Erbfolge nach Tod des längerlebenden Ehegatten: Notarieller Erbvertrag entscheidet
Bei der Gestaltung von Erbverträgen und Testamenten steht oft die Frage im Raum, wie der wirkliche Wille des Erblassers am besten festgestellt und umgesetzt werden kann. Besonders dann, wenn es um die Erbfolge nach dem Tod des Längerlebenden in einem Eheverhältnis geht, können komplexe rechtliche Herausforderungen entstehen. Ein zentraler Aspekt in solchen Fällen ist die korrekte Auslegung der testamentarischen Bestimmungen, um den wahren Willen des Erblassers zu ermitteln. Hierbei spielen sowohl die präzise Formulierung im Erbvertrag als auch die juristische Interpretation dieser Formulierungen eine entscheidende Rolle.
Eine typische Problemstellung in diesem Zusammenhang ist die Bewertung der Bedeutung von Begriffen wie „Ersatzerbe“ oder „Schlusserbe“ und die Frage, inwieweit die Auslegung von Testamenten und Erbverträgen durch Nachlassgerichte die ursprünglichen Intentionen der Erblasser widerspiegeln kann. Dies berührt grundlegende Fragen der Erbfolge und des Erbscheins sowie die rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten bei der Auslegung von testamentarischen Dokumenten. Der Umgang mit Regelungslücken und die Relevanz der Entscheidungen von Nachlassgerichten sind ebenfalls wichtige Aspekte, die bei der Ermittlung des wahren Erblasserwillens Beachtung finden müssen.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Oberlandesgericht München bestätigte, dass die Auslegung eines notariellen Erbvertrags zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens führen kann, insbesondere wenn es um die Erbfolge nach dem Tod des Längerlebenden eines Ehepaares geht.
Zentrale Punkte aus dem Urteil:
- Zurückweisung der Beschwerde: Das Gericht wies die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den vorherigen Beschluss zurück, bestätigend, dass die Beteiligte zu 1 die alleinige Erbin ist.
- Kostentragung: Der Beschwerdeführer wurde verpflichtet, die gerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 zu tragen.
- Festsetzung des Geschäftswertes: Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren blieb vorbehalten.
- Kern des Erbvertrags: Der notarielle Erbvertrag von 2015 setzte die Beteiligte zu 1 als Ersatzerbin für den Erstversterbenden ein.
- Auslegungsfrage: Das Gericht stellte fest, dass die Ersatzerbeneinsetzung auch die Erbfolge nach dem Tod des längerlebenden Ehegatten abdeckt.
- Juristische Interpretation: Das Gericht bestätigte die korrekte Verwendung juristischer Begriffe im Erbvertrag, unterstreicht die Bedeutung von Testamentsauslegung.
- Keine Zweifel am Erbvertrag: Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erbvertrag untechnisch verwendet wurde oder lückenhaft sei.
- Ökonomische Überlegungen: Der Senat erkannte in den von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Begleitumständen keine Relevanz für die Auslegung der Verfügung.
Übersicht
Streitpunkt Notarieller Erbvertrag: Die Komplexität der Erbfolge
Das Oberlandesgericht München hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, der die Komplexität des Erbrechts deutlich macht. Im Zentrum des Rechtsstreits stand ein notarieller Erbvertrag, der von einem Ehepaar im Jahr 2015 erstellt wurde. Die Besonderheit dieses Falles lag in der Interpretation des Willens der Erblasser, speziell im Hinblick auf die Regelungen nach dem Tod des längerlebenden Ehepartners.
Der Kern des Konflikts: Ermittlung des wahren Erblasserwillens
Der Ausgangspunkt der juristischen Auseinandersetzung war der Tod der Erblasserin im August 2021, deren Ehemann bereits im April 2020 verstorben war. Die strittige Frage bezog sich auf die Auslegung des notariellen Erbvertrages, insbesondere auf die Regelung der Erbfolge nach dem Tod des zuletzt verstorbenen Ehegatten. Der Beschwerdeführer, ein Kind der Erblasser, argumentierte, dass der Erbvertrag keine klare Regelung für den Tod des längerlebenden Ehegatten enthielt und somit die gesetzliche Erbfolge greifen müsse.
Das Urteil des OLG München: Testamentsauslegung und Erbfolge
Das OLG München wies die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück und bestätigte die Alleinerbenschaft der Beteiligten zu 1, einer weiteren Tochter der Erblasser. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Auslegung des Erbvertrags. Es wurde festgestellt, dass die Beteiligte zu 1 als Ersatzerbin für den Erstversterbenden eingesetzt wurde und diese Regelung auch für den Tod des zweitversterbenden Ehegatten galt. Die Verwendung des Begriffs „Ersatzerbe“ statt „Schlusserbe“ wurde vom Gericht als korrekt und dem Gesetz entsprechend angesehen.
Relevanz und Auswirkungen des Urteils im Erbrecht
Dieser Fall beleuchtet die Bedeutung einer präzisen Formulierung in notariellen Erbverträgen und die Rolle der Gerichte bei der Ermittlung des wahren Erblasserwillens. Es zeigt, wie entscheidend die Auslegung juristischer Begriffe für die Erbfolge sein kann. Das Urteil des OLG München unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Testamentsgestaltung, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Darüber hinaus betont es die wichtige Funktion des Nachlassgerichts in der Klärung von Unklarheiten und der Durchsetzung des tatsächlichen Willens der Erblasser.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was ist ein notarieller Erbvertrag?
Ein notarieller Erbvertrag ist eine rechtliche Vereinbarung, die in Deutschland neben dem Testament eine Möglichkeit bietet, Regelungen über den Verbleib des eigenen oder gemeinschaftlichen Vermögens nach dem Tod zu treffen und von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. Der wesentliche Unterschied zum Testament besteht darin, dass der Erblasser sich beim Erbvertrag gegenüber seinem Vertragspartner bindet.
Der Erbvertrag muss durch den Erblasser höchstpersönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Vertragspartner vor einem Notar geschlossen werden (§ 2276 BGB). Ein Vertragspartner, der keine Verfügungen von Todes wegen trifft, kann sich aber von einem Dritten vertreten lassen. Der Erbvertrag setzt neben der Testierfähigkeit wegen der Existenz eines Vertragspartners gemäß § 2275 Abs. 1 BGB auch unbeschränkte Geschäftsfähigkeit voraus.
Der Erbvertrag kann nicht nur einseitig abgeschlossen werden, es können auch beide (oder gar mehrere) Vertragspartner im Erbvertrag letztwillige Verfügungen (vertragsmäßig und einseitig) treffen. Besonders häufig ist dies bei einem Erbvertrag zwischen Ehegatten der Fall, wenn diese sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen.
Die vertraglichen Verfügungen können nach § 1941 I BGB nur eine Erbeinsetzung, ein Vermächtnis oder eine Auflage sein. Mindestens eine vertragliche Verfügung muss der Erbvertrag enthalten, ansonsten ist er kein Erbvertrag.
Eine Loslösung von einem Erbvertrag ist nach §§ 2290 ff. BGB möglich. Nach § 2290 I 1 BGB kann der Erbvertrag sowie eine einzelne vertragsmäßige Verfügung durch Vertrag von den Personen aufgehoben werden, die ihn geschlossen haben. Der Aufhebungsvertrag muss dann notariell beurkundet werden (§§ 2290 IV, 2276 I BGB).
Die Kosten für einen Erbvertrag sind abhängig vom Geschäftswert des Erbvertrages, das heißt, vom Reinvermögen des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbvertragsschlusses.
Das vorliegende Urteil
OLG München – Az.: 33 Wx 164/23 e – Beschluss vom 27.09.2023
1. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck – Nachlassgericht – vom 28.03.2023, Az. 1 VI 1868/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
3. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.
Gründe
I.
Die Beteiligten sind die Kinder der am 10.08.2021 verstorbenen Erblasserin. Der Ehemann der Erblasserin ist am 28.04.2020 vorverstorben. Die Ehegatten hatten am 30.12.2015 einen notariellen Erbvertrag errichtet, in dem es in Ziffer II. 2. auszugsweise wie folgt heißt:
„a)
Erbfolge nach dem Erstversterbenden
Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Vollerben ein, sodass der gesamte Nachlass des Erstversterbenden von uns dem Längerlebenden allein zufällt.
b)
Ersatzerbenberufung
Für den Fall, dass der jeweils andere von uns nicht Erbe sein kann oder will, setzt jeder von uns unsere Tochter … [= Beteiligte zu 1] zu seinem alleinigen und ausschließlichen Ersatzerben ein.
…
e)
Änderungsbefugnis
Dem Längerlebenden von uns bleibt ausdrücklich das Recht vorbehalten, nach dem Tod des Erstversterbenden von uns anderweitig von Todes wegen zu verfügen …, immer jedoch nur im Kreise unserer gemeinsamen Kinder und deren Abkömmlinge. …“
Auf der Grundlage dieses Erbvertrages beantragte die Beteiligte zu 1 am xx.xx.2022 bzw. am xx.xx.2022 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist.
Der Beschwerdeführer beantragte ebenfalls am xx.xx.2022 einen Erbschein, der die Beteiligte zu 1 und ihn als Erben zu je ½ aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweist. Er ist der Ansicht, der notarielle Erbvertrag vom 30.12.2015 enthalte keine Regelung für den hier in Rede stehenden Tod des überlebenden Ehegatten.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 28.03.2023 den Erbscheinsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen und die Erteilung eines Alleinerbscheins zugunsten der Beteiligten zu 1 angekündigt.
Dagegen wendet sich die Beschwerde vom 28.04.2023, in der der Beschwerdeführer seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16.06.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, dass die Beteiligte zu 1 die Erblasserin allein beerbt hat.
1. Maßgeblich für die Erbfolge ist der notarielle Erbvertrag vom 30.12.2015, in dem die Beteiligte zu 1 als Ersatzerbin für den Erstversterbenden eingesetzt wurde. Der (Ersatz-)erbfall ist eingetreten, weil der zunächst berufene Ehemann der Erblasserin nicht Erbe sein kann, da er bereits vorverstorben ist.
2. Soweit der Beschwerdeführer dagegen einwendet, aus dem Erbvertrag ergebe sich nicht, dass mit der Ersatzerbeneinsetzung gleichzeitig auch die Erbfolge nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten geregelt werden sollte, da sich „die Regelung eines Schlusserben ausdrücklich und zweifelsfrei nicht [findet]“, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg.
a) Zwar wären grundsätzlich auch notarielle Urkunden zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens der Auslegung zugänglich (BGH, Urteil vom 06.12.1989, IVa ZR 59/88, NJW-RR 1990, 391; Senat, 33 U 6666/21, ZEV 2022, 659), obwohl wegen der Beratungs- und Belehrungspflicht des Notars aus § 17 BeurkG bei der Verwendung juristischer Begriffe in notariellen Testamenten eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass objektiver Erklärungsinhalt und Erblasserwille übereinstimmen. Es bedarf aber konkreter Anhaltspunkte, um die Vermutung der Richtigkeit zu entkräften.
b) Vorliegend hat der Senat allerdings keine Zweifel, dass die verwendeten juristischen Begriffe zutreffend verwendet worden sind und sich das vom Nachlassgericht gefundene Ergebnis zwangsläufig aus diesen ergibt.
aa) Der Beschwerdeführer hält den notariellen Erbvertrag deswegen für auslegungsbedürftig und lückenhaft, weil dieser den im juristischen Sprachgebrauch gebräuchlichen Begriff des „Schlusserben“ nicht verwendet und deswegen fraglich sei, ob auch der zweite Erbfall geregelt wurde. Ohne eine solche Regelung komme gesetzliche Erbfolge zur Anwendung.
bb) Diese Einwände verhelfen der Beschwerde schon deswegen nicht zum Erfolg, weil das Gesetz den Begriff des Schlusserben selbst nicht kennt, so dass aus diesem Umstand keine Schlüsse zugunsten des Beschwerdeführers gezogen werden können. Zwar trifft es zu, dass im Falle der Vollerbschaft, d. h. wenn im ersten Erbfall der überlebende Ehegatte nicht lediglich Vorerbe im Sinne der §§ 2100 ff. BGB wird, derjenige, der nach dem Tod des Letztversterbenden bedacht ist, oft als Schlusserbe bezeichnet wird. Gleichwohl wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verwendung eines Begriffes, den das Gesetz nicht kennt, in notariellen Urkunden problematisch ist und die Bezeichnung als Ersatzerbe deswegen vorzugswürdig sei (Britz, RNotZ 2001, 389).
Tatsächlich aber führt der Tod des ersten Ehegatten dazu, dass dieser im zweiten Erbfall nicht (mehr) Erbe sein kann, so dass seine Erbeinsetzung durch den überlebenden Ehegatten ins Leere geht. Eine dadurch mögliche Regelungslücke wird vermieden, wenn ein Ersatzerbe benannt ist, denn dieser tritt an die Stelle desjenigen, der nicht Erbe sein will oder – wie im vorliegenden Fall – nicht sein kann.
cc) Da zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der beurkundende Notar den Begriff des Ersatzerben untechnisch verwendet hat und § 2096 BGB gerade den Fall erfasst, dass „ein Erbe vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt“, hat es bei dem vom Nachlassgericht gefundenen Ergebnis sein Bewenden. Soweit der Beschwerdeführer wiederholt vorträgt, Schlusserbe und Ersatzerbe seien unterschiedliche Rechtsinstitute, kann das vor diesem Hintergrund der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
dd) Schließlich spricht die ausdrücklich vereinbarte Abänderungsbefugnis im Erbvertrag dafür, dass die Ehegatten den zweiten Erbfall ebenfalls geregelt haben, denn wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden anderweitig verfügen darf, macht dies nur Sinn, wenn für den zweiten Erbfall bereits eine Regelung getroffen worden ist.
ee) Soweit sich der Beschwerdeführer schließlich auf Begleitumstände beruft, die gegen seine Enterbung sprächen, erkennt der Senat in diesen keine Relevanz für die Auslegung der vorliegenden Verfügung. Dass die Beteiligte zu 1 bereits vor dem Erbfall am Vermögen ihrer Eltern partizipiert hat (wie der Beschwerdeführer im Übrigen auch), ist kein Indiz für eine Auslegung in die eine oder andere Richtung, selbst wenn es zutreffend sein sollte, dass die Beteiligte zu 1 zu Lebzeiten der Eltern bereits mehr erhalten hatte als der Beschwerdeführer. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beteiligte zu 1 mit einem Vermächtnis zugunsten ihres Sohnes beschwert ist, das sowohl den noch vorhandenen Grundbesitz als auch das gesamte im Nachlass vorhandene Geldvermögen umfasst. Wirtschaftlich ist mithin in erster Linie der Enkel der Erblasser bedacht, nicht die Beteiligte zu 1 als deren Tochter.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach trägt der Beschwerdeführer die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beteiligten zu 1 erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Das Nachlassgericht hat den Wert des Nachlasses (§ 40 GNotKG) noch nicht ermittelt. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren blieb daher vorbehalten. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Hälfte des reinen Nachlasswertes festzusetzen sein.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.