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Nacherbenvermerk im Erbschein nach Veräußerung der Nacherbenrechte an den Vorerben

OLG Braunschweig – Az.: 3 W 74/20 – Beschluss vom 14.05.2020

Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 15. Januar 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter – Nachlassgericht – vom 18. Dezember 2019 – 6 VI 964/18 – aufgehoben.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Antragstellerin den unter dem 25. Oktober 2018 beantragten Erbschein ohne Nacherbenvermerk zu erteilen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt einen Erbschein ohne Nacherbenvermerk, die Verfahrenspflegerin und das Nachlassgericht halten einen solchen Vermerk für erforderlich.

Der Erblasser hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung und war bis zu seinem Tode mit der Antragstellerin verheiratet, die drei Kinder aus erster Ehe hat.

Mit notariell beurkundetem Erbvertrag vom 21. August 1989 (Bl. 8–11 d. BA 6 IV 326/89) verfügte der Erblasser wie folgt:

Ich setze als meine alleinige Erbin meine Ehefrau … ein.

Sie ist jedoch nur Vorerbin und als solche von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, soweit dies möglich ist.

Als Nacherben bestimme ich meinen Sohn [Name, Geburtsdatum und Anschrift].

Der Nacherbfall tritt ein mit dem Tode der Vorerbin.

Für den Fall, dass meine Ehefrau als Vorerbin die von mir erworbene Wohnung [nähere Bezeichnung] veräußert, so hat sie die Hälfte des Verkaufserlöses nach Abzug der auf dem Grundbesitz liegenden Belastungen an den Sohn [Name] auszuzahlen.

Nach dem Tod des Erblassers übertrug sein nach wie vor kinderloser Sohn mit notarieller Urkunde vom 25. Oktober 2018 (beglaubigte Ablichtung Bl. 15–21 d.A.) seine Nacherbenrechte gegen Zahlung von 10.000,00 € auf die Antragstellerin, wobei beide davon ausgingen, dass dies der Hälfte des Verkehrswertes der Eigentumswohnung entsprach.

Mit weiterer notarieller Urkunde vom 25. Oktober 2018 (Bl. 2–9 d.A.) beantragte die Antragstellerin einen Erbschein ohne Nacherbenvermerk, der sie als Alleinerbin ausweist.

Die – zur Vertretung etwaiger unbekannter Abkömmlinge des Sohnes bestellte – Verfahrenspflegerin und das Nachlassgericht sind im Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 (Bl. 42 f. d.A.) sowie im Schreiben vom 25. November 2019 (Bl. 69 d.A.) – auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird – der Ansicht, der Erbschein könne nur mit Nacherbenvermerk erteilt werden; § 2069 BGB gehe einer Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft gemäß § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB hier vor. Dass der Erblasser die Eigentumswohnung habe in der „engsten Familie“ halten wollen, spreche gegen die generelle Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft. Insoweit seien mögliche Abkömmlinge des Sohnes als mögliche Ersatznacherben in den Erbschein aufzunehmen.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag mit angegriffenem Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 6 VI 964/18 – (Bl. 73 f. d.A.) unter Hinweis auf die obige Ansicht zurückgewiesen.

Gegend diesen – ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 20. Dezember 2019 zugestellten – Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 16. Januar 2020 eingegangenen Beschwerde. Dieser hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 10. Februar 2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 30. März 2020 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter aufzuheben und der Antragstellerin den beantragten Erbschein zu erteilen, und die Beschwerde begründet. Insbesondere hätte der seinerzeit beurkundende Notar einen weiteren Gestaltungswunsch des Erblassers – so es ihn denn gegeben hätte – in die Urkunde aufgenommen; dass Ersatznacherben nicht benannt seien, zeige, dass kein solcher Wunsch bestanden habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 30. März 2020 (Bl. 107–114 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1.  Die Beschwerde ist statthaft und auch ansonsten zulässig; insbesondere ist sie innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt worden.

2.  Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Antragstellerin beantragten Erbscheins ohne Nacherbenvermerk liegen vor. Der Sohn des Erblassers ist Inhaber eines Nacherbenanwartschaftsrechts geworden, das grundsätzlich übertragbar und vererblich ist (a); ein der Übertragung oder Vererbung entgegenstehender Wille des Erblassers ist hier nicht festzustellen (b) und der Sohn der Erblasserin hat das Nacherbenanwartschaftsrecht wirksam auf die Antragstellerin übertragen (c).

a)  Der Sohn des Erblassers ist mit dessen Tod Inhaber eines Nacherbenanwartschaftsrechts geworden, denn der Erblasser hat mit dem Erbvertrag vom 21. August 1989 seine Ehefrau als alleinige befreite Vorerbin und seinen Sohn als Nacherben eingesetzt. Mit dem Tod eines Erblassers erwirbt der in dessen letztwilliger Verfügung bestimmte Nacherbe ein Anwartschaftsrecht (BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 – IX ZR 41/82 –, NJW 1983, S. 2244 [2245 f.] m.w.N.). Ein solches Nacherbenanwartschaftsrecht kann grundsätzlich übertragen und nach § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB vererbt werden (BGH, a.a.O.; Gierl, in: Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht, 5. Auflage 2018, § 2102, Rn. 13). Dabei normiert § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB die Vererblichkeit dieses Anwartschaftsrechts als den Regelfall; das Anwartschaftsrecht soll im Zweifel im Verkehr ein sicheres Vermögensrecht sein und nur durch einen abweichenden Willen des Erblassers in ein unvererbliches Recht umgestaltet werden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – I-3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30; Lang, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2108 BGB, Rn. 5, 8 m.w.N.).

b)  Ein der Vererbung – und hier der Übertragung – des Nacherbenanwartschaftsrecht entgegenstehender Wille des Erblassers ist nicht festzustellen.

Ob ein solcher Wille des Erblassers vorgelegen hat – mithin, ob dieser eine Ersatznacherbschaft angeordnet hat –, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu ermitteln, namentlich durch die erläuternde Auslegung, hilfsweise durch die ergänzende Auslegung (BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963, S. 1150 [1151 Ziff. III.2]; vgl. RG, Beschluss vom 2. November 1933 – IV B 43/33 –, RGZ 142, S. 171 [174]; Lieder, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2102, Rn. 11 m.w.N.). Erst wenn sich nach den allgemeinen Auslegungsregeln kein eindeutiges Ergebnis ergibt, ist auf die nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 2069 BGB zurückzugreifen (OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2013 – I-15 W 107/13 –, juris, Rn. 16; BayObLG, Beschluss vom 30. September 1993 – 1Z BR 9/93 –, NJW-RR 1994, S. 460; Czubayko, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2069 BGB, Rn. 1, 3; Lang, ebenda, § 2108 BGB, Rn. 6).

Nach der erläuternden Auslegung der letztwilligen Verfügung ergibt sich hier nicht, dass der Erblasser einen Ersatznacherben hat einsetzen wollen; die in der Verfügung enthaltene Regelung zum Verkauf der Eigentumswohnung spricht sogar deutlich dagegen (aa); Unklarheiten, die im Wege der ergänzenden Auslegung der letztwilligen Verfügung zu beseitigen sein könnten, verbleiben insoweit nicht (bb); auf die nachrangigen Auslegungen des § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 2069 BGB kommt es demnach nicht an (cc).

aa)  Die (erläuternde) Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Sie soll klären, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. In diesem Zusammenhang verbietet sich gemäß § 133 BGB eine Auslegung, die allein auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abstellt; vielmehr ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, allein sein subjektives Verständnis ist maßgeblich. Auch eine ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutige Willenserklärung bindet bei der Auslegung nicht an diesen Wortlaut, wenn – allerdings nur dann – sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 – IV a ZR 94/81 –, NJW 1983, S. 672 [673] m.w.N.). Bei der Testamentsauslegung geht es aber „nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens (…), sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte“ (BGH, Urteil vom 28. Januar 1987 – IVa ZR 191/85 –, juris, Rn. 17, Hervorhebung im Original; Leipold, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2084, Rn. 8 m.w.N.).

Nach diesem Maßstab ist dem Erbvertrag vom 21. August 1989 die Anordnung einer Ersatznacherbschaft nicht zu entnehmen.

Der Wortlaut enthält keine ausdrückliche Anordnung einer Ersatznacherbschaft; der Erblasser hat lediglich geregelt: „Als Nacherben bestimme ich meinen Sohn …“ An diese Einsetzung des Nacherben schließt sich gerade nicht die zur Einsetzung von Ersatznacherben gebräuchlichen Formulierung „ersatzweise dessen Abkömmlinge“ an, wie sie – augenscheinlich aus Gewohnheit – ins Grundbuch der Eigentumswohnung „übernommen“ worden ist (vgl. die Eintragungen in Abteilung II Nr. 4 bzw. Nr. 2 im Grundbuch, wiedergegeben im notariellen Übertragungsvertrags vom 25. Oktober 2018 [S. 4 f., Bl. 17 f. d.A.]).

Auch aus dem weiteren Regelungszusammenhang ergibt sich keine Einsetzung von Ersatznacherben. Der Erbvertrag enthält keine weiteren Regelungen dazu, welche weiteren Personen in irgendeiner Form Begünstigte sein sollen; er regelt lediglich die Vorerbschaft der Ehefrau und Nacherbschaft des Sohnes. Weitere Personen werden nicht genannt.

Allein der Umstand, dass ein Abkömmling zum Nacherben eingesetzt worden ist, reicht nicht aus, um die Einsetzung von Ersatznacherben anzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – I-3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30).

Während keine Anhaltspunkte im Erbvertrag enthalten sind, die dafür sprechen, dass der Erblasser eine Ersatznacherbeneinsetzung gewollt hat, sind allerdings Anhaltspunkte enthalten, die deutlich dagegen sprechen:

Der Erblasser hat seine Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt und für den Fall der Veräußerung der Eigentumswohnung durch die Vorerbin geregelt, dass sein Sohn die Hälfte des Verkaufserlöses erhalten soll. Er hat also gewollt, dass seine Ehefrau uneingeschränkt über die Wohnung verfügen und diese nutzen, aber eben auch veräußern kann, auch an Personen außerhalb der Familie. Hätte der Erblasser gewollt, dass die Wohnung auf jeden Fall in der Familie bleibt, hätte er seine Ehefrau als nicht befreite Vorerbin einsetzen können – die zwar die Wohnung nutzen, nicht aber hätte veräußern können –, oder er hätte seinem Sohn ein Vorkaufsrecht an der Wohnung einräumen können, so dass seine Ehefrau die Wohnung zwar hätte veräußern können, der Sohn in diesem Falle aber Zugriff auf die Wohnung gehabt hätte. Beides hat der Erblasser nicht getan. Dies deutet stark darauf hin, dass es ihm gerade nicht darum gegangen ist, dass die Wohnung selbst auf jeden Fall in der Familie bleibt.

Daneben hat der Erblasser geregelt, dass sein Sohn im Falle der Veräußerung der Eigentumswohnung nur die Hälfte des Veräußerungserlöses erhält; er hat seiner Ehefrau so die Möglichkeit eröffnet, die andere Hälfte des etwaigen Veräußerungserlöses für sich zu verwenden. Auf diese Weise ist es möglich, dass weder die Wohnung selbst, noch deren ganzer Wert den Nachfahren des Erblassers zukommt. Diese vom Erblasser hingenommenen Möglichkeiten, dass die Wohnung selbst und die Hälfte ihres Wertes schon nicht an seinen Sohn weitergegeben werden, spricht dagegen, einen Willen des Erblassers anzunehmen, nach dem die Wohnung auf jeden Fall an einen etwaigen Abkömmling seines Sohnes weitergegeben werden soll.

Durch die Regelung bezüglich des halben Veräußerungserlöses hat der Erblasser außerdem seinem Sohn eine bereits zu dessen Lebzeiten verwertbare Rechtsstellung eingeräumt; eine solche Rechtsstellung spricht für eine Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts (Lang, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2108 BGB, Rn. 5; Lieder, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2108, Rn. 10), und damit auch für dessen Übertragbarkeit.

Diese Auslegung ändert sich auch nicht, wenn man den Vortrag der Beteiligten zu 1. berücksichtigt, der Erblasser habe die Eigentumswohnung in der „engsten Familie“ halten wollen. Damit ist ersichtlich gemeint, dass seine Ehefrau die Wohnung weiterhin bewohnen können sollte, dass diese aber nach dem Tod der Ehefrau nicht deren Erben – mutmaßlich ihre nicht mit dem Erblasser verwandten Kinder aus erster Ehe –, sondern dem Sohn des Erblassers zufallen sollte. Die Vor- und Nacherbschaft ist das geeignete Mittel, um genau dies in der vorliegenden Konstellation („meine Kinder – deine Kinder“) sicherzustellen (Lieder, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2100, Rn. 5; Kappler/Kappler, in: ZEV 2015, S. 437 [440]). Nach der gesetzlichen Erbfolge hätten die Ehefrau und der Sohn Miteigentum an der Wohnung erlangt und bei testamentarischer Einsetzung der Ehefrau als Vollerbin wäre dem Sohn des Erblassers nur der Pflichtteil geblieben, während die Wohnung oder deren Wert letztlich den Erben der Ehefrau zugefallen wäre. Der Erblasser hat also genau die Regelung gewählt, die es seiner Ehefrau ermöglicht, zu Lebzeiten von der Wohnung zu profitieren, ohne seinen Sohn zu enterben. Ein weitergehender Wunsch des Erblassers dahingehend, dass die Wohnung – quasi als Familienstammsitz – auf jeden Fall dauerhaft in seinem Stamm bleibt, ist dem Erbvertrag und den weiteren Umständen nicht zu entnehmen.

bb)  Vor dem Hintergrund dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses bedarf es nicht des Rückgriffs auf die ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung; im Wege dieser Auslegung ergibt sich aber auch nichts anderes.

Die ergänzende Auslegung dient zwar in erster Linie dazu, Lücken zu schließen, die sich daraus ergeben, dass sich nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung vom Erblasser nicht bedachte Veränderungen ergeben haben. Sie kann aber auch im Falle ursprünglicher planwidriger Unvollkommenheiten greifen, etwa, wenn der Erblasser die Verhältnisse zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung falsch beurteilt hat, aus einem bekannten tatsächlichen Umstand fehlerhafte rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat oder sich über den Inhalt eines Vertrages geirrt hat (BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 1997 – 1Z BR 240/96 –, NJW-RR 1997, S. 1438 [1439, lit. c.bb] m.w.N.; Leipold, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2084, Rn. 90).

Dies ist hier nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser eine Klausel betreffend etwaige Ersatznacherben schlicht vergessen hat, liegen nicht vor.

Gegen ein solches Versehen spricht bereits, dass der Erblasser sein mutmaßliches Regelungsziel auch ohne die Einsetzung von Ersatznacherben erreichen konnte und auch erreicht hat (siehe oben, Abschnitt aa a.E.).

Gegen eine versehentliche Auslassung spricht ferner die Tatsache, dass es sich hier um einen notariell beurkundeten Erbvertrag handelt, was Auslassungen zwar nicht ausschließt, aber doch unwahrscheinlicher macht, als dies etwa bei einem privatschriftlichen Testament eines Laien der Fall wäre.

Dem Erblasser war bei Errichtung des Erbvertrags auch bekannt, dass sein Sohn seinerzeit keine Abkömmlinge hatte; ihm war nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1. auch bekannt, dass sein Sohn nicht plante, überhaupt Vater zu werden. Der Sohn des Erblassers hat auch bis heute keine leiblichen oder angenommenen Abkömmlinge, mit denen der Erblasser bei Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht gerechnet haben könnte und die er – hätte er davon gewusst, es vorhergesehen, geahnt oder zumindest darauf gehofft – als Ersatznacherben hätte einsetzen wollen. Eine Veränderung im Vergleich zur damaligen Situation hat gerade nicht stattgefunden.

cc)  Aufgrund dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses ist für die Anwendung der nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 2069 BGB kein Raum. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich aus diesen gesetzlichen Auslegungsregeln hier auch nichts anderes ergäbe:

§ 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB normiert die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts als den Regelfall und allein der Umstand, dass ein Abkömmling zum Nacherben eingesetzt wird, reicht nicht aus, um einen Ausschluss der Vererblichkeit anzunehmen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963, S. 1150 [1151 Ziff. III.2]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – I-3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30; Lang, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2108 BGB, Rn. 11).

§ 2069 BGB geht dem § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vor (BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963, S. 1150 [1151 Ziff. III.2]).

Doch selbst aus § 2069 BGB ergibt sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier nichts anderes: Wenn ein vom Erblasser als Nacherbe bedachter Abkömmling nach Testamentserrichtung wegfällt, ist gemäß § 2069 BGB zwar im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Dies gilt aber nicht, wenn ein als Nacherbe eingesetzter Abkömmling aus freien Stücken als Erbe wegfällt und dafür etwas erhält, etwa dann, wenn er das Erbe ausschlägt und den Pflichtteil verlangt; in diesem Fall geht der Stamm des Wegfallenden (schon in dessen Person selbst) nicht leer aus. Die Ersatzberufung der weiteren Abkömmlinge gemäß § 2069 BGB bedeutete dann aber, dass der Stamm des Wegfallenden in zweierlei Weise erbrechtlich zum Zuge käme: dem Erstbedachten stünde der Pflichtteil und außerdem seinen Abkömmlingen das vom Erblasser zunächst ihm zugedachte Erbe zu (BGH, Urteil vom 29. Juni 1960 – V ZR 64/59 –, NJW 1960, S. 1899). Dasselbe muss gelten, wenn ein Nacherbe sein Nacherbenanwartschaftsrecht veräußert, denn auch dann erhält sein Stamm (in der Person des Nacherben) etwas und geht nicht leer aus. Auch hier bedeutete die Ersatzberufung der weiteren Abkömmlinge gemäß § 2069 BGB, dass der Stamm des Wegfallenden in zweierlei Weise erbrechtlich zum Zuge käme: dem Erstbedachten stünde der Veräußerungserlös und außerdem seinen Abkömmlingen das vom Erblasser zunächst ihm zugedachte Erbe zu. Damit greift die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB nach dem Maßstab des Bundesgerichtshofs hier gerade nicht.

c)  Der Sohn des Erblassers hat seine Nacherbenrechte mit notariellem Übertragungsvertrags vom 25. Oktober 2018 (beglaubigte Ablichtung Bl. 15–21 d.A.) dinglich auf die Antragstellerin übertragen. Gründe, die der Wirksamkeit dieser Übertragung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund hat das Nachlassgericht den beantragten Erbschein – ohne Nacherbenvermerk (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 22. November 2017 – 2 Wx 219/17 –, ZEV 2018, S. 138 [140 Rn. 24] m.w.N.) – zu erteilen.

III.

Da die Beschwerde der Antragstellerin erfolgreich war, fallen im Beschwerdeverfahren keine Gerichtskosten an, §§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin durch die Beteiligten zu 2. ist nicht geboten; insbesondere liegt kein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG vor.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1, 36 Abs. 1 GNotKG (vgl. Bormann, in: Korintenberg, GNotKG, 21. Auflage 2020, § 36, Rn. 78 m.w.N.). Ziel der Antragstellerin ist es, wie eine Vollerbin über den maßgeblich aus der Eigentumswohnung bestehenden Nachlass verfügen zu können; ausweislich des Übertragungsvertrags vom 25. Oktober 2018 ist ihr diesbezügliches wirtschaftliches Interesse mit 10.000,00 € zu bemessen.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG besteht kein Anlass.

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