Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Erbschaftsstreit um Pflichtteil: Wie Miteigentumsanteile den Nachlasswert beeinflussen
- Familienkonstellation und Testament als Ausgangspunkt des Erbstreits
- Kern des Nachlasses: Miteigentumsanteil an einem Familienheim
- Pflichtteilsanspruch nach Ausschlagung der Nacherbschaft
- Streitpunkt Bewertung: Voller Verkehrswert oder Abschlag für Miteigentum?
- Gerichtsgutachten zur Wertermittlung des Grundstücks
- Teilgeständnis und teilweiser Vergleich im Verfahren
- Entscheidung des OLG Hamm: Vorinstanz bestätigt, Kosten neu verteilt
- Kostenverteilung: Kläger trägt Großteil der Kostenlast
- Keine Revision zugelassen: Urteil des OLG Hamm ist rechtskräftig
- Bedeutung des Urteils für Betroffene: Hinweise zur Bewertung von Miteigentum im Erbrecht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist ein Pflichtteilsanspruch und wer hat Anspruch darauf?
- Wie wird der Wert des Nachlasses ermittelt, um den Pflichtteilsanspruch zu berechnen?
- Welche Besonderheiten gibt es bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück im Rahmen der Pflichtteilsberechnung?
- Kann ich den Pflichtteilsanspruch geltend machen, auch wenn ich als Nacherbe eingesetzt wurde?
- Welche Kosten entstehen bei der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs und wer trägt diese?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Hamm
- Datum: 09.03.2023
- Aktenzeichen: I-10 U 25/22
- Verfahrensart: Berufungsverfahren (Pflichtteilsansprüche)
- Rechtsbereiche: Erbrecht
- Beteiligte Parteien:
- Kläger: Sohn des Erblassers aus erster Ehe, der Pflichtteilsansprüche geltend macht.
- Beklagte: Zweite Ehefrau des Erblassers, eingesetzt als alleinige, befreite Vorerbin durch ein gemeinschaftliches Testament.
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Es geht um Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des Erblassers. Der Kläger, Sohn aus erster Ehe, fordert seinen Pflichtteil von der Beklagten, der zweiten Ehefrau und Vorerbin. Der Nachlass besteht hauptsächlich aus einem Miteigentumsanteil an einer Immobilie.
- Kern des Rechtsstreits: Die Höhe des dem Kläger zustehenden Pflichtteils.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Teilversäumnis- und Teilschlussurteil des Oberlandesgerichts Hamm wurde mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass sich die Kostenentscheidung nach diesem Urteil richtet. Der Kläger trägt 20% der Kosten der ersten Instanz, die Beklagte 80%. Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten seiner Säumnis trägt der Kläger.
- Folgen: Der Kläger trägt einen Teil der Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wurde nicht zugelassen, das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Fall vor Gericht
Erbschaftsstreit um Pflichtteil: Wie Miteigentumsanteile den Nachlasswert beeinflussen

In einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: I-10 U 25/22) ging es um die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod eines Erblassers. Kern des Rechtsstreits war die Frage, wie ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück bei der Ermittlung des Nachlasswertes zu berücksichtigen ist. Der Fall beleuchtet die komplexen Herausforderungen bei der Bewertung von Immobilienvermögen im Erbrecht und die finanziellen Auswirkungen für Pflichtteilsberechtigte.
Familienkonstellation und Testament als Ausgangspunkt des Erbstreits
Im Zentrum des Falls stand der Pflichtteilsanspruch des Sohnes aus erster Ehe des verstorbenen U. S. V. Der Erblasser hinterließ neben seinem Sohn einen weiteren Sohn aus erster Ehe sowie seine zweite Ehefrau. Diese zweite Ehefrau, die Beklagte im Verfahren, war durch ein gemeinschaftliches Testament als Alleinerbin eingesetzt worden. Die beiden Söhne des Erblassers waren als Nacherben bestimmt. Zum Nachlass gehörten neben Hausrat und Bankvermögen vor allem ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Grundstück.
Kern des Nachlasses: Miteigentumsanteil an einem Familienheim
Der wesentliche Vermögenswert des Nachlasses bestand in einem hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück samt Zweifamilienhaus. Die andere Hälfte des Grundstücks gehörte ursprünglich der ersten Ehefrau des Erblassers, der Mutter des Klägers. Nach deren Tod im Jahr 2010 entstand eine Erbengemeinschaft, bestehend aus dem Erblasser und seinen beiden Söhnen, die bis zum Tod des Erblassers nicht auseinandergesetzt wurde. Die Beklagte, die zweite Ehefrau, bewohnt das Haus weiterhin.
Pflichtteilsanspruch nach Ausschlagung der Nacherbschaft
Der Sohn des Erblassers schlug die ihm zugedachte Nacherbschaft aus und machte stattdessen seinen Pflichtteilsanspruch geltend. Er forderte von der Beklagten als Alleinerbin Auskunft über den Nachlass und die Zahlung seines Pflichtteils. Strittig war insbesondere die Bewertung des Miteigentumsanteils an dem Grundstück für die Berechnung des Pflichtteils.
Streitpunkt Bewertung: Voller Verkehrswert oder Abschlag für Miteigentum?
Der Kläger argumentierte, dass der Miteigentumsanteil zum vollen Verkehrswert anzusetzen sei. Er betonte, dass jeder Miteigentümer die Auseinandersetzung durch eine Teilungsversteigerung erzwingen könne. Die Beklagte hingegen vertrat die Auffassung, dass bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils ein erheblicher Abschlag vom Verkehrswert vorzunehmen sei, da ein solcher Anteil schwerer zu verkaufen sei als ein Alleineigentum. Sie hielt einen Abschlag von mindestens 10% für angemessen, möglicherweise sogar noch mehr, insbesondere im Hinblick auf den Erbanteil aus der Erbengemeinschaft nach der ersten Ehefrau.
Gerichtsgutachten zur Wertermittlung des Grundstücks
Zur Klärung des Grundstückswertes wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten bezifferte den Verkehrswert des gesamten Grundstücks zum Todestag des Erblassers auf 340.000,00 EUR. Dieses Gutachten bildete die Basis für die weiteren Berechnungen des Pflichtteilsanspruchs, wobei der Streitpunkt des Abschlags für den Miteigentumsanteil weiterhin im Raum stand.
Teilgeständnis und teilweiser Vergleich im Verfahren
Im Laufe des Gerichtsverfahrens erkannte die Beklagte einen Teil des Pflichtteilsanspruchs des Klägers in Höhe von 20.924,00 EUR an. Sie beantragte jedoch die Abweisung der Klage hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags von 10.967,63 EUR. Zudem beantragte sie die Stundung des verbleibenden Pflichtteilsanspruchs gemäß § 2331a BGB, einer Regelung, die unter bestimmten Umständen die Stundung von Pflichtteilsansprüchen ermöglicht, um unbillige Härten für den Erben zu vermeiden.
Entscheidung des OLG Hamm: Vorinstanz bestätigt, Kosten neu verteilt
Das Oberlandesgericht Hamm bestätigte im Wesentlichen das Urteil der Vorinstanz. Das genaue Urteil der Vorinstanz ist dem Text nicht vollständig zu entnehmen, aber die Entscheidung des OLG Hamm, das vorherige Urteil „mit der Maßgabe aufrechterhalten“ zu lassen, deutet darauf hin, dass die Vorinstanz bereits eine Entscheidung zur Bewertung des Miteigentumsanteils getroffen hatte, die vom OLG Hamm bestätigt wurde. Lediglich die Kostenentscheidung wurde modifiziert.
Kostenverteilung: Kläger trägt Großteil der Kostenlast
Die Kosten des Verfahrens wurden zwischen den Parteien aufgeteilt. In erster Instanz trug der Kläger 20% und die Beklagte 80% der Kosten. Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten aufgrund der Säumnis des Klägers (vermutlich Versäumnis einer Frist oder eines Termins im Berufungsverfahren) wurden dem Kläger auferlegt. Dies deutet darauf hin, dass das Gericht die Argumentation der Beklagten hinsichtlich eines Abschlags bei der Bewertung des Miteigentumsanteils zumindest teilweise anerkannt hat, da der Kläger nicht vollständig obsiegt hat und einen Teil der Kosten tragen muss.
Keine Revision zugelassen: Urteil des OLG Hamm ist rechtskräftig
Das Oberlandesgericht Hamm ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Damit ist die Entscheidung des OLG Hamm rechtskräftig und der Rechtsstreit zwischen den Parteien beendet. Das Urteil gibt somit eine verbindliche Antwort auf die Frage der Pflichtteilsberechnung im Falle eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück in diesem konkreten Fall.
Bedeutung des Urteils für Betroffene: Hinweise zur Bewertung von Miteigentum im Erbrecht
Das Urteil des OLG Hamm verdeutlicht die komplexen Bewertungsfragen, die bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen im Zusammenhang mit Immobilienvermögen auftreten können, insbesondere wenn Miteigentumsanteile Teil des Nachlasses sind. Für Pflichtteilsberechtigte und Erben bedeutet dies, dass die Bewertung von Miteigentumsanteilen nicht zwingend zum vollen Verkehrswert erfolgt. Gerichte berücksichtigen in der Regel die eingeschränkte Verwertbarkeit und die Schwierigkeiten beim Verkauf solcher Anteile. Es ist daher ratsam, bei derartigen Konstellationen frühzeitig juristischen Rat einzuholen, um die Erfolgsaussichten einer Pflichtteilsklage realistisch einschätzen und die Berechnungsgrundlagen nachvollziehen zu können. Das Urteil unterstreicht, dass ein Abschlag vom Verkehrswert bei der Bewertung von Miteigentumsanteilen im Rahmen der Pflichtteilsberechnung durchaus üblich und rechtens sein kann.
Die Schlüsselerkenntnisse
Bei Pflichtteilsansprüchen an einer Immobilie mit Miteigentumsanteilen ist ein Wertabschlag von etwa 15% gerechtfertigt, wenn die Verwertungsmöglichkeiten eingeschränkt sind – der volle Verkehrswert wird nur angesetzt, wenn der Erbe bereits Eigentümer des anderen Anteils ist. Die Bewertung von Miteigentumsanteilen erfolgt grundsätzlich auf Basis des Verkehrswertes, muss jedoch die tatsächlichen Verwertungsmöglichkeiten berücksichtigen. Dieses Urteil zeigt, dass bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen die praktischen Verwertungshindernisse eine wesentliche Rolle spielen und zu einer reduzierten Bewertung führen können.
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Komplexe Fragen bei Pflichtteilsanspruch und Miteigentumsbewertung
Im Kontext von Erbauseinandersetzungen sind oft detaillierte Bewertungen von Miteigentumsanteilen erforderlich, um den tatsächlichen Nachlasswert zu ermitteln. Die unterschiedlichen Berechnungsansätze können entscheidende Auswirkungen auf Pflichtteilsansprüche haben und erfordern eine präzise Analyse der spezifischen Umstände.
Unsere Kanzlei unterstützt Sie durch eine sorgfältige Prüfung der Sachlage und stellt sicher, dass alle relevanten Aspekte in den Blick genommen werden. Mit einer klar strukturierten und verständlichen Beratung tragen wir dazu bei, dass Sie eine fundierte Einschätzung Ihrer rechtlichen Position erhalten und Ihre Interessen wirksam vertreten werden.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist ein Pflichtteilsanspruch und wer hat Anspruch darauf?
Ein Pflichtteilsanspruch ist ein Recht, das bestimmten Angehörigen zusteht, wenn sie durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurden. Dieses Recht sichert ihnen eine Mindestbeteiligung am Nachlass des Verstorbenen, die wirtschaftlich der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils entspricht.
Pflichtteilsberechtigte sind in der Regel:
- Kinder des Erblassers (egal ob leiblich oder adoptiert)
- Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner
- Eltern des Erblassers, wenn dieser kinderlos stirbt
- Enkel oder Urenkel, wenn deren Eltern bereits verstorben sind.
Ein Pflichtteilsanspruch entsteht, wenn der Erblasser stirbt und der Pflichtteilsberechtigte durch eine letztwillige Verfügung (z.B. Testament) enterbt wurde. Der Pflichtteilsanspruch muss gegen die Erben geltend gemacht werden und verjährt in der Regel innerhalb von drei Jahren nach Kenntnis vom Tod und der enterbenden Verfügung.
Stellen Sie sich vor, ein Elternteil hinterlässt ein Testament, in dem ein Kind enterbt wird. In diesem Fall hat das enterbte Kind Anspruch auf den Pflichtteil, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ausmacht, das es ohne Testament erhalten hätte. Dieser Anspruch muss gegen die Erben geltend gemacht werden, um die Zahlung zu erhalten.
Der Pflichtteilsanspruch dient dazu, sicherzustellen, dass nahe Angehörige nicht vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen werden, selbst wenn der Erblasser dies in seinem Testament festgelegt hat.
Wie wird der Wert des Nachlasses ermittelt, um den Pflichtteilsanspruch zu berechnen?
Der Wert des Nachlasses wird ermittelt, indem alle Vermögensgegenstände und Schulden zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers bewertet werden. Immobilien spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie oft den größten Teil des Nachlasses ausmachen.
Bewertung von Immobilien
Die Bewertung von Immobilien erfolgt in der Regel durch das Finanzamt oder einen Sachverständigen. Das Finanzamt nutzt die Grundvermögensbewertungsverordnung und das Bewertungsgesetz als Grundlage. Es gibt drei gängige Verfahren zur Wertermittlung:
- Vergleichswertverfahren: Hier werden die Verkaufspreise ähnlicher Immobilien in der Umgebung herangezogen.
- Sachwertverfahren: Dieses Verfahren berücksichtigt die Baukosten und den Bodenwert, oft bei selbstgenutzten Immobilien.
- Ertragswertverfahren: Es wird bei vermieteten Immobilien angewendet und basiert auf den zukünftigen Erträgen.
Einbeziehung von Schulden und Freibeträgen
Neben den Vermögenswerten werden auch Schulden und Verbindlichkeiten berücksichtigt und vom Gesamtwert abgezogen. Zudem gibt es Freibeträge, die je nach Verwandtschaftsgrad variieren und von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden.
Bedeutung für den Pflichtteilsanspruch
Der Pflichtteilsanspruch richtet sich nach dem gesetzlichen Erbteil, das wiederum vom Wert des Nachlasses abhängt. Eine genaue Bewertung der Immobilien ist entscheidend, um den Pflichtteilsanspruch korrekt zu berechnen.
Welche Besonderheiten gibt es bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück im Rahmen der Pflichtteilsberechnung?
Die Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück im Rahmen der Pflichtteilsberechnung kann sich von der Bewertung einer Alleineigentümer-Immobilie unterscheiden. Ein wichtiger Aspekt ist, ob der Erbe bereits Eigentümer der anderen Miteigentumshälfte ist. Wenn dies der Fall ist, wird der Verkehrswert der gesamten Immobilie hälftig berücksichtigt, da die Verwertung des Miteigentumsanteils problemlos möglich ist.
Ein Abschlag vom Verkehrswert kann jedoch in Betracht gezogen werden, wenn der Miteigentumsanteil an einen Dritten fällt, der nicht bereits Eigentümer der anderen Hälfte ist. In solchen Fällen kann die Verwertung des Miteigentumsanteils schwierig sein, da ein gemeinsamer Verkauf oder eine Teilungsversteigerung erforderlich wäre.
Faktoren, die bei der Abschätzung eines Abschlags eine Rolle spielen können, sind:
- Verkaufbarkeit: Wie leicht ist es, den Miteigentumsanteil zu verkaufen?
- Marktnachfrage: Gibt es einen Markt für Miteigentumsanteile?
- Zustimmung der Miteigentümer: Ist die Zustimmung aller Miteigentümer erforderlich, um den Anteil zu verkaufen?
In der Praxis kann dies bedeuten, dass der Wert des Miteigentumsanteils niedriger angesetzt wird, um die Schwierigkeiten bei der Verwertung zu berücksichtigen.
Kann ich den Pflichtteilsanspruch geltend machen, auch wenn ich als Nacherbe eingesetzt wurde?
Wenn Sie als Nacherbe eingesetzt wurden, können Sie grundsätzlich keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen, solange Sie die Nacherbschaft nicht ausgeschlagen haben. Ein Nacherbe ist im deutschen Erbrecht als Erbe betrachtet, der jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, z.B. nach dem Tod des Vorerben, in den Besitz des Nachlasses kommt.
Um einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, müssen Sie die Nacherbschaft ausschlagen. Dies geschieht gemäß § 2306 BGB, das besagt, dass ein Nacherbe nur dann einen Pflichtteil verlangen kann, wenn er die Nacherbschaft ausgeschlagen hat.
Die Ausschlagung der Nacherbschaft erfolgt gegenüber dem Nachlassgericht, entweder zu Protokoll oder in öffentlich beglaubigter Form. Wichtige Fristen sind zu beachten: Die Ausschlagung kann bereits beim ersten Erbfall erklärt werden, aber die Frist für die Ausschlagung beginnt erst mit dem zweiten Erbfall zu laufen.
Für Sie bedeutet das, dass Sie die Nacherbschaft ausschlagen müssen, um den Pflichtteil zu erhalten. Ohne diese Ausschlagung bleibt die Nacherbschaft bestehen, und Sie können den Pflichtteil nicht geltend machen.
Es ist wichtig, sich über die rechtlichen Konsequenzen und Fristen im Klaren zu sein, um sicherzustellen, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben.
Welche Kosten entstehen bei der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs und wer trägt diese?
Wenn Sie Ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen müssen, entstehen verschiedene Kosten. Diese umfassen Gerichtskosten, Anwaltskosten und gegebenenfalls Gutachterkosten.
- Gerichtskosten hängen vom Streitwert ab, also dem Wert des Pflichtteils. Zum Beispiel betragen die Gerichtskosten bei einem Pflichtteil von 50.000 € etwa 1.568 €.
- Anwaltskosten richten sich ebenfalls nach dem Streitwert und können bei einem Pflichtteil von 50.000 € etwa 3.000 € betragen.
- Gutachterkosten fallen an, wenn ein Sachverständiger zur Wertermittlung des Nachlasses beauftragt wird. Diese können je nach Aufwand variieren.
Wer trägt die Kosten?
- Erfolgreiche Klage: Wenn Sie den Pflichtteil erfolgreich einklagen, trägt die unterlegene Partei (in der Regel der Erbe) alle Gerichts- und Anwaltskosten.
- Unsuccessful Klage: Verlieren Sie die Klage, müssen Sie die Kosten selbst tragen, einschließlich der gegnerischen Anwaltskosten.
- Prozesskostenfinanzierung: Eine Möglichkeit, das finanzielle Risiko zu minimieren, ist die Prozesskostenfinanzierung. Ein Finanzierer übernimmt die Kosten, und im Erfolgsfall erhält er einen Teil des Pflichtteils.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Pflichtteilsanspruch
Der Pflichtteilsanspruch ist ein gesetzlich garantierter Mindestanteil am Nachlass, den nahe Angehörige (Kinder, Ehegatten und unter Umständen Eltern) erhalten, selbst wenn sie durch Testament enterbt wurden. Der Anspruch beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und richtet sich gegen den oder die Erben als Geldanspruch. Gesetzlich ist dieser in §§ 2303 ff. BGB geregelt. Der Pflichtteilsberechtigte wird nicht Erbe, sondern erhält lediglich einen finanziellen Ausgleich.
Beispiel: Verstirbt ein Vater und hinterlässt eine zweite Ehefrau und einen Sohn aus erster Ehe, setzt aber nur seine zweite Ehefrau als Erbin ein, kann der Sohn seinen Pflichtteil in Höhe von 1/4 des Nachlasswertes (die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils von 1/2) von der Ehefrau verlangen.
Erblasser
Der Erblasser ist die Person, die verstorben ist und deren Vermögen nach den gesetzlichen Vorschriften oder gemäß Testament vererbt wird. Mit dem Tod des Erblassers geht sein gesamtes Vermögen (Nachlass) automatisch auf die Erben über (§ 1922 BGB). Der Erblasser kann zu Lebzeiten durch ein Testament oder einen Erbvertrag bestimmen, wer sein Vermögen erben soll, und kann dabei grundsätzlich frei entscheiden – wobei diese Freiheit durch Pflichtteilsansprüche eingeschränkt wird.
Beispiel: Ein Mann verfasst ein Testament, in dem er seine zweite Ehefrau als Alleinerbin einsetzt und seinen Sohn aus erster Ehe enterbt. Nach seinem Tod gilt er als Erblasser, dessen Nachlass entsprechend seines letzten Willens verteilt wird, wobei der enterbte Sohn dennoch einen Pflichtteilsanspruch hat.
Nachlasswert
Der Nachlasswert bezeichnet den Gesamtwert aller Vermögensgegenstände des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes abzüglich aller Verbindlichkeiten. Er bildet die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil (§ 2311 BGB). Zum Nachlass zählen alle Vermögensgegenstände wie Immobilien, Bankguthaben, Wertpapiere, Schmuck, Fahrzeuge sowie Forderungen. Abgezogen werden Schulden, Bestattungskosten und andere Verbindlichkeiten des Erblassers.
Beispiel: Hinterlässt ein Erblasser ein Haus im Wert von 300.000 Euro, Ersparnisse von 50.000 Euro und Schulden in Höhe von 100.000 Euro, beträgt der Nachlasswert 250.000 Euro, von dem der Pflichtteil berechnet wird.
Vorerbe
Ein Vorerbe ist ein durch Testament oder Erbvertrag eingesetzter vorläufiger Erbe, der den Nachlass zunächst erhält, ihn aber später an einen Nacherben weitergeben muss (§§ 2100 ff. BGB). Der Vorerbe ist in seinen Verfügungsmöglichkeiten über den Nachlass grundsätzlich beschränkt, um die Rechte des Nacherben zu wahren – es sei denn, er wurde als „befreiter Vorerbe“ eingesetzt. Die Vorerbschaft dient oft dazu, Vermögen über mehrere Generationen in der Familie zu halten.
Beispiel: Ein Ehemann setzt in seinem Testament seine Ehefrau als Vorerbin und die gemeinsamen Kinder als Nacherben ein. Die Ehefrau erbt zunächst alles, muss aber nach ihrem Tod das empfangene Vermögen an die Kinder weitergeben und darf es grundsätzlich nicht verbrauchen oder verschenken.
Miteigentumsanteil
Ein Miteigentumsanteil bezeichnet den rechtlichen Anteil einer Person an einer Immobilie oder einem Grundstück, das mehreren Personen gemeinsam gehört (§ 1008 BGB). Dabei wird das Eigentum nach Bruchteilen (z.B. 1/2 oder 1/3) aufgeteilt. Jeder Miteigentümer kann grundsätzlich über seinen Anteil frei verfügen, während für die gesamte Immobilie gemeinsame Entscheidungen notwendig sind. Dies beeinflusst den Wert des Anteils, da die Verwertungsmöglichkeiten eingeschränkt sein können.
Beispiel: Gehört ein Haus zu gleichen Teilen zwei Geschwistern, hat jeder einen Miteigentumsanteil von 1/2. Will ein Geschwisterteil seinen Anteil verkaufen, ist der Wert oft geringer als die Hälfte des Gesamtwertes, da potenzielle Käufer das gemeinsame Eigentumsverhältnis mit dem anderen Geschwisterteil berücksichtigen.
Verkehrswert
Der Verkehrswert (auch Marktwert) einer Immobilie ist der Preis, der bei einer freiwilligen Veräußerung zu erzielen wäre (§ 194 BauGB). Er spiegelt den objektiven Wert einer Immobilie unter normalen Marktbedingungen wider und wird oft durch Gutachten ermittelt. Bei der Berechnung des Pflichtteils ist der Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich, wobei besondere Umstände wie Miteigentumsverhältnisse zu Wertabschlägen führen können.
Beispiel: Eine Immobilie hat einen Verkehrswert von 400.000 Euro. Gehört dem Erblasser jedoch nur ein Miteigentumsanteil von 50%, wird dieser für die Pflichtteilsberechnung nicht einfach mit 200.000 Euro angesetzt, sondern aufgrund der eingeschränkten Verwertungsmöglichkeiten mit einem Abschlag (hier etwa 15%, also 170.000 Euro).
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 2303 Abs. 1 BGB (Pflichtteilsanspruch): Kinder und der Ehegatte des Erblassers sind pflichtteilsberechtigt, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und richtet sich gegen den oder die Erben. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger ist als Sohn des Erblassers pflichtteilsberechtigt, da er durch das TestamentEnterbten wurde und Nacherbschaft ausgeschlagen hat, wodurch er seinen Anspruch gegen die Beklagte als Vorerbin geltend macht.
- § 2311 Abs. 1 BGB (Berechnungsgrundlage des Pflichtteils): Für die Berechnung des Pflichtteils ist der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls maßgebend. Zum Nachlass gehören alle Vermögensgegenstände des Erblassers abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Bewertung des Nachlasses, insbesondere des hälftigen Miteigentumsanteils an der Immobilie zum Todestag des Erblassers, ist entscheidend für die Höhe des Pflichtteilsanspruchs des Klägers.
- § 2314 Abs. 1 BGB (Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten): Der Erbe ist verpflichtet, dem Pflichtteilsberechtigten auf Verlangen Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. Dies beinhaltet die Vorlage eines Nachlassverzeichnisses, um die Berechnung des Pflichtteils zu ermöglichen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger hat zunächst einen Auskunftsanspruch gegen die Beklagte geltend gemacht, um den Nachlasswert zu ermitteln, was die Grundlage für seinen Zahlungsanspruch bildet und die Beklagte zur Vorlage eines Nachlassverzeichnisses veranlasste.
- § 2042 Abs. 1 BGB (Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft): Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, bilden diese eine Erbengemeinschaft. Jeder Miterbe kann grundsätzlich jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen, um seinen Anteil am Nachlass zu erhalten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Umstand, dass der Erblasser Miteigentümer einer Immobilie war und eine ungeteilte Erbengemeinschaft nach der ersten Ehefrau existierte, beeinflusst die Bewertung des Nachlassgegenstands, da jeder Miteigentümer die Teilungsversteigerung beantragen kann.
- § 2331a BGB (Stundung des Pflichtteilsanspruchs): Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Gericht dem Erben auf Antrag eine Stundung des Pflichtteilsanspruchs gewähren, wenn die sofortige Erfüllung des Anspruchs für den Erben eine unbillige Härte darstellen würde. Dies kann insbesondere bei einer Veräußerung von Familienheim relevant sein. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Beklagte hat die Stundung des Pflichtteilsanspruchs beantragt, was zeigt, dass die Liquidität des Nachlasses oder ihre persönliche finanzielle Situation möglicherweise eine Rolle spielen, und das Gericht diese Umstände prüfen muss.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: I-10 U 25/22 – Urteil vom 09.03.2023
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