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(Nach-)Vermächtnisnehmer Auskunftsanspruch über Nachlassbestand nach Tod des Erblassers

Die Komplexität der Vermächtnisauslegung und die Rechenschaftspflicht der Erben

Im juristischen Alltag begegnen uns oft komplexe und herausfordernde Fälle, die ausgereifte juristische Kenntnisse und kritische Interpretationsfähigkeiten erfordern. Ein solcher Fall wurde vom Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 8 O 4921/22 behandelt, bei dem es um die Auslegung eines Testaments und die damit verbundenen Auskunftsansprüche ging.

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Einleuchtende Hintergründe und Kontroverse

In diesem speziellen Fall forderte der Kläger, der als Vermächtnisnehmer benannt war, Auskunft über den Nachlassbestand nach dem Tod des Erblassers. Im Fokus der Auseinandersetzung stand das Testament des verstorbenen Erblassers und dessen Auslegung. Die Beklagten, welche die Erben sind, waren der Ansicht, dass das Testament so auszulegen sei, dass die Ehefrau des Erblassers zur Vollerbin geworden sei und für den Kläger lediglich ein befristetes oder aufschiebend bedingtes Herausgabevermächtnis in Bezug auf die noch vorhandenen Nachlassgegenstände vorgesehen war.

Die Schlüsselrolle der Testamentsauslegung

Nach eingehender Betrachtung des Testamentes kam das Gericht zu einer abweichenden Interpretation. Es stellte fest, dass der Verstorbene in seinem Testament nicht von Vor- und Nacherbschaft gesprochen hat. Nur die Erbeinsetzung der Ehefrau wurde explizit erwähnt. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollte der „vorhandene“ Nachlass an den Kläger fallen. Das Gericht verstand den Begriff „vorhandener Nachlass“ als den noch bestehenden Nachlass zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers.

Verbindliche Verfügung und Rechenschaftspflicht der Erben

Weiterhin stellte das Gericht fest, dass der Satz im Testament, wonach der überlebende Ehegatte „nicht berechtigt [sei], das Testament zu ändern,“ keineswegs die Position des Klägers schwächt. In diesem Zusammenhang kann auch die Einsetzung eines Vermächtnisses als bindende Verfügung verstanden werden. Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger Auskunft über den Nachlassbestand zu geben und Rechenschaft über die Verwaltung des Nachlasses abzulegen.

Der Schlüssel zur Wahrheit: Eidesstattliche Versicherung

Sollten die Beklagten das Bestandsverzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt oder die Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht haben, so sind sie weiterhin verpflichtet, an Eides statt zu versichern, dass sie den Bestand und die Einnahmen nach bestem Wissen so vollständig angegeben haben, wie sie dazu in der Lage sind. Damit unterstreicht das Urteil die wichtige Rolle der eidesstattlichen Versicherung auch im Erbrecht, die oft als Instrument zur Offenbarung von Zahlungsunfähigkeiten im Zivilrecht bekannt ist.

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 8 O 4921/22 – Urteil vom 27.07.2023


Das vorliegende Urteil

1. Die Beklagten werden verurteilt, dem Kläger ein Bestandsverzeichnis über den Nachlass des am XX.XX.1989 mit letztem Wohnsitz in […] verstorbenen GL vorzulegen und dem Kläger Rechnung zu legen über die Verwaltung des Nachlasses, durch Vorlage einer geordneten Zusammenstellung der Einnahmen und der Ausgaben und durch Vorlage der Belege.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 56.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Am 20.11.1989 verstarb Herr GL, geboren am 18.09.1910, zuletzt wohnhaft in XXX in München. Zum Zeitpunkt seines Ablebens war der Erblasser in zweiter Ehe mit Frau HL verheiratet, ebenfalls wohnhaft in XXX in München. Der Kläger war vom Erblasser GL adoptiert worden. Weitere Abkömmlinge hatte der Erblasser nicht. Der Erblasser GL verfasste am 30.01.1986 ein Testament, das folgenden Wortlaut aufwies:

Testament

Ich … setze zu meinen Erben meine Ehefrau HL, geborene XXX ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden soll der noch vorhende Nachlass an unseren Sohn [= den Kläger, Anmerkung] fallen. Der überlebende Ehegatte ist berechtig, über den Nachlass frei zu verfügen und von allen Beschränkungen befreit, er ist jedoch nicht berechtigt, das Testament zu ändern.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 10.12.1990 gegenüber HL seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat und zur Berechnung zunächst auffordert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers GL zu erteilen. Nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten ergab sich ein Nettonachlass in Höhe von 2.596.836 DM und damit ein Pflichtteilsanspruch des Klägers i.H.v. 649.209 DM. Dieser wurde dem Kläger in der Folge ausbezahlt.

HL verstarb am 28.11.2020 in Nürnberg. Sie hatte kein Testament errichtet mit der Folge, dass gesetzliche Erbfolge eintrat. Sie wurde von den Beklagten zu gleichen Teilen beerbt.

Der Kläger ist der Ansicht, HL sei testamentarisch als befreite Vorerbin und er als Nacherbe eingesetzt worden. Die Beklagten seien Erben der Vorerbin und daher gem. § 2130 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Erbschaft in dem sich nach ordnungsgemäßer Verwaltung ergebenden Zustand verpflichtet. Nach § 260 Abs. 1 Alt. 1 BGB hätten die Beklagten ein aktuelles Bestandsverzeichnis vorzulegen und nach §§ 2130 Abs. 2, 259 Abs. 1 BGB seien sie zur Rechnungslegung verpflichtet. Bestehe Grund zu der Annahme, dass sie die Auskunft und Rechnungslegung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgenommen hätten, habe der Kläger Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherungen nach § 259 Abs. 2 BGB und § 260 Abs. 2 BGB

Im Wege der Stufenklage beantragte der Kläger daher:

1.

Die Beklagten werden verurteilt, dem Kläger ein Bestandsverzeichnis über den Nachlass des am XX.XX.1989 mit letztem Wohnsitz in […] verstorbenen GL vorzulegen und dem Kläger Rechnung zu legen über die Verwaltung des Nachlasses, durch Vorlage einer geordneten Zusammenstellung der Einnahmen und der Ausgaben und durch Vorlage der Belege.

2.

Für den Fall, dass das Bestandsverzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden sein sollte, werden die Beklagten weiter verurteilt, zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen den Bestand so vollständig angegeben habe, als sie dazu imstande sind; für den Fall, dass die in der Rechnung enthaltenen Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden sein sollten, werden die Beklagten weiter verurteilt, zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen die Einnahmen so vollständig angegeben habe, als sie dazu imstande sind.

3.

Die Beklagten werden weiter verurteilt, an den Kläger die nach Auskunftserteilung und Rechnungslegung noch genau zu bezeichnenden Erbschaftsgegenstände herauszugeben.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind im Wesentlichen der Ansicht, dass das handschriftliche Testament vom 30.01.1986 dahingehend auszulegen sei, dass Frau HL nach ihrem Ehemann Vollerbin geworden ist und zugunsten des Klägers ein befristetes bzw. aufschiebend bedingtes Herausgabevermächtnis hinsichtlich der dann noch vorhandenen Nachlassgegenstände angeordnet worden sei. Durch Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs habe der Kläger das Vermächtnis konkludent ausgeschlagen.

Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen umfassend Bezug genommen.

Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist auf die erste Stufe begründet.

Der Kläger hat gem. § 242 BGB als (Nach-)Vermächtnisnehmer Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach dem Tod des Erblassers und die sich daran anschließende Verwaltung des Nachlasses.

1.

Der Kläger ist testamentarisch nicht als Nacherbe, sondern als (Nach-)Vermächtnisnehmer eingesetzt worden.

Dies ergibt sich aus der Auslegung des Testaments:

Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Verstorbene GL im Testament nicht von Vor- und Nacherbschaft gesprochen hat. Die Erbeinsetzung wird nur bezüglich der Ehefrau HL genannt. Nach dem Tod des Letztversterbenden soll hingegen der noch „vorhende“ [sic] Nachlass an den Kläger fallen. Das Gericht versteht die Bezeichnung „vorhende Nachlass“ als den noch bestehenden Nachlass zum Zeitpunkt des Todes des GL.

Gegen eine Erbeinsetzung des Klägers spricht ferner der Umstand, dass die Ehefrau HL „von allen Beschränkungen befreit“ werden sollte. Eine Befreiung des Vorerben ist allerdings nur in den Schranken des § 2136 BGB möglich. Anerkannt ist: Soweit der Erblasser über § 2136 BGB hinaus Befreiungen erteilt hat, kann sich durch Auslegung nach § 2084 BGB ergeben, dass in Wirklichkeit eine andere erbrechtliche Gestaltung gemeint war. Eine Vollerbeinsetzung der HL kombiniert mit der Annahme eines Nachvermächtnisses zugunsten des Klägers käme der beabsichtigten Stellung der Ehefrau als „superbefreite Vorerbin“ am nächsten (vgl. auch Lieder in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage, 2022, § 2136, Rn. 2 m.w.N.).

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem letzten Satz des Testaments, wonach der überlebende Ehegatte „nicht berechtigt [sei], das Testament zu ändern.“ Gegenstand einer bindenden Verfügung kann auch die Einsetzung eines (Nach-)Vermächtnisses sein. Dass das streitgegenständliche Testament in seinen Sätzen 2 – 4 daher wie ein Ehegattentestament formuliert ist, führt daher nicht zu einem anderen Ergebnis bei der oben vorgenommenen Auslegung.

2.

Der Kläger hat das Nachvermächtnis nicht ausgeschlagen.

Ein Vermächtnis kann gem. § 2180 Abs. 2 S. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten ausgeschlagen werden. Diese Erklärung ist – anders als die Erbausschlagung (§ 1945 BGB) – nicht formbedürftig (vgl. nur BeckOGK/Forschner, Stand: 01.07.2023, BGB § 2180 Rn. 16 m.w.N.). Höchstrichterlich wurde klargestellt, dass ein Nachvermächtnis bereits vor Eintritt des Nachvermächtnisfalls ausgeschlagen werden kann (BGH vom 18.10.2000, Az.: IV ZR 99/99 = NJW 2001, 520).

Anerkannt ist, dass die Ausschlagung auch schlüssig ausgedrückt werden kann: Verlangt der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil, kann dies prinzipiell eine schlüssige Ausschlagung darstellen. Ob dies der Fall ist, muss unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles geklärt werden (HK-PflichtteilsR/Schmidt-Recla, 3. Aufl. 2022, BGB § 2307 Rn. 6; Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage, 2022, § 2307 Rn. 13). Hierbei ist aber eine zurückhaltende Auslegung angezeigt, zumal § 2307 Abs. 2 BGB dem Erben die Klärung, ob der Pflichtteilsberechtigte Erfüllung des Vermächtnisses verlangt, leicht macht (Staudinger/Otte (2021), BGB, § 2307, Rn. 11).

In der Gesamtschau ist nicht von einer schlüssigen Ausschlagung des Vermächtnisses auszugehen: Der Kläger ging von Anfang an davon aus, dass er testamentarisch als Nacherbe eingesetzt worden war. Es ist daher aufgrund Fehlens anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass er sich über die Auswirkung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs auf das Nachvermächtnis keine Gedanken gemacht hatte. Das Gericht geht daher davon aus, dass er keine positive Kenntnis davon hatte, dass er das Vermächtnis neben dem Pflichtteil nicht hat fordern können.

3.

Grundsätzlich steht dem Vermächtnisnehmer keinerlei Auskunftsanspruch gegenüber dem Erben zu. Benötigt der Vermächtnisnehmer für die Feststellung und Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs aber notwendigerweise eine Auskunft seitens des Erben, so wird der Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB bzw. § 260 BGB bejaht (Maulbetsch in: Roth/Maulbetsch/Schulte, Vermächtnisrecht, 2013, § 5 Rn. 30).

4.

Ob und in welcher Höhe sich der Kläger die empfangene Pflichtteilzahlung auf das Nachvermächtnis anrechnen lassen muss, ist auf der vorliegenden Stufe nicht zu klären.

5.

Die Beklagten ließen vortragen, dass sich das Nachlassvermögen der HL auf 226.301 € belief. Allerdings stamme dies keinesfalls zu 100 % aus dem Nachlass des vorverstorbenen Ehemannes, sondern allenfalls zu einem geringen Bruchteil. Dem ist der Kläger bislang nicht entgegengetreten. Der Streitwert wird daher auf ein Viertel des vorhandenen Nachlassvermögens, mithin einen Betrag von 56.500,00 €, geschätzt.

6.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

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