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Pflichtteilsentziehung – strafrechtliche Verurteilung als Entziehungsgrund

LG Stuttgart – Az.: 16 O 638/11 – Beschluss vom 15.02.2012

Der Antrag des Antragstellers vom 28.12.2011 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Prozesskostenhilfegesuch des Antragsstellers bezieht sich auf einen Klageentwurf vom 28.12.2011, in welchem im Wege der Stufenklage Pflichtteilsrechte geltend gemacht werden.

Der Kläger ist der einzige Sohn seiner zwischen dem 01.04. und 04.04.2011 verstorbenen Mutter E R, der Erblasserin. Die Antragsgegner sind die Kinder des Klägers und damit die Enkelkinder der Erblasserin.

Die Erblasserin hat durch notarielles Testament vom 10.05.2007 den Kläger enterbt und den Pflichtteil entzogen. Unterdessen wurden die Antragsgegnerinnen als Erben eingesetzt (K 2). In dem Testament führt die Erblasserin aus, dass der Kläger einen tiefen Hass gegen sie hege. Er habe ihr auch nach dem Leben getrachtet. Außerdem sei der Sohn der Erblasserin im Jahre 1980 rechtskräftig wegen einer Vergewaltigung verurteilt worden.

Der Antragsteller trägt vor, … der Entzug des Pflichtteils sei unwirksam. Der pauschale Verweis auf eine Verurteilung wegen Vergewaltigung genüge den Anforderungen an einen formwirksamen Entzug des Pflichtteils nicht. Dem Antragssteller stünden demzufolge Pflichtteilsrechte zu.

Die Antragsgegnerinnen treten dem entgegen und tragen vor, … dass die Erblasserin sich vom Antragsteller bedroht gefühlt habe. Auch sei die Erblasserin von ihm auf derbe Art und Weise beleidigt worden. Hierfür benennen sie Zeugen und bieten auch Tagebuchaufzeichnungen der Erblasserin (Anl. B 1 bis B 4) zum Beweis an. Aus den Tagebuchaufzeichnungen ergebe sich deutlich, dass sich die Erblasserin vom Antragsteller bedroht gefühlt hatte. Die Antragsgegnerinnen heben weiter hervor, dass die im Jahre 1981 verhängte Freiheitsstrafe wegen Vergewaltigung u. a. zwei Jahre und drei Monate betrug. Einzelheiten des Tatvorwurfs ergeben sich aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 15.04.1981 (B 6). Vor diesem Hintergrund genüge der pauschale Hinweis auf das Delikt der Vergewaltigung, um einen Pflichtteilsentzug zu rechtfertigen.

II.

Die beabsichtigte Prozessführung bietet nach bisherigem Vorbringen der Parteien keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Bereits nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers ist der geltend gemachte Anspruch sehr zweifelhaft; jedenfalls die Stellungnahme der Antragsgegnerinnen stellt die hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Prozessführung vollends infrage.

1. Die Voraussetzungen für die Entziehung des Pflichtteils nach §§ 2335 ff. BGB sind aller Voraussicht nach gegeben. Namentlich sind insoweit die Entziehungsgründe des § 2333 Abs. 1 Ziff. 2 und 4 BGB erfüllt.

a) Der Entziehungsgrund nach § 2333 Abs. 1 Ziff. 2 BGB ist gegeben.

Hiernach kann der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn sich der Abkömmling eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser schuldig gemacht hat. Auf eine strafrechtliche Verurteilung kommt es nicht an; ein schwerwiegendes, dem Erblasser unzumutbares Fehlverhalten ist erforderlich und ausreichend. Demzufolge sind auch Beleidigungsdelikte geeignet, diesen Tatbestand zu erfüllen; im Besonderen, wenn sie eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnis darstellen. Gleiches gilt für psychische Misshandlungen, wenn sie Straftatbestände wie § 240 StGB erfüllen (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl. 2012 § 2333 Rz. 7 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall wurde seitens der Antragsgegnerinnen behauptet und unter Beweis gestellt, dass der Antragsteller die Erblasserin des Öfteren und massiv beleidigt hat. Das gleiche gilt für die Drohungen, die Erblasserin tot zu schlagen. Die Tagebuchaufzeichnungen der Erblasserin (Anl. B 1 bis B 4) lassen eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnis durch den Antragssteller erkennen.

b) Auch der Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist gegeben.

Dieser Entziehungsgrund erfordert eine rechtskräftige Verurteilung des Pflichtteilsberechtigten wegen einer vorsätzlichen Straftat, durch die dem Erblasser eine Teilhabe des Verurteilten an seinem Nachlass unzumutbar ist. Erforderlich ist demnach eine schwerwiegende sozialwidrige Verfehlung, welche eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr nach sich gezogen hat. Auf die Anknüpfung an ein „Verbrechen“ wurde dabei seitens des Gesetzgebers bewusst verzichtet, um vor allem auch schwere Vergehen aus dem Sexualstrafrecht zu erfassen (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl. 2012 § 2333 Rz. 10 f m. w. N.).

Damit ist die – unstreitig gegebene – Verurteilung wegen Vergewaltigung u. a. geeignet, diesen Tatbestand zu erfüllen.

Im Übrigen ist es der Erblasserin unzumutbar, dass der Pflichtteilsberechtigte an seinem Nachlass teil hat.

Unzumutbarkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die Straftat den persönlichen, in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers im hohen Maße widerspricht. Dies ist in der Regel bei besonders schweren Straftaten, die mit erheblichen Freiheitsstrafen geahndet werden, zu bejahen (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl. 2012 § 2333 Rz. 12).

Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, unterliegt keinen Bedenken. Die im Jahre 1920 geborene Erblasserin war gläubige Katholikin, die unter der Straftat ihres Sohnes gelitten hat. Ohnedies handelt es sich bei einer Vergewaltigung um eine Straftat, welche nach den Anschauungen der Rechtsgemeinschaft in besonderem Maße geächtet ist und weit davon entfernt ist, als Kavaliersdelikt zu gelten.

c) Die Einhaltung der Form des § 2336 unterliegt keinen Bedenken.

Insoweit ist erforderlich, dass der Verfügende zumindest einen zutreffenden Kernsachverhalt angegeben hat (Palandt-Weidlich, BGB, 71. Aufl. 2012, § 2336 Rdnr. 3).

Dass die in diesem Sinne erforderliche Konkretisierung vorliegend erfolgt ist, unterliegt angesichts der Anlage K 1 keinen Bedenken. Eine pauschale Bezugnahme auf die Vergewaltigung und die Beschreibung der Verfehlungen genügt hier. Dies gilt umso mehr, als auch die Entziehung des Pflichtteils der Auslegung zugänglich ist (Palandt-Weidlich a. a. O.).

d) Eine Verzeihung im Sinne von § 2337 BGB fand ausweislich des klaren Wortlauts der notariellen Verfügung vom 04.05.2007 nicht statt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 1 GGK, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

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