Pflichtteilanspruch und Nachlassverzeichnis: OLG Düsseldorf trifft Entscheidung
Im Bereich des Erbrechts wurde ein wichtiger Fall vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden (Az.: I-7 W 32/20), der sich auf die Vorlagepflicht eines Nachlassverzeichnisses für Pflichtteilsberechtigte bezieht. Im Mittelpunkt steht die Problematik, dass die Pflichtteilsberechtigte die notwendigen Informationen zur Ermittlung ihres Pflichtteilsanspruchs benötigt und daher ein detailliertes und vollständiges Nachlassverzeichnis von der Schuldnerin einfordert.
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Übersicht
Klarheit im Erbfall durch Nachlassverzeichnis
Die Schuldnerin wurde aufgefordert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 18.07.2018 verstorbenen Erblassers zu geben. Sie listete Bankverbindlichkeiten auf, jedoch waren die Verbindlichkeiten, die durch Grundschulden gesichert wurden, unklar. Dies führte dazu, dass die Pflichtteilsberechtigte die betreffenden Beträge selbst ermitteln musste, was ihr jedoch nicht zugemutet werden konnte.
Notwendigkeit genauer Angaben für Pflichtteilsberechtigte
Die Pflichtteilsberechtigte benötigte konkrete Angaben zur Berechnung ihres Pflichtteilsanspruchs, für den sie beweispflichtig ist. Zusätzlich sollte sie prüfen, ob die Grundpfandrechte als zweifelhafte Verbindlichkeiten nach § 2313 Abs. 2 S. 1 BGB außer Ansatz zu bleiben haben. Dieser Sachverhalt bleibt unklar, solange es ungewiss ist, ob und inwieweit es zu einer Inanspruchnahme des Grundpfandrechts kommt.
Kein Verstoß gegen Treu und Glauben
Das Gericht stellte fest, dass das Zwangsmittelbegehren der Gläubigerin nicht gegen Treu und Glauben verstößt. Sie verfolgte keine fremden Ziele und forderte keine unzumutbaren Handlungen. Sie durfte ihren rechtskräftigen Titel gegen die Schuldnerin durchsetzen. Auch konnte die Gläubigerin nicht darauf verwiesen werden, dass die Ermittlungen ohnehin im Rahmen der Wertermittlung durchgeführt würden.
Ehrenamtliche Tätigkeit entbindet nicht von Pflichten
Schließlich urteilte das OLG Düsseldorf, dass die Schuldnerin, vertreten durch einen Rechtsanwalt und zertifizierten Testamentsvollstrecker, nach fast zwei Jahren seit dem Erbfall und einem Jahr seit ihrer Verurteilung zur Auskunft, ohne weiteres ein vollständiges Nachlassverzeichnis vorlegen sollte. Die Tatsache, dass die Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig waren, entband sie nicht von den gleichen Pflichten wie andere Vollstreckungsschuldner.
Das vorliegende Urteil
OLG Düsseldorf – Az.: I-7 W 32/20 – Beschluss vom 22.06.2020
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 19.05.2020 abgeändert und gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld von 2.000,- EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zwei Tage Ordnungshaft für die Vorstandsmitglieder angeordnet, zur Erzwingung der im Teilanerkenntnisurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 03.07.2019/05.07.2019 – 1 O 91 / 19 – näher bezeichneten Verpflichtung, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 18.07.2018 verstorbenen A. zum Zeitpunkt seines Todes zu erteilen, und zwar in privatschriftlicher Form gemäß § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB.
Die Kosten des Vollstreckungsverfahrens werden der Schuldnerin auferlegt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist zulässig und begründet.
Gegen die Schuldnerin ist nach § 888 Abs. 1 ZPO zu erkennen, dass sie zur Vornahme der durch das Teilanerkenntnisurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 03.07.2020/05.07.2020 titulierten Verpflichtung zur Auskunftserteilung durch Zwangsgeld anzuhalten ist.
Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung liegen vor, §§ 750, 724 ZPO.
Die Schuldnerin ist ihrer Verpflichtung zur Vorlage eines ordnungsgemäßen Bestandsverzeichnisses über den Nachlass des am 18.07.2018 verstorbenen A. bisher nicht vollständig nachgekommen.
Sie hat das als Anlage K4 zur Antragsschrift vom 30.09.2019 überreichte Bestandsverzeichnis erstellt und dieses durch die Anlage B 16 zum Schriftsatz vom 07.02.2020 ergänzt. Mit Schriftsatz vom 18.03.2020 hat sie darüber hinaus mitgeteilt, dass die letzten fehlenden Unterlagen, nämlich die Reaktion der befragten Kinder des Erblassers zu ihnen gemachten Schenkungen zwischenzeitlich eingegangen seien und ihre Annahme bestätigt hätten, dass es keine weiteren Schenkungen zugunsten der Kinder gegeben habe. Damit hat die Schuldnerin nach Auffassung des Senats zu verstehen gegeben, dass sie ihre Angaben als abschließend betrachtet. Sollte die Gläubigerin weiterhin Zweifel daran haben, dass das Verzeichnis hinsichtlich der Schenkungen mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist, mag sie die Eidesstattliche Versicherung verlangen.
Auch ist entgegen der von der Gläubigerin vertretenen Ansicht grundsätzlich nicht zu bemängeln, dass die Schuldnerin nicht ein einziges, alle notwendigen Angaben beinhaltendes Bestandsverzeichnis erstellt hat. Ein Pflichtteilsberechtigter hat keinen Anspruch auf Vorlage eines Gesamtverzeichnisses. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Erbe mehrere Teilverzeichnisse vorlegt, wenn er dadurch insgesamt alle geschuldeten Informationen in geeigneter Form erteilt. Die Erfüllung des Anspruchs kann auch durch entsprechende Ergänzungen eines bereits bestehenden Verzeichnisses erfolgen (Riedel in Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl., § 2314 Rn. 24; Lange in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 2314 Rn. 27; Blum in beck-online Großkommentar, Stand 01.05.2020, § 2314 Rn. 33; a. A. Horn in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl., § 2314 Rn. 20).
Des weiteren ist nicht zu beanstanden, dass bestimmte Angaben, wie das Inventar des Einzelunternehmens „Fa. B.“ und das des Herrenhauses sowie die Kommanditeinlagen des Erblassers in Anlagen zum Bestandsverzeichnis aufgeführt sind. Die geschuldeten Auskünfte sind dadurch in geeigneter Form erteilt worden.
Allerdings genügen die Auskünfte der Schuldnerin zu den auf den Grundstücken lastenden Grundschulden den Anforderungen nicht. Diesbezüglich hat die Schuldnerin im Nachlassverzeichnis lediglich unter „Passiva 3. Hypotheken, Grundschulden und sonstige Verbindlichkeiten“ mitgeteilt, welches Grundstück zugunsten welcher Person in welcher Höhe mit einer Grundschuld belastet ist. Es kann zwar daraus, dass bei den Bankverbindlichkeiten nur der Geldmarktkredit bei der C-Bank i.H.v. 1.665.000,- EUR aufgeführt ist, geschlossen werden, dass die Grundschulden im Übrigen für fremde Verbindlichkeiten bestellt worden sind. Insofern hätte die Schuldnerin jedoch die Sicherungszwecke in der Form angeben müssen, dass sie mitgeteilt hätte, welche Verbindlichkeiten, die in welcher Höhe zum Todestag des Erblassers valutierten, durch die einzelnen Grundschulden gesichert sind. Dies mithilfe der Anlage P3, in der die Kontostände der Unternehmen des Erblassers zum Todestag aufgeführt sind, selbst zu ermitteln und zuzuordnen, kann der Pflichtteilsberechtigten nicht zugemutet werden. Aus der Übersicht in der Anlage P3 ergibt sich z.B. nicht, um welche Art von Verbindlichkeit es sich gegenüber der Privatgläubigerin D. handelt. Die Pflichtteilsberechtigte benötigt die vorgenannten Angaben für die Berechnung ihres Pflichtteilsanspruchs, für den sie hinsichtlich sämtlicher Voraussetzungen beweispflichtig ist sowie zur Prüfung, ob die Grundpfandrechte als zweifelhafte Verbindlichkeiten nach § 2313 Abs. 2 S. 1 BGB außer Ansatz zu bleiben haben. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Fall, solange ungewiss ist, ob und inwieweit es zu einer Inanspruchnahme des Grundpfandrechts kommt (BGH NJW 2011, 606).
Das Zwangsmittelbegehren der Gläubigerin verstößt nicht gegen Treu und Glauben. Sie verfolgt weder vollstreckungsfremde Ziele noch fordert sie unzumutbare Handlungen, indem sie ihren rechtskräftigen Titel gegen die Schuldnerin durchsetzt. Insbesondere kann die Gläubigerin nicht darauf verwiesen werden, die erforderlichen Ermittlungen würden ohnehin im Rahmen der Wertermittlung geleistet. Der durch einen Rechtsanwalt, der zudem zertifizierter Testamentsvollstrecker ist, vertretenen Schuldnerin ist es, nachdem fast zwei Jahre seit dem Erbfall und ein Jahr seit ihrer Verurteilung zur Auskunft vergangen sind, ohne weiteres zumutbar, ein vollständiges Nachlassverzeichnis vorzulegen. Auch gelten für sie, weil ihre Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig sind, keine anderen Maßstäbe als für andere Vollstreckungsschuldner.
Bei der Höhe des festzusetzenden Zwangsgeldes ist zu berücksichtigen, dass sich die Schuldnerin im Wesentlichen bereitwillig gezeigt hat, die von ihr geschuldeten Auskünfte zu erteilen.
Die Kostenentscheidung für das Zwangsmittelverfahren beruht auf § 891 S. 3 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.