LG Kassel – Az.: 4 O 2044/10 – Urteil vom 24.02.2012
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 134.387,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.2.2011 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss: Der Streitwert wird auf 134.387,59 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Pflichtteilsansprüche der Klägerin, und zwar im Hinblick auf evtl. vorhandene weitere Nachlasswerte sowie evtl. Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege der der Beklagten am 25.2.2011 zugestellten Teilklage.
Die 197… geborene Klägerin ist die Tochter des am …2010 verstorbenen Erblassers E und dessen rechtskräftig geschiedener Ehefrau, die Beklagte ist die testamentarische Alleinerbin des Erblassers. Der Erblasser und dessen geschiedene Ehefrau haben neben der Klägerin ein weiteres gemeinsames Kind, den 197… geborenen Bruder der Klägerin A. Weitere Abkömmlinge des Erblassers existieren nicht.
Der Erblasser war bei einem fremdverschuldeten Unfall im Jahre 199… schwer verletzt worden und seither pflegebedürftig. Ein in diesem Zusammenhang geführter Rechtsstreit gegen den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung endete im Jahr 2008 durch Klagerücknahme, nachdem die Versicherung aufgrund eines am …2008 außergerichtlich geschlossene Vergleiches eine (Rest-)Zahlung in Höhe von 830.000 € geleistet hatte. Hiervon legte der Erblasser eine Großteil in Höhe von 553.911,00 € auf seinen Namen bei der B-Bank an und erteilte der Beklagten insoweit Kontovollmacht. Außerdem kaufte er für 100.000 € ein Flugzeug und beglich verschiedene Verbindlichkeiten.
Die Beklagte hatte den Erblasser im …199… kennengelernt.
In der Folgezeit lebte die Beklagte, deren vorherige Beschäftigung als … bei der … zum Jahresende 1993 ausgelaufen war, mit dem Erblasser zusammen und übernahm die verletzungsbedingt zunehmend und zuletzt nahezu rund um die Uhr erforderliche Betreuung und Pflege des Erblassers bis zu dessen Tod. Der Erblasser leitete das an ihn ausbezahlte Pflegegeld in Höhe von durchschnittlich 650 € an die Beklagte weiter.
Die Klägerin ersteigerte im Jahr 2004 im Rahmen einer Zwangsversteigerung ein Wohnhaus. In diesem Zusammenhang schloss sie gemeinsam mit dem Erblasser zwei Darlehensverträge mit der C ab, da sie alleine die zur Finanzierung der Immobilie erforderlichen Darlehen nicht erhalten hätte, vereinbarte mit dem Erblasser jedoch, dass sie die gesamtschuldnerisch eingegangene Verpflichtung zur Darlehensrückzahlung im Innenverhältnis allein zu tragen habe.
Das Testament des Erblassers vom 10.5.2007 (Anlage K1, Bl. 84 d.A.) lautet wie folgt:
„Mein ….2007
Testament
hiermit vererbe ich E geb. …50 in …, einzig und allein alle Werte, Finanzen, Immaterielle und Materielle einzig und allein F geb. … in …. Sie soll absolut allein Erbin sein. Da meine Exfrau … sich nach dem Unfall, in 199…, strikt weigerte mir zu Helfen und/oder meine Pflege zu übernehmen. Auch die 2 Kinder A geb. …7… in … und K geb. ….7… in … sollen nichts erben, da die Beiden mir auch die Hilfe und Pflege verweigerten.
Alle haben nach BGB § 1611 jeglichen Unterhalt oder Erbschaft verwirkt. Allerdings müssen sich die Enterbten um verbliebene Schulden in vollem Umfang ausgleichen.
E …2007“
Die Beklagte hat auf Verlangen der Klägerin den Wert des Nachlasses u.a. durch notarielles Verzeichnis des Notars N1, Stadt1, vom 10.12.2010 (Bl. 23 – 68.A.) wie folgt beziffert:
(vom Abdruck wurde abgesehen – die Red.)
Im notariellen Nachlassverzeichnis ist darüber hinaus ein Betrag von 147,00 € Zinsen aufgeführt, so dass sich ein Aktivnachlass im Wert von 542.418,72 € ergibt.
………………….
Hinsichtlich der Passiva enthält das notarielle Nachlassverzeichnis folgende Ausführungen:
„10.
Frau F teilt mit, dass der Erblasser durch einen Verkehrsunfall im Jahre 199… schwer verletzt wurde. Er war in vollem Umfange pflegebedürftig. Die Pflege wurde fast ausschließlich nur von Frau F durchgeführt. Sie beansprucht Pflegekosten. Zum Beleg der Höhe der Kosten übergibt sie auszugsweise Fotokopie eines Schriftsatzes von 22.9.2007 in dem Rechtsstreit … ./. … u.a. (Landgericht …, Az.: …). Ab Seite 19 des Schriftsatzes bis Seite 21 wurden die Pflegekosten dargestellt. Frau F versichert, dass sie diese Pflegekosten zu beanspruchen hat. Es ergibt sich ausweislich des in Kopie beigefügten Schriftsatzes ein Pflegekosten Betrag i.H.v.644.98,94 €.
Dieser Betrag bezieht sich auf den Zeitraum bis September 2007. Für die Zeit ab 01.10.2007 bis zum Todestag sind weitere Pflegekosten i.H.v. 142.342,80 € entstanden.
11.
Der Erblasser und seine Tochter K haben gemeinschaftlich zwei Darlehen bei der C aufgenommen. Zum Stichtag 30.04.2010 ergab sich gem. beigefügten Übersichtsseiten auf dem Kto.-Nr. 1 eine Darlehensschuld von 23.649,41 € und auf dem Darlehenskonto Nr. 2 eine Schuld von 25.477,99 €.
12.
Frau F legt verschiedene Belege vor, die dieser Urkunde in Kopie beigefügt werden. Es handelt sich um die Kosten der Beerdigung. Aus den Belegen ergibt sich ein Betrag von 4.721,35 €.
13.
Frau F gibt an, auf die Pflegekosten eine Zahlung von 124.541,26 € erhalten zu haben.
14.
Daraus ergeben sich Verbindlichkeiten des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes i.H.v. 715.758,38 €.“
Aus den dem notariellen Nachlassverzeichnis in Kopie beigefügten Seiten 19 bis 21 des zur Höhe der Pflegekosten in Bezug genommenen Schriftsatzes heißt es:
„Aus diesem Grunde kann auch keine Billigpflege, wie von manchen Unternehmen angeboten wird, den tatsächlichen Pflege- und Betreuungsaufwand ersetzen. Ebenso wie der Kläger nicht darauf verwiesen werden kann, sich in einem Heim versorgen und pflegen zu lassen, kann man von ihm nicht verlangen, dass er sich von einer Firma mit wechselndem Personal rund um die Uhr betreuen lässt. Auch dies verbietet die Menschenwürde.
Der Haushaltsführungsschaden, der ihm im Rahmen der vermehrten Bedürfnisse zusteht, wird deshalb nicht geltend gemacht, weil wir jeden Anschein der überzogenen Forderung vermeiden wollen. Wir unterstellen die Führung des Haushaltes durch die Zeugin F ebenfalls den Pflegekosten in dem vorgenannten Umfang und befinden uns damit auf der sicheren Seite. Frau F erledigt den Haushalt nebenbei, indem sie sich mit dem Kläger unterhält oder aber auch in der Zeit, in der der Kläger (ein Krankenhaus – die Red.) aufsuchen muss. Dies geschieht 3 mal wöchentlich für mindestens 4 Stunden.
Auch diese Tatsache, dass für die Haushaltsführung kein zusätzlicher Anspruch geltend gemacht wird, rechtfertigt die jeweils in Ansatz gebrachte Stundenzahl.
Die Rechtsprechung legt für den Stundensatz der Pflegetätigkeit die Nettoentlohnung einer professionellen Pflegekraft zu Grunde.
Beweis:
Zeugin F, b.b.
Die Zeugin F betreut den Kläger mithin seit 1994 ununterbrochen mit wenigen Ausnahmen, in denen sie aus gesundheitlichen Gründen verhindert war. Für diese Zeiträume wurde Verhindertenpflegegeld geleistet, wie es sich aus der nachstehenden Berechnung ergibt.
Unter Zugrundelegung dieser Schilderung ergibt sich für die Berechnung der Pflege- und Betreuungskosten folgendes:
(Vom Abdruck wurde abgesehen – die Red.)
Die Klägerin begehrt im Wege der am 25.2.2011 zugestellten Teilklage ausgehend von den im Nachlassverzeichnis der Beklagten angegebenen Aktiva in Höhe von 542.271,72 € abzüglich der von der Beklagten angegebenen Kosten der Beerdigung in Höhe von 4.721,35 € einen Mindestpflichtteil in Höhe von 134.387,59 €. Die weiteren von der Beklagten angegebenen Passiva im Zusammenhang mit Darlehen sowie Pflegekosten bestreitet sie.
Weder habe der Erblasser der Beklagten Zahlungen für erbrachte Pflege geschuldet, noch handle es sich bei den genannten Darlehen „an K“ um Verbindlichkeiten des Erblassers.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 134.387,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe schon deshalb keinen Anspruch, weil ihr in dem Testament des Erblassers vom …2007 neben dem Erbe auch der Pflichtteil entzogen worden sei. Die Klägerin habe sich um den Erblasser in den letzten Jahren nicht gekümmert, ihn nicht versorgt oder gepflegt. Dies werde insbesondere auch in der Formulierung des Testaments „A und K sollen nichts erben, da die beiden mir auch die Hilfe und Pflege verweigerten. Alle haben…jeglichen Unterhalt oder Erbschaft verwirkt.“ deutlich. Die Antragstellerin sei damit enterbt und ihr sei zudem der Pflichtteil entzogen.
Zudem sei der Nachlass überschuldet, wie sich bereits aus dem vorgelegten Nachlassverzeichnis ergebe, so dass auch aus diesem Grunde kein Pflichtteilsanspruch bestehe.
Sie behauptet, den Erblasser seit … 199… bis zu seinem Tod aufgrund eines mit diesem abgeschlossenen Dienstvertrages quasi rund um die Uhr betreut und gepflegt zu haben. Bereits im Januar 199… sei vereinbart worden, dass sie für ihre Pflegetätigkeit eine angemessene, der Höhe nach nicht näher festgelegte Vergütung erhalten solle. Da der Erblasser sie aus eigener Tasche nicht habe bezahlen können, sei vereinbart worden, dass sie für ihre Leistungen nachträglich bezahlt werde, wenn die insoweit bereits verklagte Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die dort geltend gemachten Pflegekosten bezahle.
Der Höhe nach ergebe sich der ihr vom Erblasser insoweit geschuldete Betrag aus der Berechnung der Pflegekosten durch Rechtsanwalt RA1 im Entwurf einer Klageerweiterung vom September 2007 an das Landgericht Kassel.
Im Laufe des Rechtsstreits sei hier auf zunächst geltend gemachte Schadensersatzansprüche verzichtet worden und der Erblasser habe lediglich noch die von Rechtsanwalt RA1 berechneten Pflegekosten in Höhe von 1.200.000 € sowie Schmerzensgeld in Höhe von 600.000 € verlangt. Später sei vereinbart worden, dass sie den gesamten von der Versicherung zu erwartenden Betrag erhalten solle.
Als die Haftpflichtversicherung sodann im Jahre 2008 insgesamt 830.000 € bezahlt habe, hätte der Erblasser zunächst mit ihr zusammen ein gemeinsames Konto hierfür eröffnen wollen, die von der C angebotenen Zinsen hätten dem Erblasser jedoch nicht ausgereicht, so dass er den Betrag letztlich auf seinen Namen bei der B-Bank angelegt und ihr insoweit Kontovollmacht erteilt habe. Erst später sei darüber gesprochen worden, dass es besser sei, die Guthaben auf ein auf ihren Namen lautendes Konto zu transferieren. Deshalb hätten sie im Februar 2010 ein Konto auf ihren Namen eröffnet und der Erblasser habe in der Folgezeit insgesamt 124.541,26 € hierauf überwiesen. Weitere Beträge hätten wegen des täglichen Höchstbetrages von 25.000 € nicht mehr überwiesen werden können, weil der Erblasser schon wegen der mehrmals wöchentlich (Krankenhaus – die Red.) auch nicht jeden Tag hierfür Zeit gehabt hätte.
Hinsichtlich der im Nachlassverzeichnis enthaltenen Darlehensbeträge verritt die Beklagte die Auffassung, dass diese solange als Erblasserschulden in Abzug zu bringen seien, als die Darlehen nicht vollständig durch die Klägerin getilgt seien, weil solange die Mitverpflichtung aus dem Darlehensvertrag auch gegen den Nachlass bestehe.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.
Die Klägerin ist neben ihrem Bruder A gesetzliche Erbin zu 1/2 (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB). Ihr Pflichtteilsanspruch gegen die Beklagte als testamentarische Alleinerbin (§ 1937 BGB) beläuft sich somit auf 1/4 (§ 2303 Abs. 1 BGB).
Eine wirksame Pflichtteilsentziehung liegt nicht vor. Dabei kann vorliegend sowohl dahinstehen, ob der Erblasser der Klägerin in seinem Testament vom ….2007 über den Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge hinaus auch den Pflichtteil entziehen wollte (§ 2336 Abs. 1 BGB), wie die Beklagte meint, als auch, ob der Grund der Entziehung (Verweigerung von Pflege und Hilfe) in der letztwilligen Verfügung hinreichend konkret angegeben ist (§ 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB), denn einer der in § 2333 BGB abschließend aufgezählten und nicht analogiefähigen Pflichtteilsentziehungsgründe liegt nicht vor. Gemäß § 2333 Abs. 1 BGB kann der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil nur entziehen, wenn
– der Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet (Nr. 1),
– sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht (Nr. 2),
– die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt (Nr. 3) oder
– wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird oder die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist (Nr. 4).
Keiner dieser Gründe liegt hier vor, insbesondere trägt der vom Erblasser im Testament angegebene Grund für seine letztwillige Verfügung, nämlich die Verweigerung von Pflege und Hilfe durch die Klägerin, schon deshalb eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht, weil weder behauptet noch sonst ersichtlich ist, dass die im Zeitpunkt des vom Erblasser im Jahre 199… erlittenen Unfalls erst 16-jährigen Klägerin dem wohl nicht im Sinne des § 1602 Abs. 1 BGB bedürftigen Erblasser gesetzlich zum gemäß § 1612 BGB gegebenenfalls in Geld geschuldeten Unterhalt verpflichtet gewesen wäre.
Die Verweigerung persönlicher Pflegeleistung bei Alter oder Krankheit berechtigt aber grundsätzlich nicht zur Pflichtteilsentziehung nach Nr. 3 BGB. Hinzu kommt, dass für eine böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht die bloße Leistungsverweigerung nicht genügt, sondern diese auf einer verwerflichen Gesinnung beruhen muss, für die hier keine Anhaltspunkte vorliegen.
Dem somit dem Grunde nach bestehenden Pflichtteilsanspruch der Klägerin steht auch nicht die beklagtenseits behauptete Überschuldung des Nachlasses entgegen.
Gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB wird der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls (sog. Stichtagsprinzip) zugrunde gelegt. Der Bestand des Nachlasses ergibt sich aus der Differenz von Aktiv- und Passivbestand.
Im Rahmen der vorliegenden Teilklage sind der von der Beklagten im Nachlassverzeichnis angegebene Aktivbestand in Höhe von 542.271,72 € sowie Passiva in Höhe der Beerdigungskosten von 4.721,35 € unstreitig.
Weitere Nachlassverbindlichkeiten sind indes nicht zu berücksichtigen, denn die behaupteten Erblasserschulden im Zusammenhang mit erbrachter Pflege oder gewährter Darlehen sind nicht belegt und weitere Erbfallschulden behauptet die Beklagte nicht,
Soweit es die Positionen „Darlehen an K“ in Höhe von 23.216,20 € und „Zweites Darlehen an K“ in Höhe von 25.031,75 € betrifft, handelt es sich unstreitig nicht um vom Erblasser an die Klägerin gewährte Darlehen (wie der Formulierung im Nachlassverzeichnis entnehmen zu sein könnte), sondern um der Klägerin von der C zu deren Verwendung gewährte Darlehen; bei denen der Erblasser gesamtschuldnerisch mithaftender Darlehensnehmer war, die jedoch – ebenfalls unstreitig – im Innenverhältnis allein von der Klägerin zurückzuzahlen waren. Bei dieser Konstellation einer gesamtschuldnerischen Mithaftung des Erblassers mit anderen ist aber für den Passivbestand des Nachlasses auf das Innenverhältnis der Gesamtschuldner abzustellen und (nur) der danach den Erblasser treffende Anteil zu berücksichtigen (Münchener Kommentar zum BGB / Lange, 5. Auflage 2010, Rn 14 zu § 2311 BGB; Staudinger / Haas, BGB – Neubearbeitung 2006, Rn. 37 zu § 2311 BGB).
Auch Kreditsicherheiten, wie Hypotheken, Sicherungsgrundschulden oder Bürgschaften, sind in Anwendung von § 2313 Abs 2 BGB bei der Berechnung des Nachlasswertes solange außer Betracht zu lassen, wie offen ist, ob und in welcher Höhe der Sicherungsgeber überhaupt in Anspruch genommen wird. Sie sind daher zunächst nicht in die Passiva einzustellen, es sei denn, dass eine Inanspruchnahme wahrscheinlich erscheint, wobei dann aber auch der Freistellungsanspruch des Sicherungsgebers unter Berücksichtigung seiner Realisierbarkeit dieser möglichen Haftung gegenüberzustellen ist (Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O.).
Vorliegend ist die Klägerin im Innenverhältnis allein zur Darlehensrückzahlung verpflichtet und es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Inanspruchnahme des Erblassers (oder der Beklagten als dessen Rechtsnachfolgerin) vor, so dass die Darlehen nicht als Erblasserschulden zu berücksichtigen sind.
Soweit es die Positionen „Pflegekosten“ in Höhe von insgesamt 662.789,08 € (644.987,54 € bis September 2007 sowie weitere142.342, 80 € für die Zeit von Oktober 2007 bis Mai 2010 abzüglich vom Erblasser bezahlter 124.541,26 €) betrifft, liegen ebenfalls keine bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigenden Nachlassverbindlichkeiten (Erblasserschulden) vor.
Zwar spielt das Erlöschen gegebenenfalls bestehender Forderungen der Beklagten durch Konfusion für die Pflichtteilsberechnung keine Rolle, denn Forderungen gegen den Nachlass, die durch Konfusion erlöschen, sind für die Zwecke der Pflichtteilsberechnung als nicht erloschen anzusehen (Münchener Kommentar zum BGB / Lange, 5. Auflage 2010, Rn 7 zu § 2311 BGB).
Die Beklagte hat aber einen über die erhaltenen Beträge hinausgehenden Vergütungsanspruch gegen den Erblasser weder dem Grunde noch der Höhe nach hinreichend substantiiert dargetan und bewiesen.
So hat sie selbst keine konkrete Vergütungsvereinbarung behauptet, aus der sich ein Anspruch in der entsprechend der von Rechtsanwalt RA1 im vorgelegten Entwurf eines Schriftsatzes vorgenommenen Berechnung geltend gemachten Höhe ergäbe. Zwar hat sie behauptet, es sei von vorneherein eine angemessene Vergütung vereinbart worden, die bis zur Zahlung durch die Versicherung gestundet gewesen sei, und die von Rechtsanwalt RA1 vorgenommene Berechnung ergebe eine solche angemessene Vergütung. Sie hat aber auch behauptet, dass im Laufe der Zeit eine Einigung dahingehend erfolgt sei, dass sie den gesamten Betrag, der seitens der Versicherung zur Auszahlung komme, erhalten solle, worin eine Änderung der ursprünglichen Vereinbarung zu erblicken wäre. Beides ist indes nicht glaubhaft und insbesondere nicht bewiesen.
Der Vortrag der Beklagten selbst zur von Beginn an vereinbarten angemessenen Vergütung überzeugt nicht bzw. steht im Widerspruch zu ihren eigenen Angaben. Im Termin vom 21.10.2011 hat sie auf Befragen des Gerichts erklärt, den Erblasser über eine Anzeige in der Werbezeitung „…“ kennengelernt zu haben.
Da ihre Beschäftigung als …bei der … zum Jahresende 199… ausgelaufen sei, habe sie hierauf geantwortet. Als der Erblasser sodann erstmals bei ihr erschienen, sei sie über dessen körperlichen Zustand sehr erschrocken, da der Anzeige nichts hierüber zu entnehmen gewesen sei. Er habe sie dann gefragt, ob sie mit ihm in die „Therme“ gehe, das habe sie getan. Es sei nicht gleich darüber gesprochen worden, dass sie den Erblasser pflegen und betreuen solle, im Laufe der Zeit habe sich das aber so ergeben. Sie habe ihm geholfen, weil sie immer geholfen habe, wenn dies erforderlich gewesen sei. Da der Erblasser sie nicht habe bezahlen können, sei sodann vereinbart worden, dass sie den Betrag erhalten solle, den die insoweit bereits verklagte Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers an Pflegekosten erstatten werde. Diesen Betrag habe Rechtsanwalt RA1 in dem bereits auszugsweise übergebenen Schriftsatz ausgerechnet. Im Laufe des sich bis 2008 hinziehenden Rechtsstreits sei dort auf die geltend gemachten Schadensersatzansprüche verzichtet worden und lediglich noch Pflegekosten und Schmerzensgeld verlangt worden. Da die Versicherung nicht die gesamte geforderte Summe bezahlt habe, habe sie nunmehr alles erhalten sollen.
Danach bestand gerade nicht von Beginn an eine Vergütungsvereinbarung, sondern hat es sich erst im Laufe der Zeit ergeben, dass die Beklagten den Erblasser gepflegt hat, und haben beide auch erst im Laufe der Zeit darüber gesprochen, dass die Beklagten dafür die von der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu erwartende Summer erhalten solle. Wann dies war, ist dem Vortragt der Beklagten hingegen nicht zu entnehmen. Dass sie angibt, Rechtsanwalt RA1 habe den Betrag ausgerechnet, legt den Schluss nahe, dass eine solche Vereinbarung erst im Jahr 2007 geschlossen wurde. Dies stünde dann aber nicht im Gegenleistungsverhältnis mit den von der Beklagten behaupteten, seit 1994 erbrachten Pflegeleistungen im Sinne einer Vergütung, sondern es wäre von einer – zumindest gemischten – Schenkung des Erblassers an die Beklagte, beispielsweise aus Dankbarkeit für deren über die Jahre erbrachte Unterstützung auszugehen. Ein solches Schenkungsversprechen wäre aber mangels notarieller Beurkundung oder Vollzug nichtig (§§ 518, 125 BGB), denn tatsächlich hat der Erblasser die im Jahr 2008 von der Haftpflichtversicherung seines Unfallgegners erhaltene Summe gerade nicht an die Beklagte weitergeleitet, sondern für sich behalten.
Auch die von der Beklagten insoweit benannten Beweismittel sind nicht geeignet, eine bestehende Vergütungsvereinbarung zu belegen. Soweit die Beklagte vorträgt, diese ergebe sich aus der als Anlage B2 vorgelegten außergerichtlichen Vollmacht an die vom Erblasser im Jahr 2007 mit der Weiterführung des Rechtsstreits beauftragte Kanzlei RA1 und Kollegen, kann dem nicht gefolgt werden. Mit dieser vom Erblasser sowie zusätzlich mit dem Zusatz „i.V.“ von der Beklagten unterzeichneten Vollmacht vom 12.7.2007 hat nämlich der Erblasser das Anwaltsbüro RA1 & Partner „zu seiner außergerichtlichen Vertretung in der Angelegenheit … ./…, . LG …wegen Schadensersatz, Pflegekosten, Schmerzensgeld“ bevollmächtigt. Die Vollmacht beinhaltet auch die Entgegennahme von Zahlungen (Ziff. 3). Ferner heißt es unter Ziff. 6: „Sämtliche anfallenden Kostenerstattungsansprüche gegenüber Behörden und Dritten werden hiermit nach Genehmigung durch die Vollmachtgeber, unwiderruflich an den / die Bevollmächtigten abgetreten. Diese Vollmacht gilt auch für das Kostenfestsetzungsverfahren. Mehrere Vollmachtgeber haften als Gesamtschuldner.“ und weiter: “ Besondere Vereinbarung: Der gesamte Schriftverkehr muß im voraus dem Vollmachtgeber oder seiner Vertretung zur Kenntnis gebracht werden, durch Unterschrift bestätigt und genehmigt werden. Alle Zahlungen der Gegenseite / Zahlungspflichtigen / Verurteilten müssen erst auf das Konto bei der C LZ …, des Vollmachtgebers E … oder/und seiner Generalbevollmächtigten F …, eingehen, aus den eingegangenen Summen, wird dann die vereinbarte Verteilung/ Bezahlung erfolgen. Diese General-Vollmacht für Frau F gilt auch und insbesondere nach dem Tod von E.“
Daraus ergibt sich lediglich, dass der Erblasser die Rechtsanwälte RA1 und Kollegen mit seiner Vertretung beauftragt und diese in diesem Zusammenhang auch zur Entgegennahme von Zahlungen ermächtigt und Kostenerstattungsansprüche an diese abgetreten hat, dass aber dennoch sämtliche Zahlungen der Gegenseite zunächst auf das Konto des Erblassers oder der Beklagten erfolgen sollten, bevor die an die Rechtsanwälte RA1 und Kollegen abgetretenen Ansprüche erfüllt werden. Über eine zwischen dem Erblasser als Vollmachtgeber und der Beklagten als seiner die Vollmacht mitunterzeichnenden Vertreterin vereinbarte Verteilung eingehender Zahlungen besagt diese Vollmacht hingegen nichts.
Auch aus der als Anlage B3 vorgelegten E-Mail des Erblassers an Rechtsanwalt RA1 ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht das Bestehen der behaupteten Vergütungsvereinbarung. Dort hat der Erblasser zwar unter dem 11.2.2010 mitgeteilt „ich habe das gesamte Geld auf Frau F überschrieben, denn x jahre Vollzeitpflege müssen bezahlt werden und ich werde nicht mehr so lange leben und daraus einen Nutzen zu ziehen“ und „nochmal das geld war zu wenig, ich musste erstmal die pflege sichern und das ging nur in dem ich alles frau F überschritten habe.“ Diese Mitteilung stand jedoch ausweislich der von der Beklagten vorgelegten, teilweise sehr schlecht lesbaren Kopie, die zudem den Anschein erweckt, als seien Teile des Textes vor dem Kopieren abgedeckt worden, im Zusammenhang mit einer geforderten Zahlung an Rechtsanwalt RA2, der der Erblasser mit der Behauptung, die erhaltene Summe an die Beklagten „überschrieben“ zu haben, weshalb er nicht mehr liquide sei, entgegen getreten ist, denn sie ist überschrieben mit dem Betreff „…“. Die darin enthaltene Behauptung, „alles“ an die Beklagte überschrieben zu haben, dürfte zum einen inhaltlich nicht den Tatsachen entsprechen, denn tatsächlich hatte der Erblasser gerade nicht den gesamten erhaltenen Betrag an die Beklagten „überschrieben“, sondern für sich verwendet bzw. auf einem allein auf seinen Namen lautendes Konto bei der B-Bank angelegt. Dass er der Beklagten insoweit Kontovollmacht erteilt hat, bedeutet nicht, dass er ihr das Geld „überschrieben“ habe. Erst im Februar, also im zeitlichen Zusammenhang mit der in der vorgenannten E-Mail, hat der Erblasser begonnen, Teilbeträge auf ein sodann für die Beklagten eröffnetes Konto zu überweisen. Zum anderen taugt sie aber auch nicht zum Beweis einer der behaupteten „Überschreibung“ zugrunde liegenden Vergütungsvereinbarung aus dem Jahr 1994.
Dass der Erblasser geäußert hat „x Jahre Vollzeitpflege müssen bezahlt werden“, belegt nur, dass er der Beklagte für ihre Pflegeleistungen etwas zukommen lassen wollte, nicht aber, dass er sich hierzu vertraglich verpflichtet hatte. Insoweit ist die Beklagte durch den Erblasser mit letztwilliger Verfügung vom …2007 als Alleinerbin eingesetzt worden, ferner hat sie ihrem eigenen Vortrag zufolge einen Betrag von insgesamt 124.541,26 € für geleistete Pflege erhalten und hat der Erblasser über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren (1994 bis 2010) den gemeinsamen Unterhalt im Wesentlichen mit seinem Einkommen und Vermögen bestritten, mit anderen Worten die Beklagte – seine Lebensgefährtin – (mit-)unterhalten.
Auch der als Zeuge benannte Rechtsanwalt RA1 kann eine Vergütungsvereinbarung vom Januar 1994 nicht bekunden, denn dieser wurde vom Erblasser erst im Jahre 2007 mit dessen Vertretung gegenüber der Versicherung des Unfallverursachers beauftragt. Selbst wenn der Erblasser oder die Beklagte dem Rechtsanwalt RA1 sodann von einer bestehenden Vergütungsvereinbarung berichtet hätten, könnte dieser als Zeuge lediglich diesen Umstand, nicht aber das tatsächliche Zustandekommen einer Vergütungsvereinbarung selbst bestätigen. Das Zeugnis des Rechtsanwalt RA1 ist daher ebenfalls kein geeignetes Beweismittel für die behauptete Vergütungsvereinbarung.
Soweit die Beklagte ihre eigene Parteivernehmung zum Beweis der behaupteten Vereinbarung angeboten hat, war dem mangels Einverständnis der Gegenseite im Sinne von § 447 ZPO oder einer Anfangswahrscheinlichkeit für die behauptete Tatsache im Sinne von § 448 ZPO nicht zu folgen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Beklagten im Rahmen einer förmlichen Parteivernehmung anderen Angaben gemacht hätte, als anlässlich ihrer Anhörung im Termin vom 21.10.2011, Dies Angaben sind aber – wie bereits ausgeführt – nicht geeignet, eine Forderung der Beklagten gegen den Nachlass zu belegen.
Weiteren Beweis hat die Beklagte für die behauptete Vergütungsvereinbarung nicht angetreten.
Auch hat sie die von Rechtsanwalt RA1 seiner Berechnung zugrunde gelegten Pflegeleistungen nicht einmal vorgetragen, geschweige denn unter Beweis gestellt. Soweit die Berechnung Pflegeleistungen für die Zeit vor Januar 1994 enthält (5.147,64 € für den Zeitraum 21.11.1991 bis 31.5.1993 und 100 € (10 h à 10 €) täglich für den Zeitraum vom 1.5.1993 bis Januar 1994 können diese schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht als Vergütung für von ihr geleistete Dienste angefallen sein, weil sie den Erblasser erst im Januar 1994 kennengelernt hat. Aber auch im Weiteren fehlen hinreichend konkrete Angaben zu den von der Beklagten für den Erblasser erbrachten Pflegeleistungen, aus denen sich bei Zugrundlegung des angenommen Stundensatzes die behaupteten Forderungen der Beklagten ergäben.
Es ist mithin nicht von einem Dienstvertrag auszugehen. Der Erblasser mag vorgehabt haben, der Beklagten, mit der er über viele Jahre hin zusammengelebt hat und die ihn über viele Jahre gepflegt hat, nach seinem Ableben sein (gesamtes) Vermögen zukommen zu lassen. Hierfür spricht die Einsetzung als Alleinerbin. Von einem Vertrag über eine Bezahlung der Beklagten für dem Erblasser geleistete Dienste kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Damit ergibt sich, wie von der Klägerin unter Zugrundelegung der Angaben der Beklagten im Nachlassverzeichnis zum Aktivvermögen sowie den Beerdigungskosten berechnet, ein Wert des Nachlasses in Höhe von 537.550,37 €, so dass sich der Pflichtteil auf ein Viertel hiervon, mit hin auf die streitgegenständliche Summe von 134.387,59 € beläuft.
Darüberhinaus stehen der Klägerin Rechtshängigkeitszinsen in begehrter Höhe zu, §§ 291, 288 Abs, 1 BGB.
Eventuelle weitergehende (Pflichtteilsergänzungs-)Ansprüche der Klägerin waren nicht Gegentand der vorliegenden Teilklage.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollsteckbarkeit auf § 709 ZPO.
Streitwert: § 3 ZPO