorstellungen der Vertragspartner, hier der Erklärenden, sind insoweit zu beachten. Der Erblasserin stand es daher zunächst frei, darüber zu entscheiden, ob die unentgeltliche Zuwendung des Erlöses aus dem Hausverkauf mit einer anderen von der Beklagten erbrachten Leistung verknüpft und so die Unentgeltlichkeit (teilweise) ausgeschlossen werden sollte. Zum anderen war es grundsätzlich im Belieben der Erblasserin, die Wertverhältnisse der auszutauschenden Leistungen selbst zu bestimmen (Prinzip der subjektiven Äquivalenz). Ob der Wert der von der Beklagten ausgehenden Leistungen gleichwertig war oder nicht, sollte daher zunächst der subjektiven Bewertung der Bestimmenden, hier der Erblasserin, selbst unterliegen, die aufgrund ihrer Privatautonomie grundsätzlich selbst über ihr Vermögen frei disponieren konnte (vgl. BGH NJW 95, 1349; NJW-RR 96, 754). Ihre Bewertung muss daher grundsätzlich anerkannt werden, weil es ihr aufgrund ihrer Privatautonomie freistand, auch die objektiv eventuell wesentlich geringere Gegenleistung subjektiv noch als gleichwertig anzusehen (vgl. Palandt-Weidlich, BGB, 79. Auflage, § 2325 Rdn. 9 m.w.N. der Rspr.). Der Bewertung von Leistung und Gegenleistung durch die Parteien sind jedoch insoweit Grenzen gesetzt, als sie nicht auf Willkür beruhen und somit – bezogen auf den vorliegenden Fall – zu einer Aushöhlung des Pflichtteilsrechts auf Seiten der Klägerin führen dürfen, weil der/die Erblasser/-in sich ihres Vermögens de facto zu ihrem, der Klägerin, Nachteil ganz oder teilweise durch unentgeltliche Hingabe ihres Vermögens an Dritte begibt, indem sie erbrachte Zuwendungen mit einer, im groben Missverhältnis zu dieser Leistung stehenden Gegenleistung verknüpft und diese Gegenleistung so der Ausgleichspflicht im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsrechts entzieht. So liegt der Fall hier jedoch mit Blick auf den Wert der von dem Landgericht zugrundegelegten Gegenleistung nicht.
Die Erblasserin hat in ihrer Erklärung vom 21.01.2012 selbst keinen nominellen Wert der von der Beklagten erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen festgelegt. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang die Pflege-/Betreuungsleistungen der Beklagten mit einem Wert in Höhe von monatlich 1.000,00 € in Ansatz gebracht hat, erscheint dies mit Blick auf die erkennbaren spezifischen Überlegungen und persönlichen Verhältnisse, in denen die Erblasserin lebte und die der Erklärung vom 21.01.2012 zugrundelagen, nicht überhöht. Angesichts der aus der Erklärung der Erblasserin hervortretenden besonderen und auch allgemein nachvollziehbaren Motivation hält die Wertfestsetzung des Landgerichts auch nach der Überzeugung des Senats insoweit einer Überprüfung stand.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erblasserin zunächst keinen Unterschied zwischen der Wertigkeit der beklagtenseits erbrachten Leistungen im Rahmen der Lebensverhältnisse zu Hause und im Pflegeheim gemacht hat. Die Erblasserin hat in ihrer Erklärung darauf abgestellt, dass die Beklagte ihr zu Hause die Einkäufe erledigt, sie mit Mittagessen versorgt, ihre Wäsche gewaschen und sie auch medikamentös versorgt habe; sie hat andererseits auch betont, dass die Beklagte sie im Heim mehrmals wöchentlich besuche und sie auch (gelegentlich) mit nach Hause zum Essen nehme oder sie ins Restaurant einlade. Sie räumte damit der während ihres Heimaufenthaltes von der Beklagten erbrachten und aus ihrer Sicht künftig zu erbringenden „sozialen Verrichtungen“ einen ebenso hohen Stellenwert ein wie den „Pflegeleistungen zu Hause“, so dass das im Seniorenheim im Vergleich zu ihrem Aufenthalt zu Hause geminderte Erfordernis von täglichen Verrichtungen aus Sicht der Erblasserin durch sonstige, wertmäßig gleichzusetzende Leistungen aufgewogen wurde. Diese Vorstellung erscheint nicht willkürlich und unverhältnismäßig, wenn man berücksichtigt, dass die Erblasserin mit dem Auszug aus dem Eigenheim ihr unmittelbares soziales Umfeld verlassen hat und ihre persönlichen Bedürfnisse daher besonders darauf gerichtet waren, (im Alter) nicht völlig sozial, insbesondere von der Familie isoliert und abgeschieden zu sein, dies auch mit Blick auf den aus ihrer Sicht problematischen Kontakt zu ihrer anderen Tochter, der Klägerin. Wenn sie daher der Tatsache regelmäßiger Besuche von der Beklagten, und der sich durch die Besuche und die Unternehmungen damit ihr eröffnende „Flucht aus der Eintönigkeit des Heimaufenthaltes“ eine besondere Wertigkeit beigemessen hat, erscheint dies verständlich und nachvollziehbar und ist in rechtlicher Hinsicht daher nicht als unverhältnismäßig zu qualifizieren und durch das Gericht auch nicht in subjektiver Hinsicht zu bewerten. Einer, allein an wirtschaftlichen Überlegungen orientierten Sichtweise ist dieser Sachverhalt daher entzogen. Gerade die vorgenannten Gesichtspunkte haben nach dem Inhalt der Erklärung vom 21.01.2012 erkennbar einen besonderen Stellenwert bei der Willensbildung der Erblasserin eingenommen und bedurften daher auch wertmäßig einer hervorgehobenen Behandlung. Der Erblasserin musste es insoweit im Rahmen ihrer Privatautonomie freistehen, den vorgenannten, aus ihrer Sicht existenziellen Bedürfnissen auch eine herausragende Bedeutung beizumessen und finanzielle Anreize zu schaffen, um diese Zielsetzung zu erreichen und derartige Leistungen Dritter zu erhalten, unabhängig von dem tatsächlichen Aufwand und dem „Marktwert“, der mit der Erbringung solcher Dienste für den Leistenden, die Beklagte, verbunden sein würde. Ungeachtet der Tatsache, dass die Erblasserin zu dem Zeitpunkt ihrer Erklärung nicht offenkundig in hohem Maße pflegebedürftig war und sie diese Erklärung auch in diesem Bewusstsein abgegeben hat, erscheint dem Senat aus den vorstehend dargelegten Gründen der von dem Landgericht in Ansatz gebrachte Betrag von 1.000,00 € monatlich nicht überhöht, jedenfalls vertretbar, und bedarf auch mit Blick auf die zwischenzeitliche Änderung der Lebensverhältnisse auf Seiten der Erblasserin (Umzug ins Pflegeheim) keiner differenzierten Bewertung.
Anders als das Landgericht geht der Senat jedoch davon aus, dass das „Leistungsverhältnis“ nicht lediglich für den Zeitraum der tatsächlichen (Gegen-)Leistungserbringung, also in einem Zeitraum von 17 Monaten, von Anfang Oktober 2010 bis zum 8. März 2012, als die Erblasserin verstarb, zu betrachten ist. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistung kommt es grundsätzlich nicht an. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Wertes der ins Auge gefassten Pflegeleistungen/sonstigen Verrichtungen der Beklagten ist der Zeitpunkt, in dem die hier in Relation zueinander gestellten Leistungen, die Überlassung des Verkaufserlöses einerseits und die von der Beklagten bereits erbrachten und noch zu erbringenden persönlichen Leistungen andererseits, miteinander verknüpft werden. Dabei ist entscheidend auf den Zeitpunkt der Überlassung des Verkaufserlöses, also Juli 2011 (BGH NJW 2017, 329; BGH, NJW 2000, 598; OLG Celle, FamRZ 2009, 462 [463]; OLG Koblenz, ZEV 2002, 460 [461]), unter Einbeziehung des Zeitraums ab Oktober 2010, auf den sich die Leistungsverknüpfung nach dem Willen der Erblasserin ebenfalls rückwirkend beziehen sollte, abzustellen. Insoweit ist – entgegen der Auffassung der Klägerin – für die Bewertung nicht maßgeblich auf die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände zu rekurrieren. Insbesondere ist nicht entscheidend die Frage einer etwa eingetretenen Pflegebedürftigkeit der Erblasserin, sondern die Prognoseentscheidung der Parteien ist anhand einer subjektiven Bewertung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorzunehmen, wobei im vorliegenden Fall, wie dargelegt, nicht ein Vertragsschluss und darin vereinbarte verbindliche Pflegeleistungen der Beklagten in Rede stehen, sondern die Verknüpfung von für die Erblasserin bereits erbrachten oder noch zu erbringenden freiwilligen Betreuungsleistungen und sonstigen sozialen Diensten der Beklagten mit dem ihr „geschenkten“ Erlös aus dem Verkauf des Hauses verrechnet werden sollten. Maßgeblich ist hier also auf die Prognoseentscheidung der Erblasserin und der Beklagten anhand einer subjektiven Bewertung bezogen auf den Zeitpunkt, von dem ab die Leistungsverknüpfung gelten sollte, mithin auf Oktober 2010, abzustellen, da die „Schenkung“ von der Erblasserin in der sicheren Erwartungshaltung erfolgte, dass sie für den Rest ihres Lebens durch die Beklagte „versorgt“ bzw. sozial eingebunden werden würde. Der Wert der beklagtenseits zu erbringenden Leistungen ist daher mit der allgemeinen statistischen Lebenserwartung der Erblasserin zum maßgeblichen Zeitpunkt (Oktober 2010) zu multiplizieren (vgl. insoweit Kroiß/Ann/Mayer, BGB, Erbrecht, BGB § 2325 Rn. 36, beck-online). Die durchschnittliche Lebenserwartung der zum maßgeblichen Zeitpunkt hier 82-jährigen Erblasserin lag in Deutschland laut Sterbetafel bei knapp 8 Jahren [7,95 bei einer 82-jährigen weiblichen Person gemäß der Allgemeinen Sterbetafel 2010/12 des Statistischen Bundesamtes, Quelle: https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEMonografie_derivate_00001524/ 5126205129004.pdf;jsessionid=FA1AF63DF0B46D49D1A93104747A938E].
Nimmt man einen monatlichen Betrag von 1.000 € an, eine berücksichtigungsfähige „Laufzeit“ der „Vereinbarung“ von 8 Jahren und den von § 14 Abs. 1 BewG vorgesehenen Abzinsungsfaktor von 5,5 %, ermittelt sich ein Wert von 76.015 € als auf die gemischte Schenkung des Verkaufserlöses anzurechnende, den Schenkungsbetrag mindernde Gegenleistung der Beklagten, so dass sich der Wert der gemischten Schenkung an die Beklagte seitens der Erblasserin auf 73.985 € reduziert (= 150.000 € – 76.015 €). Der fiktive Gesamtnachlass, von dem Landgericht mit 295.191,92 € berechnet und von der Klägerin insoweit nicht angegriffen, ermäßigt sich hiernach um weitere 59.015 € (76.015 € – 17.000 €) auf 236.176,92 €.
Die vorstehende Bewertung verstößt auch nicht gegen den zivilprozessualen Grundsatz der „reformatio in peius“ nach § 528 ZPO. Eine Schlechterstellung i. S. d. vorgenannten Bestimmung liegt nicht vor, wenn bei einem aus mehreren Posten zusammengesetzten Anspruch einzelne Posten herabgesetzt oder gestrichen werden, die Gesamtsumme indes nicht geringer wird (Zöller-Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 528 Rdn. 28). So liegt der Fall hier, was auch mit Blick auf die nachstehenden Ausführungen deutlich wird.
Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass das Landgericht bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach §§ 2325, 2327 BGB einen unzutreffenden, mit 1/8 bemessenen Berechnungsfaktor zu Grunde gelegt hat. Ausgehend von einer zutreffenden Pflichtteilsquote von 1/4 (die Hälfte der gesetzlichen Erbquote von 1/2) hätte der Klägerin aus dem fiktiven Nachlass in Höhe von 236.176,92 € ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 59.044,23 € (= 236.176,92 € x 1/4) zugestanden. Da die Klägerin Eigengeschenke im Wert von 56.402,21 € erhalten hat, die gemäß der Vorschrift des § 2327 Abs. 1 BGB auf den Gesamtbetrag des Pflichtteils und der Ergänzung anzurechnen sind, ermittelt sich grundsätzlich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 2.642,02 € (= 59.044,23 € – 56.402,21 €). Diesen Pflichtteilsergänzungsanspruch hat die Beklagte durch ihre Aufrechnungserklärung zum Erlöschen gebracht. Von den insgesamt aufrechenbaren Gegenansprüchen der Beklagten von 14.670,45 € ist nämlich nur ein Teilbetrag von höchstens 8.674,76 € durch Aufrechnung gegenüber dem Pflichtteilsanspruch der Klägerin bereits erloschen, so dass ein weiterer, den Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin bei weitem übersteigender Restgegenanspruch von 5.995,69 € (= 14.670,45 € – 8.674,76 €) verbleibt.
Bei diesem Ergebnis verbleibt es auch dann, wenn man mit dem von der Klägern erhobenen Einwand davon ausgeht, dass die Beklagte über einen Zeitraum von 17 Monaten einen weiteren Betrag von 400,00 € monatlich erhalten hat, der, so die Klägerin, auf die von der Beklagten für die Erblasserin erbrachten Dienste anzurechnen sei. Insoweit würde sich der fiktive Nachlass um weitere 6.800,00 € erhöhen, so dass die Klägerin hieran mit einem Betrag von 1.700,00 € partizipieren würde. Auch ein um diesen Betrag erhöhter Pflichtteilsergänzungsanspruch wäre vorliegend im Wege der Aufrechnung bereits vollständig erfüllt worden.
Da die Berufung der Klägerin somit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Der Senat beabsichtigt, den Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren auf 19.532,86 € festzusetzen.