LG Paderborn – Az.: 2 O 220/15 – Urteil vom 07.10.2016
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 77.952,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 31.10.2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 20 %, die Beklagte zu 80 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten restliche Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der am … verstorbenen C (nachfolgend: Erblasserin) geltend.
Die am … geborene Klägerin ist die leibliche Enkelin der Erblasserin. Ihr leiblicher Vater, F, war das einzige Kind der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes. Er war bis zu seinem Tod am … mit der Mutter der Klägerin, Frau F, verheiratet. Der zweite Ehemann der Mutter adoptierte die Klägerin am ….
Die Erblasserin errichtete mit ihrem Ehemann, F, am 06.01.1975 ein gemeinschaftliches, notariell beurkundetes Testament (Bl. 135 f. d.A.), worin sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und die Klägerin zur Alleinerbin des Letztlebenden einsetzten. Der letztlebende Ehegatte sollte das Testament noch aufheben oder abändern können (Anl. B 7). Nach dem Tode ihres Ehemannes setzte die Erblasserin die Beklagte mit dem handschriftlich errichteten Testaments vom 05.05.2012 (Bl. 97 d.A.) als ihre Alleinerbin ein. Sie verfügte unter anderem weiter, dass 1.000,00 EUR für heilige Messen zur Verfügung gegeben werden.
Vor ihrem Tode schenkte die Erblasserin der Beklagten am 12.03.09 einen Geldbetrag von 5.000,00 EUR, am 24.08.09 einen Betrag von 500,00 EUR und am 11.04.12 einen Betrag von 2.000,00 EUR.
Im Nachlass befanden sich zahlreiche Grundstücke in H und M (Ackerland, Landwirtschaftsflächen und Gebäuden- und Freiflächen), über deren Wert zwischen den Beteiligten Streit besteht. Die Flächen waren ursprünglich für den landwirtschaftlichen Betrieb der Erblasserin und ihres Ehemannes genutzt worden.
Die Beklagte beauftragte Herrn Dipl.-Ing. T mit einer gutachterlichen Wertermittlung der landwirtschaftlichen Flächen. Der Gutachter stellte per Gutachten vom 10.03.2013 (Anlage B 2) einen Verkehrswert der vorgenannten Grundstücke von insgesamt 178.750,00 EUR fest. Dabei setzte er einen Quadratmeterpreis von zwischen 1,90 EUR und 2,70 EUR für das Ackerland und einen Quadratmeterpreis von 4,50 EUR für die Gebäude- und Freifläche an. Hinsichtlich eines weiteren im Nachlass befindlichen Hausgrundstück wurde ein Gutachten des Gutachterausschusses des Kreises I eingeholt, der einen Wert von 79.000,00 EUR feststellte. Der Gutachter T stellte der Beklagten für seine Begutachtung 1.171,91 EUR, der Gutachterausschuss einen Betrag von 2.032,52 EUR in Rechnung. Im Nachlass befanden sich ferner Bankguthaben von 187.304,05 EUR und Schmuck im Wert von 2.800,00 EUR. Die anzusetzenden Nachlassverbindlichkeiten sind bis zu einem Betrag von 11.178,60 EUR (Beerdigungskosten 6.920,08 EUR, Gutachterkosten 1.171,91 EUR und 2.032,52 EUR sowie sonstige Ausgaben 1.054,09 EUR) unstreitig.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin auf den Pflichtteil einen Betrag von 215.655,23 EUR, den sie wie folgt errechnete:
Aktiva
Grundstückswerte lt. Gutachten T
Gemarkung H
Flur 1 Flurstück 188: 19.342 qm Ackerland
1,90 EUR/qm = 36.750,00 EUR
Flur 3 Flurstück 72: 14.667 qm Ackerland
1,95 EUR/qm = 28.600,00 EUR
Flur 3 Flurstück 90: 10.411 qm Ackerland
2,20 EUR/qm = 22.900,00 EUR
und 866 qm Gebäude- und Freifläche
4,50 EUR/qm = 3.450,00 EUR
Flur 3 Flurstück 109: 5.106 qm Ackerland
2,20 EUR/qm = 11.250,00 EUR
Flur 8 Flurstück 56: 11.741 qm Ackerland
2,70 EUR/qm = 31.700,00 EUR
Gemarkung M
Flur 1 Flurstück 391: 19.791 qm Landwirtschaftsfläche
2,10 EUR/qm = 41.600,00 EUR
Flur 5 Flurstück 298: 1.341 qm Landwirtschaftsfläche
1,90 EUR/qm = 2.500,00 EUR
Grundstücke gesamt
178.750,00 EUR
Entsorgungskosten für Scheune
./. 2.450,00 EUR
Grundstückswert gesamt
176.300,00 EUR
Wert Hausgrundstück Gutachten Kreis I
79.000,00 EUR
Grundstückswerte gesamt
255.300,00 EUR
Bankguthaben
187.304,05 EUR
Schmuck
2.800,00 EUR
Aktiva gesamt
445.404,05 EUR
Passiva
Beerdigungskosten
6.920,08 EUR
sonstige Ausgaben
1.054,09 EUR
Kosten Gutachten T
1.171,91 EUR
Kosten Gutachten Kreis I
2.032,52 EUR
Oberjustizkasse (Erbschein)
1.905,00 EUR
AG X (Grundbuchauszug)
10,00 EUR
Ausgaben lt. Testament für hl. Messen
1.000,00 EUR
Passiva gesamt
14.093,60 EUR
Nachlass gesamt
431.310,45 EUR
Pflichtteil nach Quote 1/2
215.655,23 EUR
Die Klägerin ist der Ansicht, der vom Gutachter T ermittelte Verkehrswert der landwirtschaftlichen Grundstücke sei zu niedrig bemessen. Sämtliche Grundstücke besäßen mindestens einen Verkehrswert von 4,40 EUR/qm, damit insgesamt mindestens einen Verkehrswert von 366.247,20 EUR. Insoweit legt die Klägerin drei „verbindliche Kaufangebote“ (Bl. 8 ff. d.A.) vor, aus denen sich ergebe, dass der Zeuge L bereit gewesen sei, drei der insgesamt sieben Grundstücke zu einem Quadratmeterpreis von 4,40 EUR, der Zeuge I die anderen vier der insgesamt sieben Grundstücke zu einem Quadratmeterpreis von ebenfalls 4,40 EUR zu erwerben, und dass der Zeuge I bereit gewesen sei, alle Grundstücke zu einem Quadratmeterpreis von 4,50 EUR zu erwerben. Die Zeugen seien auch schon zum Todestag bereit gewesen, diesen angebotenen Quadratmeterpreis zu zahlen. Hinsichtlich der Nachlasspassiva ist die Klägerin der Ansicht, dass die von der Oberjustizkasse I abgerechneten Kosten für die Erteilung des Erbscheins nicht zu berücksichtigen seien. Gleiches gelte für die Kosten des beim Amtsgericht X eingeholten Grundbuchauszugs. Auch das „Vermächtnis“ über 1.000,00 EUR („Ausgaben für Hl. Messen“) sei bei der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigen. Damit belaufen sich die Passiva nach Meinung der Klägerin auf lediglich 11.219,60 EUR. Unter Abzug dieses Betrages und unter Berücksichtigung der vorgenannten Werte errechnet die Klägerin einen Pflichtteilsanspruch von 312.086,33 EUR. Ferner macht die Klägerin wegen der Schenkungen der Erblasserin an die Beklagte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 2.950,00 EUR geltend. Die Gesamtforderung berechnet sie damit wie folgt: 312.086,33 EUR Pflichtteil zuzüglich 2.950,00 EUR Pflichtteilsergänzung abzüglich gezahlter 215.655,23 EUR = 99.381,10 EUR.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 99.381,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass mit der Adoption das Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu ihrem leiblichen Vater bzw. zu der Erblasserin geendet sei und damit auch kein Pflichtteilsanspruch bestehe. Der Verkehrswert der in Rede stehenden Grundstücke sei von dem beauftragten Gutachter T zutreffend ermittelt worden. Die von ihr bestrittenen Kaufangebote könnten der Verkehrswertermittlung nicht zugrunde gelegt werden, zumal diese nicht am maßgeblichen Todestag sondern später abgegeben worden seien. Im Übrigen seien die Grundstücke gerade nicht verkauft worden und die Beklagte beabsichtige auch nicht, die Grundstücke zu veräußern. Der Wert der Grundstücke sei zudem gerade in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Selbst wenn aufgrund der bestrittenen Kaufangebote ein höherer Wert anzusetzen sei, habe die Klägerin eine auf den landwirtschaftlichen Grundstücken lastenden „latente Steuerlast“ nicht berücksichtigt. Die Grundstücke hätten nämlich zum Betriebsvermögen des ursprünglich von der Erblasserin und ihrem Ehemann unterhaltenen Betriebes gezählt. Bei Veräußerung der Grundstücke realisiere sich ein betrieblicher Veräußerungsgewinn, der zu versteuern sei. Dieser Effekt sei auch dann für den Grundstückswert mindernd zu berücksichtigen, wenn für die Ermittlung des Wertes – wie von der Klägerin angenommen – lediglich Kaufangebote herangezogen würden und der Verkauf gar nicht realisiert sei. Wenn man entsprechend des Vortrags der Klägerin einen Wert von 4,40 EUR pro qm ansetzen würde, müsse eine latente (Einkommen-)Steuerlast von 20.872,15 EUR abgezogen werden.
Bei den im Rahmen des geltend gemachten Pflichtteilsergänzungsanspruchs thematisierten Schenkungen handelt es sich nach Ansicht der Beklagten um belohnende Schenkungen dafür, dass sie sich in den letzten Jahren vor dem Tod um die Erblasserin gekümmert habe. Diese würden daher nicht der Pflichtteilsberechnung unterliegen.
Ferner ist die Beklagte der Ansicht, dass es sich bei dem von den Parteien angesprochenen Sparbuch, welches die Erblasserin der Klägerin zukommen ließ, um einen auf den Pflichtteilsanspruch anrechenbaren Vorausempfang handele.
Mit Schreiben vom 28.10.2013 (Bl. 11 d.A.) lehnte die Beklagte nach entsprechender Aufforderung durch die Klägerin jede weitere Zahlung auf den Pflichtteil ab.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L, I und I. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 11.12.2015 und vom 29.01.2016 Bezug genommen. Ferner hat das Gericht zur Frage der latenten Steuerlast ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen I eingeholt, das dieser mündlich erläuterte. Insoweit sowie hinsichtlich der Vernehmung des Zeugen I wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.10.2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem ausgeurteiltem Umfang begründet, im Übrigen unbegründet. Der Klägerin steht – über den bereits gezahlten Betrag hinaus – ein weitergehender Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 77.952,39 EUR zu.
I. Der Klägerin steht ein Pflichtteilsanspruch aus § 2303 BGB in Höhe von 290.657,62 EUR zu.
1. Die Voraussetzungen des § 2303 BGB liegen vor. Die Beklagte ist aufgrund des Testamentes vom … Alleinerbin der Erblasserin geworden. An der letztwilligen Verfügung war die Erblasserin nicht wegen einer Bindungswirkung des mit ihrem Ehemann errichteten gemeinschaftlichen Testamentes vom … gehindert. Dieses war gemäß ausdrücklicher Anordnung auch nach dem Tode des einen Teils für den überlebenden Ehegatten noch frei aufzuheben bzw. abzuändern.
Die Klägerin ist als Abkömmling der Erblasserin durch das Testament vom … von der Erbfolge ausgeschlossen worden. Nach gesetzlicher Erbfolge wäre die Klägerin gemäß § 1924 Abs. 1, Abs. 3 BGB Alleinerbin der Erblasserin geworden. Der leibliche Vater der Klägerin war das einzige Kind der Erblasserin und wäre damit gemäß § 1924 Abs. 1, 1930 BGB Alleinerbe der Erblasserin geworden. Da der Vater der Klägerin bereits verstorben ist, tritt die Klägerin als dessen einziges Kind an dessen Stelle (§ 1924 Abs. 3 BGB). Die Klägerin bleibt auch trotz der Adoption vom … durch den neuen Ehemann ihrer Mutter weiterhin ein Abkömmling der Erblasserin, der Mutter ihres am … verstorbenen leiblichen Vaters. Das Verwandtschaftsverhältnis zu den Verwandten ihres leiblichen Vaters endete mit der Adoption nicht. Das ergibt sich aus dem maßgeblichen, zum Zeitpunkt der Adoption geltenden Recht. § 1756 Abs. 2 BGB a.F. lautete wie folgt:
„(2) Nimmt ein Ehegatte das eheliche Kind seines Ehegatten an, dessen frühere Ehe durch Tod aufgelöst ist, so tritt das Erlöschen nicht im Verhältnis zu den Verwandten des verstorbenen Elternteils ein.“
Die Voraussetzungen dieser Norm liegen vor. Der mit ihrer Mutter verheiratete leibliche Vater der Klägerin ist nach deren Geburt verstorben. Nach erneuter Heirat der Mutter hat der neue Ehegatte die Klägerin adoptiert. Damit erlosch das Verwandtschaftsverhältnis nicht im Verhältnis zu den Verwandten des verstorbenen Elternteils. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob, was nach heutiger Rechtslage erforderlich ist, der leibliche Vater bei seinem Tod die elterliche Sorge innehatte, kommt es nach der seinerzeitigen Fassung des § 1756 Abs. 2 BGB nicht an.
2. Der Pflichtteil besteht gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils und errechnet sich vorliegend nach der Hälfte des bereinigten Nachlasswertes i.S.v. § 2311 BGB.
Der Wert des Bestandes des Nachlasses (§ 2311 BGB) beträgt unter Abzug der bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigenden Nachlassverbindlichkeiten xxx EUR.
a) Hinsichtlich des zwischen den Parteien in Streit stehenden Wertes der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke besteht nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei der Berechnung des Pflichtteils folgender Ausgangspunkt (BGH, Beschluss v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09 – NJW 2011, 1004 f., juris Rz. 5):
„Gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB werden bei der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles zugrunde gelegt. Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden (BGHZ 14, 368, 376; Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 unter I 2 a; vom 13. März 1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900). Abzustellen ist mithin auf den so genannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht.“
Daraus zieht der BGH den Schluss, dass bei Veräußerung des Grundstücks regelmäßig der erzielte Verkaufserlös maßgeblich ist, weil dieser dem vorgenannten Verkaufswert entspricht:
„Da derartige Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss (Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 und 13. März 1991 aaO; vom 24. März 1993 – IV ZR 291/91, NJW-RR 1993, 834 unter 2; vom 17. März 1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497).“
Dieser Schluss ergibt sich schlicht daraus, dass der Pflichtteilsberechtigte entsprechend des vorzitierten Obersatzes wirtschaftlich so zu stellen ist, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Wird das Grundstück in zeitlichem Zusammenhang nach dem Erbfall veräußert, ist damit folgerichtig vorrangig auf den im zeitlichen Zusammenhang zum Erbfall erzielten Verkaufserlös abzustellen, selbst wenn ein zuvor eingeholtes Verkehrswertgutachten einen geringeren Wert ausgewiesen hat. Selbst wenn ein Nachlassgrundstück erst fünf Jahre nach dem Erbfall erheblich teurer als vom Sachverständigen geschätzt veräußert wird, kann dieser Verkaufserlös maßgeblich sein (BGH, Urteil vom 14.10.1992 – IV ZR 211/91 – NJW-RR 1993, 131 f.). In den vorgenannten Entscheidungen war der vom Gutachter ermittelte Wert für die Pflichtteilsberechnung nachrangig. Vorrangig war auf den erzielten Kaufpreis abzustellen, weil sich aus dem Kaufpreis unmittelbar ergibt, zu welchem Erlös das Grundstück am Markt „in Geld umgesetzt“ werden kann. Das ergibt sich auch aus dem von den Beklagtenvertretern als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 29.01.2016 vorgelegten Literaturauszug. Dort heißt es nämlich, dass der Normalverkaufspreis zu ermitteln sei. Ausgangspunkt jeder Bewertung sei dabei ein gedachter potentieller Käufer, der an dem Erwerb des Nachlassgegenstandes in seiner konkreten Beschaffenheit mit der vorgesehenen Verwertungsmöglichkeit interessiert sei und die Bereitschaft habe, einen angemessenen, dem inneren Wert des Nachlassgegenstandes entsprechenden Preis zu zahlen. Es ist also – entsprechend der vorzitierten BGH-Rechtsprechung – auf den am Markt erzielbaren Verkaufspreis abzustellen. Daher ist gerade auch ein erzielter Verkaufserlös heranzuziehen, weil sich dort der erzielbare Kaufpreis konkret realisiert hat.
Der Rechtsprechung lässt sich aber nicht entnehmen, dass ein Grundstück bereits verkauft sein muss, um daran anknüpfend einen höheren als einen vom Gutachter geschätzten Wert geltend machen zu können. Im Gegenteil ist vielmehr – belegt auch durch den von den Beklagtenvertretern vorgelegten Literaturauszug – der am Markt erzielbare Verkaufspreis vorrangig. Wird also ein Nachlassgrundstück nicht veräußert, hätte es aber nachweisbar zum Zeitpunkt des Erbfalls zu einem bestimmten Kaufpreis veräußert werden können, ist nach Auffassung der Kammer dieser höhere, erzielbare Wert anzusetzen, weil das der Betrag ist, zu dem – dem oben zitierten Obersatz des BGH entsprechend – das Grundstück hätte in Geld umgesetzt werden können. Auf den vorliegenden Fall übertragen war folglich zu klären, ob entsprechend der Behauptung der Klägerin unmittelbar nach dem Erbfall die Grundstücke hätten zu einem Preis von 4,40 EUR pro qm veräußert werden können, ob sich also mit der nach § 286 ZPO vorausgesetzten Gewissheit feststellen lässt, dass die Grundstücke hätten zu diesem Quadratmeterpreis verkauft werden können.
Nach durchgeführter Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung der Kammer fest, dass das Grundstück Gemarkung H Flur 1, Flurstück 188 für 4,40 EUR pro qm, das Grundstück Flur 3 Flurstück 72 für 4,40 EUR pro qm, das Grundstück Flur 3 Flurstück 90 für 4,00 EUR pro qm, das Grundstück Flur 3 Flurstück 109 für 4,40 EUR pro qm, dass Grundstück Flur 8 Flurstück 56 für 4,00 EUR pro qm sowie das Grundstück Gemarkung M Flur 1 Flurstück 391 für 4,00 EUR pro qm und Flur 5 Flurstück 298 für 4,40 pro qm zu einem Kaufpreis verkauft werden und damit insgesamt hätten 349.123,60 EUR erlöst werden können.
Das ergibt sich aus den glaubhaften Aussagen der uneingeschränkt glaubwürdigen Zeugen I und L, deren Sachgehalt durch die Aussage des Zeugen I bestätigt wurde. Die beiden erstgenannten Zeugen haben in ihrer Vernehmung glaubhaft bekundet, dass sie zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Kaufangebote am 12.03.2015 (Bl. 8 f. d.A.) bereit gewesen seien, für die dort genannten Grundstücke einen Kaufpreis von 4,40 EUR pro qm zu zahlen. Beide Zeugen haben plausibel ihrer Beweggründe erläutert, warum sie ein Kaufangebot in dieser Höhe abgeben haben. Die Zeugen bewirtschaften jeweils einen Ackerbaubetrieb und sind aus betrieblichen Gründen, um die zu bewirtschaftenden Flächen zu vergrößern, am Zukauf von Land interessiert. Das gilt gerade für solche Flächen, die in der X gelegen – wie vorliegend – eine äußerst gute Bodenqualität aufweisen. Der Zeuge L bekundete diesbezüglich, erst kürzlich Flächen erworben zu haben, die allerdings eine geringere Bodenqualität aufweisen würden. Der Zeuge I erläuterte, dass er schon über einen längeren Zeitraum am Erwerb zusätzlicher landwirtschaftlicher Flächen mit guter Bodenqualität in der X interessiert gewesen sei, es aber wegen des beschränkten Angebotes stets schwierig gewesen sei, solche Flächen erwerben zu können. Nach Überzeugung der Kammer waren beide Zeugen auch bereit, die in Rede stehenden Grundstücke zu dem in ihren Angeboten angegebenen Preise zu erwerben. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die abgegebenen Angebote wegen § 311b Abs. 1 S. 1 BGB keine Verbindlichkeit dergestalt aufweisen, dass die Beklagte die Zeugen auf Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages in Anspruch nehmen könnte. Indes schilderten die Zeugen glaubhaft das eigene Interesse an den in Rede stehenden Flächen und erläuterten plausibel ihre Beweggründe dafür. Nach Einschätzung der Kammer hätten die Zeugen am 12.3.2015 die Flächen zu den angegebenen Preisen erworben, wenn tatsächlich die Gelegenheit dazu bestanden hätte. Bestätigt wird dies durch die Angaben des Zeugen I, der bekundet hat, dass er im Jahr 2015 bereit gewesen wäre, 4,50 EUR pro qm für sämtliche Grundstücke zu bezahlen. Er selbst hatte in der dortigen Gegend zuvor auch Ackerflächen erworben.
Des Weiteren ist die Kammer davon überzeugt, dass der Zeuge I auch schon bei Eintritt des Erbfalls im Jahr 2012 bereit gewesen wäre, für die von ihm angegebenen Flächen einen Preis von mindestens 4,40 EUR pro qm zu bezahlen. Dass zu diesem Zeitpunkt eine solche Bereitschaft bestanden habe, hat er damit begründet, schon über einen längeren Zeitraum Ackerland guter Qualität („reiner Schokoladenboden“) in der X erwerben zu wollen. Insoweit hat er erläutert, dass es preislich keinen Unterschied gemacht hätte, wenn er das Angebot bereits 2012 abgegeben hätte, es komme ihm entscheidend auf die Qualität des Bodens an. Insoweit sei er – zumindest aktuell – sogar bereit, notfalls im Preis noch etwas nachzulegen. Der Zeuge L bestätigte ebenfalls, dass er auch 2012 keinen von 4,40 EUR pro qm wesentlich abweichende Preis geboten hätte. Möglicherweise hätte er geringfügig abweichende Beträge von 4,20 EUR oder 4,10 EUR geboten – 4,00 EUR hätte er aber sicher gezahlt. Insoweit lässt sich für die von dem Zeugen L in Bezug genommenen Flächen feststellen, dass bei Veräußerung unmittelbar nach dem Erbfall im Jahr 2012 zumindest 4,00 EUR pro qm hätten erlöst werden können. Neben der vergleichsweise guten Qualität des Bodens ergab sich aus den Aussagen der drei vernommenen Zeugen zudem noch ein weiterer, wesentlicher preisbildender Faktor, nämlich das Flurbereinigungsverfahren „H Börde“, welches sich auf die in Rede stehenden Grundstücke bezieht und mit Einleitungsbeschluss der Bezirksregierung E vom 27.10.2011 (abrufbar unter: https://www.bezreg-demold.nrw.de/200_Aufgaben/010_Planung_und_Verkehr/030Bodenordnung/Bodenordnungsverfaren/Grosseneder/weitere_Informationen/81105_Einleitungsbeschluss.pdf) angeordnet wurde. Das Flurbereinigungsverfahren ist insbesondere für diejenigen Landwirte aussichtsreich, die über viel Fläche im zu ordnenden Gebiet verfügen. Die Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens verstärkt bei vorliegend beschränktem Angebot die Nachfrage und die zu erlösenden Kaufpreise noch zusätzlich. Auch der Zeuge I wäre nach seinen Angaben schon im Jahr 2012 bereit gewesen, einen Preis von geschätzt zwischen 3,50 EUR und 3,80 EUR pro qm zu zahlen und erklärte, dass die Besonderheit bestehe, dass im Jahr 2011 das Flurbereinigungsverfahren eingeleitet worden sei.
Der Feststellung, dass die Zeugen I und L zum Zeitpunkt des Erbfalls den von ihnen angegebenen Kaufpreis gezahlt hätten, steht das von der Beklagten eingeholte Privatgutachten T vom 10.03.2013 (Anlage B 2) nicht entgegen. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass den vorhergehenden Ausführungen folgend der in einem eingeholten Verkehrswertgutachten geschätzte Wert nur nachrangig zu einem tatsächlich stattgefundenen Kauf oder tatsächlich bestehenden Möglichkeiten eines Verkaufs heranzuziehen ist. Zuvorderst maßgeblich ist der erzielte oder der aufgrund festgestellter Kaufbereitschaft erzielbare Kaufpreis. Daher kann das Gutachten vom Ansatzpunkt her schon nicht der aus den Zeugenaussagen gewonnenen Überzeugung entgegenstehen. Denn dem Gutachten lässt sich eben nicht entnehmen, dass die vernommenen Zeugen aufgrund ihrer individuellen Entscheidung nicht bereit gewesen wären, den von ihnen angegebenen Preis zu zahlen. Es könnten sich daraus allenfalls Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Aussagekraft des eingeholten Zeugenbeweises sprechen könnten. Das ist vorliegend indes schon deshalb nicht der Fall, weil in dem eingeholten Privatgutachten methodisch fehlerhaft die Bodenrichtwerte aus den Grundstücksmarktberichten 2011 zum Stichtag 01.01.2011 und 2012 zum Stichtag 01.01.2012 herangezogen und bei der gutachterlichen Schätzung (daraus folgend) nicht alle wesentlichen preisbildenden Faktoren beachtet wurden (vgl. S. 4 des Gutachtens). Maßgeblicher Bewertungsstichtag ist der am 14.07.2012 eingetretene Erbfall. Der Gutachter führt zunächst den Bodenrichtwert zum Stichtag 01.01.2011 aus dem Grundstückmarktbericht 2011 auf. Darin sind die in dem zurückliegenden Jahr 2010 erfolgten Verkaufsfälle berücksichtigt. Sodann gibt er den Bodenrichtwert zum Stichtag 01.01.2012 aus dem Grundstückmarktbericht 2012 an, in dem die im Jahr 2011 erfolgten Verkäufe berücksichtigt sind. Damit werden gerade nicht die Bodenrichtwerte zum Stichtag 01.01.2013 herangezogen, die hätten Aufschluss über die in dem vorliegend maßgeblichen Jahr 2012 erzielbaren Preise geben können. Das wäre aber gerade im vorliegenden Fall unbedingt erforderlich gewesen, weil der Einleitungsbeschluss über das Flurbereinigungsverfahren erst auf den 27.10.2011 datiert. Die herangezogenen Bodenrichtwerte bilden also im Wesentlichen die vor dem Einleitungsbeschluss und einige Zeit vor dem Erbfall erfolgten Verkäufe ab, was schon in zeitliche Hinsicht methodisch fehlerhaft ist. Im Übrigen wird das seit dem 27.10.2011 stattfindende Flurbereinigungsverfahren trotz seiner wertbildenden Eigenschaft in dem auf den 10.03.2013 datierenden Gutachten weder angesprochen noch berücksichtigt. Daher hat insbesondere der Zeuge I zu Recht erklärt, dass die in dem Gutachten geschätzten Werte aus seiner Sicht in Anbetracht der Marktlage unrealistisch seien. Bestätigt wird diese Annahme zudem dadurch, dass der Zeuge I selbst mit Kaufvertrag vom 14.08.2013 (Anlage B 8) Ackerland in dem dortigen Bereich zu einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis erworben hat, der deutlich über dem vom Gutachter T geschätzten Quadratmeterpreisen lag. Insoweit ist für die Kammer plausibel und nachvollziehbar, dass die Zeugen L und I trotz des Gutachtens bereit gewesen wären, einen deutlich höheren als den vom Gutachter T bezifferten Quadratmeterpreis zu zahlen. Das Privatgutachten steht der Aussagekraft der Bekundungen der vernommenen Zeugen nach alledem nicht entgegen.
Im Ergebnis hat die Klägerin damit den Beweis geführt, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Erbfalls für die landwirtschaftlichen Grundstücke insgesamt 349.123,60 EUR hätte erlösen können. In Anbetracht der aus den Zeugenaussagen gewonnenen Überzeugung war das von der Beklagten gegenbeweislich angebotene gerichtliche Sachverständigengutachten hingegen nicht einzuholen, weil sich daraus zwar ein theoretisch ermittelter Verkehrswert ergeben hätte, was allerdings nichts daran hätte ändern können, dass, was vorrangig zu beachten ist, die Beklagte im konkreten Fall bei Veräußerung der Grundstücke an die Zeugen I und L den vorgenannten Kaufpreis hätten erlösen können.
Die nach der Behauptung der Beklagten entstehenden Entsorgungskosten für die auf dem Grundstück Gemarkung M Flur 5, Flurstück 298 befindliche Feldscheune sind nicht in Abzug zu bringen, weil der Zeuge I bereit gewesen wäre, das Grundstück mit aufstehender Scheune für den angegebenen Preis zu erwerben. Insoweit hatte auch der Gutachter T (vgl. S. 14/15 des Gutachtens) im Ergebnis für die Feldscheune einen Verkehrswert von 0,- EUR geschätzt.
b) Nach dem Urteil des OLG Hamm vom 10.04.2014 – 10 U 35/13, ErbR 2014, 404 ist bei der Berechnung des Pflichtteils eine latente Steuerlast zu berücksichtigen, also diejenige zusätzliche Einkommensteuerlast von dem erzielbaren Verkaufserlös abzuziehen, die entstanden wäre, wenn die Grundstücke zu dem vorgenannten Preis veräußert worden wären. Hierzu führt der Senat unter Rz. 230 f. (Juris) der vorzitierten Entscheidung aus:
„Weiter ist von den so ermittelten Auflösungswerten diejenige Ertragssteuerlast abzusetzen, die im Falle einer tatsächlichen Veräußerung entstünde (latente Steuerlast), da insofern nichts anderes gilt als für sonstige unvermeidbare Veräußerungskosten (Bundesgerichtshof, NJW-RR 1990, 68, 69). Auf einem Denkfehler beruht dagegen die Annahme der Klägerin, dass die latente Steuerlast als zweifelhafte Verbindlichkeit i.S.d. §. 2313 Abs. 2 S. 1 BGB zu behandeln und erst bei ihrem wirklichen Eintritt zu berücksichtigen sei, weil die Nachlassbewertung damit auf einer tatsächlichen und nicht mehr auf einer unterstellten Veräußerung beruhen würde. Dass die Steuerlast zu berechnen ist, wie sie in der Person des Erben entstünde, folgt sodann aus dem Umstand, dass eine Veräußerung „zur Zeit des Erbfalls“ anzunehmen ist. Denn da der Pflichtteilsanspruch erst mit dem Tod des Erblassers entsteht, §. 2317 Abs. 1 BGB, müsste der Nachlass erst in der Hand des tatsächlichen Erben versilbert werden. Danach ist außerdem eine etwaige gemeinsame steuerliche Veranlagung des Erben mit seinem Ehegatten zu berücksichtigen.[…]
(b) Einkommensteuerpflichtig wäre der Veräußerungsgewinn i.S.d. §. 14 S. 1 EStG, d.h. der Überschuss der tatsächlichen Veräußerungserlöse über die Buchwerte des Betriebsvermögens i.S.d. §§. 14 S. 2 i.V.m. 16 Abs. 2 EStG (vgl. Blümich / Nacke, EStG121, §. 14, Rz. 39). Entsprechendes gilt gem. §. 1 Abs. 1 SolzG für den Solidaritätszuschlag und gem. §. 1 KiStG NW für die Kirchensteuer.“
Aus dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen I ergibt sich, dass die Veräußerung der Grundstücke zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls am 14.07.2012 zu einer Steuermehrbelastung der gemeinsam mit ihrem Ehemann veranlagten Beklagten in Höhe von 25.733,82 EUR geführt hätte. Dieser Betrag ist als latente Steuerlast der vorgenannten Entscheidung folgend abzusetzen.
Der Sachverständige hat im schriftlichen Gutachten festgestellt, dass die landwirtschaftlichen Grundstücksflächen im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin landwirtschaftliches Betriebsvermögen darstellten. Vor Eintritt des Erbfalles sei bis zum 14.07.2012 weder eine Veräußerung noch die Entnahme erklärt worden, so dass die sich in diesen Grundstücken befindlichen stillen Reserven nicht der Besteuerung zugeführt worden waren. Privatvermögen könne nur dann vorliegen, wenn die landwirtschaftlichen Flächen lediglich zu privaten Zwecken genutzt werden. Dieses sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen, da die Flächen verpachtet worden seien. In der landwirtschaftlichen Praxis sei es die absolute Ausnahme, dass ohne einen besonderen Anlass, z.B. wenn ein Landwirt von einem eigenen Betrieb auf Verpachtung der Ländereien umstellt, solch eine Entnahmeerklärung abgegeben wird. Diese würde nämlich dazu führen, dass die landwirtschaftlichen Flächen, die vom notwendigen Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführt werden, einer Besteuerung unterfallen, und zwar ohne dass zugleich eine Liquidität zufließt. Eine gedachte Veräußerung der vorgenannten Grundstücke durch die Beklagte am 14.07.2012 hätte, so stellte der Sachverständige ausdrücklich fest, daher dazu geführt, dass der Veräußerungsgewinn einer Besteuerung unterworfen worden und eine zusätzliche, über die tatsächliche Veranlagung hinausgehende Einkommensteuerlast entstanden wäre. Die zusätzliche Einkommensteuerlast ermittelte der Sachverständige wie folgt:
Ausgangspunkt für die Berechnung ist der Veräußerungsgewinn. Dieser beträgt vorliegend 85.362,43 EUR. Er wird durch den fiktiven Veräußerungserlös abzüglich des Buchwertes ermittelt. Der Buchwert von Grund und Boden entspricht, den Anschaffungskosten. Diese sind vom Sachverständigen gem. § 55 Abs. 2 EStG ermittelt worden. Ausgehend von dieser Berechnung kommt der Sachverständige zu Folgenden Ergebnissen:
…………………………..
Der Veräußerungsgewinn hätte nach Feststellung des Sachverständigen im Jahr 2012 der Besteuerung nach §§ 13, 14 EStG unterlegen. In diesem Jahr habe das Finanzamt X für die Beklagte, die gemeinsam mit ihrem Ehemann veranlagt wird, eine Steuerbelastung von 3.775,56 EUR berechnet. Der Veräußerungsgewinn der Grundstücke unterliege der ermäßigten Besteuerung gem. § 34 Abs. 1 EStG. Danach ergäbe sich für die Beklagte und ihren Ehemann eine steuerliche Belastung von 29.509,38 EUR. Abzüglich der tatsächlichen Steuerbelastung i.H.v. 3.775,56 EUR ergäbe sich bei Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns eine steuerliche Mehrbelastung i.H.v. 25.733,82 EUR. Diese Summe schmälert, den für die Ermittlung des Nachlasses errechneten Grundstückswert.
Soweit die Klägerin vorträgt, dass für das Grundstück Flur 3, Flurstück 90 kein Buchwert angesetzt sei, hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung am 07.10.2016 erläutert, dass sich die Ersatzermittlung ausschließlich auf die Ermittlung von Flächen nach den Ertragsmesszahlen beziehe. Diese ergäben sich aus dem amtlichen Katasterauszug. Sie würden nur für landwirtschaftliche Flächen festgestellt. Dementsprechend sei die Teilfläche von 866 m² des Grundstücks Flur 3 Flurstück 90 mit einem Buchwert von Null zu versehen, weil dort eine Scheune gestanden habe.
Soweit die Klägerin anführt, dass der Sachverständige, die Indizien, die für die Entnahme der Grundstücke aus dem Betriebsvermögen sprechen würden, nicht berücksichtigt habe, hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung am erläutert, dass die Tatsache, dass der von der Erblasserin und ihrem Ehemann betriebene Hof bereits in den 70er Jahren aus der Höferolle genommen worden sei nicht dazu führe, dass die landwirtschaftlichen Grundstücke in das Privatvermögen überführt werden. Sowohl im Falle einer Entnahme einzelner landwirtschaftlicher Flächen aus dem notwendigen Betriebsvermögen als auch bei einer Betriebsaufgabe insgesamt bedürfe es einer Erklärung gegenüber dem Finanzamt. Deshalb reiche es nicht aus, dass ein Hof lediglich aus der Höferolle ausgetragen werde. Auch die Tatsache, dass die Beklagte im Veranlagungszeitraum keine Einkünfte aus Land- und Fortwirtschaft erklärt habe, führt nach Feststellung des Sachverständigen nicht zu einer anderen Bewertung. Die steuerliche Qualifikation von Einnahmen aus Land- und Fortwirtschaft bzw. aus Vermietung oder Verpachtung für sich allein reiche vielmehr noch nicht zur Feststellung einer konkludenten Entnahmeerklärung aus. Der Vortrag der Klägerin, wonach es bereits bei Aufgabe des Hofes aus steuerlicher Sicht wirtschaftlich Sinn gemacht hätte, die landwirtschaftlichen Grundstücke aus dem Betriebsvermögen herauszulösen, da die Ersatzermittlung der Buchwerte höher gewesen wäre als die tatsächlichen Grundstückswerte, hat der Sachverständige zwar so bestätigt. Dieses ändert im Ergebnis aber nichts an den dessen Feststellung, dass es einer eindeutigen Entnahmeerklärung gegenüber der Finanzbehörde bedarf.
Für eine derartige Entnahmeerklärung ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet, da das Vorliegen der Erklärung eine Verringerung des Nachlasses verhindert hätte und für sie im konkreten Fall daher günstig gewesen wäre. Dass diese Erklärung tatsächlich abgeben wurde, konnte jedoch nicht bewiesen werden. Die Klägerin negiert, dass die Beklagte nicht beweisen muss, dass die Grundstücke nicht in das steuerliche Privatvermögen überführt wurden, sondern, dass es sich bei den landwirtschaftlichen Grundstücken um Betriebsvermögen handelt, solange keine Entnahmeerklärung gegenüber der Finanzbehörde abgegeben wird.
c) Diesem Betrag ist noch der unstreitige Wert des Hausgrundstücks von 79.000,00 EUR, das unstreitige Bankguthaben von 187.304,05 EUR und der unstreitige Wert des Schmucks von 2.800,00 EUR hinzuzusetzen, sodass sich Nachlassaktiva von insgesamt 592.493,83 EUR ergeben.
d) Hinsichtlich der Passiva stehen die Positionen Oberjustizkasse (Erbschein) über den Betrag von 1.905,00 EUR, AG X (Grundbuchauszug) über den Betrag von 10,00 EUR und das in dem Testament angeordnete, von den Parteien als solches bezeichnete Vermächtnis „Ausgaben lt. Testament für Hl. Messen“ über den Betrag von 1.000,00 EUR in Streit.
Nach ständiger Rechtsprechung sind Vermächtnisse bei der Pflichtteilsberechnung nicht in Abzug zu bringen (BGH Urteil vom 16.09.1987 – IVa ZR 97/86 – NJW 1988, 136 ff.). Es handelt sich insoweit um bei der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigende Kosten, die auf der Verfügung der Erblasserin von Todes wegen beruhen (vgl. Lange, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 9, 6. Auflage 2013, § 2311 Rn. 13). Auch die Kosten des Verfahrens zur Erteilung des Erbscheins sind ebenfalls nicht abzugsfähig (Lange, a.a.O., § 2311 Rn. 20). Gleiches gilt für die Kosten zur Einholung des Grundbuchauszuges.
e) Es ergibt sich im Ergebnis folgende Berechnung des nach § 2311 BGB maßgeblichen Nachlasswertes:
Aktiva
Gemarkung H
Flur 1 Flurstück 188: 19.342 qm Ackerland
4,40 EUR/qm
Flur 3 Flurstück 72: 14.667 qm Ackerland
4,40 EUR/qm
Flur 3 Flurstück 90: 10.411 qm Ackerland
4,00 EUR/qm
und 866 qm Gebäude- und Freifläche
4,00 EUR/qm
Flur 3 Flurstück 109: 5.106 qm Ackerland
4,40 EUR/qm
Flur 8 Flurstück 56: 11.741 qm Ackerland
4,00 EUR/qm
Gemarkung M
Flur 1 Flurstück 391: 19.791 qm Landwirtschaftsfläche
4,00 EUR/qm
Flur 5 Flurstück 298: 1.341 qm Landwirtschaftfläche
4,40 EUR/qm
Fläche gesamt
83.238 qm
Gesamt
349.123,60 EUR
Abzgl. latente Steuerlast
25.733,82 EUR
verbleiben
323.389,78 EUR
Wert Hausgrundstück Gutachten Kreis I
79.000,00 EUR
Grundstücke gesamt
402.389,78 EUR
Bankguthaben
187.304,05 EUR
Schmuck
2.800,00 EUR
Aktiva gesamt
592.493,83 EUR
Passiva
Beerdigungskosten
6.920,08 EUR
sonstige Ausgaben
1.054,09 EUR
Kosten Gutachten …..
1.171,91 EUR
Kosten Gutachten Kreis Höxter
2.032,52 EUR
Passiva gesamt
11.178,60 EUR
Nachlass gesamt
581.315,23 EUR
Pflichtteil nach Quote 1/2
290.657,62 EUR
II. Der Klägerin steht darüber hinaus ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 BGB in Höhe von 2.950,00 EUR zu. Die Schenkungen der Erblasserin an die Beklagte sind im Rahmen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB zu berücksichtigen. Insoweit kann die Klägerin als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Hierbei wird gemäß § 2325 Abs. 3 BGB die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Die Schenkung vom 12.03.09 über einen Geldbetrag von 5.000,00 EUR erfolgte innerhalb des vierten Jahres vor dem Erbfall, sodass davon 30 % abzuziehen sind und ein zu ergänzender Betrag von 3.500,00 EUR verbleibt. Die Schenkung vom 24.08.09 über einen Geldbetrag von 500,00 EUR erfolgte innerhalb des dritten Jahres vor dem Erbfall, sodass davon 20 % abzuziehen sind und ein zu ergänzender Betrag von 400,00 EUR verbleibt. Die Schenkung vom 11.04.12 über einen Betrag von 2.000,00 EUR erfolgte innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall, sodass dieser Betrag in voller Höhe zu ergänzen ist. Der Nachlasswert ist demnach um 5.900,00 EUR zu ergänzen. Der Pflichtteilsanspruch erhöht sich um 2.950,00 EUR auf 293.607,62 EUR.
Gegen den Pflichtteilsergänzungsanspruch wendet die Beklagte ein, dass es sich jeweils um belohnende Schenkungen dafür gehandelt habe, dass sie sich um die Erblasserin gekümmert habe. Damit hat die Beklagte aber nicht hinreichend schlüssig (durch Sachvortrag) dargelegt, dass es sich um Schenkungen i.S.v. § 2330 BGB, die bei der Pflichtteilsergänzung außer Ansatz bleiben, gehandelt habe, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen worden sei. Es ist zu berücksichtigen, dass eine belohnende Schenkung nur unter besonderen Umständen und ausnahmsweise als Pflichtschenkung i.S.v. § 2330 BGB anzusehen ist (Weidlich, in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 2330 Rn. 3). Solche besonderen Umstände sind von der Beklagten allerdings nicht schlüssig dargetan. Es kommt insbesondere auf die Intensität der Pflege und des damit verbundenen Opfers und den Zusammenhang zur Schenkung an, wozu nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich ist. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht mithin in der vorgenannten Höhe.
III. Eine Anrechnung des Sparbuchs, welches die Klägerin von der Erblasserin erhalten hat, auf den Pflichtteil findet nicht statt, weil es an einer Anrechnungsbestimmung seitens der Erblasserin fehlt. Nach § 2315 BGB hat sich der Pflichtteilsberechtigte dasjenige auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Dass es eine solche von der Erblasserin zu treffende Anrechnungsbestimmung gegeben habe, ist seitens der Beklagten weder schlüssig dargetan noch ist dafür etwas ersichtlich.
Zwar mag es sich, wie die Beklagtenvertreter im Schriftsatz vom 18.12.2015 ausführen, um eine lebzeitige Schenkung der Erblasserin auf den Todesfall handeln, auf die – wie bei anderen Schenkungen auch – § 2315 BGB anzuwenden ist. Auch mögen die in diesem Schriftsatz zitierten Auszüge aus der Literatur zutreffend sein. Allerdings ändert dies jedenfalls nichts daran, dass eine Anrechnung der erfolgten Schenkungen gemäß § 2315 BGB nur dann vorzunehmen ist, wenn die Erblasserin eine – hier nicht dargelegte – Anrechnungsbestimmung getroffen hätte.
IV. Im Ergebnis besteht ein Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten in Höhe von insgesamt 293.607,62 EUR. Dieser ist infolge beklatenseitiger Zahlung von 215.655,23 EUR durch Erfüllung untergegangen, sodass der ausgeurteilte Betrag von 77.952,39 EUR verbleibt.
V. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug (§§ 288, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB).
VI. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.