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Pflichtteilsanspruch – Anrechnung von Zuwendungen

LG Potsdam – Az.: 6 O 442/17 – Urteil vom 28.03.2018

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.452,00 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2018.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin ein Viertel und der Beklagte drei Viertel zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags .

5. Der Streitwert wird auf 13.535,19 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt ihren Pflichtteil, der beklagte Erbe widerklagend Rechtsanwaltskosten.

Die Klägerin ist die alleinig noch lebende Tochter der am 23. Oktober 2014 verstorbenen Erblasserin; der Beklagte, ihr Vater, ist deren Ehemann und testamentarischer Alleinerbe.

Mit notarieller Urkunde vom 10. Dezember 1997 überließen die Eheleute der Klägerin eine unbebaute, noch unvermessene Teilfläche von knapp 600 m² ihres Grundstücks in Blankenfelde. Unter VII. heißt es:

„VII.

Gegenleistung und Pflichtteilsverzicht

Der Erwerber [= die Klägerin] hat an den Veräußerer keine Herauszahlung zu leisten. Der Erwerber hat an seinen Bruder … keine Herauszahlung zu leisten.

Der Erwerber erhält den heute übertragenen Grundbesitz als Ausstattung zur Sicherung seiner Lebensstellung. Den Wert der Ausstattung wünschen die Beteiligten nicht zu beziffern. Eine Ausgleichungspflicht nach § 2050 Abs. 1 BGB wird bei gesetzlicher Erbfolge ausgeschlossen; auf die vom Gesetz vorgeschriebene Berücksichtigung bei der Berechnung des Pflichtteils wurde hingewiesen.

Der Erwerber hat sich den Wert der heutigen Übertragung auf sein Pflichtteil nach dem Veräußerer [= die Eheleute] anrechnen zu lassen. …“

Nach IX. des Vertrages räumt die Klägerin den Eheleuten ein Altenteilsrecht ein durch zunächst schuldrechtliche Gewährung eines Wohnrechtes in dem zu errichtenden Haus und der Verpflichtung zur Versorgung und Pflege. Die Rechte wurden grundbuchlich gesichert.

Der Wert des notariell übertragenen Grundstücksteils betrug für sich unstreitig 40.000 €.

Mit an den Beklagtenvertreter gerichteten Anwaltsschreiben vom 20. Januar und 10. April 2017 bat die Klägerin um ein Gespräch über ihren Pflichtteilsanspruch, den sie mit 12.326 € berechnet hatte. Mit Anwaltsschreiben vom 5. Mai 2017 verwies der Beklagte auf die Anrechnungsklausel im notariellen Vertrag.

Die Klägerin behauptet einen Nachlasswert von 37.808 €. Die Übertragung des Grundstücksteils sei nicht unentgeltlich erfolgt, sondern im Gegenzug für die Bestellung des Altenteils, dessen Wert mit 76.000 € zu bemessen sei.

Die Klägerin beantragt mit ihrer am 17. Januar 2018 zugestellten Klage, den Beklagten zu verurteilen, an sie 12.577 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt er mit Zustellung am 1. Februar 2018, die Klägerin zu verurteilen, an ihn 958,19 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe grundlos Ansprüche geltend gemacht und daher die dadurch verursachten Anwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 12.326 € zu ersetzen. Der Grundstückwert sei schon bei der Übertragung um Wohnrecht und Pflegeleistung gemindert.

Entscheidungsgründe

I.

Die ohne weiteres zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

Der Klägerin steht in der genannten Höhe ein Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Nach dieser Vorschrift kann ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist, von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin ist als allein noch lebender Abkömmling der Erblasserin als gesetzliche Erbin erster Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB) neben dem Beklagten als Ehemann der Erblasserin – bei einem zu vermutenden gesetzlichen Güterstand – zur Hälfte zur Erbschaft berufen, § 1931, 1371 Abs. 1 BGB. Sie ist kraft Testaments von der Erbschaft ausgeschlossen und damit pflichtteilsberechtigt.

Der Pflichtteil besteht nach Satz 2 der Vorschrift in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Der Nachlasswert beträgt nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin 37.808 €. Der Wert des gesetzlichen Erbteils der Klägerin beträgt damit 18.904 €, so dass sich der Pflichtteilsanspruch auf 9.452 € beläuft.

Dieser Betrag steht der Klägerin ungeachtet dessen zu, dass ihre Eltern ihr im Jahr 1997 ein Grundstücksteil unentgeltlich übertragen haben. Zwar hat sich nach § 2315 Abs. 1 BGB eine Pflichtteilsberechtigte auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, was ihr von der Erblasserin durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Das ist bei dem Grundstücksteil der Fall. Der Grundstücksteil ist ihr unter anderem von ihrer Mutter, der späteren Erblasserin, durch ein solches Rechtsgeschäft und mit dieser Bestimmung zugewandt worden.

Zur Berechnung dieser Anrechnung bestimmt 2315 Abs. 2 BGB, dass der Wert der Zuwendung bei der Bestimmung des Pflichtteils dem Nachlass hinzugerechnet wird, wobei sich der Wert nach der Zeit bestimmt, zu welcher die Zuwendung erfolgt ist. Auf den so errechneten fiktiven Betrag ist sodann der Wert der Zuwendung anzurechnen.

Unter Anwendung dieser Berechnungsvorgaben des Gesetzes verbleibt indes kein anzurechnender Zuwendungswert. Denn als „Zuwendung“ in diesem Sinne ist nur der wirtschaftliche Vorteil aufzufassen, um den das genannte Rechtsgeschäft das Vermögen des Pflichtteilsberechtigten mehrt. Gegenleistungen, die der Zuwendungsempfänger erbringt, sind von dem Wert der Zuwendung ebenso abzuziehen wie Belastungen des Zugewandten, da es sonst zu einer Doppelbelastung des Zuwendungsempfängers mit Gegenleistung und Anrechnung auf den Pflichtteil käme bzw. sonst nicht berücksichtigt würde, dass die Belastung den Wert der Zuwendung mindert im Vergleich mit der nicht belasteten Zuwendung (vgl. Reisnecker, in: Beck’scher Online-Großkommentar, § 2315 BGB Rdnr. 77 und BGHZ 118, 49 = NJW 1992, 2887). Für beides, das heißt für den zugewandten Teil wie für die versprochene Gegenleistung, ist nach der genannten Regel des § 2315 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Zuwendungszeitpunkt abzustellen. Der Wert ist mithin ungeachtet der inzwischen verstrichenen Zeit aus der Sicht „ex ante“ zu bestimmen.

Insoweit kommen als Gegenleistung bzw. Belastung zum einen das versprochene Wohnrecht im zu errichtenden Haus und zum anderen die versprochenen Pflegeleistungen in Betracht. Aus der wie erwähnt maßgeblichen ex-ante-Sicht sind sie in ihrem Wert abhängig von der voraussichtlichen Lebenserwartung der Erblasserin (beim Wohnrecht) bzw. von der voraussichtlichen Dauer der Pflegebedürftigkeit (bei den Pflegeleistungen), sowie dem jeweiligen monatlichen Wert des Wohnrechtes auf der einen und der Pflegeleistungen auf der anderen Seite (vgl. Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rdnr. 338, 345 und 349). Unerheblich ist demgegenüber, ob die Erblasserin bzw. der Beklagte von dem Wohnrecht tatsächlich auch Gebrauch gemacht bzw. die Pflegeleistungen abgerufen und erhalten hat, ob also die Klägerin die von ihr übernommenen Verpflichtungen erfüllt hat. Ebenso wenig ist erheblich, ob auch der Beklagte die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen wird. Denn der Wert der Zuwendung ist objektiv und wie erwähnt aus Sicht des Zuwendungszeitpunktes zu bestimmen.

Nach diesen Maßstäben kommt bereits dem Wohnrecht ein den damaligen Grundstückswert übersteigender Wert zu. Nach den plausiblen und von dem Beklagten nicht hinreichend in Zweifel gezogenen Zahlen ist bei einer Nutzungszeit von knapp 25 Jahren und einer auch für Blankenfelde ohne weiteres anzunehmenden Nettomonatsmiete von 5 €/m² ist der Wohnwert der Wohnung von etwa 50 m² mit etwa 75.000 € anzunehmen.

Ebenfalls abzusetzen ist der Wert der versprochenen Pflegeleistungen. Dieser bestimmt sich danach, welchen Umfang der Pflege die Beteiligten für möglicherweise erforderlich gehalten haben, und ist damit abhängig davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Pflege eintreten und welchen Aufwand sie über welchen Zeitraum bedeuten würde. Fehlen – wie hier – konkrete Anhaltspunkte, muss hilfsweise auf das objektive Pflegefallrisiko abgestellt werden. Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass Männer rund 37 Monate pflegebedürftig sind und Frauen rund 51 Monate. Während dieser Zeit wird – vorbehaltlich einer vereinbarten angemessenen Pflegevergütung – als untere Grenze wenigstens der monatliche Sachleistungswert gem. § 36 Abs. 3 SGB XI für häusliche (ambulante) Leistungen anzusetzen sein, der dem vertraglich festgelegten Pflegeumfang entspricht (vgl. Rösler ebd. Rdnr. 345 und 349). Bei einem Pflegegrad 2 – der untersten maßgeblichen Pflegestufe – entspricht dies monatlichen 689 Euro. Bei Annahme nur der Pflegestufe 2 (durchgehend) sind für die Mutter daher jedenfalls (51 * 689 € =) 35.139 € und für den Vater (37 * 689 € =) 25.493 € anzusetzen, zusammen 60.632 €.

Jeder dieser Beträge überschreitet schon für sich den unstreitigen Wert des übertragenen Grundstücksteils weit, umso mehr in der Summe, so dass im Sinne des § 2315 BGB nichts Anrechenbares zugewandt wurde und der Pflichtteilsanspruch ungeschmälert besteht.

Der Zinsausspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1 Satz 2 und 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die ebenfalls ohne weiteres zulässige Widerklage ist dagegen unbegründet.

Schon die Anspruchsgrundlage ist fraglich. Denn die deutsche Rechtsordnung kennt keinen generellen Kostenerstattungsanspruch gegen den, der sich unberechtigt eines Rechts berühmt. Mit solchen Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen spezieller Haftungsnormen vorliegen. Als solche kommen vertragliche, vertragsähnliche, deliktische oder auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (OLG Koblenz BeckRS 2015, 08400; BGH NJW 2007, 1458). Vertragliche Ansprüche bestehen unstreitig in Ermangelung einer vertraglichen Beziehung zwischen den Beteiligten ebenso wenig, wie die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung der Klägerin auch nur erkennbar sind.

Ob die besondere Beziehung der Parteien als Pflichtteilsberechtigte bzw. Erbe eine hinreichende Sonderverbindung darstellt, die sie wie in einem Vertrag zur besonderen Rücksichtnahme verpflichtet, kann dagegen dahinstehen. Denn jedenfalls wären die Voraussetzungen einer Verletzung dieser Pflicht nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin bat den Beklagten mit den Anwaltsschreiben vom 20. Januar und 10. April 2017 nur um ein Gespräch über ihren Pflichtteilsanspruch. Das kann für sich nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Auch ist die Kausalität fraglich. Denn augenscheinlich war der Beklagtenvertreter schon mandatiert, nachdem die Schreiben an ihn gerichtet wurden.

III.

Die Nebenentscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2 sowie 711 ZPO. Die Entscheidung zum Streitwert folgt §§ 43 Abs. 1 und 2 sowie 45 Abs. 1 Satz 1 GKG.

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