AG Hamburg-Blankenese, Az.: 531 C 177/16, Teilurteil vom 12.04.2017
1. Die Beklagte wird verurteilt,
1. Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 21.4.2014 verstorbenen Erblasserin M zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen ergänzenden Verzeichnisses, das im Einzelnen umfasst:
a) Schenkungen (einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen sowie ehebezogener Zuwendungen),
- die die Erblasserin in ihren letzten 10 Lebensjahren getätigt hat
- die die Erblasserin an ihren Ehegatten während der Ehezeit getätigt hat
- die die Erblasserin zu ihren Lebzeiten unter Vorbehalt des Nießbrauchs- oder Wohnrechts oder sonstigen Nutzungs- oder Rückforderungsvorbehalt getätigt hat
b) Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall, insbesondere Lebensversicherungen, Unfallversicherungen und Bausparverträge,
c) unter Abkömmlingen ausgleichspflichtigen Zuwendungen gemäß §§ 2050 ff BGB, die der Erblasser zu Lebzeiten an seine Abkömmlinge getätigt hat.
Im Übrigen wird der Antrag 1 abgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,– Euro vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin, Tochter der Erblasserin und Schwester der Beklagten, macht einen ergänzenden Auskunftsanspruch (siehe Urteilstenor) gegenüber der Beklagten geltend.
Die Erblasserin/Mutter hatte durch Testament vom 20.4.1972 (Anlage B 1, Bl. 69 d.A.) gemeinsam mit ihrem Ehemann verfügt:
„Wer beim Tod des erstverstobenen Elternteils seinen Pflichtteil verlangt, erhält beim Tod des anderen Elternteils ebenfalls nur einen Pflichtteil.“
Im Ausgangstestament vom 20.4.1972 (Anlage K 1, Bl. 8 d.A.) hatten sich die Eheleute H und M gegenseitig zu Erben eingesetzt, sowie die beiden Prozessparteien/Töchter als Schlusserben.
Der Vater der Parteien verstarb am 21.1.2007.
Anschließend verfasste die Klägerin ein mehrseitiges Schreiben an ihre Mutter (Bl. 140 ff d.A.), das eine Vielzahl von Vorwürfen enthielt.
Dieser Brief wurde ein weiteres Mal der Erblasserin/Mutter übermittelt.
Die Erblasserin/Mutter der Parteien übertrug mit Notarvertrag vom 19.2.2007 das vom Ehemann geerbte Reihenhaus auf die Beklagte.
Nachdem die Klägerin ihr Pflichtteilsrecht nach dem Tod des Vaters ausgeübt hatte, einigten sich die Erblasserin/Mutter und die Klägerin auf einen Pflichtteilsbetrag von 70.000,– Euro, ausgehend von einer Pflichtteilsquote in Höhe von seinerzeit 1/8. Die Auszahlung erfolgte im Jahr 2009 (vgl. Anlage B 5, Bl. 80 d.A.).
Die Beklagte überwies nach dem Tod der gemeinsamen Mutter insgesamt Euro 127.834,59 auf das nunmehr ein Viertel betragende Pflichtteil der Klägerin.
Am 6.8.2008 errichtete die Notarin Dr. D das als Anlage B 4 vorgelegte Nachlassverzeichnis nach dem Tod des Erstversterbenden.
Die Beklagte ließ nach dem Tod der gemeinsamen Mutter/Zweitversterbenden notarielle Nachlassverzeichnisse errichten. Insoweit wird auf die Notariatsurkunden vom 16.6.2015 Notar Dr. K (Anlage K 3, Bl. 12 ff d.A.) sowie vom 20.8.2015, Notar Dr. K, Anlage K 4, Bl. 17 ff d.A. verwiesen.
Die Klägerin behauptet, der Notar Dr. K habe auf jegliche eigene Ermittlungstätigkeit verzichtet, sein Ermessen falsch ausgeübt, und lediglich die Angaben der Beklagten als Alleinerbin wiedergegeben.
Die Klägerin mutmaßt, dass nicht genannte Schenkungen in einer Höhe von mindestens 50.000,– Euro erfolgt sein sollen. Insbesondere sei der Verbleib eines Depots bei der D. Bank nach dem Tod des Vaters weiterhin ungeklärt.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen
1. Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 21.4.2014 verstorbenen Erblasserin M zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen ergänzenden Verzeichnisses, das im Einzelnen umfasst:
a. alle Schenkungen (einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen sowie ehebezogener Zuwendungen), die die Erblasserin in ihren letzten 10 Lebensjahren getätigt hat, die die Erblasserin an ihren Ehegatten während der Ehezeit getätigt hat, die die Erblasserin zu ihren Lebzeiten unter Vorbehalt des Nießbrauchs- oder Wohnrechts oder sonstigen Nutzungs- oder Rückforderungsvorbehalt getätigt hat
b. alle Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall, insbesondere Lebensversicherungen, Unfallversicherungen und Bausparverträge
c. alle unter Abkömmlingen ausgleichspflichtigen Zuwendungen gemäß §§ 2050 ff BGB, die der Erblasser zu Lebzeiten an seine Abkömmlinge getätigt hat.
2. für den Fall, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt errichtet worden sein sollte, zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen den Bestand des Nachlasses so vollständig angegeben hat, als sie dazu im Stande ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte sieht in dem Schreiben der Klägerin an die gemeinsame Mutter vom 2.2.2007 einen Sachverhalt, der die Annahme der Erbunwürdigkeit der pflichtteilsberechtigten Klägerin begründen soll (vgl. insbesondere Anlage B 6, Bl. 81 d.A.).
Mit den Vorwürfen etc. im Brief habe die Klägerin sich als erbunwürdig erwiesen.
Selbst wenn der Klägerin ein Pflichtteilsanspruch zustünde, seien die Rechte der Klägerin auf Auskunft durch Erfüllung erloschen.
Der beurkundende Notar sei selbständig und ermittelnd tätig geworden. Er habe bei Banken und Grundbuchämtern Nachfrage gehalten, Unterlagen gesichtet und Kontakt zu den Parteien gehabt.
Im Übrigen sei es völlig normal, dass die gemeinsame Mutter der Parteien ursprüngliche Konten des Ehepartners aufgelöst und sämtliche Konten künftig nur noch bei der H-Bank geführt habe.
Bereits vor seinem Tod habe der gemeinsame Vater Wertpapiere im Wert von Euro 258.801,86 an die Beklagte schenkweise übertragen. Dies sei bereits bei dem Pflichtteilsbetrag nach dem Tod des Erstversterbenden berücksichtigt worden.
Auch die Einkünfte der Zweitversterbenden ließen keinen Rückschluss darauf zu, dass mehr Vermögen als deklariert vorhanden sein müsse.
Hinsichtlich der Erfüllungswirkung verweist die Beklagte darauf, dass der Notar auf Seite 2 der Anlage K 4 (Bl. 18 a d.A.) erklärt habe:
„Aufgrund der mir erteilten Auskünfte und der von mir geprüften Unterlagen und angestellten Ermittlungen, stelle ich folgenden Nachlass fest …“
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie die Erörterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auf der ersten Stufe entscheidungsreif und insoweit überwiegend begründet (§§ 301, 254 ZPO).
Der Klägerin steht ein Ergänzungsanspruch aus § 2314 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB in tenoriertem Umfang gegenüber der Beklagten zu.
1. Die Klägerin ist nicht als erbunwürdig im Sinne des § 2339 Abs.1 Ziffer 1, 2. Alternative BGB anzusehen.
Das Schreiben der Klägerin vom 2.2.2007 (Bl. 140 ff. d.A.) iVm den Rahmenumständen und der doppelten Übersendung an die gemeinsame Mutter/Letztversterbende enthält zwar eine Vielzahl von Vorwürfen im zwischenmenschlichen Bereich. Das Schreiben kann allerdings auch vor diesem Hintergrund und dem Zeitpunkt seiner Errichtung nicht als vorsätzlich widerrechtlicher Tötungsversuch gegenüber der Empfängerin/gemeinsamen Mutter angesehen werden.
Die zwischenmenschlichen Vorwürfe eingebettet in einen handschriftlichen Brief mit üblicher Anrede und perspektivischem Schlussabsatz kann noch als Schreiben eingestuft werden, in dem sich die Klägerin ihren Frust von der Seele schrieb und eigene Interessen berechtigterweise wahrnahm. Dies gilt, obwohl der Zeitpunkt des Schreibens und das doppelte Übersenden mit Sicherheit eine Zumutung für die gemeinsame, gerade verwitwete Mutter war.
Gemäß § 2339 Abs.1 Nr.1, 2. Alternative BGB reicht nicht einmal eine vorsätzliche schwere Körperverletzung aus, um von einer Erbunwürdigkeit auszugehen.
Auch vor dem Hintergrund einer schweren Herzerkrankung und notfallmäßigen Krankenhauseinweisung der gemeinsamen Mutter, sowie der von der Letzteren selbst geäußerten Vermutung, dass die Klägerin sie „umbringen wolle“ kann nicht auf einen bedingten Tötungsvorsatz geschlossen werden. Selbst wenn die Klägerin die Krankheit der gemeinsamen Mutter verursacht oder verschlimmert haben sollte, läge dies immer noch unterhalb der Schwelle für einen Erbunwürdigkeitsgrund.
Die Auffassungen des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 29.3.2017 werden insoweit nicht geteilt.
Im Übrigen ist anerkannt, dass die Erbunwürdigkeitsgründe weder eine extensive Auslegung noch eine Analogiefähigkeit rechtfertigen.
Der gemeinsame Normzweck der Nummern 1 bis 4 in § 2339 Abs.1 BGB erlaubt es nicht, neue Erbunwürdigkeitsgründe zu schaffen. Jedenfalls ist eine Analogie bei Ausnahmebestimmungen immer der seltene Ausnahmefall.
Außerdem hat die Beklagte die Erbunwürdigkeit vorprozessual niemals geltend gemacht, sondern im Gegenteil eine sechsstellige Summe auf die geltend gemachte Pflichtteilsforderung der Klägerin bezahlt.
2. Die Klägerin hat auch einen ergänzenden Auskunftsanspruch.
Die geltend gemachte Ergänzung der bisherigen notariellen Nachlassverzeichnisse stellt sich als „Minus“ gegenüber der Kompletterrichtung eines neuen Nachlassverzeichnisses dar und ist als solche möglich. Insoweit ist der Auskunftsanspruch insbesondere nicht durch Erfüllung erloschen.
Immer dann wenn der Auskunftsanspruch noch nicht vollständig erfüllt ist, besteht er in restlichem Umfang, d. h. in entsprechender gegenständlicher Beschränkung fort.
Der Auskunftsanspruch der Klägerin umfasst auch nicht nur die beim Erbfall tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände, sondern bezieht sich auch auf die ausgleichspflichtigen Zuwendungen der gemeinsamen Mutter, sowie Schenkungen innerhalb der letzten 10 Lebensjahre. Die Klägerin kann auch verlangen, dass gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB das Verzeichnis wiederum durch einen Notar aufgenommen wird.
Die gegenständliche Unvollständigkeit der bisherigen Nachlassverzeichnisse ergibt sich im Übrigen aus dem Schreiben des beurkundenden Notars vom 27.8.2015 (Anlage K 16, Bl. 116 d.A.).
Dort heißt es eindeutig:
„Dementsprechend ist meine Aussage (Seite 2 des Nachlassverzeichnisses), dass ich nicht ermitteln konnte, wohin die ehemaligen Sparguthaben gelangt sind, zutreffend. Einen Anlass, diese Aussage zu revidieren oder zu ändern sehe ich nicht. Zumal ich aus den von mir und von Ihnen vorgelegten Unterlagen nicht die vollständigen Kontobewegungen der letzten zehn Jahre vor dem Tod entnehmen konnte.“
Ergänzend wird auf Seite 2 der notariellen Urkunde vom 20.8.2015 (Anlage K 4, Bl. 17/18 a) verwiesen. Aufgrund der fehlenden Kostenübernahme steht eindeutig fest, dass über den Verbleib der ehemaligen D. Bank-, später C. Bank-Konten der Notar keine Auskünfte von der Bank erhalten konnte. Es war ihm auch nicht möglich, stichprobenweise nach pflichtteilsrelevanten Schenkungen zu forschen bzw. insoweit zu ermitteln.
Die Klägerin muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass grundsätzlich bei unvollständigem, oder unrichtigem Nachlassverzeichnis statt einer Ergänzung nur eine Versicherung an Eides Statt durch die Beklagte unter den Voraussetzungen des §§ 260 Abs.2 BGB verlangt werden könne.
Im vorliegenden Fall liegt die Konstellation vielmehr so, dass erkennbar keine positiven oder negativen Angaben über fiktive Nachlasswerte oder Schenkungen gemacht wurden vom Notar (vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1992, 777).
Trotzdem kann die Klägerin nicht die Aufnahme aller Schenkungen pp. verlangen; es geht hier nur um die mit vertretbarem Aufwand ggf. stichprobenweise zu ermittelnden klägerseits vermuteten pflichtteilsrelevanten Schenkungen etc.
Die fiktiven Nachlassaktiva und Nachlassverbindlichkeiten muss die Beklagte schon vor dem Hintergrund eines möglichen Pflichtteilsergänzungsanspruchs gemäß § 2325 BGB gegenüber der Klägerin angeben.
Für einen umfassenderen – wenn auch nicht absolut vollständigen – Inhalt, gerade des notariellen Nachlassverzeichnisses, – das hier bewusst und vom Notar ungewollt lückenhaft ist – spricht schon der Normzweck des §§ 2314 BGB.
Es macht wenig Sinn, die Klägerin auf die eidesstattliche Versicherung zu verweisen, wenn das notarielle Nachlassverzeichnis hinsichtlich der fiktiven Nachlassaktiva ausdrücklich unvollständig ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich entsprechende von der Klägerin gemutmaßte Schenkungen erfolgt sind, sondern ob der Notar bei entsprechend honorierten Ermittlungen bei einer nach seinem Ermessen auszurichtenden Intensität zum Ergebnis kommt, dass die Ansicht der Beklagten zutrifft, es habe keine pflichtteilsbeeinträchtigenden Verfügungen, insbesondere Schenkungen, gegeben.
Da der Auskunftsanspruch der Klägerin auch die Vorlage von Belegen beinhaltet, kommt es nicht auf die bereits existenten, nicht zur Akte gereichten Belege an, sondern auf diejenigen, die der Notar bei der kontoführenden Bank (D., später C. Bank) anfordern wollte und aus Kostengründen, da die Beklagte diese Kosten nicht aus dem Nachlass bestreiten wollte, nicht durchführen konnte.
Wenn schon nicht einmal der das Nachlassverzeichnis aufnehmende Notar dieses als ausreichend ansah, sondern auf seine gesetzlichen Verpflichtungen zur Nachforschung und zur Ermittlung hinwies, kann die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht damit gehört werden, dass sie durch fehlende Vorschusszahlung das vollständige Nachlassverzeichnis selbst vereitelt hat.
Die Kostenentscheidung war der Schlussentscheidung vorzubehalten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.