Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Das vergessene Erbe: Wann nichteheliche Kinder ihren Pflichtteil riskieren – Ein neues BGH-Urteil schafft Klarheit
- Der Fall vor dem Bundesgerichtshof: Ein Wettlauf gegen die Zeit?
- Die juristischen Stolpersteine: Entstehung, Durchsetzbarkeit und Verjährung des Pflichtteils
- Die Lehren des BGH: Klare Worte zur Entstehung und zum Verjährungsbeginn
- Abgrenzung: Nicht jeder Anspruch wird gleich behandelt – ein Blick auf ältere Rechtsprechung
- Praktische Konsequenzen: Was Betroffene jetzt wissen müssen
- Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Pflichtteil nichtehelicher Kinder
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau ist der Pflichtteil und wer hat Anspruch darauf?
- Mein mutmaßlicher Vater ist verstorben, die Vaterschaft wurde aber nie offiziell festgestellt. Was muss ich tun?
- Wie lange habe ich Zeit, meinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen?
- Was bedeutet „grobe Fahrlässigkeit“ im Zusammenhang mit der Vaterschaftsfeststellung?
- Ich bin noch minderjährig. Gilt das alles auch für mich?
- Was ist, wenn der Erblasser gar nicht wusste, dass er mein Vater ist, oder den Kontakt abgelehnt hat?
- Das Vaterschaftsfeststellungsverfahren dauert sehr lange. Verjährt mein Anspruch währenddessen?
- Ausblick: Ein Urteil mit Signalwirkung

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Pflichtteilsansprüche nichtehelicher Kinder müssen schnell geltend gemacht werden, sobald sie vom Tod des mutmaßlichen Vaters erfahren und Hinweise auf eine Vaterschaft vorliegen. Wenn die Vaterschaft ohne triftigen Grund lange nicht gerichtlich festgestellt wird, kann der Anspruch verjähren, auch wenn die Vaterschaft erst später bestätigt wird.
- Betroffen sind nichteheliche Kinder, die ihren Pflichtteil am Erbe ihres biologischen Vaters erst nach dessen Tod durchsetzen wollen, aber deren Vaterschaft nicht schon zu Lebzeiten festgestellt wurde.
- Praktisch heißt das: Sobald Sie vom Tod eines möglichen Vaters wissen, sollten Sie schnell die Vaterschaft gerichtlich feststellen lassen, um Ihren Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren. Verzögerungen können als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden, wodurch die Verjährungsfrist früher beginnt.
- Der Pflichtteilsanspruch entsteht rechtlich schon mit dem Tod des Erblassers, aber die Verjährung beginnt erst, wenn Sie von der Vaterschaft wissen oder diese ohne grobe Nachlässigkeit hätten feststellen lassen müssen.
- Für Erben bedeutet das Urteil, dass sie einen Anspruch auf Verjährung geltend machen können, wenn die gegnerische Seite die Vaterschaftsfeststellung unangemessen lange verzögert hat.
- Minderjährige sind ebenso betroffen; hier wird das Verhalten ihrer gesetzlichen Vertreter (meist Eltern) berücksichtigt.
- Das Urteil sorgt für mehr Rechtssicherheit, verlangt aber gleichzeitig Eigeninitiative von den Pflichtteilsberechtigten, um ihre Rechte nicht zu verlieren.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 12. März 2025 (Az. IV ZR 88/24)
Das vergessene Erbe: Wann nichteheliche Kinder ihren Pflichtteil riskieren – Ein neues BGH-Urteil schafft Klarheit
Stellen Sie sich vor, Frau S. erfährt Jahre nach dem Tod eines Mannes, von dem sie immer vermutete, er könne ihr Vater sein, dass er tatsächlich verstorben ist – und ein beachtliches Vermögen hinterlassen hat. Sie hatte nie viel Kontakt, und die Vaterschaft wurde nie offiziell geklärt. Nun, nach all der Zeit, fragt sie sich: Steht mir als nichteheliches Kind ein Teil des Erbes zu?
Und wenn ja, ist es vielleicht schon zu spät, diesen Anspruch geltend zu machen? Diese Fragen sind nicht nur emotional belastend, sondern auch juristisch komplex. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2025 (Aktenzeichen IV ZR 88/24) hat nun wichtige Aspekte zur Verjährung von Pflichtteilsansprüchen nichtehelicher Kinder präzisiert und damit für mehr Rechtsklarheit, aber auch für neue Sorgfaltsanforderungen gesorgt.
Das deutsche Erbrecht ist ein komplexes Geflecht aus Rechten und Pflichten. Ein zentraler Pfeiler ist der Pflichtteilsanspruch. Er sichert nahen Angehörigen, wie Kindern, Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern, eine Mindestbeteiligung am Nachlass, selbst wenn der Verstorbene, der sogenannte Erblasser, sie in seinem Testament übergangen hat. Doch was passiert, wenn die rechtliche Beziehung zum Erblasser – wie die Vaterschaft bei einem nichtehelichen Kind – erst nach dessen Tod festgestellt wird? Genau mit dieser heiklen Konstellation musste sich der BGH auseinandersetzen.
Der Fall vor dem Bundesgerichtshof: Ein Wettlauf gegen die Zeit?
Im konkreten Fall, der dem BGH zur Entscheidung vorlag, ging es um eine Frau, die Klägerin, die als nichteheliches Kind ihren Pflichtteil vom Alleinerben des Verstorbenen forderte. Der Erblasser war am 5. August 2017 verstorben. Sein eingetragener Lebenspartner wurde durch ein Testament vom 7. Februar 2017 zum alleinigen Erben bestimmt. Die Klägerin erfuhr noch im Jahr 2017 vom Tod des Mannes, den sie für ihren Vater hielt.
Der entscheidende Knackpunkt: Die Vaterschaft des Erblassers wurde erst im Jahr 2022 gerichtlich rechtskräftig festgestellt, also rund fünf Jahre nach dem Erbfall und der Kenntnis der Klägerin davon. Als sie daraufhin ihren Pflichtteil einklagte – zunächst Auskunft über den Nachlass und dann Zahlung –, wandte der erbende Lebenspartner ein, der Anspruch sei längst verjährt.
Die Vorinstanzen, das Landgericht Aachen und das Oberlandesgericht (OLG) Köln, bewerteten die Rechtslage unterschiedlich. Das OLG Köln hatte in seinem Urteil vom 25. Juni 2024 zugunsten der Klägerin entschieden und die Verjährung verneint. Gegen diese Entscheidung legte der Erbe erfolgreich Revision beim BGH ein. Der BGH hob das Urteil des OLG Köln auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück an das Berufungsgericht. Damit war klar: Die Frage der Verjährung musste neu und unter Beachtung der strengen Maßstäbe des BGH bewertet werden.
Die juristischen Stolpersteine: Entstehung, Durchsetzbarkeit und Verjährung des Pflichtteils
Um die Entscheidung des BGH zu verstehen, müssen wir uns einige zentrale juristische Begriffe und Regelungen genauer ansehen.
Der Pflichtteilsanspruch: Ein gesetzliches Minimum für nahe Angehörige
Das deutsche Erbrecht sieht in § 2303 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor, dass Abkömmlinge (also Kinder, Enkel etc.), der Ehegatte und unter Umständen die Eltern des Erblassers einen Pflichtteilsanspruch haben, wenn sie durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurden. Die Höhe dieses Pflichtteils beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Es handelt sich um einen reinen Geldanspruch gegen den oder die Erben.
Ein fundamentaler Grundsatz, festgehalten in § 2317 Absatz 1 BGB, besagt: Der Pflichtteilsanspruch entsteht mit dem Erbfall, also mit dem Tod des Erblassers. Das klingt zunächst einfach, birgt aber Tücken, wie der Fall des nichtehelichen Kindes zeigt.
Die Besonderheit bei nichtehelichen Kindern: Die Vaterschaftsfeststellung
Für ein nichteheliches Kind ist die Feststellung der Vaterschaft die Grundvoraussetzung, um überhaupt erbrechtliche Ansprüche, einschließlich des Pflichtteils, gegen den Nachlass des Vaters geltend machen zu können. Ist die Vaterschaft zu Lebzeiten des Vaters nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt worden, muss dies nachgeholt werden. Das Gesetz sieht hierfür in § 1600d BGB das Verfahren zur gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung vor.
Eine entscheidende Vorschrift in diesem Zusammenhang ist § 1600d Absatz 5 BGB. Diese Norm legt fest, dass die Rechtswirkungen der Vaterschaft, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können. Juristen sprechen hier von einer sogenannten „Rechtsausübungssperre“. Das Kind ist zwar rechtlich gesehen ab Geburt Kind seines Vaters, kann aber bestimmte Rechte, wie eben den Pflichtteil, erst dann erfolgreich durchsetzen, wenn die Vaterschaft offiziell „bestätigt“ ist.
Hier liegt die Spannung: Der Pflichtteilsanspruch entsteht laut § 2317 BGB mit dem Tod. Aber § 1600d Abs. 5 BGB sagt, die Rechte aus der Vaterschaft können erst ab deren Feststellung geltend gemacht werden. Was bedeutet das für die Verjährung?
Die Verjährung: Wenn Ansprüche nicht ewig währen
Ansprüche können nicht unbegrenzt lange geltend gemacht werden. Das Institut der Verjährung dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Nach Ablauf einer bestimmten Frist kann der Schuldner (hier der Erbe) die Leistung verweigern.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Entscheidend ist jedoch, wann diese Frist zu laufen beginnt. Dies regelt § 199 Absatz 1 BGB. Demnach beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Der Anspruch muss entstanden sein (Nr. 1).
- Der Gläubiger (hier das pflichtteilsberechtigte Kind) muss von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (Nr. 2).
Genau diese zweite Voraussetzung, insbesondere die Alternative der „grob fahrlässigen Unkenntnis“, stand im Zentrum der BGH-Entscheidung.
Die Lehren des BGH: Klare Worte zur Entstehung und zum Verjährungsbeginn
Der BGH hat in seinem Urteil IV ZR 88/24 zwei zentrale Leitsätze formuliert, die das Zusammenspiel der genannten Vorschriften beleuchten.
Der erste Leitsatz des Gerichts bekräftigt die Bedeutung des § 2317 Abs. 1 BGB: Für die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auch dann die Regelung in § 2317 Abs. 1 BGB maßgeblich, wenn der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt des Erbfalls aufgrund der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB an einer erfolgversprechenden Geltendmachung des Anspruchs gehindert ist.
Das bedeutet: Der Pflichtteilsanspruch entsteht – auch für die Verjährungsberechnung – mit dem Tod des Erblassers. Die Tatsache, dass das Kind den Anspruch wegen bisher nicht festgestellter Vaterschaft bislang nicht erfolgreich durchsetzen kann, ändert nichts an diesem Entstehungszeitpunkt. Die Rechtsausübungssperre schiebt die Entstehung des Anspruchs nicht hinaus.
Der zweite Leitsatz ist für die Praxis von besonderer Bedeutung und adressiert die Kenntnisvoraussetzung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB: Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB erfordert beim Pflichtteilsanspruch des nichtehelichen Kindes nach seinem Vater auch die Kenntnis von der wirksamen Anerkennung bzw. der rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft.
Solange das Kind also keine positive Kenntnis von der festgestellten Vaterschaft hat, beginnt die Verjährungsfrist grundsätzlich nicht zu laufen – es sei denn, und das ist die entscheidende Ergänzung des BGH: gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB beginnt die Verjährungsfrist eines entstandenen Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt.
Was bedeutet „grob fahrlässige Unkenntnis“ konkret?
Der BGH rückt damit die Sorgfaltspflicht des Anspruchstellers (oder bei Minderjährigen dessen gesetzlichen Vertreters, z.B. der Mutter oder eines Vormunds) in den Fokus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde, wenn also dasjenige nicht beachtet wurde, was jedem hätte einleuchten müssen. Es geht nicht um leichte Nachlässigkeit, sondern um ein Verhalten, das als schlechthin unentschuldbar erscheint.
Im Fall des nichtehelichen Kindes bedeutet dies: Wenn das Kind (oder sein Vertreter) vom Tod des potenziellen Vaters und von Umständen erfährt, die eine Vaterschaft nahelegen, muss es sich aktiv und zeitnah um die Klärung der Vaterschaft bemühen.
Lässt es dies über einen längeren Zeitraum ohne triftige Gründe schleifen und verzögert dadurch die Erlangung der Kenntnis von der Vaterschaft, kann ihm dies als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt werden. Die Folge: Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt dann nicht erst mit der tatsächlichen Feststellung der Vaterschaft, sondern bereits zu dem früheren Zeitpunkt, zu dem das Kind bei pflichtgemäßem Handeln Kenntnis von der Vaterschaft hätte erlangen können – typischerweise mit dem Schluss des Jahres, in dem diese grob fahrlässige Unkenntnis vorlag.
Im vom BGH entschiedenen Fall hatte die Klägerin 2017 vom Tod des Erblassers erfahren, die Vaterschaft wurde aber erst 2022 festgestellt. Das OLG Köln hatte die grob fahrlässige Unkenntnis offenbar nicht ausreichend geprüft. Der BGH gab dem Berufungsgericht nun auf, genau dies nachzuholen: Hätte die Klägerin das Vaterschaftsfeststellungsverfahren nicht schon früher einleiten und damit ihre Unkenntnis von der Vaterschaft früher beenden können und müssen? Die erhebliche Zeitspanne von fünf Jahren zwischen Kenntnis vom Tod und Vaterschaftsfeststellung deutet darauf hin, dass hier eine sorgfältige Prüfung der Gründe für die Verzögerung geboten ist.
Experten-Einschätzung: Die Balance zwischen Schutz und Eigenverantwortung
Das Urteil des BGH verdeutlicht einen wichtigen Grundsatz im deutschen Recht: Rechte verlangen nach aktiver Wahrnehmung. Zwar schützt das Gesetz nichteheliche Kinder und ihre erbrechtlichen Ansprüche, es erwartet aber auch, dass sie – oder ihre gesetzlichen Vertreter – die notwendigen Schritte zur Klärung ihrer Abstammung und zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht unangemessen hinauszögern.
Die „Rechtsausübungssperre“ des § 1600d Abs. 5 BGB soll das Kind nicht davor schützen, die Verjährung durch eigene Untätigkeit eintreten zu lassen. Vielmehr muss das Kind die Initiative ergreifen, um diese Sperre aufzuheben. Das Urteil ist somit ein Appell zur Eigenverantwortung und zur zügigen Rechtsverfolgung, auch in emotional schwierigen familiären Konstellationen.
Abgrenzung: Nicht jeder Anspruch wird gleich behandelt – ein Blick auf ältere Rechtsprechung
Es ist wichtig, das aktuelle Urteil IV ZR 88/24 von anderen Entscheidungen, die auf den ersten Blick ähnlich erscheinen mögen, abzugrenzen. Insbesondere das BGH-Urteil vom 13. November 2019 (IV ZR 317/17) sorgte seinerzeit für Aufsehen, da es sich ebenfalls mit der Verjährung von Pflichtteilsansprüchen im Kontext nicht festgestellter Vaterschaft befasste. Die Unterschiede sind jedoch erheblich und liegen in der Art des Anspruchs und den anwendbaren Gesetzesnormen.
Merkmal | BGH IV ZR 88/24 (12.03.2025) | BGH IV ZR 317/17 (13.11.2019) |
---|---|---|
Anspruchsart | Primärer Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB) | Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2329 BGB) |
Beklagter | Der/die Erbe(n) | Der/die Beschenkte(r) |
Anwendbares Verjährungsrecht | §§ 195, 199 BGB (geltendes Recht) – Verjährungsbeginn abhängig von Entstehung und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis. | § 2332 Abs. 2 BGB a.F. (alte Fassung) – Strikte Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Erbfall, unabhängig von Kenntnis oder Vaterschaftsstatus. |
Rolle des § 1600d Abs. 5 BGB (bzw. a.F. Äquivalent) | Schiebt Entstehung (§ 2317 BGB) für § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht hinaus. Relevant für "Kenntnis" unter § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB und grobe Fahrlässigkeit. | Verhinderte nicht den Lauf der Verjährungsfrist nach altem Recht. |
Fokus des Ergebnisses | Ausgleich zwischen dem Bedürfnis des Anspruchstellers nach Vaterschaftsfeststellung und seiner Sorgfaltspflicht, um Verjährung zu vermeiden. | Betonung der schnellen Rechtssicherheit für den Beschenkten unter der alten Gesetzeslage. |
Das Urteil IV ZR 317/17 betraf den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser richtet sich nicht gegen den Erben, sondern gegen eine Person, die vom Erblasser zu dessen Lebzeiten eine Schenkung erhalten hat, die den Pflichtteil schmälert. Für diesen speziellen Anspruch galt nach altem Recht (§ 2332 Abs. 2 BGB a.F.) eine starre Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Erbfall. Der BGH entschied damals, dass diese Frist auch dann lief, wenn die Vaterschaft noch nicht festgestellt war und das Kind keine Kenntnis hatte. Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB a.F. (Vorläufer des heutigen Abs. 5) änderte daran nichts. Ziel des Gesetzgebers war es hier, dem Beschenkten schnell Rechtssicherheit zu verschaffen.
Im aktuellen Urteil IV ZR 88/24 geht es hingegen um den originären Pflichtteilsanspruch gegen den Erben nach geltendem Recht (§§ 195, 199 BGB). Und hier, so der BGH, kommt es eben auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände – wozu auch die festgestellte Vaterschaft gehört – an. Die geltenden Verjährungsregeln sind flexibler und subjektiver ausgerichtet als die alte, starre Regelung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten. Die beiden Urteile sind also nicht widersprüchlich, sondern wenden unterschiedliche Gesetze auf unterschiedliche Sachverhalte an.
Praktische Konsequenzen: Was Betroffene jetzt wissen müssen
Das Urteil des BGH hat erhebliche praktische Auswirkungen sowohl für potenzielle Pflichtteilsberechtigte als auch für Erben.
Für nichteheliche Kinder (und ihre gesetzlichen Vertreter):
Die Botschaft des BGH ist unmissverständlich: Warten Sie nicht zu lange mit der Klärung der Vaterschaft! Sobald Sie Kenntnis vom Tod eines Mannes erlangen, der als Ihr Vater in Betracht kommt, und es Anhaltspunkte für diese Vaterschaft gibt, sollten Sie unverzüglich handeln. Das bedeutet konkret, dass Sie zeitnah ein gerichtliches Vaterschaftsfeststellungsverfahren (§ 1600d BGB) einleiten sollten, falls die Vaterschaft nicht bereits anerkannt ist.
Jeder Tag des Zögerns kann später als Argument für eine grob fahrlässige Verzögerung und damit für den Beginn der Verjährung gewertet werden. Dokumentieren Sie alle Ihre Bemühungen und eventuelle Gründe für Verzögerungen sorgfältig. Dies kann im Streitfall entscheidend sein. Bedenken Sie, dass auch der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB, der oft der erste Schritt zur Bezifferung des Pflichtteils ist, der Verjährung unterliegt.
Die Grundsätze des BGH-Urteils dürften auch hier gelten. Suchen Sie frühzeitig anwaltliche Beratung. Ein Fachanwalt für Erbrecht kann Ihre Situation prüfen, Sie über die notwendigen Schritte aufklären und Ihnen helfen, Fristen zu wahren und Fallstricke zu vermeiden.
Für Erben:
Für Erben kann das Urteil eine neue Verteidigungsmöglichkeit eröffnen. Wenn ein nichteheliches Kind erst Jahre nach dem Erbfall und Kenntnis davon mit einem Pflichtteilsanspruch auf Sie zukommt und die Vaterschaft erst spät festgestellt wurde, können Sie die Einrede der Verjährung erheben. Dafür müssen Sie darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Anspruchsteller (oder sein Vertreter) die Vaterschaftsfeststellung grob fahrlässig verzögert hat.
Hier wird es auf eine genaue Prüfung der Umstände des Einzelfalls ankommen: Wann hatte der Anspruchsteller welche Kenntnisse? Welche Bemühungen hat er unternommen oder unterlassen? Gab es Hinderungsgründe? Auch hier ist anwaltliche Unterstützung ratsam, um die Erfolgsaussichten einer Verjährungseinrede zu prüfen und die Argumentation fundiert vorzubereiten.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Pflichtteil nichtehelicher Kinder
Die komplexe Materie wirft oft viele Fragen auf. Hier einige der häufigsten, beantwortet im Lichte der aktuellen Rechtsprechung:
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau ist der Pflichtteil und wer hat Anspruch darauf?
Mein mutmaßlicher Vater ist verstorben, die Vaterschaft wurde aber nie offiziell festgestellt. Was muss ich tun?
Wie lange habe ich Zeit, meinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen?
Was bedeutet „grobe Fahrlässigkeit“ im Zusammenhang mit der Vaterschaftsfeststellung?
Ich bin noch minderjährig. Gilt das alles auch für mich?
Was ist, wenn der Erblasser gar nicht wusste, dass er mein Vater ist, oder den Kontakt abgelehnt hat?
Das Vaterschaftsfeststellungsverfahren dauert sehr lange. Verjährt mein Anspruch währenddessen?
Ausblick: Ein Urteil mit Signalwirkung
Das Urteil des BGH IV ZR 88/24 ist mehr als nur eine juristische Feinjustierung. Es sendet ein klares Signal an alle Beteiligten in erbrechtlichen Auseinandersetzungen, bei denen die Abstammung eine Rolle spielt. Es stärkt die Position von Erben gegenüber verspätet geltend gemachten Ansprüchen, wenn dem Anspruchsteller eine erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Gleichzeitig unterstreicht es die Notwendigkeit für potenziell pflichtteilsberechtigte nichteheliche Kinder, ihre Rechte aktiv und ohne unnötige Verzögerungen zu verfolgen.
Die genauen Konturen dessen, was im Einzelfall als „grob fahrlässige Unkenntnis“ oder als „ungewöhnlich großes Maß an Verletzung der erforderlichen Sorgfalt“ zu werten ist, werden sich in der zukünftigen Rechtsprechung der Instanzgerichte weiter herauskristallisieren müssen. Jeder Fall ist einzigartig und erfordert eine sorgfältige Abwägung aller Umstände.
Letztlich dient die Entscheidung dem Rechtsfrieden. Sie versucht, einen fairen Ausgleich zu finden zwischen dem berechtigten Interesse nichtehelicher Kinder an ihrem Erbteil und dem ebenso berechtigten Interesse der Erben an Rechtssicherheit und dem Schutz vor zeitlich unbegrenzter Inanspruchnahme. Für Betroffene bedeutet dies vor allem eines: Informieren Sie sich frühzeitig und handeln Sie entschlossen, um Ihre Rechte zu wahren. Der Weg zum Pflichtteil kann steinig sein, aber mit der richtigen Strategie und rechtzeitiger anwaltlicher Hilfe lassen sich viele Hürden überwinden.