OLG Braunschweig – Az.: 3 W 37/20 – Beschluss vom 24.04.2020
Die Beschwerde des Nachlasspflegers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Goslar – Nachlassgericht – vom 12.09.2019 – 7 VI 299/19 L – wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die noch unbekannten Erben des Erblassers. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Goslar hat mit Beschluss vom 21.05.2019 – 7 VI 299/19 – Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben des Erblassers angeordnet und den Beteiligte zu 1. zum Nachlasspfleger mit den Wirkungskreisen der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie der Ermittlung der Erben bestellt.
Mit Schreiben vom 02.07.2019 teilte der Nachlasspfleger mit, dass ein wesentlicher Teil des Nachlasses aus einem Depot bestehe. Die Werte dieses Depots unterlägen Kursschwankungen. In Bezug auf einen Depotwert sei in einem an den Erblasser adressierten Schreiben der Braunschweigischen Landessparkasse vom März 2019 der Verkauf angeraten worden. Es handele sich bei dem Depot nicht um eine mündelsichere Anlageform. Der Nachlasspfleger habe zu prüfen, ob eine Umwandlung in eine solche Anlageform zur Vermeidung von Anlagerisiken geboten sei. Aufgrund der Schwankungen des Depots bzw. der Depotwerte könne ein Anlagerisiko nicht verneint werden. Zur Sicherung des Depots sei deshalb der Verkauf des Depots angedacht. Die Erlöse sollten anschließend dem Sparkonto gutgeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund beantragte er gemäß § 1812 BGB die nachlassgerichtliche Genehmigung zur Auflösung des Depots zugunsten des Sparkontos des Erblassers.
Das Nachlassgericht bestellte daraufhin mit Beschluss vom 08.07.2019 Rechtsanwalt K. als Verfahrenspfleger zur Vertretung der unbekannten Erben innerhalb des Genehmigungsverfahrens.
Mit Schreiben vom 16.07.2019 legte der Nachlassverwalter ein vorläufiges Nachlassverzeichnis zum Stichtag 06.02.2019 vor. Aus diesem ergibt sich, dass der Erblasser über Immobilien im Wert von ca. 443.000 €, Giro-, Spar- und Kapitalkontobestände in Höhe von ca. 197.000 € sowie Depotwerte in Höhe von ca. 1.040.000 € verfügte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Nachlassverzeichnisses Bezug genommen (Bl. 29–31 d.A.).
Mit Schreiben vom 06.08.2019 nahm der Verfahrenspfleger zum Antrag des Nachlasspflegers wie folgt Stellung. Der Depotbestand habe sich nicht negativ entwickelt. Der Depotbestand habe sich am 31.12.2018 auf 1.039,429,13 €, am 04.06.2019 auf 1.179.484,68 € und am 30.06.2019 auf 1.204.177,10 € belaufen.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 12.09.2019 entschieden, dass die Genehmigung zur Auflösung des Depots nicht erteilt wird und dies wie folgt begründet: Für den Nachlasspfleger bestehe keine grundsätzliche Verpflichtung, Vermögen, welches nicht mündelsicher sei, umzuwandeln. Die Entwicklung des Depots erscheine dem Nachlassgericht positiv, so dass die Genehmigung zur Auflösung nicht zu erteilen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Nachlasspflegers vom 25.09.2019. Das gesamte Wesen der Nachlasspflegschaft sei darauf angelegt, den Nachlass zu sichern. Dies spiegele sich unter anderem darin wieder, dass Geldvermögen mündelsicher anzulegen sei. Aktien würden nicht der mündelsicheren Anlage unterfallen. Der Nachlasspfleger habe nach pflichtgemäßen Ermessen die Anlageart zu wählen, die für den Erhalt des Mündelvermögens die größte Sicherheit biete. Vorliegend handele es sich um 24 verschiedene Aktienwerte sowie einen Aktienfonds. Diese würden den Schwankungen der Märkte unterliegen. Die Gefahr einer Verschlechterung sei für die unbekannten Erben nicht hinnehmbar. Auf eine konkrete Verschlechterung komme es nicht an; es genüge die abstrakte Gefahr.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 09.10.2019 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der Verfahrenspfleger hat mit Schriftsatz vom 16.04.2020 Stellung genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 63, 64 FamFG). Der Beschwerdeführer ist als bestellter Nachlasspfleger gegen den angegriffenen Beschluss nach § 59 FamFG auch beschwerdeberechtigt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –, NLPrax 2019, 33, juris-Rn. 8).
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Nachlassgericht hat die beantragte Genehmigung zu Recht versagt.
a) Die für eine Verfügung über Wertpapiere durch den Nachlasspfleger gemäß §§ 1812 Abs. 1, 1915 BGB erforderliche Genehmigung des Nachlassgerichts ist zu erteilen, wenn dies dem Interesse der unbekannten Erben entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.01.2013 – XII ZB 334/12 –, NJW-RR 2013, 323 zur betreuungsgerichtlichen Genehmigung, für die aufgrund der Verweisungsnorm des 1908i BGB dieselben Maßstäbe gelten; OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 135/17 –, NLPrax 2019, 30, juris-Rn. 12). Das Gericht hat dabei eine Gesamtabwägung aller Vor- und Nachteile sowie der Risiken des zu prüfenden Geschäfts vorzunehmen; maßgebender Gesichtspunkt ist das Gesamtinteresse, wie es sich zur Zeit der tatrichterlichen Entscheidung darstellt (BGH, a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 04.07.1989 – BReg. 1a Z 7/89 –, FamRZ 1990, 208).
Wie der Regelungszusammenhang der Absätze 1 und 2 des § 1960 BGB zeigt, ist es Kernaufgabe eines Nachlasspflegers mit den im gegebenen Fall angeordneten Wirkungskreisen, die Vermögensinteressen der noch festzustellenden Erben auch dadurch wahrzunehmen, dass er den Nachlass erhält; denn das Nachlassgericht hat im Anwendungsbereich des § 1960 BGB „für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –, NJW-RR 2019, 714). Hieraus folgt, dass die Sicherung des Nachlasses Vorrang hat vor seiner Vermehrung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.12.2019 – 21 W 142/19 –, juris-Rn. 11; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Erhaltung kann, den typischen Interessen unbekannter Erben entsprechend, regelmäßig aber nicht gegenständlich, sondern muss wertbezogen verstanden und beurteilt werden. Dann aber ist der Nachlass nicht nur in seiner Aktualität – dem gegenwärtig tatsächlich vorhandenen Bestand –, sondern auch in seiner Potenzialität, nämlich seinen Wertentwicklungen zu berücksichtigen. Anderenfalls nähme man den festzustellenden Erben diejenigen Chancen, die der Nachlass aufgrund seiner Vermögensstruktur zur Zeit des Erbfalls enthielt und die deshalb unter dem Gesichtspunkt der Potenzialität gleichfalls dessen „Bestandteil“ waren, während es keinen Grund gibt, die Erben von denjenigen Risiken zu entlasten, die sie, bildlich gesprochen, gleichfalls vom Erblasser geerbt haben (so überzeugend: OLG Düsseldorf, a.a.O.).
b) Aus diesen Grundsätzen folgt für Kapitalvermögen, das nicht zur Erfüllung von Verbindlichkeiten benötigt wird, folgende Bewertung:
Es besteht keine generelle Pflicht zur Umschichtung von nicht mündelsicheren Kapitalanlagen (Kammergericht, Beschluss vom 20.05.1968 – 1 W 1274/68 –, NJW 1968, 1836 mit überzeugender Herleitung aus der Entstehungsgeschichte; OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –, NLPrax 2019, 33, juris-Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – 3 Wx 8/19 –, NJW-RR 2019, 714; Lafontaine, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. (Stand: 15.10.2019), § 1806 Rn. 8 mit weiteren Nachweisen). Insoweit dürfen vielmehr der Gesamtbestand und die Gesamtzusammensetzung des Nachlasses nicht unberücksichtigt bleiben. Auch eine risikobehaftete Anlageform muss keineswegs per se abgestoßen werden, wenn das bestehende Risiko im Hinblick auf den Nachlass im Übrigen und bei wirtschaftlicher Betrachtung vertretbar erscheint (OLG Hamm, a.a.O.). Es ist jeweils im Einzelfall und nur unter Würdigung aller Vermögenspositionen zu beantworten, ob im Nachlass nach Kapitalanlagekriterien (der „effektiven Vermögensverwaltung“) ein nicht mehr hinnehmbares Risiko vorhanden ist (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Eine Ausnahme gilt nur für solche Anlageformen, die aus sich heraus mit einer – auf die Mitwirkung des Nachlassgerichts angewiesenen und daher notwendigerweise in gewissem Maße zeitlich unflexiblen – Verwaltung durch einen Nachlasspfleger unvereinbar und deshalb umzuschichten sind: falls nämlich deren Volatilität so hoch ist, dass der Zeitfaktor, faktisch mithin die Möglichkeit sofortigen, mindestens taggleichen Reagierens, geradezu ausschlaggebend für den Anlageerfolg ist, etwa bei Termin- und Optionsgeschäften oder Derivaten (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Investition in Aktien stellt keine solche Anlageform dar. Zwar können auch Aktien – worauf der Nachlasspfleger zu Recht hinweist – kurzfristig erheblichen Kursschwankungen unterliegen. Dies führt aber in aller Regel nicht dazu, dass der Investitionserfolg, wie bei Termin- und Optionsgeschäften, von der Möglichkeit sofortigen Handelns abhängt.
Insbesondere bei beträchtlichen Vermögen entspricht eine auch Aktien umfassende Streuung auf verschiedene Anlagearten vielfach einer ausgewogenen Vermögensverwaltung (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.06.2009 – 33 Wx 124/09 –, NZG 2010, 1230; Fröschle, in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.12.2019, § 1811 Rn. 20; Kroll-Ludwigs, in: MüKoBGB, 8. Auflage 2020, § 1811 Rn. 13; Veit, in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, § 1811 Rn. 23; auch der Bundesgerichtshof hat für das Vermögen eines Mündels oder Betreuten im Rahmen der Entscheidung nach § 1811 BGB eine teilweise Anlage in Aktien nicht für generell ausgeschlossen erachtet: BGH, Urteil vom 03.12.1986 – IV a ZR 90/85 –, NJW 1987, 1070 [1071]). Dies gilt umso mehr, als gerade die anscheinend besonders sicheren Anlagen langfristig ein durch die Inflation drohendes Verlustrisiko enthalten (Fröschle, a.a.O., Rn. 17; Kroll-Ludwigs, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Dem unstreitigen Umstand, dass die Investition in Aktien mit einem vergleichsweise hohen Risiko verbunden ist, kann durch den Nachlasspfleger mit einer angemessenen Diversifizierung des Anlagevermögens Rechnung getragen werden. Überschreitet der Umfang der Investitionen in vergleichsweise risikobehaftete Anlageformen insgesamt das noch hinnehmbare Risiko, führt dies jedoch nicht dazu, dass ein vollständiger Ausstieg aus diesem Investment gerechtfertigt ist; der Anteil der risikobehafteteren Anlageformen ist vielmehr auf ein vertretbares Maß zu reduzieren (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –, NJW-RR 2019, 714).
Die Genehmigung zur vollständigen Auflösung des Aktiendepots des Erblassers war nach alledem nicht zu erteilen.
c) Auch die gegenwärtigen Verwerfungen auf dem Aktienmarkt aufgrund der aktuellen Corona-Krise geben keinen Anlass, die vollständige Auflösung des Depots des Erblassers durch den Nachlasspfleger zu genehmigen. Dies folgt bereits daraus, dass eine hierauf gerichtete Ermessensausübung des Nachlasspflegers nicht vorliegt, da sein Antrag vor Beginn der Krise gestellt wurde. Gegenstand der Prüfung des Nachlassgerichts bzw. des Beschwerdegerichts ist die Frage, ob eine beabsichtigte Umschichtung des Vermögens dem pflichtgemäßen Ermessen als Nachlasspfleger entspricht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –, NJW-RR 2019, 714). Der Nachlasspfleger hat seinen Antrag auf Genehmigung der Auflösung des Depots ausschließlich mit der ungeklärten Rechtsfrage begründet, dass (bzw. ob) Aktiendepots eines Erblassers unabhängig von den Umständen des Einzelfalls schon deshalb aufzulösen seien, weil es sich aufgrund der üblichen Kursschwankungen von Aktien nicht um eine mündelsichere Anlageform handele. Er hat hingegen (noch) keine Entscheidung dazu getroffen, ob – wenn dies nicht der Fall ist – das Aktiendepots aufgrund der konkreten Umstände der gegenwärtigen Situation ganz oder teilweise aufgelöst werden soll. Insoweit hat zunächst der Nachlasspfleger das ihm obliegende Ermessen auszuüben, bevor ggf. das Nachlassgericht auf erneuten Antrag des Nachlasspflegers eine Entscheidung hierüber trifft.
Lediglich vorsorglich weist der Senat hierzu darauf hin, dass auch die aktuellen Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt keinen Anlass geben dürften, das Depot insgesamt aufzulösen und auf diese Weise die entstandenen Buchverluste zu realisieren. Ob bzw. inwieweit es geboten sein könnte, Teile des Depots zu verkaufen oder umzuschichten, dürfte nur – ggf. mit Hilfe fachkundiger Beratung – für jede Aktienposition gesondert entschieden werden können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG.
Es entspricht im vorliegenden Fall billigem Ermessen im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die Gerichtskosten den unbekannten Erben aufzuerlegen. Das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung hinsichtlich der vom Gesetzgeber typischerweise als besonders bedeutend bzw. besonders gefahrenträchtig eingestuften Rechtshandlungen des Nachlasspflegers besteht in erster Linie im Interesse der unbekannten Erben. Jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – der vom Nachlasspfleger bei Wahrnehmung dieses Interesses eingenommene Standpunkt sachlich gut vertretbar ist, widerspräche es billigem Ermessen, ihn mit den Gerichtskosten zu belasten, wenn er sich mit dieser Position im Ergebnis nicht durchzusetzen vermag (OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –, NLPrax 2019, 33, juris-Rn. 14).
Für eine Verpflichtung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens besteht keine Veranlassung.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG. Das mit dem Rechtsmittel verfolgte Interesse des Nachlasspflegers am Vollzug der Auflösung des Depots lässt sich wirtschaftlich nicht tragfähig schätzen. Der Wert des Depots bietet hierfür keine geeignete Grundlage. Nach der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung steht nicht der Vermögenswert des Depots selbst im Streit, sondern (nur) die Frage, mit welcher Chancen- und Risikostruktur dieser Wert angelegt werden soll. In Ermangelung geeigneter Anhaltspunkte für die Schätzung des Wertes dieser Frage ist auf den Auffangwert des § 36 Abs. 3 GNotKG zurückzugreifen.
Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht tragend auf den Umständen des Einzelfalls.