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Örtliche Zuständigkeit Nachlassgericht – Aufenthalt des Erblassers in Hospiz

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 AR 13/21 (SA Z) – Beschluss vom 29.03.2021

Zuständig ist das Amtsgericht Königs Wusterhausen.

Gründe

I.

Die Erblasserin wohnte bis zum … November 2020 in der … Straße 11 in K… in einer Wohnung der Wohnungsbaugenossenschaft K…, deren Mitglied sie auch war. Am … November 2020 wurde sie in einem Hospiz in K… L… aufgenommen, welches sich im Bezirk des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel befindet. Dort verstarb die Erblasserin am … Januar 2021.

Die Wohnungsbaugenossenschaft K… hat am 15. Februar 2021 die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragt. Sie beabsichtigt Ansprüche auf rückständige Miete, Räumung der Wohnung und Renovierung bzw. Schadenersatz wegen unterlassener Schönheitsreparaturen geltend zu machen.

Eine Schwester der Erblasserin, Frau R… H…, wohnhaft in K…, hat die Erbschaft bereits am 16. Februar 2021 vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen ausgeschlagen. Ein Neffe der Erblasserin, H… M…, wohnhaft in W…, hat die Erbschaft am 1. März 2021 vor dem Amtsgericht Wittenberg ausgeschlagen. Dessen einziges Kind, A… M…, sowie dessen Enkelin, P… M…, haben die Erbschaft 1. März 2021 ebenfalls vor dem Amtsgericht Wittenberg ausgeschlagen. Eine Nichte der Erblasserin, G… W…, hat die Erbschaft am 27. Februar 2021 vor einem Notar in H… ausgeschlagen. Deren Tochter, V… A…, hat die Erbschaft am 15. März 2021 vor einer Notarin in L… ausgeschlagen. Eine weitere Nichte, C… H… aus Sch…(Tochter der Schwester R… H…), beabsichtigt ebenfalls die Erbschaft auszuschlagen, benötigt zuvor jedoch noch Informationen.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat sich mit Beschluss vom 10. März 2021 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Königs Wusterhausen verwiesen. Es ist davon ausgegangen, dass die Erblasserin ihren Lebensmittelpunkt weiterhin in Königs Wusterhausen hatte und diesen nicht dadurch aufgegeben habe, dass sie sich zum Sterben in das Hospiz in L… begeben habe.

Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat durch Beschluss vom 23. März 2021 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Dieses Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die Erblasserin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach L… verlegt habe, in dem sie sich in das dortige Hospiz begeben hat.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat die Sache daraufhin dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage der Sache durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Königs Wusterhausen für die weitere Bearbeitung des Verfahrens auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte sich in seinem Bezirk befinden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Brandenburg an der Havel als auch das Amtsgericht Königs Wusterhausen haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt, nämlich Ersteres durch den Beschluss über die Verweisung des Verfahrens vom 10. März 2021 und Letzteres durch den seine Zuständigkeit verneinenden Beschluss vom 23. März 2021. Beide Beschlüsse genügen den an das Merkmal „rechtskräftig“ zustellenden Anforderungen, da es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. statt vieler: Senat NJW 2004, 780).

3. Zuständig ist das Amtsgericht Königs Wusterhausen.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel nach § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat, JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; je m. w. N.). Diese für § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entwickelten Grundsätze sind auf die gleichartige Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG entsprechend anzuwenden (Senat, Senatsbeschluss vom 17.3.2020,1 AR 2/20 (SA Z); Beschluss vom 19.12.2016, 1 (Z) Sa 34/16; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 3, Rdnr. 52 ff.; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 3, Rdnr. 7 f.; Prütting/Helms/Prütting, FamFG, 5. Aufl., § 3, Rdnr. 26 f.; Kemper/Schreiber, FamFG, 3. Aufl., § 3, Rdnr. 12 f.).

Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 10. März 2021 stand.

Eine Gewährung rechtlichen Gehörs war nicht erforderlich, da am vorliegenden Verfahren (gegenwärtig) lediglich der Nachlass der Erblasserin beteiligt ist. In Betracht kommt allenfalls eine Beteiligung der C… H…, die die Erbschaft bisher nicht ausgeschlagen hat. Diese ist zu der Zuständigkeitsfrage angehört worden, sie hat sich mit Schreiben vom 17. März 2021 an beide an dem Zuständigkeitsstreit beteiligte Amtsgerichte gewandt und diese gebeten, die Zuständigkeit zeitnah klären zu lassen.

Der Verweisungsbeschluss entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage. Die Erblasserin hatte jedenfalls bis zum …. November 2020 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 343 Abs. 1 FamFG in K… und damit im Bezirk des Amtsgerichts Königs Wusterhausen. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist der Ort anzusehen, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt (vgl. BGH, NJW 1993, 2047, 2048 BGH KG RPfleger 2021, 46, 47), dies ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln. Ohne gegenteilige Anhaltspunkte – wie hier – kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass jemand dort seinen Daseinsmittelpunkt hat, wo er wohnt und sich demnach am häufigsten aufhält.

Die Annahme eines Fortbestands dieses Aufenthalts in Königs Wusterhausen durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ist unter den vorliegenden Umständen vertretbar. Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts kann auch dann, wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort, wie oftmals bei einer Unterbringung in einem Hospiz, ausgeschlossen erscheint, nicht allein aus der Dauer des Aufenthaltes im Hospiz geschlossen werden (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Auflage, § 3 Rn. 10 Senat, Beschluss vom 23.8.2019, 1 AR 28/19 (SA Z). Allerdings ist auch in den Fällen, in denen nach ärztlicher Einschätzung eine schwere, nicht mehr heilbare Erkrankung vorliegt und nicht damit zu rechnen ist, dass die Betroffene wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehrt, die Frage der Dauer des Aufenthalts und der hiermit einhergehenden sozialen Beziehungen zu berücksichtigen (vgl. OLG Köln, FGPrax 2007, 84 Senat a. a. O.; KG a. a. O.;). Insoweit können auch andere Umstände, beispielsweise auch die Auflösung der früheren Wohnung oder die beabsichtigte Auflösung dieser (OLG Düsseldorf, FamRZ 2002, 1128) oder auch ein – insbesondere bei Demenzkranken oftmals fehlender – Aufenthaltswillen (Münchener Kommentar/Grziwotz, FamFG, 3. Auflage, § 343 Rn. 19) von maßgeblicher Bedeutung sein. Vor dem Hintergrund, dass die Erblasserin im vorliegenden Fall jedoch erst relativ kurze Zeit ab dem …. November 2020 bis …. Januar 2021 in dem Hospiz in K… L… verbracht hat, sie ihre Wohnung in K… gerade nicht aufgegeben hatte und über ihren Aufenthaltswillen nichts bekannt ist, ist nach den genannten Grundsätzen die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in K::: gegenüber der Annahme der Begründung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse in K… L… jedenfalls vertretbar. Aus den bekannten Wohnorten der in Betracht kommenden Erblasser ergeben sich keine anderen Anhaltspunkte, jedenfalls kein Bezug zu Brandenburg an der Havel. Soweit das Amtsgericht Brandenburg an der Havel darauf verzichtet hat, die Umstände des Hospizaufenthalts der Betroffenen weiter aufzuklären, stellt dies allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen (vgl. BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365).

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