Skip to content

Örtliche Gerichtszuständigkeit in einem Nachlassverfahren

Komplexe Fragen der Zuständigkeit in einem Erbschaftsverfahren

In einem erbrechtlichen Fall, der von komplexen Fragen der örtlichen Zuständigkeit geprägt war, wurde entschieden, dass das Amtsgericht Brandenburg an der Havel für die weitere Bearbeitung des Verfahrens zuständig ist. Dieser Fall wurde durch eine Reihe von kommunikativen Austausch zwischen verschiedenen Behörden, dem Amtsgericht Potsdam und der Sparkasse gekennzeichnet. Im Mittelpunkt der Komplexität stand ein Erblasser, dessen Nachlass aufgrund unklarer Familienverhältnisse und unterschiedlicher Aufenthaltsorte zu erheblicher Verwirrung führte.

Direkt zum Urteil Az: 1 AR 4/21 (SA Z) springen.

Ein Netz von Kommunikationen und Anfragen

Die Situation begann mit der Mitteilung der Sparkasse in Potsdam an das Amtsgericht Potsdam, dass ein Kunde verstorben sei und erhebliche Guthaben auf seinem Konto hinterlassen habe. Das Amtsgericht Potsdam leitete eine Untersuchung ein, um die Erben des Verstorbenen zu ermitteln. Dies führte zu einer Reihe von Anfragen an das Standesamt und die Stadtverwaltung, um Informationen über mögliche Kinder und Geschwister des Erblassers zu erhalten.

Verwirrung über die örtliche Zuständigkeit

Inmitten dieser Untersuchungen erhielt das Amtsgericht Brandenburg an der Havel eine Mitteilung von einem Beteiligten, die ein Schreiben enthielt, das die Beantragung eines Erbscheins betraf. Dieses Schreiben wurde an das Amtsgericht Potsdam weitergeleitet, was weitere Fragen zur örtlichen Zuständigkeit aufwarf.

Die Frage der Zuständigkeit wird geklärt

Das Amtsgericht Potsdam wies auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hin und kündigte an, das Verfahren an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel abzugeben. Die Abgabe des Verfahrens wurde schließlich durch einen offiziellen Beschluss vollzogen, was jedoch vom Amtsgericht Brandenburg an der Havel abgelehnt wurde. Die Frage der Zuständigkeit wurde dem Oberlandesgericht Brandenburg vorgelegt, das entschied, dass das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zuständig ist.

Diese Entscheidung verdeutlicht die Komplexität und die Notwendigkeit genauer Untersuchungen bei der Bestimmung der Zuständigkeit in Erbschaftsverfahren. Sie zeigt auch, wie wichtig es ist, bei derartigen Verfahren eine klare Kommunikation und korrekte Verfahren zu gewährleisten.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 AR 4/21 (SA Z) – Beschluss vom 16.03.2021

Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 3.9.2020 teilte die … Sparkasse in P… dem Amtsgericht Potsdam mit, dass der zuletzt in P… wohnhafte Erblasser verstorben sei und bei ihr Kontoguthaben in Höhe von 2.257,76 €, 46.686,03 € und 65.044,31 € hinterlassen habe. Das Amtsgericht Potsdam bat daraufhin das Standesamt der Gemeinde K… um die Übersendung einer Sterbeurkunde. Dem kam die Gemeinde K… mit Schreiben vom 15.9.2020 nach.

Unter dem 18.9.2020 fragte das Amtsgericht Potsdam bei der Stadt P… an, ob sich aus den dortigen Archiven Hinweise auf Kinder des Erblassers ergäben. Dies verneinte die Stadt P… unter dem 25.9.2020. Mit Schreiben vom 12.10.2020 fragte das Amtsgericht Potsdam bei der Stadt P… an, ob sich aus den dortigen Registern das Vorhandensein von Geschwistern des Erblassers ergäbe. Dazu teilte das die Stadt P… unter dem 14.10.2020 mit, dass es zwei vorverstorbene Schwestern gebe.

Mit Schreiben vom 19.10.2020 leitete das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ein dort eingegangenes Schreiben des Beteiligten zu 5. vom 13.10.2020 und ein Schreiben der Beteiligten zu 1. vom 17.8.2020, das die Beantragung eines Erbscheins enthielt, an das Amtsgericht Potsdam weiter.

Mit Schreiben vom 16.11.2020 wandte sich der Beteiligte zu 5. unmittelbar an das Amtsgericht Potsdam und teilte – nochmals – das Versterben des dort in der Zeit ab 9.7.2020 bis 13.7.2020 aufhälftigen Erblassers mit.

Das Amtsgericht Potsdam hat unter dem 6.11.2020 die Beteiligte zu 1. auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hingewiesen und die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel angekündigt. Damit hat sich die Beteiligte zu 1. mit Schreiben vom 20.11.2020 einverstanden erklärt.

Durch Beschluss vom 23.11.2020 hat das Amtsgericht Potsdam sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel abgegeben.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat durch Beschluss vom 26.1.2021 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

Mit Schreiben – ebenfalls – vom 26.1.2021 hat die Beteiligte zu 1. gegenüber dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel die Zurücknahme des Antrags auf die Erteilung eines Erbscheins erklärt.

II.

Auf die Vorlage der Sache durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ist dessen Zuständigkeit für die weitere Bearbeitung des Verfahrens auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte sich in seinem Bezirk befinden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Potsdam als auch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt, nämlich Ersteres durch den Beschluss über die Abgabe des Verfahrens vom 23.11.2020 und Letzteres durch den seine Zuständigkeit verneinenden Beschluss vom 26.1.2021. Beide Beschlüsse genügen den an das Merkmal „rechtskräftig“ stellenden Anforderungen, da es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. statt vieler: Senat NJW 2004, 780).

3. Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Potsdam nach § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat, JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; je m. w. N.). Diese für § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entwickelten Grundsätze sind auf die gleichartige Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG entsprechend anzuwenden (Senat, Senatsbeschluss vom 17.3.2020, 1 AR 2/20 (SA Z); Beschluss vom 19.12.2016, 1 (Z) Sa 34/16; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 3, Rdnr. 52 ff.; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 3, Rdnr. 7 f.; Prütting/Helms/Prütting, FamFG, 5. Aufl., § 3, Rdnr. 26 f.; Kemper/Schreiber, FamFG, 3. Aufl., § 3, Rdnr. 12 f.).

Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 23.11.2020 stand.

Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör ist gewahrt worden. Die Beteiligte zu 1. ist zu der beabsichtigten Abgabe des Verfahrens angehört worden und hat sich damit einverstanden erklärt. Dass eine Anhörung der Beteiligten zu 2., zu 3. und zu 4. durch das Amtsgericht Potsdam nicht stattgefunden hat, eröffnet nicht eine Zurückgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Potsdam, da es sich bei den Beteiligten um zu 2., zu 3. und zu 4. nicht um Muss-Beteiligte nach § 345 FamFG handelt.

Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Potsdam entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage. Er steht insoweit im Einklang mit der gesetzlichen Regelung in § 343 Abs. 1 ZPO, als das Amtsgericht Potsdam zur Begründung der Abgabe auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers abgestellt hat, den es in K… gesehen hat. Es erscheint zwar fraglich, ob die diesbezügliche Subsumtion des Amtsgerichts Potsdam zutreffend ist. Wenn auch für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls dann keine Mindestfrist besteht, wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort, wie oftmals bei einer Unterbringung in einem Hospiz, ausgeschlossen – gewesen – ist (Senat, Beschluss vom 23.8.2019, 1 AR 28/19 (SA Z); Keidel/Sternal, a. a. O., § 3, Rn. 10), ist gleichwohl der gewöhnliche Aufenthalt als der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegen (BGH NJW 1993, 2047, 2048; KG RPfleger 2021, 46, 47), jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtumstände zu ermitteln (Senat a. a. O.). Dabei sind auch in Fällen, in denen eine schwere, nicht mehr heilbare Erkrankung vorliegt und nicht damit zu rechnen ist, dass der Betroffene wieder in die eigene Wohnung zurückkehrt, die Dauer des Aufenthalts und der damit einhergehenden sozialen Beziehungen in den Blick zu nehmen (Senat a. a. O.; KG a. a. O.; OLG Köln FG Prax 2007, 84). Ebenso können eine – beabsichtigte – Auflösung der früheren Wohnung (Senat a. a. O.; OLG Düsseldorf FamRZ 2002, 1128) oder ein – etwa bei Demenzkranken nicht selten fehlender – Aufenthaltswillen (Senat a. a. O.; MünchKomm./Grziwotz, FamFG, 3. Aufl., § 343, Rn. 19) von Bedeutung sein. Allein der Umstand, dass eine Person sich in ein Hospiz begeben und dort verstorben ist, lässt die Annahme der Begründung eines dortigen gewöhnlichen Aufenthalts – noch – nicht zu (KG a. a. O.). Vor dem Hintergrund, dass der Erblasser im vorliegenden Fall lediglich die kurze Zeit ab 9.7.2020 bis 13.7.2020 im Hospiz in K… verbracht hat, seine Wohnung in P… noch besteht und in P… erhebliche Vermögenswerte vorhanden sind, erscheint nach diesen Grundsätzen die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in P… näherliegend als die vom Amtsgericht Potsdam festgestellte Begründung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse in K… .

Entgegen der Sichtweise des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel kann die Abgabe des Verfahrens durch das Amtsgericht Potsdam indes – noch – nicht als offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft angesehen werden. Denn das Amtsgericht Potsdam hat – wie erwähnt – im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend darauf abgestellt, dass der gewöhnliche Aufenthalt und der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse für die Bestimmung des zuständigen Gerichts maßgebend sind. Hinzu tritt, dass der Senat in einer jüngeren Entscheidung (Beschluss vom 9.11.2020, 1 AR 31/20 (SA Z)) zum Aufenthalt in einem Sterbehospiz formuliert hat, dass – woran er im Lichte der dargestellten allgemeinen Grundsätze in dieser Allgemeinheit nicht festhält – angenommen werden könne, dass der Betroffene schon mit der Aufnahme in einem Hospiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach dort verlege. Wenn auch diese Entscheidung des Senats (a. a. O.) im Abgabebeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 23.11.2020 keine Erwähnung findet, so stellt der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam doch eine den Bereich einer vertretbaren Umsetzung der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht verlassende Verfahrensbehandlung dar, die damit – noch – nicht als willkürlich angesehen werden kann.

Für das vorliegende Nachlassverfahren hat es nach alledem bei der Abgabe an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zu verbleiben. In künftigen Fällen, die angesichts des Vorhandenseins der Hospizeinrichtung in K… denk- und erwartbar sind, wird sich das Amtsgericht Potsdam im Rahmen der Prüfung seiner Zuständigkeit indes mit den im vorstehend dargestellten Grundsätze über die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 343 Abs. 1 FamFG näher auseinanderzusetzen haben.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Erbrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Erbrecht. Vom rechtssicheren Testament über den Pflichtteilsanspruch bis hin zur Erbausschlagung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Erbrecht einfach erklärt

Erbrechtliche Urteile und Beiträge

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!