Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wiederverheiratung hebt Testamentsbindung auf: Zweite Ehefrau erbt trotz früherer Verfügung zugunsten des Sohnes
- Der letzte Wille und seine Folgen: Worum ging es im Detail?
- Der Gang durch die Instanzen: Die Entscheidung des Nachlassgerichts
- Die Beschwerde des Sohnes: Argumente gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts
- Die zentralen Rechtsfragen vor dem Oberlandesgericht
- Die Entscheidung des Oberlandesgerichts: Zweite Ehefrau wird Alleinerbin
- Die wesentlichen Entscheidungsgründe des Oberlandesgerichts
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „gemeinschaftliches Testament“ und welche Bindungswirkung hat es?
- Was ist der Unterschied zwischen einem Vorerben und einem Vollerben?
- Was ist eine Wiederverheiratungsklausel in einem Testament und welche Folgen hat sie?
- Kann ein gemeinschaftliches Testament durch ein späteres Testament aufgehoben werden?
- Welche Rolle spielt die Auslegung eines Testaments bei der Erbfolge?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 6 W 22/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht
- Verfahrensart: Nachlassverfahren (Beschwerdeverfahren)
- Rechtsbereiche: Erbrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Sohn aus erster Ehe, der sich auf das erste Testament beruft und Alleinerbe sein möchte.
- Beklagte: Zweite Ehefrau, die sich auf das spätere Testament beruft und Alleinerbin sein möchte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Mann und seine erste Ehefrau setzten im Testament ihren gemeinsamen Sohn als Schlusserben ein und vereinbarten, dass bei Wiederverheiratung des Überlebenden der Sohn sofort Erbe wird. Nach dem Tod der ersten Ehefrau heiratete der Mann erneut und machte mit seiner zweiten Frau ein neues Testament, das diese als Alleinerbin vorsah. Der Sohn aus erster Ehe und die zweite Ehefrau stritten nach dem Tod des Mannes darüber, welches Testament gilt.
- Kern des Rechtsstreits: Zentral war die Frage, ob die Wiederverheiratung des Witwers dazu führte, dass er nicht mehr an die Erbeinsetzung seines Sohnes im ersten Testament gebunden war und deshalb seine neue Ehefrau als Alleinerbin einsetzen durfte.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Beschwerde des Sohnes aus erster Ehe wurde zurückgewiesen. Die Erbfolge richtet sich nach dem späteren Testament, das die zweite Ehefrau als Alleinerbin bestimmt.
- Begründung: Das Gericht entschied, dass durch die Wiederverheiratung des Mannes die im ersten Testament genannte Bedingung (der Nacherbfall für den Sohn) eingetreten ist. Dies hatte zur Folge, dass der Mann rechtlich nicht mehr an die Erbeinsetzung seines Sohnes gebunden war und frei über sein Vermögen verfügen konnte. Daher war das spätere Testament zugunsten der zweiten Ehefrau wirksam.
- Folgen: Der Sohn aus erster Ehe erbt nicht. Die zweite Ehefrau ist Alleinerbin. Der Sohn muss die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen.
Der Fall vor Gericht
Wiederverheiratung hebt Testamentsbindung auf: Zweite Ehefrau erbt trotz früherer Verfügung zugunsten des Sohnes
Ein komplexer Erbrechtsstreit um die Folgen einer Wiederverheiratungsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament beschäftigte das Oberlandesgericht. Im Kern ging es um die Frage, ob der überlebende Ehegatte nach einer erneuten Heirat noch an die ursprüngliche Schlusserbeneinsetzung seines Sohnes gebunden war oder ob er durch die Wiederverheiratung die Freiheit erlangte, sein eigenes Vermögen neu zu vererben. Das Gericht entschied zugunsten der zweiten Ehefrau und verdeutlichte die weitreichenden Konsequenzen solcher Klauseln.

Die Auseinandersetzung drehte sich um das Erbe eines Mannes, im Folgenden als Erblasser bezeichnet. Beteiligt waren sein Sohn aus erster Ehe, der als Kläger im Beschwerdeverfahren auftrat (im Urteil als Beteiligter zu 1) bezeichnet), und die zweite Ehefrau des Erblassers (im Urteil als Beteiligte zu 2) bezeichnet). Der Sohn beanspruchte das Erbe aufgrund eines früheren Testaments seiner Eltern, während die zweite Ehefrau ihre Erbansprüche auf ein späteres Testament mit dem Erblasser stützte. Entscheidend war, ob eine im ersten Testament enthaltene Klausel zur Wiederverheiratung die Bindungswirkung für den Erblasser aufhob.
Der letzte Wille und seine Folgen: Worum ging es im Detail?
Der Sachverhalt, der dem Rechtsstreit zugrunde lag, nahm seinen Anfang mit testamentarischen Verfügungen des Erblassers und seiner ersten Ehefrau.
Das erste Testament mit der ersten Ehefrau
Am 7. April 1996 hatten der Erblasser und seine erste Ehefrau P. ein Gemeinschaftliches Testament errichtet. Ein solches Testament wird von Ehegatten gemeinsam aufgesetzt und enthält oft Regelungen, die aufeinander abgestimmt sind.
In diesem Testament setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben ein. Ein Vorerbe ist eine Person, die zwar Erbe wird, das Erbe aber nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis (wie dem eigenen Tod oder einer Wiederverheiratung) innehat. Danach geht das Erbe an eine andere Person, den sogenannten Nacherben, über. Der Vorerbe kann das Erbe nutzen, ist aber in seiner Verfügungsgewalt darüber beschränkt, um die Rechte des Nacherben zu wahren.
Zum Nacherben des zuerst versterbenden Ehegatten und zum Vollerben des zuletzt versterbenden Ehegatten bestimmten sie ihren gemeinsamen Sohn, den späteren Beschwerdeführer. Ein Vollerbe erbt ohne jegliche Beschränkungen und kann über das geerbte Vermögen frei verfügen. Der Sohn sollte also nach dem Tod beider Elternteile das gesamte Vermögen erhalten.
Das Testament enthielt zudem eine sogenannte Wiederverheiratungsklausel. Diese Klausel besagte wörtlich: „Heiratet der überlebende Ehegatte erneut, tritt gleichfalls der Nacherbfall ein.“ Der Nacherbfall bezeichnet den Zeitpunkt oder das Ereignis, mit dem das Erbe vom Vorerben auf den Nacherben übergeht. Im Falle einer erneuten Heirat des überlebenden Ehegatten sollte also der Sohn (als Nacherbe) das Erbe des zuerst verstorbenen Elternteils erhalten.
Tod der ersten Ehefrau und neue Heirat des Erblassers
Die erste Ehefrau P. verstarb bereits kurz nach der Testamentserrichtung am 25. April 1996.
Der Erblasser heiratete am 8. November 1996 erneut, und zwar die spätere Beteiligte zu 2) des Verfahrens.
Das zweite Testament mit der zweiten Ehefrau
Am 27. Oktober 2013 errichtete der Erblasser dann gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau ein weiteres gemeinschaftliches Testament.
In diesem neuen Testament setzten sich der Erblasser und seine zweite Ehefrau gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Dies stand im klaren Widerspruch zur Erbeinsetzung des Sohnes im ersten Testament.
Streit um das Erbe nach dem Tod des Erblassers
Nach dem Tod des Erblassers entbrannte der Streit um sein Erbe. Sowohl der Sohn aus erster Ehe als auch die zweite Ehefrau beantragten beim Nachlassgericht jeweils einen Erbschein, der sie als Alleinerben ausweisen sollte.
Der Gang durch die Instanzen: Die Entscheidung des Nachlassgerichts
Das Nachlassgericht Jena traf mit Beschluss vom 19. Juli 2023 eine erste Entscheidung. Es stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der zweiten Ehefrau vorlägen.
Zur Begründung führte das Nachlassgericht aus, dass mit der Wiederverheiratung des Erblassers der im ersten Testament vorgesehene Nacherbfall eingetreten sei.
Dies habe zur Folge gehabt, dass die Bindungswirkung des Erblassers an die Verfügungen im Testament vom 7. April 1996 entfallen sei. Die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments bedeutet, dass bestimmte Verfügungen, die die Ehegatten als voneinander abhängig getroffen haben (sogenannte wechselbezügliche Verfügungen), nach dem Tod des ersten Ehegatten für den Überlebenden bindend werden und nicht mehr ohne Weiteres geändert werden können.
Da der Erblasser nach Eintritt des Nacherbfalls nicht mehr Vorerbe nach seiner ersten Ehefrau gewesen sei, so das Nachlassgericht, habe er frei über sein eigenes Vermögen verfügen können.
Folglich habe er seine zweite Ehefrau im Testament vom 27. Oktober 2013 wirksam als Alleinerbin einsetzen können.
Die Beschwerde des Sohnes: Argumente gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts
Der Sohn, dem der Beschluss des Nachlassgerichts am 24. Juli 2023 zugestellt wurde, legte mit Schreiben vom 3. August 2023 Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.
Er vertrat die Ansicht, die rechtliche Einordnung des Nachlassgerichts sei falsch.
Er machte geltend, dass bei nicht eindeutigen Testamenten eine Auslegung nach § 133 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geboten sei. Dieser Paragraph schreibt vor, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist. Es muss also ermittelt werden, was die Testierenden tatsächlich gewollt haben.
Die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im ersten Testament habe sich jedenfalls auf das Vermögen bezogen, das im Zeitpunkt des Todes seiner Mutter (P.) vorhanden war. Wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament sind solche, bei denen davon auszugehen ist, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre; sie stehen und fallen also miteinander.
Die Wiederverheiratungsklausel, so argumentierte der Sohn weiter, habe allein dem Zweck gedient, zu verhindern, dass der neue Ehepartner am Erbe der Erstversterbenden (seiner Mutter) partizipiert.
Diese Konstellation könne nicht dazu führen, dass die Einsetzung des Sohnes als Schlusserbe (also als Erbe des gesamten Vermögens nach dem Tod beider Elternteile) ihre Wechselbezüglichkeit bezüglich des gesamten Nachlasses – einschließlich des eigenen Vermögens des Erblassers – verliere.
Er sei daher Alleinerbe geworden.
Das Amtsgericht Jena half der Beschwerde mit Beschluss vom 16. Januar 2024 nicht ab und legte die Angelegenheit dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
Die zentralen Rechtsfragen vor dem Oberlandesgericht
Das Oberlandesgericht hatte im Kern folgende juristische Fragen zu klären:
Hebt die Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten – ausgelöst durch eine entsprechende Klausel im gemeinschaftlichen Testament – die Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung des gemeinsamen Kindes auf?
Darf der überlebende Ehegatte infolgedessen in einem späteren Testament abweichend über sein eigenes Vermögen verfügen, auch wenn dies der ursprünglichen Schlusserbeneinsetzung widerspricht?
Wie ist die spezifische Wiederverheiratungsklausel im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Willens der testierenden Eheleute auszulegen?
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts: Zweite Ehefrau wird Alleinerbin
Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde des Sohnes gegen den Beschluss des Nachlassgerichts Jena vom 19. Juli 2023 zurück.
Das Gericht stellte fest, dass sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und seiner zweiten Ehefrau vom 27. Oktober 2013 richtet. Dies bedeutet, dass die zweite Ehefrau als Alleinerbin des Erblassers gilt.
Die wesentlichen Entscheidungsgründe des Oberlandesgerichts
Das Oberlandesgericht stützte seine Entscheidung auf eine detaillierte juristische Argumentation, die sich insbesondere mit der Wirkung der Wiederverheiratungsklausel befasste.
Zulässigkeit der Beschwerde
Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Beschwerde des Sohnes gegen den Feststellungsbeschluss des Nachlassgerichts zulässig war. Dies ergibt sich aus den Vorschriften des FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit), konkret den §§ 63 ff. FamFG, die das Beschwerderecht in solchen Fällen regeln.
Fehlende Bindung an das erste Testament als Kernpunkt
In der Sache selbst hatte die Beschwerde des Sohnes jedoch keinen Erfolg.
Das Gericht führte aus, dass die Erbfolge sich nach dem späteren Testament vom 27. Oktober 2013 richte, in dem die zweite Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt wurde.
Die Frage, ob die Einsetzung des Sohnes als Erbe des längstlebenden Elternteils im ersten Testament vom 7. April 1996 ursprünglich wechselbezüglich im Sinne der §§ 2269, 2271 BGB und damit grundsätzlich bindend war, konnte nach Ansicht des Gerichts offenbleiben. § 2269 BGB beschreibt das typische „Berliner Testament„, bei dem sich Ehegatten gegenseitig zu Erben einsetzen und einen Dritten (oft die Kinder) als Erben des Längstlebenden bestimmen. § 2271 BGB regelt die Bindungswirkung solcher wechselbezüglicher Verfügungen und die Möglichkeiten ihres Widerrufs.
Die Wirkung der Wiederverheiratungsklausel
Entscheidend war für das Gericht vielmehr, dass eine etwaige Bindungswirkung aus dem ersten Testament jedenfalls durch die spätere Eheschließung des Erblassers gemäß der darin enthaltenen Wiederverheiratungsklausel entfallen ist.
Diese Klausel bestimmte, dass im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten der Nacherbfall eintreten sollte.
Damit war die Erbenstellung des Sohnes (sowohl als Nacherbe seiner Mutter als auch als künftiger Vollerbe seines Vaters) an eine Aufschiebende Bedingung nach § 158 Abs. 1 BGB geknüpft. Eine aufschiebende Bedingung ist ein zukünftiges, ungewisses Ereignis, von dessen Eintritt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts abhängt. Das Rechtsgeschäft wird erst wirksam, wenn die Bedingung eintritt. Im vorliegenden Fall war diese Bedingung die Wiederverheiratung des Erblassers.
Mit der Eheschließung des Erblassers mit der zweiten Ehefrau am 8. November 1996 ist diese Bedingung eingetreten.
Ständige Rechtsprechung zur Freistellung des Überlebenden
Das Oberlandesgericht verwies darauf, dass es ständiger Rechtsprechung entspreche, dass der Eintritt einer solchen im Testament angeordneten Bedingung (hier: die Wiederverheiratung, die den Nacherbfall auslöst) dazu führt, dass der überlebende Ehegatte von einer – selbst wenn man sie unterstellt – Bindung durch das gemeinschaftliche Testament frei wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung.
Das Gericht zitierte hierzu Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts, des Kammergerichts Berlin, des Oberlandesgerichts Hamm und des Oberlandesgerichts Zweibrücken, die diese Rechtsauffassung stützen.
Keine abweichende Auslegung des ersten Testaments möglich
Der Argumentation des Sohnes, das erste Testament sei (ergänzend) dahingehend auszulegen, dass eine von der Wiederverheiratung unabhängige Wechselbezüglichkeit bezüglich des ursprünglichen Nachlassvermögens seiner Mutter bestehen bleiben sollte, folgte das Gericht nicht.
Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments sei auf den Willen beider Testatoren abzustellen, wobei nicht nur der Wortlaut, sondern alle zugänglichen Umstände zu berücksichtigen seien.
Der Wortlaut des Testaments vom 7. April 1996 enthalte jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung des Sohnes auch im Falle der Wiederverheiratung des Erblassers bestehen bleiben sollte.
Auch das Fehlen eines ausdrücklichen Abänderungsvorbehalts für die Schlusserbeneinsetzung des Sohnes ändere daran nichts. Ein Abänderungsvorbehalt ist eine Klausel, die es dem überlebenden Ehegatten ausdrücklich erlaubt, Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tod des Erstversterbenden zu ändern.
Zweck der Wiederverheiratungsklausel und ihre Konsequenzen
Das Gericht erkannte an, dass die Wiederverheiratungsklausel dem erklärten Zweck der Testatoren diente, zu verhindern, dass ein neuer Ehepartner am Erbe des Erstversterbenden (also der Mutter) partizipiert.
Dies führe jedoch nach Ansicht des Gerichts dazu, dass die wechselseitige Schlusserbeneinsetzung ihre Wechselbezüglichkeit verliert, sofern – wie hier – keine explizite Regelung für den Fall getroffen wurde, dass der Nacherbfall gerade wegen der Wiederverheiratung eintritt.
Die Bindung des überlebenden Ehegatten hinsichtlich seines eigenen Vermögens entfalle in dieser Konstellation.
Umstände außerhalb des Testaments, die eine abweichende Auslegung stützen könnten, wurden vom Sohn nicht vorgetragen und waren für das Gericht auch sonst nicht ersichtlich.
Konsequenz: Wirksamkeit des zweiten Testaments
Daher war der Erblasser nach seiner Wiederverheiratung nicht mehr durch das erste Testament von 1996 gebunden.
Er konnte folglich im gemeinschaftlichen Testament mit seiner zweiten Ehefrau vom 27. Oktober 2013 wirksam diese als Alleinerbin seines gesamten Nachlasses einsetzen.
Kostenentscheidung
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 84 FamFG. Diese Vorschrift besagt, dass der unterlegene Teilnehmer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Da der Sohn mit seiner Beschwerde keinen Erfolg hatte, muss er die Kosten tragen.
Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof gemäß § 70 Abs. 2 FamFG lagen nach Ansicht des Oberlandesgerichts nicht vor. Eine Rechtsbeschwerde wird beispielsweise zugelassen, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des höchsten Gerichts erfordert. Dies sah das Gericht hier nicht als gegeben an.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass eine Wiederverheiratungsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament weitreichende Folgen haben kann: Sie hebt nicht nur den Nacherbfall aus, sondern befreit den überlebenden Ehegatten vollständig von der Bindung an frühere testamentarische Verfügungen, sodass dieser frei über sein eigenes Vermögen verfügen kann. Im konkreten Fall konnte der Witwer nach seiner zweiten Hochzeit wirksam seine neue Ehefrau als Alleinerbin einsetzen, obwohl er im ersten Testament mit seiner verstorbenen Frau den gemeinsamen Sohn als Schlusserben bestimmt hatte. Für Erblasser ist es daher entscheidend, die Konsequenzen einer Wiederverheiratungsklausel zu verstehen und gegebenenfalls explizite Regelungen zu treffen, falls bestimmte Verfügungen trotz Wiederverheiratung bindend bleiben sollen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „gemeinschaftliches Testament“ und welche Bindungswirkung hat es?
Ein gemeinschaftliches Testament ist eine besondere Form der letztwilligen Verfügung, die nur von Ehepartnern oder eingetragenen Lebenspartnern errichtet werden kann. Im Grunde erstellen die Partner dabei ein gemeinsames Dokument, in dem sie ihre Erbschaftsangelegenheiten regeln. Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Partner schreiben Ihren „letzten Willen“ zusammen auf ein Blatt Papier und unterschreiben beide. Das ist die Grundidee. Ziel ist oft, sich gegenseitig abzusichern und danach gemeinsam festzulegen, wer nach dem Tod des Längstlebenden erben soll.
Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments
Eine wichtige Besonderheit ist die Bindungswirkung, die ein gemeinschaftliches Testament entfalten kann. Das bedeutet: Verfügungen, die die Ehepartner wechselseitig treffen (also die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre), können nach dem Tod des ersten Partners für den Überlebenden bindend werden. Der Überlebende kann dann diese wechselbezüglichen Verfügungen nicht mehr ohne Weiteres ändern.
Denken Sie an das oft genutzte „Berliner Testament“: Die Ehepartner setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen, dass nach dem Tod des Längstlebenden Dritte (oft die Kinder) das Vermögen erhalten sollen. Stirbt nun ein Ehepartner, ist der Überlebende grundsätzlich an diese Regelung gebunden. Er kann das Testament nach dem ersten Todesfall in Bezug auf die Schlusserben (diejenigen, die nach dem Überlebenden erben sollen) nicht mehr frei ändern, selbst wenn sich seine Lebensumstände geändert haben.
Diese Bindung soll gewährleisten, dass die Partner sich aufeinander verlassen können und die getroffenen Regelungen Bestand haben, auch wenn einer verstirbt. Ohne diese Bindung könnte der überlebende Partner die gemeinsamen Pläne einfach über den Haufen werfen, nachdem er selbst alles geerbt hat.
Wann tritt die Bindung ein und gibt es Ausnahmen?
Die Bindungswirkung tritt meistens mit dem Tod des ersten Ehepartners ein. Solange beide Partner leben, können sie das gemeinsame Testament grundsätzlich jederzeit gemeinsam ändern oder widerrufen. Ein Widerruf durch nur einen Partner ist zu Lebzeiten des anderen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, zum Beispiel durch notarielle Erklärung, die dem anderen Partner zugestellt wird.
Es gibt auch Ausnahmen von der Bindungswirkung. So können die Ehepartner im Testament selbst festlegen, dass der Überlebende bestimmte Verfügungen doch noch ändern darf (sogenannte Änderungsklauseln). Auch in besonderen Situationen, die im Gesetz geregelt sind, kann die Bindung entfallen.
Für Sie bedeutet das: Ein gemeinschaftliches Testament ist ein starkes Instrument zur gemeinsamen Nachlassplanung, schafft aber gleichzeitig eine erhebliche rechtliche Bindung, die nach dem ersten Todesfall nur schwer zu lösen ist. Es ist daher wichtig, sich über die Konsequenzen der Bindungswirkung im Klaren zu sein.
Was ist der Unterschied zwischen einem Vorerben und einem Vollerben?
Der wesentliche Unterschied zwischen einem Vollerben und einem Vorerben liegt darin, wie frei sie über das geerbte Vermögen verfügen können und wie lange ihre Erbenstellung dauert.
Ein Vollerbe ist der „normale“ Erbe. Er tritt die Rechtsnachfolge des Verstorbenen vollständig an. Das bedeutet, er kann über das gesamte geerbte Vermögen, wie beispielsweise ein Haus, Geld oder andere Besitztümer, grundsätzlich frei verfügen. Er kann es verkaufen, verschenken oder anderweitig nutzen, als wäre es schon immer seins gewesen. Der Vollerbe wird also uneingeschränkter Eigentümer des Nachlasses.
Ein Vorerbe hingegen erbt das Vermögen nur für eine bestimmte Zeit. Diese Zeit kann im Testament festgelegt sein, zum Beispiel bis zu einem bestimmten Datum oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses (häufig der Tod des Vorerben). Während dieser Zeit kann der Vorerbe das geerbte Vermögen nutzen, also zum Beispiel in einem geerbten Haus wohnen oder Erträge aus Wertpapieren erhalten. Allerdings darf der Vorerbe über große Teile des Vermögens nicht frei verfügen. Er kann es beispielsweise nicht einfach verkaufen oder verschenken, weil er Rücksicht auf die Rechte des Nacherben nehmen muss.
Die Rolle des Nacherben
Der Grund für die Einschränkungen des Vorerben ist der Nacherbe. Der Erblasser hat bestimmt, dass das Vermögen nach dem Ende der Erbenstellung des Vorerben nicht an dessen eigene Erben, sondern an eine andere Person fällt – den Nacherben. Der Nacherbe ist quasi der „zweite“ Erbe, der erst zum Zug kommt, wenn der Vorerbe seine Erbschaft verliert (meist durch seinen Tod). Die Verfügungsbeschränkungen des Vorerben dienen dazu, den Nachlass für den Nacherben zu erhalten.
Stellen Sie sich das wie einen Staffellauf vor: Der Erblasser übergibt den Staffelstab (das Erbe) an den Vorerben. Der Vorerbe darf den Stab halten und damit laufen, aber er muss darauf achten, dass er ihn gut festhält, denn er muss ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt an den Nacherben weitergeben. Der Vollerbe hingegen bekommt den Staffelstab und darf ihn behalten und damit machen, was er will.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Vollerbe erhält das Erbe endgültig und ohne größere Einschränkungen bezüglich der Verfügung. Der Vorerbe erhält das Erbe zeitlich begrenzt und darf es hauptsächlich nutzen, während die Möglichkeit zur Verfügung stark eingeschränkt ist, um das Vermögen für den nachfolgenden Nacherben zu sichern. Diese Regelungen finden sich im deutschen Recht unter anderem in den §§ 2100 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Was ist eine Wiederverheiratungsklausel in einem Testament und welche Folgen hat sie?
Eine Wiederverheiratungsklausel ist eine besondere Bedingung, die jemand in seinem Testament festlegen kann. Stellen Sie sich vor, ein Ehepartner setzt den überlebenden Ehepartner als Erben ein. Mit dieser Klausel kann der verstorbene Ehepartner bestimmen, dass das Erbe oder ein Teil davon an eine andere Person oder Gruppe von Personen fallen soll, sobald der überlebende Ehepartner erneut heiratet.
Der Sinn dieser Klausel ist oft, sicherzustellen, dass das Vermögen in der eigenen Familie bleibt – zum Beispiel bei den gemeinsamen Kindern – und nicht durch eine neue Ehe an den neuen Ehepartner oder dessen Familie übergeht.
Wenn der im Testament eingesetzte überlebende Ehepartner (der sogenannte Vorerbe) erneut heiratet, wird durch die Wiederverheiratungsklausel ein bestimmter rechtlicher Zustand ausgelöst. Dieser Zustand wird Nacherbfall genannt. Das bedeutet, die eigentlichen Erben (die sogenannten Nacherben), die im Testament für diesen Fall bestimmt wurden, treten nun an die Stelle des überlebenden Ehepartners oder erhalten zumindest einen Teil des Erbes, wie im Testament festgelegt. Für den überlebenden Ehepartner kann dies bedeuten, dass er das Erbe ganz oder teilweise verliert oder seine Verfügungsfreiheit über das Vermögen eingeschränkt wird.
Solche Klauseln können in der Praxis zu rechtlichen Schwierigkeiten führen. Manchmal ist die genaue Formulierung der Klausel im Testament nicht eindeutig. Dann kann es Streit darüber geben, was derjenige, der das Testament verfasst hat, wirklich gemeint hat, und ob die Bedingung (die Wiederverheiratung) tatsächlich so eingetreten ist, dass der Nacherbfall ausgelöst wird. Die Auslegung solcher Testamentsklauseln ist oft komplex und kann zu Auseinandersetzungen zwischen dem überlebenden Ehepartner und den im Testament genannten Nacherben führen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Wiederverheiratungsklausel ist eine testamentarische Anordnung, die den Übergang eines Erbes an einen bestimmten Zeitpunkt (nämlich die erneute Heirat) bindet, um das Vermögen in der ursprünglichen Familie zu sichern. Ihre Auslegung kann im Ernstfall juristische Fragen aufwerfen.
Kann ein gemeinschaftliches Testament durch ein späteres Testament aufgehoben werden?
Ein gemeinschaftliches Testament kann grundsätzlich nicht einfach durch ein späteres einzelnes Testament eines Ehegatten aufgehoben oder geändert werden, insbesondere nicht nach dem Tod des ersten Ehegatten. Das ist eine wichtige Besonderheit dieser Testamentsform für Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner.
Der Kern liegt in den sogenannten wechselbezüglichen Verfügungen. Stellen Sie sich vor, Ehepartner A setzt Ehepartner B als Alleinerben ein, und Ehepartner B setzt Ehepartner A als Alleinerben ein. Oft wird dann geregelt, dass nach dem Tod des länger lebenden Ehepartners das Vermögen an bestimmte Personen (z.B. die gemeinsamen Kinder) gehen soll. Diese Regelungen sind wechselbezüglich, weil die eine nur getroffen wird, weil die andere ebenfalls getroffen wird.
Die entscheidende Folge ist: Nach dem Tod des ersten Ehegatten sind die wechselbezüglichen Verfügungen für den überlebenden Ehegatten grundsätzlich bindend. Er kann diese bindenden Regelungen durch ein neues, eigenes Testament nicht mehr frei ändern oder aufheben. Seine Möglichkeit, ein Testament zu machen (seine Testierfreiheit), ist insoweit eingeschränkt. Dies schützt den Willen des zuerst verstorbenen Partners.
Ein späteres Testament des überlebenden Ehegatten wäre in diesem Punkt unwirksam, wenn es versucht, die bindenden wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments zu ändern.
Es gibt nur wenige, eng begrenzte Ausnahmen von dieser Bindung nach dem ersten Todesfall. Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit, dass der überlebende Ehegatte die ihm im gemeinschaftlichen Testament zugedachte Erbschaft ausschlägt. Oder es wurde im gemeinschaftlichen Testament selbst ausdrücklich vereinbart, dass der überlebende Ehegatte bestimmte Änderungen noch vornehmen darf (eine sogenannte Änderungsbefugnis).
Regelungen im gemeinschaftlichen Testament, die nicht wechselbezüglich sind (also nicht „im Tausch“ gegen eine Verfügung des anderen getroffen wurden), kann der überlebende Ehegatte in der Regel schon noch durch ein neues Testament ändern. Aber ob eine Verfügung wechselbezüglich ist oder nicht, hängt stark vom genauen Wortlaut des Testaments ab und ist oft nicht leicht zu erkennen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Fähigkeit, ein gemeinschaftliches Testament einseitig durch ein späteres Testament zu ändern, ist nach dem Tod des ersten Ehegatten bei den wesentlichen, aufeinander bezogenen Erbregelungen stark eingeschränkt oder gar nicht mehr gegeben.
Welche Rolle spielt die Auslegung eines Testaments bei der Erbfolge?
Wenn jemand ein Testament verfasst, möchte er damit festlegen, wer nach seinem Tod was erhalten soll. Manchmal sind die Formulierungen im Testament jedoch nicht für jeden sofort eindeutig oder es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was genau gemeint ist. Hier kommt die Auslegung des Testaments ins Spiel. Sie ist ein sehr wichtiger Schritt, um den tatsächlichen Willen des Erblassers (der Person, die das Testament geschrieben hat) zu ermitteln.
Warum ist Testamentsauslegung nötig?
Ein Testament ist ein persönliches Dokument. Die Person, die es verfasst hat, ist nicht mehr da, um Fragen zu beantworten, wenn Unklarheiten auftreten. Deshalb muss versucht werden, den wahren Willen des Erblassers zu verstehen, selbst wenn die gewählten Worte vielleicht nicht perfekt sind oder mehrere Deutungen zulassen. Stellen Sie sich vor, jemand schreibt „Mein Haus soll an meinen liebsten Neffen gehen“. Wer ist der „liebste“ Neffe, wenn es mehrere Neffen gibt? Solche Formulierungen erfordern eine Auslegung. Das Gesetz (im Bürgerlichen Gesetzbuch, BGB) legt fest, dass bei der Auslegung nicht am buchstäblichen Sinn des Wortlauts gehaftet werden darf, sondern der wirkliche Wille erforscht werden muss.
Wie wird ein Testament ausgelegt?
Die Gerichte oder andere Beteiligte, die ein Testament auslegen, schauen sich mehrere Dinge an, um den Willen des Erblassers zu finden:
- Der Wortlaut: Zuerst wird natürlich genau gelesen, was im Testament steht. Was bedeuten die Wörter und Sätze im normalen Sprachgebrauch?
- Der Gesamtzusammenhang: Das Testament wird als Ganzes betrachtet. Passen die einzelnen Verfügungen zueinander? Gibt es andere Passagen, die helfen, eine unklare Stelle zu verstehen?
- Umstände außerhalb des Testaments: Hier wird geschaut, wie der Erblasser zu Lebzeiten gedacht und gehandelt hat, welche Beziehungen er hatte oder was er Personen mündlich mitgeteilt hat (auch wenn das mündliche Aussagen allein kein Testament ersetzen). Gab es zum Beispiel nur einen Neffen, den er regelmäßig besuchte und unterstützte? Solche äußeren Hinweise können helfen, den Sinn einer Formulierung zu erkennen.
Ziel ist es immer, herauszufinden, was der Erblasser mit seinen Anordnungen wirklich erreichen wollte. Man versucht sozusagen, sich in seine damalige Situation und Denkweise hineinzuversetzen.
Einfluss auf die Erbfolge
Die Art und Weise, wie ein Testament ausgelegt wird, hat direkten Einfluss darauf, wer Erbe wird, wer bestimmte Gegenstände erhält (als Vermächtnisnehmer) und welche Auflagen oder Bedingungen möglicherweise zu erfüllen sind. Eine andere Auslegung kann dazu führen, dass statt einer Person eine andere erbt, dass sich Erbquoten ändern oder dass bestimmte Wünsche des Erblassers erst durch die Interpretation korrekt umgesetzt werden können. Wenn nach der Auslegung immer noch Zweifel bestehen, kann unter Umständen auch die gesetzliche Erbfolge relevant werden.
Für Sie bedeutet das: Selbst ein vorhandenes Testament ist nicht immer das letzte Wort ohne mögliche Fragen. Seine genaue Bedeutung muss oft durch eine sorgfältige Auslegung ermittelt werden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Gemeinschaftliches Testament
Ein gemeinschaftliches Testament ist eine besondere Form des Testaments, das von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern gemeinsam erstellt wird. Es enthält oft aufeinander abgestimmte Verfügungen, die nach dem Tod des ersten Partner bindend für den Überlebenden sein können (so genannte wechselbezügliche Verfügungen). Nach dem Tod eines Partners kann der Überlebende diese Verfügungen in der Regel nicht mehr einseitig ändern, um den gemeinsamen letzten Willen zu sichern (§ 2269 BGB). Diese Bindungswirkung schützt besonders die Erbansprüche der ursprünglich benannten Schlusserben, etwa gemeinsamer Kinder.
Beispiel: Ein Ehepaar bestimmt, dass nach dem Tod des Längstlebenden die gemeinsamen Kinder das Vermögen erben sollen; nach dem Tod des ersten Partners darf der Überlebende diesen Erbplan nicht einfach ändern.
Wechselbezüglichkeit
Wechselbezüglichkeit bezeichnet eine enge inhaltliche Verbindung zwischen mehreren Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament. Das bedeutet, dass eine Verfügung nur getroffen wurde, weil eine andere Verfügung ebenfalls besteht – sie stehen „und fallen“ miteinander. Dadurch wird für den überlebenden Ehegatten eine Bindungswirkung begründet, die eine nachträgliche Änderung der Verfügungen wesentlich erschwert oder ausschließt (§ 2271 BGB). Wechselbezügliche Verfügungen sichern die Hoffnungen der Begünstigten ab und verhindern eine einseitige Änderung nach dem ersten Todesfall.
Beispiel: Die Eheleute setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen, dass nach dem Tod des Letztversterbenden die gemeinsamen Kinder erben; diese Verfügungen sind wechselbezüglich, weil sie zusammenwirken.
Wiederverheiratungsklausel
Eine Wiederverheiratungsklausel ist eine testamentarische Anordnung, die einen bestimmten rechtlichen Effekt an die erneute Heirat des überlebenden Ehepartners koppelt. Meist bewirkt sie, dass mit der neuen Heirat ein sogenannter Nacherbfall eintritt, also das Vermögen vom Vorerben (dem überlebenden Ehegatten) auf den Nacherben (z. B. die gemeinsamen Kinder) übergeht. So soll verhindert werden, dass der neue Ehepartner am Erbe des Erstverstorbenen beteiligt wird. Die Klausel ist eine aufschiebende Bedingung (§ 158 BGB), deren Eintritt die Bindung des Überlebenden an das ursprüngliche Testament aufhebt und ihm eine neue Testierfreiheit eröffnet.
Beispiel: Im Testament eines Ehepaars heißt es, dass der Sohn erbt, sobald der überlebende Ehepartner wieder heiratet – mit dieser erneuten Heirat beginnt der Nacherbfall und der Sohn wird zum Erben.
Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments
Die Bindungswirkung bewirkt, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des ersten Partners grundsätzlich an die im gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügungen gebunden ist und diese nicht mehr eigenmächtig ändern kann (§ 2271 BGB). Dies sichert die im Testament vereinbarten Erbfolgen ab und schützt die Schlusserben vor überraschenden Änderungen des Überlebenden. Allerdings können bestimmte Bedingungen oder Klauseln, wie die Wiederverheiratungsklausel, die Bindungswirkung aufheben und dem Überlebenden eine eigene Testierfreiheit einräumen.
Beispiel: Stirbt die erste Ehefrau, ist der Ehemann an die Vereinbarungen des gemeinsamen Testaments gebunden und kann nicht einfach einen anderen Erben bestimmen – es sei denn, eine Wiederverheiratungsklausel tritt in Kraft.
Aufschiebende Bedingung
Eine aufschiebende Bedingung ist ein zukünftiges, unsicheres Ereignis, von dessen Eintritt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts abhängt (§ 158 Abs. 1 BGB). Erst wenn dieses Ereignis eintritt, wird die Rechtsfolge wirksam. Im Erbrecht kann eine Wiederverheiratungsklausel eine aufschiebende Bedingung sein, die den Nacherbfall auslöst. Bis zum Eintritt dieser Bedingung bleibt der Vorerbe erbberechtigt; mit ihrem Eintritt gehen die Erbrechte sofort auf den Nacherben über. Das ermöglicht eine flexible Vermögensgestaltung je nach Lebensumständen.
Beispiel: Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten ist Bedingung dafür, dass der Sohn als Nacherbe das Erbe erhält; heiratet der Überlebende erneut, tritt die Bedingung ein und die Erbschaft wechselt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 2269 BGB (Berliner Testament): Regelt die gegenseitige Erbeinsetzung von Ehegatten und die Einsetzung eines Dritten als Nacherben, wobei die Unwiderruflichkeit der Verfügungen nach dem Tod des ersten Ehegatten vorgesehen ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das erste gemeinschaftliche Testament des Erblassers und seiner ersten Ehefrau stellt eine solche typische Berliner-Testament-Konstellation dar, die den Sohn als Schlusserben vorsieht und grundsätzlich an eine Bindungswirkung geknüpft ist.
- § 2271 BGB (Bindungswirkung bei wechselbezüglichen Verfügungen): Bestimmt, dass gemeinschaftliche Testamente mit wechselbezüglichen Verfügungen grundsätzlich eine Bindungswirkung haben und Änderungen für den länger lebenden Ehegatten nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sind. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Bindungswirkung sollte den überlebenden Ehegatten eigentlich an die Einsetzung des Sohnes als Schlusserben binden; die Streitfrage war, ob diese Bindung durch die Wiederverheiratungsklausel aufgehoben wird.
- § 158 Abs. 1 BGB: Rechtsgeschäfte können von einer zukünftigen unsicheren Bedingung abhängig gemacht werden, die ihre Wirksamkeit oder Durchsetzbarkeit bestimmt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Wiederverheiratungsklausel wirkte als aufschiebende Bedingung, deren Eintritt (Wiederverheiratung) den Nacherbfall auslöste und damit die Bindungswirkung des ersten Testaments aufhob.
- § 133 BGB (Auslegung von Willenserklärungen): Verpflichtet zur Ermittlung des wirklichen Willens der Testatoren bei unsicheren oder mehrdeutigen Willenserklärungen, statt am rein wörtlichen Sinn zu haften. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Sohn argumentierte mit dieser Vorschrift, um eine engere Auslegung der Wiederverheiratungsklausel durchzusetzen, die die Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung erhalten sollte; das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht.
- §§ 63 ff. FamFG (Beschwerderecht im Nachlassverfahren): Regelt die Zulässigkeit und das Verfahren der Beschwerde gegen Entscheidungen von Nachlassgerichten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Ermöglichte dem Sohn die Beschwerde gegen den Erbscheinsbeschluss zugunsten der zweiten Ehefrau und die gerichtliche Klärung der Erbfolge.
- § 84 FamFG (Kostenentscheidung): Legt fest, dass der unterlegene Verfahrensbeteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da der Sohn mit seiner Beschwerde unterlag, musste er die Verfahrenskosten übernehmen.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Thüringen – Az.: 6 W 22/24 – Beschluss vom 25.03.2024
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