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Nachlasspflegerhaftung – Ermittlung der Erben

LG Berlin, Az.: 23 O 613/10, Urteil vom 14.09.2011

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.435,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 55 % und der Beklagte 45 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Tatbestand

Nachlasspflegerhaftung – Ermittlung der Erben
Foto: FreedomTumZ/Bigstock

Die Klägerin ist die Tochter des am 20.01.2006 verstorbenen … . Der Erblasser war mit der Mutter der Klägerin in erster Ehe verheiratet. Die Klägerin hat noch einen aus derselben Ehe stammenden Bruder. Kontakt mit dem Erblasser bestand sei langer Zeit nicht mehr.

Der Erblasser war zum Zeitpunkt seines Ablebens nach Scheidung seiner 2. Ehe in Jahr 1978 alleinstehend. Sein Tod wurde vom Ehepaar …, Nachbarn des Erblassers, angezeigt. Der Nachlass wurde zunächst polizeilich gesichert.

Das Amtsgericht Lichtenberg ordnete mit Beschluss vom 27.02.2006 Nachlasspflegschaft an und setzte den Beklagten zum Pfleger ein mit dem Aufgabenkreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Ermittlung der Erben.

Das Ehepaar … erteilte Auskunft über die Namen der Ehefrauen des Erblassers und über das Vorhandensein einer Tochter aus erster Ehe mit dem Geburtsnamen … .

Zum Zwecke der Ermittlung von Erben richtete der Beklagte am 13.06.2006 eine Anfrage an das Landeseinwohnermeldeamt (K 10), welches nur Auskunft zu dem Erblasser erteilte.

Eine weitere Anfrage bei den Standesämtern, welche die Eheschließungen vorgenommen hatten, erfolgte nicht. Vielmehr beauftragte der Beklagte ohne weitere Suche einen Genealogen mit der Erbenermittlung.

Die in der Schweiz ansässige … AG ermittelte die Klägerin und wandte sich mit Schreiben vom 06.11.2008 an diese. Ihr wurde mitgeteilt, dass sie den Namen des Erblassers und die Höhe des Nachlasses nur bei Unterzeichnung der anliegenden Vereinbarung erfahre (K2).

Die Klägerin ihrerseits verwies die Genealogen auf ihren Bruder.

Die Klägerin unterzeichnete die Vereinbarung und wurde danach in Kenntnis gesetzt vom Ableben ihres Vaters. Im Ergebnis erhielt die Klägerin einen Erbanteil unter Abzug einer 25 %-igen Vergütung für die Progenius von 4.870,72 €. Diesen Betrag macht sie gegen den Beklagten im Wege des Schadensersatzes geltend.

Sie fordert ferner Ersatz von überflüssigen Aufwendungen für Zinsen in Höhe von insgesamt 518,97 € zwischen dem 2. Quartal 2007 und Januar 2010 mit der Behauptung, bei rechtzeitiger Ermittlung und Auszahlung des Erbes hätte sie den Überziehungskredit auf ihrem Konto zurückgeführt (Berechnung K 8). Sie meint, bei ordnungsgemäßer Ausführung hätte der Beklagte ohne Einschaltung eines Erbenermittlers die Klägerin und den anderen Miterben schon bis Ende 2006, spätestens Anfang 2007 ermitteln können.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.389,69 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung sowie für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis zur Klagezustellung aus 4.835,00 €.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, es bestehe kein Anspruch der Klägerin, als Erbin ermittelt zu werden.

Die Einschaltung eines Genealogen sei nicht pflichtwidrig gewesen, denn es hätten sich keine Anhaltspunkte für den Aufenthaltsort der Tochter des Erblassers ermitteln lassen. Ein pflichtwidriges Verhalten scheitere schon daran, dass das Nachlassgericht, welches die Aufsicht über die Pflegschaft führe, ihm beanstandungsfreies Handeln bescheinigt habe. Im Übrigen sei der Bruder der Klägerin nirgends verzeichnet gewesen und es sei schon aus diesem Grund eine Erbenermittlung durch den Genealogen sachgerecht gewesen.

Der Beklagte erhebt zudem den Einwand des Mitverschuldens: Die Klägerin habe leicht ermitteln können, dass sich das Schreiben K 1 auf das Ableben ihres Vaters beziehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der bis 02.09.2011 eingegangenen Schriftsätze nebst der diesen beigefügten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist nur teilweise begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Anspruch der Klägerin dem Grunde nach:

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus §§ 1833 Abs. 1 Satz 1, 1915, 1960 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz wegen pflichtwidriger Unterlassung der Erbenermittlung durch den Beklagten.

Der Beklagte war mit der Ermittlung der Erben beauftragt. Er nimmt mit Übertragung der Pflegschaft im beauftragten Wirkungskreis die Stellung eines Vertreters der Erben ein. Zwar besteht kein Anspruch der Erben auf tatsächliche Ermittlung, aber der Pfleger hat ihnen gegenüber die Verpflichtung, alles Zumutbare zu unternehmen, um seinem Aufgabenbereich vollständig nachzukommen. Hierzu gehören bei der Übernahme der Erbenermittlung auch, zunächst alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung der Erben in die Wege zu leiten.

Dieser Verpflichtung ist der Beklagte nicht nachgekommen. Er hat sich mit einer LEA-Anfrage begnügt, ohne sich bei den Standesämtern um nähere Auskünfte zu Einzelheiten bezüglich der Ehen und etwaigen Abkömmlingen aus diesen Ehen des Erblassers zu bemühen. Auf diesem Weg hätte er ohne weiteres durch Anfragen beim Landeseinwohnermeldeamt die Mutter der Klägerin und über diese die Klägerin und ihren Bruder ermitteln können.

Die Pflichtverletzung des Beklagten ist auch schuldhaft, § 276 BGB. Es ist nicht ersichtlich, dass und warum dem Beklagten diese einfachen Behördenanfragen nicht zumutbar gewesen sein sollen. Der Einwand des Beklagten, die Beauftragung des Genealogen sei schon deshalb erforderlich gewesen, um den Bruder der Klägerin zu ermitteln, ist abwegig: Der Bruder wurde eben nicht ermittelt, vielmehr hat die Klägerin von sich aus auf ihren Bruder aufmerksam gemacht.

Der nicht erfolgte Widerspruch des Nachlassgerichts schließt das Verschulden nicht aus, selbst eine Genehmigung hätte diese Wirkung nicht (Palandt, BGB, 70. Aufl., Rdnr. 7 zu § 1833).

2. Anspruch der Höhe nach:

Der Beklagte hat die Klägerin im Wege des Schadensersatzes so zustellen, als hätte er seine Pflichten ordnungsgemäß wahrgenommen, §§ 249 BGB.

a. Kosten des Genealogen:

Die Kosten des Genealogen beruhen trotz der Unterzeichnung der Vereinbarung durch die Klägerin kausal auf der Pflichtverletzung des Beklagten (vgl. zur Kausalität bei Schäden, welche auf einer eigenen Handlung des Geschädigten beruht: Palandt, aaO, Vorb. v. § 249 Rdnr. 41). Hätte dieser seine Aufgaben ordnungsgemäß wahrgenommen, hätte er die Klägerin als Erbin ermittelt und diese hätte keine Vergütungsvereinbarung unterzeichnet.

b. Mitverschulden:

Der Einwand des Mitverschuldens, § 254 Abs. 1 BGB, hat aber zum Teil Erfolg. Die Klägerin hätte ohne weiteres vor Unterzeichnung der Vereinbarung vom 05.11./08.12.2008 die Möglichkeit gehabt, sich nach ihrem Vater zu erkundigen. Da ihre nächsten Verwandten vorrangig als Erblasser in Frage kamen und ihre Mutter noch lebte, lag eine derartige Erkundigung im Eigeninteresse der Klägerin nahe, denn aus dem Schreiben der Genealogen K 1 folgte, dass der Forschung keine testamentarische Erbeinsetzung zugrunde lag.

Allerdings liegt entgegen der Ansicht des Beklagten kein derart erhebliches Mitverschulden vor, dass der Anspruch völlig ausgeschlossen ist. Die Klägerin musste aufgrund des Anschreibens einer Schweizer Firma nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Ableben ihres vormals in Berlin ansässigen Vaters ausgehen.

Es ist vielmehr von einem 50%-igen Mitverschulden auszugehen, so dass sich der klägerische Anspruch auf die Hälfte der Kosten des Genealogen reduziert. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Betrages ist die Klage unbegründet.

3.

Kosten des Überziehungskredits:

Die Klage ist insoweit abzuweisen. Eine Forderung der Klägerin besteht nicht, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Pflichtverletzung des Beklagten die Zinsbelastung der Klägerin kausal (mit)verursacht hat.

Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf erfolgreiche Tätigkeit des Beklagten innerhalb einer bestimmten Zeit. Der Beklagte hätte sich nicht nur an die jeweiligen Ämter wenden, sondern auch sich mit der Mutter der Klägerin in Verbindung setzten müssen. Es steht nicht fest, dass dies binnen 1 Jahres Erfolg gehabt hätte.

II.

Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

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