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Pflichtteilsergänzung: Fristbeginn bei Leibrente mit dinglicher Sicherung

Ein Erblasser überschrieb 1998 sein vermietetes Haus gegen eine im Grundbuch gesicherte Leibrente. Die Erben forderten Jahre später den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Trotz der offiziellen Übertragung des Grundstücks entschied das Gericht, dass der Fristanlauf der Zehnjahresfrist erst 15 Jahre später beginnen konnte.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 U 1335/24 Erb | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
  • Datum: 27.06.2025
  • Aktenzeichen: 1 U 1335/24 Erb
  • Verfahren: Berufung in einem Verfahren zur Pflichtteilsergänzung
  • Rechtsbereiche: Erbrecht, Schenkungsrecht, Pflichtteilsrecht

  • Das Problem: Eine Tochter forderte vom Alleinerben einen Pflichtteil auf Grundstücke, die ihre Mutter bereits zu Lebzeiten auf den Erben übertragen hatte. Die Übertragung erfolgte gegen die Zusage einer lebenslangen Rente, die am Grundstück gesichert war.
  • Die Rechtsfrage: Beginnt die Zehnjahresfrist für den Pflichtteil sofort nach der Übergabe eines Hauses, wenn der Schenker dafür weiterhin regelmäßige, an Mieteinnahmen geknüpfte und dinglich gesicherte Einnahmen erhält?
  • Die Antwort: Nein. Die Frist begann erst, als die Mutter auf ihre gesicherte Rente verzichtete und die Sicherung gelöscht wurde. Solange der Schenker durch vertragliche Ausgestaltung den Nutzungswert des Vermögens wirtschaftlich weiter erhält, gilt die Schenkung als nicht vollzogen.
  • Die Bedeutung: Die Frist für Pflichtteilsansprüche wird gehemmt, wenn der Schenker den wirtschaftlichen Nutzen (den sogenannten Genuss) eines verschenkten Objekts durch eine abgesicherte Rente oder ähnliche Rechte de facto behält. Die rein formelle Eigentumsübertragung im Grundbuch ist dafür nicht ausreichend.

Der Fall vor Gericht


Wann beginnt die Zehnjahresfrist für den Pflichtteil wirklich zu laufen?

Die Unterschrift besiegelt die Grundstücksüberlassung gegen Leibrente, relevant für die Hemmung der Zehnjahresfrist des Pflichtteils.
Wirtschaftlicher Genussverzicht bestimmt den Start der Zehnjahresfrist für Pflichtteilsergänzung. | Symbolbild: KI

Im Erbrecht gibt es eine tickende Uhr: die Zehnjahresfrist. Geschenke, die ein Erblasser mehr als zehn Jahre vor seinem Tod macht, sind für enterbte Kinder in der Regel unerreichbar. Ein Sohn glaubte sich auf der sicheren Seite. Seine Mutter hatte ihm schon 1996 ein Grundstück überschrieben. Ihr Tod kam erst 2021. Doch die Gerichte sahen ein Detail, das die Zeitrechnung komplett auf den Kopf stellte. Sie entschieden: Die Uhr für den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) begann erst 17 Jahre später zu ticken.

War die monatliche Rente eine echte Gegenleistung oder nur umgeleitete Miete?

Eine Mutter übertrug ihrem Sohn im Jahr 1995 per Notarvertrag vier Grundstücke, darunter ein vermietetes Wohnhaus. Der Name des Sohnes stand ab März 1996 im Grundbuch. Auf dem Papier war er der neue Eigentümer. Der Vertrag sah aber eine Gegenleistung vor. Die Mutter erhielt eine lebenslange, wertbeständige Rente von monatlich 1.500 DM. Diese Rente war nicht nur irgendeine Zahl. Der Vertrag hielt ausdrücklich fest, dass die Mieteinnahmen des Hauses – damals rund 1.900 DM – die „Grundlage für die Zahlungsverpflichtung“ bildeten. Zur Sicherheit wurde zugunsten der Mutter eine Reallast (§ 1105 BGB) im Grundbuch eingetragen. Diese dingliche Sicherung garantierte ihre Ansprüche direkt aus dem Grundstückswert.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2021 forderte ihre enterbte Tochter, die Schwester des Beschenkten, ihren Anteil am Wert des Hauses. Der Bruder wehrte sich. Er argumentierte, die Schenkung liege über 25 Jahre zurück. Die Zehnjahresfrist sei längst abgelaufen. Die Rente sei eine echte Gegenleistung gewesen, er habe das Grundstück nicht umsonst bekommen. Die Schwester konterte: Die Mutter habe wirtschaftlich nie auf das Haus verzichtet. Der Geldfluss aus der Miete sei nur umetikettiert worden. Der wahre „Schenkungsvollzug“ fand erst 2013 statt. Damals verzichtete die Mutter auf die Rente und ließ die Reallast löschen.

Wie entlarvte das Gericht die Konstruktion als wirtschaftliches Schein-Opfer?

Das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigte die Sicht der Schwester. Die Richter zerlegten die Argumentation des Bruders Punkt für Punkt und legten den wahren wirtschaftlichen Gehalt des Geschäfts frei. Der entscheidende Gedanke der Rechtsprechung ist einfach: Eine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsrechts ist erst dann wirklich „geleistet“, wenn der Schenker ein spürbares Vermögensopfer erbringt. Er muss den „Genuss“ des verschenkten Gegenstands tatsächlich aufgeben.

Ein formaler Eintrag im Grundbuch genügt dafür nicht. Die Richter prüften, ob die Mutter nach der Übertragung ärmer war als davor. Ihre Antwort war ein klares Nein. Die Konstruktion war clever, aber durchschaubar. Die Mutter hatte sich die vollen Früchte des Grundstücks – die Mieteinnahmen – als wertgesicherte Rente erhalten. Durch die Reallast war dieser Anspruch so stark wie das Eigentum selbst. Wirtschaftlich betrachtet, änderte sich für sie durch die Umschreibung im Grundbuch nichts. Sie bezog weiterhin den vollen Ertrag des Hauses. Sie hatte kein echtes Opfer gebracht. Sie hatte den Genuss nicht aufgegeben.

Das Argument des Sohnes, eine Leibrente sei rechtlich etwas anderes als ein Nießbrauch, ließen die Richter nicht gelten. Die wirtschaftliche Wirkung zählt. Hier sorgte die Kopplung der Rente an die Mieteinnahmen für eine Fortsetzung der alten Eigentümerposition mit anderen Mitteln. Der wirkliche Schnitt, das spürbare Vermögensopfer, erfolgte erst im Oktober 2013. An diesem Tag verzichtete die Mutter auf ihr Geld und die grundbuchliche Sicherung. Erst ab diesem Moment begann die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB zu laufen.

Wie wird der Anspruch der Schwester nun berechnet?

Der Startschuss für die Frist fiel im Oktober 2013. Die Mutter verstarb im April 2021. Zwischen diesen beiden Daten liegen sieben volle Jahre. Das Gesetz sieht in einem solchen Fall eine schrittweise Reduzierung des Anspruchs vor, die sogenannte „Abschmelzung„. Für jedes volle Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Erbfall liegt, wird der Wert des Geschenks um zehn Prozent verringert.

Die Rechnung ist simpel:
Sieben volle Jahre bedeuten eine Kürzung um 7 x 10 Prozent = 70 Prozent.
Es verbleibt ein anrechenbarer Wert von 30 Prozent der ursprünglichen Schenkung.

Der Anspruch der Schwester war also nicht verjährt. Er war nur abgeschmolzen. Das Gericht verurteilte den Bruder deshalb im ersten Schritt dazu, den Wert der Grundstücke zum Zeitpunkt der Übertragung ermitteln zu lassen. Auf Basis dieses Gutachtens kann die Schwester dann ihren Anspruch auf 30 Prozent des damaligen Schenkungswertes beziffern und einklagen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Konstellation ließ das Gericht die Revision zum Bundesgerichtshof zu.

Die Urteilslogik

Die Rechtsprechung durchbricht juristische Scheinkonstruktionen, um den wahren Zeitpunkt des Vermögensopfers des Erblassers zu ermitteln.

  • Genussverzicht definiert den Fristbeginn: Die Zehnjahresfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch beginnt erst zu laufen, wenn der Schenker den verschenkten Vermögenswert wirtschaftlich nicht mehr nutzt und ein tatsächliches, spürbares Vermögensopfer erbringt.
  • Dingliche Sicherung hemmt den Fristlauf: Sichert sich der Erblasser bei der Grundstücksübertragung dingliche Rechte, wie eine Reallast oder ein Nießbrauch, die ihm die Erträge des Objekts garantieren, bleibt die Frist gehemmt, weil ihm der wirtschaftliche Nutzen weiterhin zusteht.
  • Wirtschaftlicher Gehalt ersetzt juristische Form: Die Beurteilung einer Übertragung als relevante Schenkung basiert allein auf ihrem wirtschaftlichen Gehalt; die gewählte juristische Konstruktion (etwa eine Leibrente statt eines Nießbrauchs) ist unbeachtlich, wenn sie lediglich dazu dient, den Genuss des Vermögens formal beizubehalten.

Für die Wirksamkeit einer Schenkung im Pflichtteilsrecht zählt die materielle Aufgabe des Vermögenswerts mehr als der formale Grundbucheintrag.


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Experten Kommentar

Der Irrglaube, ein Notartermin und ein Grundbucheintrag würden automatisch die Zehnjahresfrist für den Pflichtteil starten, hält sich hartnäckig. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie und macht unmissverständlich deutlich: Wer das Haus formell übergibt, sich aber über eine Reallast die vollen Mieteinnahmen als Rente sichert, hat kein echtes Vermögensopfer erbracht. Im Erbrecht zählt nicht die juristische Bezeichnung, ob Nießbrauch oder Leibrente, sondern nur, ob der Schenker den wirtschaftlichen Genuss am Vermögen wirklich aufgegeben hat. Wer die Zehnjahresfrist nutzen will, muss das Eigentum komplett loslassen, ansonsten tickt die Uhr nicht.


Das Bild zeigt auf der linken Seite einen großen Text mit "ERBRECHT FAQ Häufig gestellte Fragen" vor einem roten Hintergrund. Auf der rechten Seite sind eine Waage, eine Schriftrolle mit dem Wort "Testament", ein Buch mit der Aufschrift "BGB", eine Taschenuhr und eine Perlenkette zu sehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann beginnt die 10-Jahres-Frist bei Schenkung gegen Nießbrauch oder Leibrente?

Die Zehnjahresfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch beginnt nicht automatisch mit dem notariellen Vertrag oder dem Grundbucheintrag. Entscheidend ist, wann der Schenker den wirtschaftlichen Vorteil des Geschenks vollständig aufgibt. Solange sich der Schenker den Genuss des Vermögens, beispielsweise durch einen Nießbrauch oder eine gesicherte Leibrente, vorbehält, startet die Uhr nicht. Die Frist beginnt erst mit dem tatsächlichen Genussverzicht.

Die Rechtsprechung betrachtet solche Konstruktionen genau: Eine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsrechts ist erst vollzogen, wenn der Schenker ein spürbares Vermögensopfer erbracht hat. Er muss nach der Übertragung des Eigentums wirtschaftlich ärmer sein als zuvor. Wird eine vereinbarte Rentenzahlung explizit an die Erträge des Objekts – etwa die Mieteinnahmen – gekoppelt, sehen Gerichte darin oft nur eine Umleitung der Einnahmen.

Selbst eine Leibrente stoppt die Uhr, wenn sie wirtschaftlich den Ertrag des verschenkten Objekts sichert und zusätzlich durch eine Reallast im Grundbuch dinglich garantiert ist. In diesem Fall hat der Schenker die Kontrolle und den wirtschaftlichen Genuss nicht aufgegeben. Die Zehnjahresfrist startet erst an dem Tag, an dem der Schenker auf diese vorbehaltenen Rechte (wie die Rente oder die Reallast) verzichtet und diese Löschung im Grundbuch erfolgt.

Fordern Sie den notariellen Übertragungsvertrag an und prüfen Sie genau, wann alle dinglichen Sicherungen (Nießbrauch, Reallast) zugunsten des Schenkers gelöscht wurden.


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Kann ich meinen Pflichtteil trotz langer Schenkungsdauer noch einfordern?

Ja, die formal lange Dauer einer Schenkung schließt den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht automatisch aus. Selbst bei Übertragungen, die 20 oder 25 Jahre zurückliegen, können Sie Ihren Anspruch noch geltend machen. Entscheidend für den Start der Zehnjahresfrist ist nicht das Datum des Grundbucheintrags, sondern der tatsächliche Zeitpunkt, an dem der Erblasser die ökonomische Kontrolle über das Geschenkte aufgab.

Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Schenker ein spürbares Vermögensopfer erbrachte und das Gut nicht nur formell, sondern auch wirtschaftlich aus der Hand gab. Prüfen Sie daher die Schenkungsverträge auf vorbehaltene Rechte, da diese den wahren Beginn der Frist verzögern können. Wenn der Erblasser sich beispielsweise Mieteinnahmen als wertgesicherte Rente sicherte, galt dies vor Gericht nicht als echter Verzicht auf den Genuss.

Ein Beispiel: Ein Haus wurde formal 1996 überschrieben, die Mieteinnahmen jedoch durch eine Reallast zugunsten des Schenkers bis 2013 gesichert. Die Frist startete in diesem Fall erst 2013 – 17 Jahre nach der Übertragung. Der Anspruch der Pflichtteilsberechtigten ist zwar gemäß der Abschmelzung reduziert, aber nicht verjährt. Suchen Sie gezielt nach Anzeichen für vorbehaltene Rechte wie Nießbrauch oder dingliche Sicherungen.

Fordern Sie unverzüglich beim zuständigen Notar oder Grundbuchamt die kompletten Übertragungsdokumente an, um das exakte Datum der Löschung eventueller Rechte zu ermitteln.


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Wie berechne ich meinen Pflichtteil, wenn die Abschmelzung greift?

Wenn der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht vollständig verjährt ist, greift die sogenannte Abschmelzung nach § 2325 Abs. 3 BGB. Diese Regelung reduziert den Wert der Schenkung schrittweise, je länger die Übertragung zurückliegt. Die Berechnung der Reduktion ist strikt an die Zeitdauer gebunden. Für jedes volle Jahr, das zwischen dem Beginn der Frist und dem Tod vergangen ist, ziehen Sie zehn Prozent vom ursprünglichen Schenkungswert ab.

Zuerst müssen Sie das exakte Startdatum der Frist feststellen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Genussverzichts durch den Erblasser, nicht nur das Datum des notariellen Vertrages. Von diesem Startdatum bis zum Todestag zählen Sie die Anzahl der vollen 12-Monats-Perioden. Unvollständige Jahre innerhalb dieses Zeitraums bleiben bei der Berechnung unberücksichtigt. Nach der Zählung multiplizieren Sie die Zahl der vollen Jahre mit zehn Prozent, um den prozentualen Reduktionsfaktor festzulegen.

Nehmen wir an, der tatsächliche Genussverzicht fand vor sieben vollen Jahren statt. Sie multiplizieren 7 x 10 Prozent und erhalten eine Kürzung von 70 Prozent. Demnach verbleiben 30 Prozent des ursprünglichen Werts als anrechenbare Basis für Ihren Anspruch. Wichtig ist, dass die Berechnung stets auf dem Wert zum Zeitpunkt der Übertragung, dem damaligen Schenkungswert, basiert und nicht auf dem heutigen Verkehrswert. Auf diesen reduzierten Wert wenden Sie anschließend Ihren Pflichtteilsbruchteil an.

Erstellen Sie eine Tabelle, die das Datum des Genussverzichts und das Todesdatum gegenüberstellt, um die Anzahl der vollen Jahre exakt zu bestimmen und den korrekten Restwert zu sichern.


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Was ist ein ‚Genussverzicht‘ und wann stoppt er die Zehnjahresfrist?

Der Genussverzicht ist das zentrale Kriterium im Pflichtteilsrecht, das den Beginn der Zehnjahresfrist nach § 2325 BGB markiert. Er beschreibt den Zeitpunkt, an dem der Schenker ein tatsächliches, spürbares Vermögensopfer erbringt. Die Frist beginnt nicht mit dem formalen Eintrag im Grundbuch, sondern erst, wenn der Schenker keine wirtschaftlichen Vorteile mehr aus dem verschenkten Gut zieht. Solange der Schenker den „Genuss“ behält, ist die Schenkung juristisch nicht vollständig vollzogen.

Die Rechtsprechung betrachtet bei Immobilienschenkungen nicht die juristische Form des Vertrages, sondern vorrangig die ökonomische Realität. Ziel ist es festzustellen, ob der Erblasser nach der Übertragung tatsächlich ärmer war als zuvor. Behält der Schenker wesentliche Nutzungsrechte oder Einnahmequellen, gilt die Übertragung als unvollständig. Das bloße Umschreiben des Eigentums ist somit nur ein reiner Formalakt, der die Pflichtteilsfrist nicht in Gang setzt, weil das Vermögen beim Erblasser geblieben ist.

Konkret: Wenn ein Elternteil eine Immobilie überträgt, aber sich im Gegenzug eine Leibrente zusichern lässt, die an die Mieteinnahmen des Hauses gekoppelt ist, gilt dies nicht als Verzicht. Besonders wenn dieser Anspruch durch eine dingliche Reallast im Grundbuch garantiert wird, behält der Schenker die volle wirtschaftliche Kontrolle. Die Frist startet in diesen Fällen erst, wenn der Schenker auf alle vorbehaltenen Rechte verzichtet und diese Sicherheiten aus dem Grundbuch gelöscht werden.

Prüfen Sie bei Verträgen mit vorbehaltenen Rechten sorgfältig, ob der Ertrag des Geschenks weiterhin direkt oder indirekt dem Schenker zugutekommt, um den Beginn der Frist korrekt zu datieren.


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Wie gestalte ich Schenkungen, damit die Zehnjahresfrist sofort beginnt?

Die Zehnjahresfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch beginnt nur, wenn der Schenker den Genussverzicht vollständig vollzieht. Sie müssen das Vermögen nicht nur formal, sondern auch wirtschaftlich unwiderruflich aus der Hand geben. Dies bedeutet, dass der Beschenkte von Tag eins an die vollen Früchte und Erträge des Geschenks ziehen muss, ohne dass diese auf den Schenker zurückfließen.

Um eine Anrechnung im Erbfall zu verhindern, darf eine vereinbarte Rente niemals an die konkreten Erträge oder Mieteinnahmen des übertragenen Objekts gekoppelt sein. Gerichte erkennen solche Konstruktionen als „umgeleitete Miete“ und sehen darin kein spürbares Vermögensopfer des Schenkers. Hat der Schenker nach der Übertragung denselben Geldfluss wie zuvor, gilt die Schenkung im Sinne des Pflichtteilsrechts als nicht vollzogen.

Vermeiden Sie die Eintragung starker dinglicher Sicherungen, wie etwa Reallasten oder umfassender Nießbrauchsrechte, zugunsten des Schenkers im Grundbuch. Solche Sicherungen lassen die wirtschaftliche Kontrolle künstlich beim Schenker und hemmen den sofortigen Fristbeginn. Wenn Sie sich eine Rente vorbehalten, muss diese unabhängig vom Ertrag des Geschenks vereinbart und bezahlt werden, damit der Beschenkte frei über die Einnahmen verfügen kann.

Aufgrund der Komplexität aktueller Urteile sollten Sie jeden Schenkungsvertrag mit vorbehaltenen Leistungen explizit juristisch auf den garantierten Genussverzicht prüfen lassen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Abschmelzung

Juristen bezeichnen die Abschmelzung als die schrittweise Reduzierung des Werts einer Schenkung, wenn diese noch innerhalb der kritischen Zehnjahresfrist vor dem Erbfall liegt. Das Gesetz will damit vermeiden, dass Pflichtteilsberechtigte kurz vor dem Tod erfolgte Schenkungen voll anrechnen können, während es gleichzeitig Anreize schafft, Vermögensübertragungen frühzeitig zu tätigen. Für jedes volle Jahr, das die Schenkung zurückliegt, reduziert sich der anrechenbare Wert um zehn Prozent.

Beispiel: Weil zwischen dem tatsächlichen Genussverzicht der Mutter und ihrem Tod sieben volle Jahre lagen, musste der Beschenkte im Rahmen der Abschmelzung nur 30 Prozent des ursprünglichen Werts der Grundstücke als Pflichtteilsergänzung herausgeben.

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Genussverzicht

Der Genussverzicht ist das juristische Kriterium, welches bestimmt, wann die Zehnjahresfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch tatsächlich beginnt; er tritt erst ein, wenn der Schenker den wirtschaftlichen Vorteil des Geschenks vollständig und unwiderruflich aufgibt. Das Gericht prüft, ob der Schenker nach der Übertragung tatsächlich ärmer ist, da ein bloßer formaler Grundbucheintrag die Schutzfunktion des Pflichtteilsrechts nicht unterlaufen soll. Nur wenn ein spürbares Vermögensopfer erbracht wird, gilt die Schenkung als vollzogen.

Beispiel: Obwohl die formale Übertragung der Immobilie bereits 1996 stattfand, lag der tatsächliche Genussverzicht erst 2013 vor, als die Mutter auf ihre durch die Mieteinnahmen gesicherte Rente verzichtete und die zugunsten ihrer Ansprüche eingetragene Reallast löschen ließ.

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Nießbrauch

Beim Nießbrauch handelt es sich um ein umfassendes, dingliches Recht, das dem Inhaber erlaubt, die vollen Erträge und Nutzungen aus einer Sache (meist einer Immobilie) zu ziehen, obwohl er nicht der juristische Eigentümer ist. Dieses Recht wird oft bei Immobilienschenkungen zugunsten der Schenkerin im Grundbuch eingetragen, um sicherzustellen, dass die Person bis zum Lebensende weiterhin die Mieteinnahmen oder die Selbstnutzung des Hauses behält. Ein vorbehaltener Nießbrauch hindert in der Regel den sofortigen Beginn der Zehnjahresfrist.

Beispiel: Das Gericht argumentierte, dass die wirtschaftliche Wirkung der an die Miete gekoppelten Leibrente der eines Nießbrauchs sehr ähnlich war, da die Mutter den vollen Ertrag des vermieteten Wohnhauses weiterhin bezog und somit kein echtes Opfer brachte.

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Pflichtteilsergänzungsanspruch

Enterbte, nahe Angehörige können diesen besonderen Anspruch geltend machen, um ihr Pflichtteilsrecht durch die Hinzurechnung bestimmter, vor dem Erbfall gemachter Schenkungen zum Nachlasswert zu ergänzen. Dieses erbrechtliche Instrument verhindert, dass Erblasser ihren Nachlass durch gezielte Vermögensübertragungen zu Lebzeiten aushöhlen, um Pflichtteilsberechtigte zu benachteiligen. Er dient als Ausgleich, damit die enterbte Person nicht leer ausgeht.

Beispiel: Die enterbte Tochter machte den Pflichtteilsergänzungsanspruch erfolgreich gegen ihren Bruder geltend, da die Übertragung der Grundstücke an ihn wegen des fehlenden Genussverzichts nicht fristgerecht aus dem relevanten Nachlasswert herausfiel.

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Reallast

Die Reallast ist eine spezifische dingliche Belastung eines Grundstücks, die den jeweiligen Eigentümer zur Leistung wiederkehrender Handlungen (häufig Geldzahlungen) zugunsten einer berechtigten Person verpflichtet. Sie wird im Grundbuch eingetragen. Die Reallast bietet dem Berechtigten eine besonders starke, dingliche Sicherheit, da der Anspruch direkt gegen das Grundstück gerichtet ist und somit die vereinbarten Rentenansprüche garantiert.

Beispiel: Im vorliegenden Fall ließ sich die Mutter die Zahlung ihrer monatlichen Leibrente durch eine Reallast im Grundbuch sichern, was die Richter als starkes Indiz dafür werteten, dass sie die wirtschaftliche Kontrolle über das Grundstück nicht aufgegeben hatte.

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Zehnjahresfrist

Die Zehnjahresfrist ist die kritische Zeitspanne im Erbrecht, nach deren Ablauf Schenkungen, die der Erblasser gemacht hat, bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht mehr berücksichtigt werden. Mit dieser strikten Frist schafft der Gesetzgeber Rechtssicherheit und fördert gleichzeitig die frühzeitige Vermögensnachfolge, ohne dass Beschenkte dauerhaft befürchten müssen, den Wert später an enterbte Verwandte auszahlen zu müssen.

Beispiel: Der Bruder argumentierte irrtümlich, die Zehnjahresfrist sei bereits abgelaufen, weil der formelle Grundbucheintrag der Übertragung über 25 Jahre zurücklag, doch das Gericht sah den Fristbeginn wegen des mangelnden Genussverzichts erst sieben Jahre vor dem Erbfall.

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Das vorliegende Urteil


OLG Nürnberg – Az.: 1 U 1335/24 Erb – Endurteil vom 27.06.2025


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