Skip to content

Nacherbfolge – Erbeinsetzung im Fall des zeitgleichen Versterbens

Erblasser und gemeinschaftliches Testament: OLG Rostock entscheidet über Erbscheinerteilung

In einem kürzlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Rostock ging es um die Frage, ob die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins für die gesetzlichen Erben des Erblassers gerechtfertigt ist. Der Fall betraf die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments und die Erbfolge nach dem Tod der Erblasserin.

Direkt zum Urteil Az: 3 W 70/20 springen.

Hintergrund des Falls

Die Erblasserin verstarb im März 2019. Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder aus ihrer ersten Ehe. Die Erblasserin und ihr zweiter Ehemann hatten 1994 ein gemeinschaftliches Testament verfasst, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Für den Fall des gleichzeitigen Versterbens wurde die Tochter aus der ersten Ehe des zweiten Ehemanns zur Verfügungsberechtigten eingesetzt.

Beantragung eines gemeinschaftlichen Erbscheins

Die Beteiligte zu 1), ein Kind der Erblasserin aus erster Ehe, beantragte im Juni 2019 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie, ihre Geschwister und die weiteren Beteiligten als gesetzliche Erben zu je 1/3 ausweisen sollte. Die Beteiligte zu 5) widersprach diesem Antrag und argumentierte, dass das Testament der Eheleute auch eine Erbeinsetzung für den zweiten Versterbensfall enthalte.

Entscheidung des Amtsgerichts und Beschwerde

Das Amtsgericht Greifswald wies den Antrag der Beteiligten zu 1) im April 2020 zurück. Daraufhin legte die Beteiligte zu 1) Beschwerde beim OLG Rostock ein.

Urteil des OLG Rostock und Folgen

Das OLG Rostock entschied am 11.01.2022 in Az: 3 W 70/20 zugunsten der Beteiligten zu 1). Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins vorliegen. Die Beteiligten zu 1), 2) und 3) wurden als gesetzliche Erben zu je 1/3 ausgewiesen. Das Gericht sah von der Erhebung von Gerichtskosten ab und entschied, dass keine Erstattung außergerichtlicher Kosten stattfindet.

Das Urteil zeigt, wie wichtig eine präzise Formulierung und Auslegung von Testamenten ist. Es verdeutlicht auch, dass im Streitfall gerichtliche Entscheidungen über die Erbfolge und die Erteilung von Erbscheinen erforderlich sein können.

Haben Sie ein ähnliches Problem und benötigen rechtliche Hilfe? Fordern Sie eine Ersteinschätzung an,


Das vorliegende Urteil


OLG Rostock – Az.: 3 W 70/20 – Beschluss vom 11.01.2022

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Greifswald vom 17.04.2020 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des am 11.06.2019 von der Beteiligten zu 1) beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins vorliegen, der die Beteiligten zu 1), 2) und 3) jeweils als gesetzliche Erben zu 1/3 ausweist.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe

I.

Die Erblasserin verstarb am 30.03.2019. Sie war in erster Ehe mit H. P. verheiratet. Die Ehe wurde mit Urteil vom 09.05.1974 geschieden. Aus der Ehe gingen die Beteiligten zu 1), zu 2) und zu 3) hervor.

In zweiter Ehe war die Erblasserin mit H. A. F. B. verheiratet, der vorverstorben ist. Aus dieser Ehe gingen keine Kinder hervor. Aus der ersten Ehe des Herbert B. gingen die Beteiligten zu 4), 5) sowie A. B. hervor. A. B. ist 2012 verstorben. Er hinterließ die Beteiligten zu 6) und 7).

Die Erblasserin und H. B. errichteten am 16.01.1994 ein gemeinschaftliches Testament. Dieses lautet:

„Wir, die Eheleute

H. B., geb. 19.11.18 und G. B. geb. S. am 04.09.24 setzen uns mit dieser letztwilligen Verfügung gegenseitig als Erben ein mit allem was wir gemeinsam besitzen.

Nacherbfolge - Erbeinsetzung im Fall des zeitgleichen Versterbens
(Symbolfoto: bartusp/123RF.COM)

Im Falle eines gleichzeitigen Ablebens soll die Tochter U. S. geb. B. z. zt. wohnhaft in R., E. W.-str. bevollmächtigt im Namen aller nachstehend angeführten Erben über alle unsere Giro- und Sparkonten zu verfügen und nach Abrechnung aller angefallenen Kosten für die Bestattung das verbleibende Geld gleichmäßig an alle Geschwister aus beiden Vorehen zu verteilen. Zur Verteilung gehört auch das gesamte Haushaltsinventar. Ferner gehört den Verblichenen der Vereinsanteil der Garage Nr. 265 (Mitgliedsnummer 230) im Garagenkomplex in der S. N.-str. Es bleibt den Geschwistern überlassen, die Garage zu behalten für eigene Nutzung oder Vermietung oder Veräußerung. Ein Genossenschaftsanteil für die Wohnung in der R.-str. 23 besteht z.Zt. nicht. Er gehört der Frau M. H. geb. G., R. U. Str.

Wir wünschen nun sehr, daß nach unserem Ableben kein Streit entsteht.

Die Namen der Geschwister:

………..

Unter dem 11.06.2019 hat die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach die Erblasserin von den Beteiligten zu 1) bis 3) zu je 1/3 in gesetzlicher Erbfolge beerbt worden ist.

Die Beteiligte zu 5) ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Es treffe nicht zu, dass das Testament der Eheleute B. vom 16.01.1994 keine Erbeinsetzung für den zweiten Versterbensfall enthalte. Die Eheleute hätten sich zunächst für den ersten Erbfall als Alleinerben eingesetzt. Für den zweiten Erbfall, den die Testierenden als den Fall des gleichzeitigen Ablebens bezeichnet hätten, hätten die testierenden Eheleute ihre Erben ebenfalls bestimmt. Ergänzend wird auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 5) vom 01.10.2019 verwiesen. Mit Beschluss vom 17.04.2020 hat das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf diese Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 1) hat hiergegen unter dem 19.05.2020 Beschwerde eingelegt. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf den Schriftsatz vom 16.06.2020 Bezug genommen.

Das Amtsgericht G. hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22.06.2020 nicht abgeholfen. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und hat in der Sache auch Erfolg.

Den Beteiligten zu 1) bis 3) ist ein Erbschein zu erteilen, der sie als Erben nach der gesetzlichen Erbfolge ausweist. Das gemeinschaftliche Testament enthält keine abweichende Erbeneinsetzung.

Das Testament aus dem Jahr 1994 enthält keine allgemeine Schlusserbeneinsetzung. Vielmehr regelt die letztwillige Verfügung über die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute B. hinaus lediglich eine Erbeinsetzung für den Fall des zeitgleichen Todes beider Eheleute.

1.

Bei der Testamentsauslegung ist vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt“ werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen (vgl. BGH, Beschluss v. 19.06.2019 – IV ZB 30/18 -, zit. n. juris, Rn. 15 m.w.N.).

Nach dem Wortlaut des vorliegenden Testaments gilt die bevorzugte Erbeinsetzung aller Geschwister aus beiden Vorehen für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Wird eine solche Formulierung gewählt, dann spricht dies nach Auffassung des Senats dafür, dass die Erblasser damit nur den Fall des zeitgleichen Versterbens regeln wollten (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.04.2021 – 3 Wx 193/20 -, zit. n. juris, Rn. 13; OLG Frankfurt, Beschluss v. 23.10.2018 – 21 W 38/18 -, zit. n. juris, Rn. 16; OLG München, Beschluss v. 24.10.2013 – 31 Wx 139/13 -, zit. n. juris, Rn. 12 ).

Im Hinblick auf die Frage, ob diese Formulierung auch den hier gegebenen Fall erfasst, dass die Eheleute in größerem zeitlichen Abstand versterben, ist das Testament damit allerdings auslegungsbedürftig (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 12). In der obergerichtlichen Rechtsprechung werden Formulierungen, die auf das gleichzeitige Versterben der Testierenden Bezug nehmen, dabei regelmäßig dahingehend ausgelegt, dass nach dem Willen der Testierenden jedenfalls auch der Fall erfasst wird, dass die Eheleute in kurzem zeitlichen Abstand versterben und der Überlebende zu einer neuerlichen Testamentserrichtung nicht in der Lage ist (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 9; OLG Brandenburg, Beschluss v. 14.05.2019 – 3 W 29/19 -, zit. n. juris, Rn. 15 m.w.N.; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 13). Anders wird dies allerdings dann beurteilt, wenn die Eheleute – wie hier – in größerem zeitlichen Abstand versterben. Auf einen solchen Fall soll eine für den Fall des „gleichzeitigen Versterbens“ getroffene Erbeinsetzung nur dann anzuwenden sein, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden die Regelung dahin verstanden haben, dass diese auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, wobei sich hierfür allerdings eine Grundlage in der Verfügung von Todes wegen selbst finden lassen muss (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.; OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 18; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 13).

Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Im Testament findet sich kein belastbarer Hinweis auf eine allgemeine Schlusserbeneinsetzung.

Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, bezwecken nämlich damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass dieser über das Gesamtvermögen – auch von Todes wegen – frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann nur für den Fall des „gleichzeitigen Todes“, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen – und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten – kommt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, aber eine zusätzliche Regelung für den Fall treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 16). Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten, wenn sie Formulierungen wählen, die auf ein „gleichzeitiges Versterben“ abstellen, die Erbeinsetzung der Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll (vgl. hierzu OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 16; OLG München, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.; Senatsbeschluss v. 09.08.2021, 3 W 77/20).

2.

Mit Blick auf den Erfolg der Beschwerde werden Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Eine Erstattung der den Beteiligten entstandenen außergerichtlichen Kosten findet in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach § 81 FamFG nicht statt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht erfüllt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Erbrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Erbrecht. Vom rechtssicheren Testament über den Pflichtteilsanspruch bis hin zur Erbausschlagung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Erbrecht einfach erklärt

Erbrechtliche Urteile und Beiträge

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!