Nacherbschaft: Schenkung des Vorerben an Vertragserben – Ist sie wirksam?
In der Welt des Erbrechts treten häufig Fragen auf, die sich um die Übertragung und Verwaltung von Vermögen drehen, insbesondere wenn es um komplizierte Familienkonstellationen geht. Ein zentraler Aspekt in diesem Bereich ist die Rolle und die Rechte von Nacherben, speziell wenn diese zugleich als Vertragserben eines Vorerben fungieren. Hierbei spielen Regelungen wie die §§ 2113 Abs. 2 und 2287 BGB eine wichtige Rolle, die sich mit unentgeltlichen Verfügungen durch den Vorerben befassen. Diese gesetzlichen Bestimmungen sind entscheidend, um zu bestimmen, inwiefern Nacherben gegen Verfügungen geschützt sind, die ihre erbrechtlichen Ansprüche potenziell beeinträchtigen könnten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verfügungsfreiheit des Vorerben über die Gegenstände der Vorerbschaft, insbesondere in Bezug auf Schenkungen. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, inwieweit rechtliche Vereinbarungen, wie beispielsweise ein Verzicht auf Nacherbenrechte oder die Übertragung von Nacherbenanwartschaftsrechten, die erbrechtliche Situation beeinflussen. Solche Vereinbarungen können weitreichende Folgen für die Beteiligten haben, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltung und Verteilung des Nachlasses.
Diese Themenfelder sind sowohl für Fachleute im Erbrecht als auch für Betroffene von hoher Relevanz, da sie die Grundlage für gerichtliche Entscheidungen in Erbstreitigkeiten bilden und oft komplizierte rechtliche Bewertungen erfordern. Die Analyse solcher Fälle erfordert daher ein tiefes Verständnis des Erbrechts und der damit verbundenen juristischen Herausforderungen.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Gericht hat entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Herausgabe eines Geldbetrags hat, da sie ihr Nacherbenanwartschaftsrecht wirksam auf die Vorerbin übertragen hatte und somit keine Beeinträchtigung ihres Nacherbenrechts durch die streitgegenständliche Schenkung vorlag.
Zentrale Punkte des Urteils:
- Schutzvorschriften des Erbrechts: § 2113 Abs. 2 BGB und § 2287 BGB betreffen unterschiedliche Vermögensmassen und schließen sich gegenseitig aus.
- Nacherbenanwartschaftsrecht: Die Übertragung dieses Rechts vom Nacherben auf den Vorerben ist rechtlich möglich und wurde im vorliegenden Fall wirksam vollzogen.
- Freie Verfügung über Vorerbschaft: Durch die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts kann der Vorerbe frei über Gegenstände der Vorerbschaft verfügen.
- Keine Vermögensverschmelzung: Die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts auf den Vorerben führt nicht dazu, dass die Vorerbschaft und das sonstige Vermögen des Vorerben zu dessen eigenem Vermögen verschmelzen.
- Wirksame Schenkungen: Die Vorerbin konnte somit wirksam Schenkungen aus dem Nachlass des Erblassers vornehmen.
- Vertragliche Vereinbarungen: Die notarielle Vereinbarung, in der die Klägerin auf ihre Nacherbenstellung verzichtete, war form- und inhaltlich wirksam.
- Kein Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB: Da die Übereignung der Geldscheine durch die Vorerbin als Berechtigte erfolgte, besteht kein Anspruch aus dieser Vorschrift.
- Kein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB: Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf diese Vorschrift stützen, da die Schenkung als solche der Vorerbin anzusehen ist und nicht des Erblassers.
Übersicht
Komplexe Erbrechtsfragen: Nacherbe trifft auf Vertragserbe
Im Kern des vorliegenden Falls steht eine komplexe erbrechtliche Auseinandersetzung, die sich aus der Übertragung von Nacherbenanwartschaftsrechten und daraus resultierenden Schenkungen entwickelte. Die Klägerin, Tochter der Vorerbin und des verstorbenen Erblassers, forderte die anteilige Herausgabe eines Geldbetrags, der aus einer Schenkung der Vorerbin an den Beklagten, einem Enkel des Erblassers, stammte. Diese Forderung gründete auf der Annahme, dass die Schenkung ihren Miterbenanteil als Vertragserbin beeinträchtigte. Zentral in diesem Rechtsstreit waren die Interpretation und Anwendung der §§ 2113 Abs. 2, 2287 BGB im Kontext von Nacherben- und Vertragserbschaften.
Rechtliche Herausforderungen bei Erb- und Schenkungsfragen
Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag in der Klärung, ob die Klägerin durch die Schenkung ihrer Mutter tatsächlich in ihrer Position als Nacherbin und Vertragserbin beeinträchtigt wurde. Zudem war zu prüfen, ob der Vertrag vom 28. November 2005, in dem die Klägerin und ihre Schwestern auf ihr Nacherbenanwartschaftsrecht verzichteten, rechtswirksam war. Dieser Verzicht bildete den Dreh- und Angelpunkt der rechtlichen Bewertung, da er bestimmte, ob die Vorerbin über das Vermögen ihres verstorbenen Ehemannes frei verfügen konnte.
Entscheidung des Landgerichts und Berufung des Beklagten
Das Landgericht Regensburg hatte ursprünglich zugunsten der Klägerin entschieden und den Beklagten zur Zahlung verurteilt. Das Gericht stützte sich dabei auf die Annahme, dass die Nacherbfolge und die daraus resultierenden Ansprüche nicht durch den Vertrag entfallen seien. Es wurde argumentiert, dass der Vertrag wegen seiner inneren Widersprüchlichkeit unwirksam sei. Dieser Entscheidung widersprach der Beklagte erfolgreich mit seiner Berufung.
Schlüsselaspekte des Berufungsurteils und deren Bedeutung
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage ab, wobei es verschiedene rechtliche Aspekte berücksichtigte. Insbesondere die Wirksamkeit des Verzichts der Klägerin und ihrer Schwestern auf ihre Nacherbenanwartschaftsrechte wurde bestätigt. Das Gericht stellte fest, dass die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts auf die Vorerbin form- und inhaltsgemäß rechtswirksam war und keine Beeinträchtigung der Nacherbenrechte durch die Schenkungen stattfand. Weiterhin wurde konstatiert, dass die Vorerbin als Berechtigte über die Geldscheine verfügt hatte und daher kein Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB bestand.
Interessant war auch die Auslegung des § 2287 BGB. Das Gericht folgte der Auffassung, dass dieser Paragraph bei Schenkungen der Vorerbin aus der Erbmasse des Erstverstorbenen nicht anwendbar ist. Stattdessen sei der Nacherbe durch § 2113 BGB geschützt. Außerdem wurde festgestellt, dass die Klägerin vertraglich auf mögliche Ansprüche aus § 2287 BGB verzichtet hatte. Selbst wenn dieser Paragraph anwendbar gewesen wäre, hätte die Klägerin keinen Anspruch darauf gehabt.
Die Entscheidung zeigt deutlich die Komplexität des Erbrechts, insbesondere bei der Überlagerung von Nacherbschaft und Vertragserbschaft. Sie verdeutlicht, dass die genaue Auslegung von Verträgen und die rechtliche Bewertung der jeweiligen Vermögensübertragungen entscheidend sind. Zudem wird die Bedeutung der formellen und inhaltlichen Korrektheit von rechtlichen Vereinbarungen im Erbrecht hervorgehoben. Dieser Fall unterstreicht auch die Wichtigkeit einer fachkundigen Beratung in Erbschaftsangelegenheiten, um solche komplexen Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden oder erfolgreich zu führen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was versteht man unter einem „Vertragserben“ und wie unterscheidet sich dieser vom Nacherben?
Ein „Vertragserbe“ ist eine Person, die durch einen Erbvertrag als Erbe eingesetzt wird. Ein Erbvertrag ist neben dem Testament eine Möglichkeit, durch Verfügung von Todes wegen Erben einzusetzen. Dieser Vertrag muss durch den Erblasser höchstpersönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Vertragspartner vor einem Notar geschlossen werden. Der Erbvertrag setzt neben der Testierfähigkeit wegen der Existenz eines Vertragspartners auch unbeschränkte Geschäftsfähigkeit voraus. Die vertragsmäßige Verfügung bindet den Erblasser und eine zur vertragsmäßigen Verfügung widersprüchliche spätere letztwillige Verfügung ist unwirksam. Der Erblasser bleibt jedoch bei Verfügungen unter Lebenden grundsätzlich frei und kann mit seinem Vermögen zu Lebzeiten tun und lassen, was er will.
Ein „Nacherbe“ hingegen ist eine Person, die in der Weise zum Erben eingesetzt wird, dass sie erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe (der „Vorerbe“) geworden ist. Der Nacherbe wird also nur durch eine Verfügung von Todes wegen dazu bestimmt. Der Nacherbe erhält die Erbschaft erst mit dem Ereignis, an das die Nacherbschaft geknüpft ist, z.B. die Wiederverheiratung oder den Tod des Vorerben. Vorher hat er ein vererbliches und übertragbares Anwartschaftsrecht, sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt hat. Der Nacherbe ist Erbe des Erblassers und nicht des Vorerben. Dieser kann ihm daher die Erbschaft nicht durch Testament entziehen.
Die Hauptunterschiede zwischen einem Vertragserben und einem Nacherben liegen also in der Art und Weise, wie sie zu Erben werden, und in den Rechten und Pflichten, die sie als Erben haben. Ein Vertragserbe wird durch einen Erbvertrag bestimmt und ist an die im Vertrag festgelegten Bedingungen gebunden. Ein Nacherbe hingegen wird durch eine Verfügung von Todes wegen bestimmt und tritt seine Erbschaft erst an, nachdem ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist, meist der Tod des Vorerben.
Das vorliegende Urteil
LG Nürnberg – Az.: 1 U 676/22 Erb – Endurteil vom 01.09.2023
Leitsätze:
1. Die Schutzvorschriften der § 2113 Abs. 2 BGB und § 2287 BGB betreffen unterschiedliche Vermögensmassen und schließen sich gegenseitig aus.
2. Der Nacherbe, der zugleich Vertragserbe des Vorerben ist, wird gegen unentgeltliche Verfügungen des Vorerben über Gegenstände, die zur Erbschaft des erstverstorbenen Erblassers gehören, durch § 2113 Abs. 2 BGB geschützt. § 2287 BGB schützt den Nacherben in diesen Fällen hingegen (nur) gegen beeinträchtigende Schenkungen des Vorerben aus seinem eigenen sonstigen Vermögen.
3. Auch wenn ein Nacherbe, der zugleich erbvertraglicher Schlusserbe des Vorerben ist, sein Nacherbenanwartschaftsrecht auf den Vorerben überträgt, kann dieser bis zum etwaigen Eintritt des Ersatzerbfalls über die Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen und damit beliebige Schenkungen vornehmen. Die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts auf den Vorerben hat nicht zur Folge, dass die Vorerbschaft und das sonstige Vermögen des Vorerben zu „eigenem Vermögen“ des Vorerben verschmelzen und sich damit der Nacherbe auf den Schutz des § 2287 BGB gegen ihn als Vertragserben beeinträchtigende Schenkungen des Vorerben berufen kann.
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 9. Februar 2022, Az. 71 O 2154/20, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 150.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die anteilige Herausgabe eines Geldbetrags wegen einer sie als Miterbin beeinträchtigenden Schenkung.
Die Klägerin ist die Tochter der A. M. (Vorerbin) und des K.M. (Erblasser). Aus der Ehe der Eltern sind insgesamt drei Töchter hervorgegangen, die Klägerin, Frau J.M. und Frau S.R.
Die Vorerbin hatte insgesamt fünf Enkelkinder, von denen O., der Sohn der Klägerin, nicht mehr lebt. Der Beklagte ist der Sohn der J.M. aus erster Ehe und das Enkelkind des Erblassers und der Vorerbin.
Der Erblasser war Inhaber eines Bauunternehmens und besaß erhebliches Immobilienvermögen. Die Eltern der Klägerin setzten sich mit Erbvertrag vom 27. November 1973 gegenseitig zu Vorerben ein (vgl. § 1 des Erbvertrags, Anlage K1). Der Vorerbe war von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, ausgenommen davon war die Verfügung über Grundstücke, die der Zustimmung der Nacherben bedurfte. Zu Nacherben des Erstversterbenden wurden die drei Töchter bestimmt (§ 2 des Erbvertrags). Außerdem sieht der Erbvertrag vor, dass die drei Abkömmlinge der Eheleute Erben des Längstlebenden sind. Zu Ersatzerben der Töchter bestimmten die Erblasser deren Abkömmlinge (§ 2 Satz 2 des Erbvertrags).
Nachdem der Erblasser K.M. am 24. Februar 1974 verstarb, machte die Schwester J. im Jahr 1976 ihren Pflichtteil nach ihrem Vater geltend. Sie schied – samt ihres Stammes – nach § 4 des Erbvertrags daher von allen Zuwendungen des Erbvertrags aus, also sowohl aus der Nacherbschaft wie auch aus der Schlusserbschaft. Um diese Folge zu beseitigen, traten die Klägerin und deren Schwester S.R. durch notarielle Vereinbarung vom 30. Juni 1997 jeweils 1/3 Anteil ihrer Anwartschaften auf die Nacherbschaft nach Herrn K.M. an Frau J.M.ab.
Die drei Töchter schlossen am 28. November 2005 mit ihrer Mutter, der Vorerbin, eine notariell beurkundete Vereinbarung, die auszugsweise folgenden Inhalt hat:
„I. Verzicht und Gegenleistung
1. Frau J. H-M., Frau E.M. und Frau S.K.-R. verzichten auf ihre Nacherbenstellung aus dem Erbvertrag vom 27.11.1973 bzw. aus der notariellen Übertragungsurkunde vom 30.6.1997 in Bezug auf den Nachlass des am … 2.1974 verstorbenen K.M. mit der Folge, dass Frau A.M. nunmehr Vollerbin nach ihrem Ehemann ist. Frau A.M. nimmt diesen Verzicht an. Mit diesem Verzicht auf die Nacherbenstellung ist insbesondere auch die Zustimmung zu sämtlichen Verfügungen der Vorerbin Frau A.M. verbunden, die diese im Zusammenhang mit der Einbringung von Grundstücken in die M. Immobilien GmbH & Co. KG veranlasst oder noch veranlassen wird (…).
2. Für den Verzicht auf die vorbenannte Nacherbenstellung wird eine Gegenleistung von Frau A.M. erbracht, und zwar (…)
b) für Frau E.M. und Frau S.K-R. jeweils eine Kommanditbeteiligung an derM. Immobilien GmbH & Co. KG im Wert von € 30.000,00 €, was jeweils 1/3 des Haftkapitals der M. Immobilien GmbH & Co. KG im Übertragungszeitraum entspricht.
III. Erbanordnungen
Frau E.M. und Frau S. K-Rbleiben Schlusserben nach dem Tod ihrer Mutter Frau A.M., so wie es der Erbvertrag der Eheleute (..) vorsehen.
(…)
V. Ausgleichsansprüche
Frau J. H-M, Frau E. M. und Frau S. K-R. verzichten hiermit ausdrücklich auf sämtliche Ausgleichsansprüche untereinander, sofern diese in diesem Vertrag nicht ausdrücklich genannt sind, insbesondere verzichten die Beteiligten auf Ausgleichsansprüche gemäß § 2050 und 2287 BGB, soweit diese Ansprüche Zuwendungen betreffen, die bis heute erfolgt sind oder aufgrund der in diesem Vertrag genannten Einbringung der Immobilien in die M. Immobilien GmbH & Co. KG noch erfolgen.
(…)“
Bei Abschluss des Vertrags wurde die Vorerbin durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten.
Es wurden dann die zur Vorerbschaft gehörenden Immobilien in die M. Immobilien GmbH & Co. KG überführt.
Am 28. Juni 2012 übergab die Vorerbin A.M. an den Beklagten schenkungsweise einen Betrag in Höhe von 300.000,00 € in bar. Den Enkeln J.R. und S.H. schenkte die Vorerbin je ½ des Eigentums an dem von ihr bewohnten Hausgrundstück in Schopfheim.
Die Schwester S.R. verstarb am … Oktober 2012. Die Vorerbin verstarb am … Juli 2017.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe als Erbin zu ½ nach ihrer Mutter einen Anspruch auf Rückzahlung der Hälfte des zugewendeten Betrags in Höhe von 150.000,00 € aus § 2287 und § 2113 BGB. Durch die Schenkung an den Beklagten sei ihr Miterbenanteil als Vertragserbin objektiv beeinträchtigt worden. Ihre Mutter habe in der Absicht gehandelt, sie als Nacherbin zu beeinträchtigen. Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass sie auch nicht auf ihr Nacherbenanwartschaftsrecht verzichtet habe. Der Vertrag vom 28. November 2005 sei unwirksam, weil er ohne Beteiligung der Ersatznacherben zustande gekommen und damit ein unwirksamer Vertrag zu Lasten Dritter sei.
Das Landgericht Regensburg hat den Beklagten mit Endurteil vom 9. Februar 2022 antragsgemäß zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 150.000,00 € verurteilt. Der Anspruch folge aus § 2113 Abs. 2 BGB oder § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 BGB seien erfüllt. Die Nacherbfolge und die daraus folgenden Ansprüche seien auch nicht durch den Vertrag vom 27. November 2005 entfallen, da dieser ohne die Beteiligung der Ersatznacherben „schon seinem Inhalt nach ungeeignet“ sei, das damit verfolgte Ziel zu erreichen. Er könne wegen „seiner inneren Widersprüchlichkeit“ keine Wirkung haben. Rechtsfolge des § 2113 BGB sei die Unwirksamkeit der Übereignung des Bargelds zwischen den Parteien, so dass die Klägerin den begehrten Herausgabeanspruch habe. Falls sich der Beklagte auf einen gutgläubigen Erwerb gemäß § 2113 Abs. 3, § 932 BGB berufen könne, ergebe sich der im Ergebnis „identische Anspruch“ aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Gegen diese Verurteilung richtet sich die Berufung des Beklagten. Die Berufung beanstandet insbesondere, dass es entgegen der Annahme des Erstgerichts keine gesetzliche Regelung gebe, wonach ein „innerlich widersprüchlicher Vertrag“ unwirksam wäre. Die Klägerin habe mit der notariellen Vereinbarung vom 28. November 2005 zumindest wirksam ihr Nacherbenanwartschaftsrecht auf die Vorerbin übertragen. Damit habe die Vorerbin über das Vermögen des K.M. wirksam verfügen können. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2113 Abs. 2 BGB seien mangels Beeinträchtigung der Klägerin nicht erfüllt. Ein Anspruch aus § 816 BGB sei daher ebenfalls nicht gegeben, überdies wäre er verjährt.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 9.2.2022 (Aktenzeichen 71 O 2165/20) aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das Ersturteil für rechtsfehlerfrei. Das Erstgericht gehe in seiner Entscheidung richtigerweise davon aus, dass ihr Anspruch auf Herausgabe der streitgegenständlichen Zuwendung sich neben § 2113 Abs. 2 BGB auch auf § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB sowie § 2287 Abs. 1 BGB ergeben könne. Mit der Vereinbarung vom 28. November 2005 hätten die Parteien keinesfalls das Ziel verfolgt, es der Vorerbin bzw. Letztverstorbenen zu ermöglichen, die bindende Wirkung des Erbvertrags dadurch zu umgehen, dass beliebig unentgeltliche Verfügungen an die Enkel der Erblasser, wie den Beklagten, oder auch an Dritte vorgenommen würden. Anders als bei Verfügungen über Grundstücke nach § 2113 Abs. 1 BGB könne der Vorerbe bei unentgeltlichen Zuwendungen nach § 2113 Abs. 2 BGB gemäß § 2136 BGB nicht befreit werden. Der Anspruch gründe sich auch aus § 2287 BGB.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin und des Erstgerichts kann der Anspruch nicht auf § 2113 Abs. 1 und 2, § 812 ff. BGB gestützt werden.
a) Nach § 2113 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB ist die Verfügung des Vorerben über einen Erbschaftsgegenstand, die unentgeltlich oder zum Zweck der Erfüllung eines von dem Vorerben erteilten Schenkungsversprechens erfolgt, im Falle des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Eine Befreiung vom Verbot der unentgeltlichen Verfügung des § 2113 Abs. 2 BGB ist nicht möglich (§ 2136 BGB; MüKoBGB/Lieder, 9. Aufl., § 2136 Rn. 15).
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2113 Abs. 1 und 2 BGB liegen nicht vor, weil die Klägerin durch den notariellen Vertrag vom 28. November 2005 wirksam ihr erbvertragliches Nacherbenanwartschaftsrecht auf die Vorerbin übertragen hat und es damit an einer Beeinträchtigung ihres Nacherbenrechts durch die zum Zweck der Erfüllung der streitgegenständlichen Schenkung des dem Beklagten übereigneten Bargeldbetrags fehlt.
aa) Das Anwartschaftsrecht des Nacherben ist als gesicherte Rechtsposition grundsätzlich rechtsgeschäftlich übertragbar (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl., § 2100 Rn. 12; NK-BGB/Walter Gierl, BGB, 6. Aufl., § 2100 Rn. 61). Der Nacherbe kann die Anwartschaft auch auf den Vorerben übertragen (NK-BGB/Walter Gierl, a.a.O., § 2100 Rn. 64). Dies wird häufig bei einem notariellen Verzicht (§ 2033 BGB) des Nacherben auf seine Rechte zugunsten des Vorerben der Fall sein (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl., § 2100 Rn. 14). Eine Zustimmung der Ersatznacherben ist dabei nach herrschender Ansicht nicht erforderlich, da die Übertragung deren Rechte nicht berührt (NK-BGB/Walter Gierl, a.a.O.; BeckOGK/Müller-Christmann, 1.2.2023, § 2113 Rn. 47; Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2100 Rn. 13). Denn diese seien nur „alternativ“ eingesetzt und besäßen zu diesem Zeitpunkt noch keine schützenswerte Rechtsposition (BeckOGK/Müller-Christmann, a.a.O.).
Der Erwerber empfängt das Recht allerdings nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in dem Rechtszustand, in dem es sich in der Hand des Veräußerers befunden hat (BayObLG, NJW 1970, 1794). Hat nun ein Erblasser – wie hier – seine Kinder für den Fall zu seinen Nacherben berufen, dass sie die Vorerbin überleben, für den Fall ihres Vorversterbens aber ihre Abkömmlinge zu Nacherben eingesetzt, so ergibt sich bereits daraus für den Inhalt des Anwartschaftsrechts der erstberufenen Nacherben, dass dieses Recht kein unbedingtes ist, sondern unter der vom Erblasser letztwillig gesetzten Bedingung des Todes seines Inhabers vor dem Eintritt des Nacherbenfalls steht (BayObLG, a.a.O.). Der Vorerbe kann somit bis zum etwaigen Eintritt des Ersatzerbfalls über die Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen (BayObLG, NJW 1970, 1794). Tritt jedoch der Ersatznacherbe an die Stelle des Nacherben, so endet damit die (auflösend bedingte) Vereinigung der beiden Rechtsstellungen in der Person des Vorerben und es entsteht das Nacherbenanwartschaftsrecht für die bisherigen Ersatznacherben (BayObLG, a.a.O.).
bb) Nach diesen Maßstäben ist der im notariell beurkundeten Vertrag vom 28. November 2005 vereinbarte Verzicht der Klägerin und ihrer beiden Schwestern auf ihre erbvertragliche „Nacherbenstellung“ als Übertragung deren Nacherbenanwartschaft auf die Vorerbin anzusehen (vgl. Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2100 Rn. 14). Diese Übertragung ist rechtswirksam:
(1) Eine Zustimmung der Ersatzerben war nach den dargestellten Grundsätzen nicht erforderlich, da die Übertragung der Rechte der Nacherbinnen auf die Vorerbin nur in dem Umfang erfolgte, als sie diesen zustanden, und damit Rechte der Ersatznacherben nicht berührt wurden. Es liegt daher kein Vertrag zulasten Dritter vor.
(2) Die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrecht ist auch formwirksam, da sie gemäß § 2033 BGB notariell beurkundet wurde.
(3) Der im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit Schriftsatz vom 22. August 2023 vorgetragenen Ansicht der Klägerin, dass die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts unwirksam sei, weil gemäß § 2347 Abs. 2 BGB ein Erbverzicht nach § 2346 BGB nur persönlich vom Erblasser geschlossen werden könne, woran es hier wegen der Vertretung der Vorerbin bei Abschluss des Vertrags vom 28. November 2005 fehle, ist nicht zu folgen.
Zutreffend ist zwar, dass der Erblasser gemäß § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB einen Erbverzichtsvertrag nach § 2346 BGB nur persönlich schließen kann. Die vorgenannten Vorschriften sind auf die vorliegende Fallkonstellation aber schon deshalb nicht anwendbar, da ein Erbverzicht gemäß § 2346 Abs. 1 BGB nur den Verzicht der dort genannten Personen auf „ihr gesetzliches Erbrecht“ erfasst. Die Nacherbinnen haben jedoch auf ihr erbvertragliches Nacherbenanwartschaftsrecht „verzichtet“. Es käme bei einem Verzicht auf (vertragsgemäße) Zuwendungen aus einem Erbvertrag allerdings grundsätzlich eine Anwendung der § 2352 Satz 2 und 3, § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB in Betracht. Ein Verzicht auf eine erbvertragliche Zuwendung im Sinne des § 2352 Satz 2 BGB setzt aber ebenso wie ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht einen Vertrag zwischen dem Verzichtenden und dem Erblasser zu seinen Lebzeiten voraus (vgl. Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2346 Rn. 1; MüKoBGB/Wegerhoff, 9. Aufl., § 2352 Rn. 8). Wird der Erbverzicht erst nach dem Tod des Erblassers erklärt, so ist dies kein Erbverzicht im Sinne der §§ 2346 ff. BGB (Burandt/Rojahn/Große-Boymann, 4. Aufl., § 2346 Rn. 11).
§ 2352 BGB ist daher (nur) auf einen Verzicht auf die Nacherbschaft vor dem Erbfall, also zu Lebzeiten des Erblassers der Nacherbschaft anwendbar (vgl. Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2100 Rn. 13). Im Zeitpunkt der Verzichtserklärung war der Erblasser der Nacherbschaft, Herr K.M. aber bereits verstorben. Verzichtet aber – wie hier – der Nacherbe nach dem Erbfall auf seine Anwartschaft, so stellt dies keinen Erbverzicht, sondern eine Übertragung seines Anwartschaftsrechts dar (MüKoBGB/Wegerhoff, 9. Aufl., § 2346 Rn. 11; Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2100 Rn. 13). Die Vertretung der Vorerbin bei Vertragsschluss war demzufolge auch nicht nach § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB unzulässig.
cc) Die Nacherbinnen haben mit dem erklärten Verzicht auf ihre „Nacherbenstellung“ ihre Nacherbenanwartschaft in vollem Umfang auf die Vorerbin übertragen. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann dem Vertrag und den vorgetragenen Begleitumständen nicht gemäß §§ 133, 157 BGB der gemeinsame Parteiwille der Vertragsschließenden entnommen werden, dass es bei diesem Verzicht nur um einen „anlassbezogenen“ Verzicht handeln sollte, der nur die Übertragung des Immobilienvermögens in die eigens gegründete M. Immobilien GmbH & Co. KG ermöglichen sollte. Diese Einbringung mag zwar, wie sich aus der Präambel des Vertrags vom 28. November 2005 entnehmen lässt, Anlass für den Vertragsschluss gewesen sein. Der in Ziff. I 1) des Vertrags erklärte Verzicht der Nacherbinnen auf ihre erbvertragliche Nacherbenstellung ist aber umfassend und einschränkungslos erklärt worden. Die Vertragsparteien haben im Anschluss daran sogar ausdrücklich klargestellt, dass mit diesem „insbesondere auch“ die Zustimmung zu sämtlichen Verfügungen der Vorerbin im Zusammenhang mit der Einbringung von Grundstücken in die Gesellschaft verbunden sei. Auch dies spricht dafür, dass die Vertragsparteien den Verzicht auf die „Nacherbenstellung“ entsprechend dem Wortlaut und dem Wortsinn als umfassenden Verzicht verstanden haben.
Da der Ersatznacherbenfall bei Vornahme der streitgegenständlichen Schenkung am 22. Juni 2012 nicht eingetreten war, waren zu diesem Zeitpunkt die Rechtsstellungen in der Person der Vorerbin vereinigt und sie konnte über die Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen. Somit sind auch die sachenrechtlichen Übereignungen der am 22. Juni 2012 an den Beklagten übergebenen Geldscheine wirksam. Sie wurden auch nicht mit dem Eintritt des Nacherbenfalls gemäß § 2113 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam, da infolge der wirksamen Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte keine Rechte der Nacherben beeinträchtigt wurden.
2. Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ebenfalls nicht, da die Vorerbin die Übereignung der Geldscheine als Berechtigte vorgenommen hat.
3. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch folgt auch nicht aus § 2287 Abs. 1, § 812 ff. BGB
a) Dem durch Erbvertrag gebundenen zukünftigen Erblasser ist es im Allgemeinen unbenommen, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen (§ 2286 BGB). In diese Freiheit greift § 2287 BGB nur bei Schenkungen und nur dann ein, wenn der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht, indem er Vermögen ohne anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wegschenkt (BGH, DNotZ, 1990, 801). Der Anspruch aus § 2287 BGB steht dabei nicht den Erben gemeinschaftlich, sondern jedem Vertragserben persönlich, und zwar zu einem seiner Erbquote entsprechenden Bruchteil zu (BGH, a.a.O.), also so wie hier von der Klägerin geltend gemacht.
Das Verhältnis zwischen § 2287 BGB und § 2113 BGB wird unterschiedlich beurteilt. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll in Fällen, in denen – wie hier – der Nacherbe zugleich Vertragserbe ist, zu seinem Schutz gegen unentgeltliche Geschäfte „außer“ § 2113 Abs. 2 BGB „auch“ § 2287 BGB eingreifen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl., § 2287 Rn. 1).
Nach anderer Auffassung des Schrifttums soll der Nacherbe, der zugleich Vertragserbe des Vorerben ist, gegen unentgeltliche Verfügungen des Vorerben über Gegenstände, die zur Erbschaft des erstverstorbenen Erblassers gehören, und gegen Verpflichtungen zu solchen Verfügungen durch § 2113 Abs. 2 BGB geschützt sein. Gegen unentgeltliche Verfügungen des Vorerben über sein eigenes sonstiges Vermögen und gegen entsprechende Verpflichtungen besteht der Schutz durch § 2287 BGB (Staudinger/Raff (2022), BGB, § 2287 Rn. 63). Mit anderen Worten betreffen die beiden Schutzvorschriften unterschiedliche Vermögensmassen und schließen sich somit gegenseitig aus.
Der Senat folgt der zuletzt genannten Ansicht. Sie findet ihre Stütze im Gesetzeswortlaut. Denn nach § 2287 Abs. 1 BGB ist anspruchsberechtigt (nur) der „Vertragserbe“. Darunter wird jede Person verstanden, die „vom Erblasser“ in einem wirksamen Erbvertrag zum Erben eingesetzt wurde (Geiger, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Würdinger, juris-PK-BGB, 10. Aufl., § 2287 Rn. 3). Die Vorschrift erfasst auch nur Schenkungen des „Erblassers“. Der vertragsgemäß vom erstversterbenden Erblasser als Nacherbe eingesetzte Dritte, der zugleich Vertragserbe des Vorerben ist, ist als Vertragserbe von zwei verschiedenen Erblassern eingesetzt: Der zuerst versterbende Erblasser setzt den Dritten vertragsgemäß zum Nacherben ein, während der überlebende Erblasser den Dritten vertragsgemäß zum Vollerben einsetzt. Der Dritte erhält somit den Nachlass zum Teil als Nacherbe des zuerst verstorbenen Ehepartners und zum Teil als Vollerbe des Längstlebenden („Trennungslösung“). Da vertragsgemäßer „Erblasser“ der Nacherbschaft (nur) der Erstversterbende (vgl. § 2100 BGB) ist, ist der Anwendungsbereich des § 2287 BGB bei unentgeltlichen Verfügungen des Vorerben über Gegenstände, die zur Erbschaft des erstverstorbenen Erblassers gehören, nicht eröffnet. Gegen Schenkungen des vertragsgemäßen „Vorerben“ ist der Nacherbe (nur) durch § 2113 BGB geschützt. Für die Anwendung beider Vorschriften auf beide Vermögensmassen nebeneinander besteht zudem kein Schutzbedürfnis.
b) Nach diesen Maßstäben kann die Klägerin den geltend gemachten Anspruch nicht auf § 2287 Abs. 1 BGB stützen, da der dem Beklagten zugewendete Geldbetrag nach dem inzwischen als unstreitig anzusehenden Sachvortrag der Parteien aus der Erbmasse nach K. M. stammte. Die Schenkung ist daher nicht als Schenkung „des Erblassers“ im Sinne des § 2287 Abs. 1 BGB, sondern als solche der Vorerbin anzusehen.
aa) Eine andere Bewertung folgt auch nicht daraus, dass die Schwestern mit notariellem Vertrag vom 28. November 2005 auf ihr Nacherbenanwartschaftsrecht verzichtet haben. Dieser Verzicht hatte in rechtlicher Hinsicht nicht zur Folge, dass die Vorerbschaft und das sonstige Vermögen der Vorerbin zu „eigenem Vermögen“ „verschmolzen“ wurde mit der Folge, dass ein der Nacherbfolge unterliegendes Vermögen nicht mehr vorhanden war. Nach den überzeugenden Grundsätzen, die das BayObLG in seiner Entscheidung vom 27. Mai 1970 – BReg 2 Z 16/70 (NJW 1970, 1794) aufgestellt hat, ist diese Rechtsfolge nicht eingetreten. Die Vorerbin hat danach mit der Übertragung der Anwartschaftsrechte der Nacherbinnen auf sie nur auflösend bedingte Anwartschaftsrechte erhalten. Die Rechte und Pflichten der Vorerbin und der Nacherben sind lediglich, solange die auflösende Bedingung nicht eingetreten ist, „in einer Person vereinigt“ mit der Folge, dass die Vorerbin bis dahin über die Gegenstände der „Vorerbschaft“ frei verfügen kann (BayObLG, a.a.O.). In Fällen, in denen – wie hier – neben dem übertragenden Nacherben Ersatznacherben vorhanden sind und diese ihre Anwartschaft nicht an den Vorerben übertragen haben, wird der Vorerbe nicht zum Vollerben (NK-BGB/Walter Gierl, 6. Aufl., § 2100 Rn. 64). Die – auflösend bedingte – Vereinigung beider Rechtsstellungen führte daher nicht dazu, dass seitdem die Gegenstände der Vorerbschaft zu „eigenem Vermögen“ der Vorerbin wurden.
Dieses Verständnis erscheint auch sachgerecht. Es würde zu einem unbilligen Wertungswiderspruch führen, wenn man einerseits davon ausgeht, dass die Vorerbin durch die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts auf sie über Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen und damit auch beliebige Schenkungen vornehmen könne, und anderseits diese Freiheit durch eine Anwendung des § 2287 BGB auf das der Vorerbschaft unterliegende Vermögen sogleich wieder einschränken wollte.
bb) Selbst wenn man von einer „Vermögensvereinigung“ und damit von einer Zuwendung der Vorerbin aus ihrem eigenen Vermögen ausgehen würde, wären Ansprüche der erbvertraglichen Nacherben aus dem dann grundsätzlich anwendbaren § 2287 BGB vertraglich ausgeschlossen worden.
(1) Der notarielle Vertrag vom 28. November 2005 ist nach Treu und Glauben interessengerecht dahingehend auszulegen (§§ 133, 157 BGB), dass die Klägerin als Vertragserbin konkludent auf ihre Ansprüche aus § 2287 BGB betreffend beeinträchtigende Schenkungen aus der Vorerbschaft verzichtet hat. Ein solcher Verzicht ist im Regelfall nicht sittenwidrig und somit zulässig (vgl. MüKoBGB/Musielak, 9. Aufl., § 2287 Rn. 26). Im Vertrag vom 28. November 2005 war vereinbart, dass die Nacherbinnen für den (vollständigen) Verzicht auf ihre „Nacherbenstellung“ sogleich – also schon vor Eintritt des Nacherbenfalls – eine erhebliche Gegenleistung aus dem Immobilienvermögen der Vorerbschaft in Form der Beteiligung an der Immobiliengesellschaft bzw. eine Barabfindung erhalten. Der Verzicht der Nacherbinnen auf ihre „Nacherbschaft“ hatte rechtlich zur Folge, dass die Vorerbin bis zum etwaigen Eintritt des Ersatzerbfalls über die Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen konnte. Aus der Höhe der vereinbarten Gegenleistung ist das beiderseitige Bewusstsein der Vertragsschließenden zu entnehmen, dass die der Vorerbin eingeräumte Verfügungsfreiheit entsprechend wirtschaftlich bedeutsam ist. Dieses Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wäre aber empfindlich gestört, wenn das der Vorerbin durch Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte eingeräumte Recht, über das Vermögen des Erblassers zu Lebzeiten frei verfügen und damit auch beliebige Schenkungen vornehmen zu können, durch die Anwendung des § 2287 BGB auf beeinträchtigende Zuwendungen aus der verbleibenden Vorerbschaft wieder „ausgehebelt“ werden würde.
Es handelt sich daher um eine umfassende Abgeltungsregelung, die billigerweise aus Empfängersicht der Vorerbin (§§ 133, 157 BGB) auch beinhaltete, dass diese zu ihren Lebzeiten über die übrigen Gegenstände der Vorerbschaft nach Belieben verfügen durfte und auch das Recht zu einer die vertragsgemäßen Nacherbinnen beeinträchtigenden Schenkung hatte.
(2) Ein anderer gemeinsamer Parteiwille kann auch nicht der Regelung in Ziff. V des notariellen Vertrags vom 28. November 2005 über „Ausgleichsansprüche“ entnommen werden. Diese Bestimmung schließt zwar neben Ausgleichsansprüchen der Miterben aus § 2050 BGB auch solche aus § 2287 BGB insofern aus, als sie Zuwendungen betreffen, die bis „heute“ erfolgt sind oder aufgrund der in diesem Vertrag genannten Einbringung der Immobilien in die M. Immobilien GmbH & Co. KG noch erfolgen. Dies lässt schon deshalb nicht den Gegenschluss zu, dass die Nacherbinnen gegenüber der Vorerbin auf Ansprüche aus § 2287 BGB betreffend künftige Zuwendungen nicht verzichten wollten, weil die Regelung ausdrücklich nur „Ausgleichsansprüche“ im Verhältnis der Schwestern „untereinander“ erfassen sollte. Zweck der Regelung war es damit erkennbar, etwaige Ansprüche der einen Nacherbin als Vertragserbin gegen eine andere Nacherbin als Empfängerin von Zuwendungen des Erblassers auszuschließen.
Ansprüche der Nacherbinnen gegen die Vorerbin werden somit von der Vereinbarung nach deren klarem Wortlaut nicht erfasst. Sie lässt daher keine auslegungsrelevanten Schlussfolgerungen zu.
c) Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass § 2287 BGB auf die streitgegenständliche Schenkung anwendbar wäre und dass der notarielle Vertrag vom 28. November 2005 objektiv keinen vertraglichen Anspruchsausschluss beinhalten würde, könnte sich der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugen, dass die Vorerbin bei der streitgegenständlichen Schenkung angesichts des mit notariellem Vertrag vom 28. November 2005 vereinbarten Verzichts der Nacherbinnen auf ihre „Nacherbenstellung“ unter Vereinbarung erheblicher Gegenleistungen das für § 2287 Abs. 1 BGB notwendige Bewusstsein gehabt hätte, gegen die noch bestehende erbvertragliche Bindung zu verstoßen.
Eine andere Schlussfolgerung lässt sich auch nicht, wie die Klägerin meint, aus Ziff. 8 des „Kauf- und Abtretungsvertrags über alle Kommanditanteile an der M. Immobilien GmbH & Co. KG“ vom 9. März 2009 (Anlage B3) ziehen. Darin wird zwar ausgeführt, dass Frau A.M. hinsichtlich „ihres übrigen Vermögens“ aufgrund der erbvertraglichen Bindung nach dem Tod ihres Ehemannes Herrn K.M. „gebunden“ sei. Diese knappe Rechtsbehauptung nimmt aber erkennbar Bezug auf die vorherige erläuternde Ausführung, dass die Vorerbin gerne ihre Enkelkinder „nach ihrem Tod“ bedenken wolle. Die nachfolgend erwähnte erbvertragliche Bindung bezieht sich somit nach dem Sinnzusammenhang nicht auf lebzeitige Zuwendungen der Vorerbin, sondern nur auf solche von Todes wegen. Hierauf bezogen ist der Hinweis auch zutreffend. Die fragliche Rechtsbehauptung ist somit kein Indiz dafür, dass die Vorerbin annahm, sie habe aufgrund der erbvertraglichen Bindungen nicht das lebzeitige Recht zur Vornahme beeinträchtigender Schenkungen mit Mitteln der Vorerbschaft gehabt.
Überdies kann dem vertraglichen Hinweis auch nicht eindeutig entnommen werden, ob mit den Worten „ihres übrigen Vermögens“ auch Gegenstände der Vorerbschaft oder nur das sonstige eigene Vermögen der Vorerbin gemeint ist, wobei für die zuletzt genannte Auslegung die Verwendung des Possessivpronomens „ihres“ spricht. Zudem kann auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass die Vorerbin den umfangreichen Vertrag, der ersichtlich vom Notariat oder einem rechtskundigen Berater ausgearbeitet wurde, in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und inhaltlich auch die rechtlich schwierige Trennung der beiden Vermögenmassen zumindest in der juristischen Laiensphäre zutreffend verstanden hat.
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch besteht daher nicht. Auf die Berufung des Beklagten ist das Ersturteil daher abzuändern und die Klage abzuweisen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Im Vordergrund stehen tatrichterliche Fragen der Auslegung im Einzelfall.