Pflichtteilsanspruch und Auskunftspflicht: Ein Blick auf das OLG Köln Urteil
Im Mittelpunkt des vorliegenden Falles steht die Auseinandersetzung zwischen Geschwistern um den Pflichtteil nach dem Tod ihrer Eltern. Der Kläger fordert von seinen Geschwistern Auskunft über den Nachlass, um seinen Pflichtteil geltend machen zu können. Das Landgericht hatte die Beklagten bereits dazu verpflichtet, Auskunft über den Nachlass zu geben, gegen diese Entscheidung legten die Beklagten Berufung ein.
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Übersicht
Die Berufung und ihre Begründung
Die Beklagten argumentierten, dass sie keine Kenntnis über den Nachlass ihrer Eltern hatten und daher mit der Erteilung der geforderten Auskunft überfordert waren. Sie hatten sich daher der Hilfe eines Notars bedient, um die umfangreichen Nachlassverzeichnisse zu erstellen. Sie behaupteten, nicht in der Lage zu sein, die erforderlichen Tätigkeiten in ihrer Freizeit zu erbringen.
Die Bewertung des OLG Köln
Das OLG Köln stellte fest, dass der Wert der Beschwerde durch eine Verurteilung zur Auskunft dem Aufwand an Zeit und Kosten entspricht, der für die Partei mit der Erfüllung der titulierten Verpflichtung verbunden ist. Die Beklagten konnten jedoch nicht glaubhaft machen, dass der Aufwand den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vorausgesetzten Wert aufweist. Sie legten weder konkret dar, mit welchem zeitlichen Aufwand die Erteilung der streitgegenständlichen Auskunft verbunden ist, noch zeigten sie nachvollziehbare Gründe für ihre Behauptung auf, dass sie nicht in der Lage seien, die zur Erteilung der Auskunft erforderlichen Tätigkeiten in ihrer Freizeit zu erbringen.
Die Rolle des Notars und die Fähigkeiten der Beklagten
Die Kosten für die Beauftragung eines Notars blieben außer Betracht, da diese nur berücksichtigt werden können, wenn sie zwangsläufig entstehen, weil der Auskunftspflichtige selbst zu einer sachgerechten Auskunftserteilung nicht in der Lage ist. Die Beklagten konnten jedoch nicht glaubhaft machen, dass sie mit der Auskunftserteilung überfordert sind. Alle Beklagten haben nach eigenen Angaben ein Studium absolviert und stehen im Berufsleben. Dass sie angesichts ihrer Vorbildung nicht in der Lage sind, den Nachlass ihrer Eltern zu sichten und hierüber Auskunft zu geben, erschließt sich nicht.
Schlussbemerkungen
Das OLG Köln entschied, dass die Zulässigkeit der Berufung sich auch nicht aus § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt. Der vorliegende Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Gericht setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 500,00 EUR fest.
Das vorliegende Urteil
OLG Köln – Az.: I-24 U 12/20 – Beschluss vom 07.05.2020
Der Wert der Beschwer der Berufung der Beklagten gegen das am 18.12.2019 verkündete Teilurteil der 2.Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 2 O 66/19 – wird auf bis 500,00 EUR festgesetzt.
Die Berufung der Beklagten gegen das vorgenannte Teilurteil des Landgerichts Bonn wird gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
Gründe
I.
Die Parteien sind Geschwister. Nach dem Tod der Eltern macht der Kläger gegen die Beklagten im Wege der Stufenklage den Pflichtteil geltend. Mit Teilurteil vom 18.12.2019, auf das wegen aller weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge sowie wegen der rechtlichen Würdigung durch die Kammer Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Bestand der Nachlässe des am 00.07.2017 verstorbenen E und der am 00.01.2018 verstorbenen F zu erteilen, jeweils durch Vorlage eines Verzeichnisses, das den gesamten tatsächlichen und fiktiven Nachlass des Erblassers/der Erblasserin enthält und in dem verzeichnet sind:
- sämtliche am Todestag vorhandene Vermögenswerte, Gegenstände, Rechte und Ansprüche sowie Nachlassverbindlichkeiten,
- sämtliche Schenkungen des Erblassers/der Erblasserin an die Beklagten,
- alle Zuwendungen des Erblassers/der Erblasserin an dritte Personen in den letzten 10 Jahren vor dem Tod des Erblassers/der Erblasserin,
- alle Zuwendungen des Erblassers/der Erblasserin, die eine Ausgleichspflicht nach den §§ 2205 ff., 2316 BGB auslösen können,
- alle bedingten, ungewissen und unsicheren Rechte sowie zweifelhaften Verbindlichkeiten des Erblassers/der Erblasserin,
- sämtliche Lebensversicherungsverträge und sonstigen Verträge zugunsten Dritter, die der Erblasser/die Erblasserin zu Lebzeiten abgeschlossen hat und die bei seinem bzw. ihrem Tode noch bestanden haben sowie Mitteilung der Bedingungen bei Zuwendungen, die keine Schenkungen sind, beispielsweise die Übertragung von Immobilien gegen den Vorbehalt oder die Einräumung eines Nießbrauchs, Altenteils oder Wohnungsrechtes.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Entgegen der Auffassung der Kammer sei die von den Erblassern im notariellen Nachtrag vom 30.04.1996 zum Erbvertrag vom 01.02.1988 geregelte Pflichtteilsentziehung wirksam. Sie sei auch nicht dadurch unwirksam geworden, dass die Eltern dem Kläger verziehen hätten. Dementsprechend seien sie – die Beklagten – auch nicht zur Auskunft verpflichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 20.03.2020 (Bl. 197 ff. d.A.) Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 02.04.2020 (Bl. 208 f. d.A.) hat der Vorsitzende des Senats die Beklagten darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, weil der Wert der Beschwer den Betrag von 600,00 EUR nicht übersteigt. In ihrer hierzu abgegebenen Stellungnahme vom 28.04.2020 machen die Beklagten geltend, sie hätten keine Kenntnis über die Nachlässe ihrer Eltern gehabt und seien mit der Erteilung der von dem Kläger geforderten Auskunft überfordert gewesen, deshalb hätten sie sich der Hilfe eines Notars bedient, der ihnen bei der Erstellung der umfangreichen Nachlassverzeichnisse nach beiden Elternteilen geholfen habe. Sie seien nicht in der Lage, die erforderlichen Tätigkeiten in der Freizeit zu erbringen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 28.04.2020 sowie der diesem beigefügten eidesstattlichen Versicherungen sämtlicher Beklagter vom 24.04.2020 bzw. 25.04.2020 (Bl. 216 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.
1.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Betrag von 600,00 EUR nicht.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes bemisst sich nach der im Berufungsrechtszug erstrebten Beseitigung der Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil und ist deshalb nach oben durch diese Beschwer begrenzt (vgl. nur Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 511 Rdn. 12). Maßgeblich ist dabei die Beurteilung durch das Berufungsgericht, das dabei an eine Streitwertfestsetzung in der ersten Instanz nicht gebunden ist. Das Berufungsgericht stellt den – gemäß § 511 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machenden – Wert des Beschwerdegegenstandes vielmehr im Rahmen der ihm von Amts wegen obliegenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 522 Abs. 1 ZPO nach eigenem freiem Ermessen fest (vgl. statt aller BGH NJW-RR 2005, 219; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 511 Rdn. 20a, jeweils m.w.Nachw.).
Mit ihrer Berufung erstreben die Beklagten die Beseitigung der Beschwer durch das angefochtene Teilurteil vom 18.12.2019, mit dem sie zunächst nur zur Auskunftserteilung verurteilt worden sind. Der Wert der Beschwer durch eine solche Verurteilung zur Auskunft entspricht, wenn ein besonderes Geheimhaltungsinteresse nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich ist, dem Aufwand an Zeit und Kosten, welcher für die Partei mit der Erfüllung der titulierten Verpflichtung verbunden ist (ständige und einhellige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, NJW-RR 2011, 998 f.; NJW-RR 2014, 1025 f.). Dies gilt entgegen der Auffassung der Beklagten allgemein und keineswegs nur für die Auskunftserteilung in familiengerichtlichen Verfahren (vgl. etwa BGH, Fam R2 2010, 831; BGH, N26 2013, 1258). Zur Bewertung des Zeitaufwands ist grundsätzlich auf die Stundensätze zurückzugreifen, die der Auskunftspflichtige als Zeuge in einem Zivilprozess erhalten würde, wenn er mit der Erteilung der Auskunft weder eine berufstypische Leistung erbringt noch einen Verdienstausfall erleidet. Dabei ist, worauf der Vorsitzende des Senats mit Verfügung vom 02.04.2020 ebenfalls bereits hingewiesen hat, regelmäßig davon auszugehen, dass die zur Auskunftserteilung maßgeblichen Tätigkeiten in der Freizeit erbracht werden können. Zu den berücksichtigungsfähigen Kosten des zur Auskunft Verpflichteten gehören daneben auch die Ausgaben für die Inanspruchnahme fachkundiger Dritter oder Hilfspersonen, derer sich der Verpflichtete zur Vorbereitung einer nicht ohne weiteres von ihm zu leistenden Auskunft bedienen darf (BGH, FamRZ 2010, 891). Dass der danach maßgebliche Aufwand nach diesem Maßstab den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vorausgesetzten Wert aufweist, ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme vom 28.04.2020 nicht glaubhaft gemacht.
Die Beklagten legen weder konkret dar, mit welchem zeitlichen Aufwand die Erteilung der streitgegenständlichen Auskunft verbunden ist, noch zeigen sie nachvollziehbare Gründe für ihre Behauptung auf, dass sie nicht in der Lage seien, die zur Erteilung der Auskunft erforderlichen Tätigkeiten in ihrer Freizeit zu erbringen. Selbst wenn aber der für die Entschädigung von Zeugen gemäß § 22 JVEG maßgebliche Höchstsatz von 21,00 EUR/Std. in Ansatz gebracht würde, spricht nichts dafür, vorliegend den für die Erteilung der Auskunft erforderliche Zeitaufwand mit einem höheren Betrag als 500,00 EUR zu bewerten. Unter Zugrundelegung des vorgenannten Stundensatzes entspricht dieser Betrag einem zeitlichen Aufwand von drei Arbeitstagen. Ausweislich der Klägervortrags, dem die Beklagten insoweit nicht entgegen getreten sind, waren Gegenstand des Nachlasses ein in H gelegenes Wohnhaus sowie weiterer Grundbesitz forstwirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Nutzung, ferner Geld- und Bausparguthaben. Dass die zur Ermittlung und Zusammenstellung der zur Auskunftserteilung erforderlichen Informationen über einen solchen Nachlass mehr als drei Arbeitstage in Anspruch nimmt, ergibt sich nicht; auch die Beklagten zeigen keine Umstände auf, die für einen höheren zeitlichen Aufwand sprechen könnten.
Die Kosten der Zuziehung eines Notars haben, unabhängig davon, dass die Beklagten diese nicht beziffert haben, außer Betracht zu bleiben. Solche Kosten können nur berücksichtigt werden, wenn sie zwangsläufig entstehen, weil der Auskunftspflichtige selbst zu einer sachgerechten Auskunftserteilung nicht in der Lage ist (wie etwa bei Angaben zur größeren Unternehmensbeteiligungen, vgl. BGH a.a.O.) Auch hierzu haben die Beklagten keinen substantiierten Vortrag gehalten. Der Umstand allein, dass über den Nachlass und die Vermögenswerte der Erblasser in der Familie nicht gesprochen worden war, rechtfertigt nicht die Inanspruchnahme notarieller Hilfe bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses. Dass sie mit der Auskunftserteilung überfordert sind, haben die Beklagten nicht glaubhaft gemacht. Sämtliche Beklagten haben nach eigenen Angaben ein Studium absolviert und stehen im Berufsleben. Dass sie angesichts ihrer Vorbildung – der Beklagte zu 1. etwa verfügt über ein abgeschlossenes Studium der Betriebswirtschaftslehre – nicht in der Lage sind, den Nachlass ihrer Eltern zu sichten und hierüber Auskunft zu geben, erschließt sich nicht.
2.
Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich auch nicht aus § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil das Rechtsmittel nicht zugelassen.
Allerdings hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH NJW 2008, 218, BGH NJW 2010, 1528) dann, wenn der Richter der ersten Instanz von einem 600,00 EUR übersteigenden Wert der Beschwer ausgegangen ist und deshalb von diesem Ausgangspunkt keinen Anlass gesehen hat, über die Zulassung der Berufung zu entscheiden, das Berufungsgericht diese Prüfung nachzuholen, wenn es davon abweichend einen 600,00 EUR nicht übersteigenden Wert des Beschwerdegegenstandes annimmt. Da die Entscheidung über die Zulassung der Berufung indes nach § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO grundsätzlich dem Richter der ersten Instanz vorbehalten ist, kommt eine dies nachholende Entscheidung des Berufungsgerichts aber nur dann in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erfüllt seien und deshalb kein Anlass für eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung bestehe (vgl. BGH NJW 2011, 926). Solche Anhaltspunkte ergeben sich hier zwar daraus, dass die zur Entscheidung berufene Kammer im angefochtenen Teilurteil nicht nur den Streitwert für die Auskunftsstufe auf 23.000,00 EUR festgesetzt hat (was für sich gesehen nicht ausreichen würde, vgl. BGH NJW 2011, 926, 928), sondern zudem das Urteil ohne Rücksicht auf § 708 Nr. 11 ZPO nach § 709 S. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt hat. Eine Zulassung der Berufung durch den Senat kommt im Streitfall aber deshalb nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen. Der vorliegende Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Zwar ist die in der Literatur umstrittene Frage, ob im Rahmen des § 2333 Nr. 4 BGB eine Gesamtstrafe von mindestens einem Jahr ausreicht (vgl. BeckOKBGB/Müller-Engels, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 2333 Rn. 25) oder ob zumindest eine Einsatzstrafe ein Jahr betragen muss (vgl. BeckOGK/Rudy, 1.3.2020, BGB § 2333 Rn. 40.1), höchstrichterlich nicht geklärt. Gleichwohl besteht kein Anlass, vorliegend die Berufung zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Das angefochtene Urteil ist nicht allein darauf gestützt, dass die im notariellen Nachtrag vom 30.04.1996 zum Erbvertrag vom 01.02.1988 geregelte Pflichtteilsentziehung mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 2333 Nr. 4 BGB unwirksam ist, sondern auch darauf, dass der Pflichtteilsentzug jedenfalls gemäß § 2337 Satz 2 BGB unwirksam geworden ist, weil die Erblasser dem Kläger nach Pflichtteilsentzug verziehen haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
(Gebühren-)Streitwert für das Berufungsverfahren: 500,00 EUR