➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 88/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- 1 ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- 2 Tochter kämpft um ihr Erbe: Trotz Vorwürfen bleibt Pflichtteilsanspruch bestehen
- 3 ✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- 4 ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- 5 ✔ FAQ – Häufige Fragen
- 6 § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- 7 ⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Es ging um die Frage, ob der Pflichtteilsanspruch der Klägerin trotz der Einwände des Beklagten besteht.
- Die Klägerin ist die Tochter der Erblasserin und hat einen Pflichtteilsanspruch gegen den testamentarischen Alleinerben, ihren Vater.
- Der Beklagte argumentierte, die Klägerin habe ihren Anspruch verwirkt oder unzulässig ausgeübt, weil sie Wertgegenstände entwendet habe.
- Das Landgericht Frankfurt wies diese Argumente zurück und entschied zugunsten der Klägerin.
- Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung des Beklagten ab.
- Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin wurde nicht wirksam entzogen, da die Erblasserin dies nicht in einer letztwilligen Verfügung festgelegt hatte.
- Der Beklagte konnte sich auch nicht auf Pflichtteilsunwürdigkeit oder Verjährung berufen, da die Klägerin keine der in § 2339 Abs. 1 BGB genannten Verfehlungen begangen hat.
- Die Auskunftspflicht des Beklagten umfasst den gesamten Nachlass und pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkungen.
- Die Erblasserin hatte keine Möglichkeit mehr, ihrer Tochter den Pflichtteil zu entziehen, weil sie zum Zeitpunkt des Diebstahls bereits verstorben war.
- Das Gericht entschied zugunsten der Klägerin, um die Rechte aus dem verfassungsmäßig geschützten Pflichtteilsrecht zu wahren und unangemessene Ergebnisse zu vermeiden.
Tochter kämpft um ihr Erbe: Trotz Vorwürfen bleibt Pflichtteilsanspruch bestehen
Das Pflichtteilsrecht ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Erbrechts. Es soll sicherstellen, dass bestimmte Angehörige des Erblassers, auch wenn sie nicht im Testament bedacht wurden, einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses haben. Allerdings gibt es Fälle, in denen dieser Anspruch ausgeschlossen sein kann – etwa wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser gegenüber schwerwiegend pflichtverletzt hat. Wann genau solche Gründe der Pflichtteilsunwürdigkeit vorliegen, klärt die Rechtsprechung in einer Reihe von Urteilen. Im Folgenden werden wir einen konkreten Fall betrachten, in dem die Voraussetzungen für den Ausschluss des Pflichtteils näher beleuchtet werden.
✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Klägerin fordert Auskunft und Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses
In dem vorliegenden Fall macht die Tochter der verstorbenen Erblasserin als Klägerin gegen ihren Vater, den Beklagten, im Wege einer Stufenklage Auskunfts-, Wertermittlungs- und Zahlungsansprüche geltend. Die Klägerin ist durch letztwillige Verfügung ihrer Mutter enterbt worden, der Beklagte hingegen ist der testamentarische Alleinerbe. Auf erster Stufe fordert die Klägerin nun vom Beklagten die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses.
Landgericht gibt Auskunftsbegehren der Klägerin statt
Das Landgericht Frankfurt am Main hat dem Auskunftsbegehren der Klägerin vollumfänglich stattgegeben. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Klägerin als pflichtteilsberechtigter Tochter der Erblasserin gegen den Beklagten als Erben ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 2314 Abs. 1 BGB zustehe. Die Klägerin habe ihr Pflichtteilsrecht weder verloren noch stehe der Geltendmachung des Pflichtteils der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen. Eine wirksame Pflichtteilsentziehung liege nicht vor, da diese gemäß § 2336 Abs. 1 BGB zwingend in Form einer letztwilligen Verfügung hätte erfolgen müssen.
Berufung des Beklagten zurückgewiesen
Gegen die Entscheidung des Landgerichts hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er wendet sich insbesondere dagegen, dass das Landgericht eine Verwirkung der Ansprüche oder eine unzulässige Rechtsausübung verneint hat. Der Beklagte behauptet, die Klägerin habe bei ihrem Auszug Schmuck und Wertgegenstände entwendet, die zum Nachlass gehörten. Aus seiner Sicht wäre es unerträglich, die Klägerin im Rahmen des Pflichtteilsanspruchs erneut an diesen Wertgegenständen zu beteiligen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Berufung des Beklagten jedoch zurückgewiesen und die Entscheidung des Landgerichts bestätigt.
Pflichtteilsrecht der Klägerin besteht trotz Vorwürfen weiter
Das OLG führt aus, dass das Pflichtteilsrecht der Klägerin weder wirksam entzogen wurde noch eine Pflichtteilsunwürdigkeit vorliegt. Der Ausschluss von Ansprüchen aus dem verfassungsmäßig geschützten Pflichtteilsrecht sei durch die Rechtsinstitute der Pflichtteilsentziehung und der Pflichtteilsunwürdigkeit abschließend geregelt und einer Analogie nicht zugänglich. Auch wenn die Vorwürfe des Beklagten zuträfen, wäre das Auskunftsbegehren der Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich. Sie bliebe pflichtteilsberechtigt und habe ein berechtigtes Interesse daran, die Berechnungsfaktoren offengelegt zu bekommen, um ihren Pflichtteilsanspruch beziffern zu können. Dies gelte zumindest für Nachlassgegenstände, über die die Klägerin keine eigene Kenntnis besitzt. Der Anspruch auf Auskunftserteilung sei auch nicht wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen, da der Beklagte jedenfalls nicht gänzlich über den Nachlassbestand in Unkenntnis sei. Der Auskunftsanspruch sei zudem nicht verjährt, da die Verjährung durch die Klageerhebung rechtzeitig gehemmt wurde.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das verfassungsrechtlich geschützte Pflichtteilsrecht kann nur durch die gesetzlich geregelten Institute der Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit ausgeschlossen werden. Selbst schwerwiegende Vorwürfe gegen den Pflichtteilsberechtigten führen nicht zum Verlust des Auskunftsanspruchs, solange die strengen Voraussetzungen dieser Regelungen nicht erfüllt sind. Das Urteil verdeutlicht den hohen Stellenwert des Pflichtteilsrechts und seinen weitreichenden Schutz, der auch in Konfliktfällen zwischen nahen Angehörigen Bestand hat.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Pflichtteilsrecht wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
Wer hat überhaupt Anspruch auf einen Pflichtteil?
Einen Pflichtteilsanspruch haben nur ganz bestimmte nahe Angehörige des Erblassers, die sogenannten Pflichtteilsberechtigten. Zu diesem Personenkreis gehören die Abkömmlinge des Erblassers wie Kinder, Enkel und Urenkel, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie unter Umständen auch die Eltern des Erblassers.
Kinder und weitere Abkömmlinge sind stets pflichtteilsberechtigt. Allerdings können entferntere Abkömmlinge wie Enkel oder Urenkel nur dann einen Pflichtteil beanspruchen, wenn ihr Elternteil, das vom Erblasser abstammt, bereits verstorben ist.
Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers ist ebenfalls immer pflichtteilsberechtigt. Die Eltern des Erblassers haben dagegen nur dann einen Pflichtteilsanspruch, wenn der Erblasser selbst keine Kinder oder sonstige Abkömmlinge hinterlassen hat.
Nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen dagegen insbesondere die Geschwister, Großeltern, Stiefkinder oder nichteheliche Lebenspartner des Erblassers. Sie gehen beim Pflichtteil leer aus.
Damit ein Pflichtteilsanspruch tatsächlich entsteht, müssen neben der Pflichtteilsberechtigung noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Entscheidend ist vor allem, dass der Pflichtteilsberechtigte von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde, also enterbt ist oder weniger als seinen Pflichtteil erhalten soll. Zudem darf der Pflichtteilsanspruch noch nicht verjährt sein, was regelmäßig drei Jahre nach Kenntnis vom Erbfall der Fall ist.
Wann kann der Pflichtteil entzogen werden?
Einen Pflichtteilsanspruch haben nur ganz bestimmte nahe Angehörige des Erblassers, die sogenannten Pflichtteilsberechtigten. Zu diesem Personenkreis gehören die Abkömmlinge des Erblassers wie Kinder, Enkel und Urenkel, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie unter Umständen auch die Eltern des Erblassers.
Kinder und weitere Abkömmlinge sind stets pflichtteilsberechtigt. Allerdings können entferntere Abkömmlinge wie Enkel oder Urenkel nur dann einen Pflichtteil beanspruchen, wenn ihr Elternteil, das vom Erblasser abstammt, bereits verstorben ist.
Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers ist ebenfalls immer pflichtteilsberechtigt. Die Eltern des Erblassers haben dagegen nur dann einen Pflichtteilsanspruch, wenn der Erblasser selbst keine Kinder oder sonstige Abkömmlinge hinterlassen hat.
Nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen dagegen insbesondere die Geschwister, Großeltern, Stiefkinder oder nichteheliche Lebenspartner des Erblassers. Sie gehen beim Pflichtteil leer aus.
Damit ein Pflichtteilsanspruch tatsächlich entsteht, müssen neben der Pflichtteilsberechtigung noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Entscheidend ist vor allem, dass der Pflichtteilsberechtigte von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde, also enterbt ist oder weniger als seinen Pflichtteil erhalten soll. Zudem darf der Pflichtteilsanspruch noch nicht verjährt sein, was regelmäßig drei Jahre nach Kenntnis vom Erbfall der Fall ist.
Was ist Pflichtteilsunwürdigkeit und wann liegt sie vor?
Die Pflichtteilsunwürdigkeit ist ein Rechtsinstitut, das unter bestimmten Voraussetzungen zum Ausschluss eines Pflichtteilsberechtigten vom Pflichtteil führt. Sie tritt kraft Gesetzes ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte sich einer schweren Verfehlung gegenüber dem Erblasser, dessen Ehegatten oder nahen Angehörigen schuldig gemacht hat.
Die Gründe für die Pflichtteilsunwürdigkeit sind in § 2339 BGB abschließend aufgelistet. Danach ist pflichtteilsunwürdig, wer
- den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder dies versucht hat,
- den Erblasser böswillig an der Errichtung oder Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen gehindert hat,
- den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zur Errichtung oder Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen veranlasst hat oder
- sich in Bezug auf eine Verfügung des Erblassers von Todes wegen einer Urkundenfälschung schuldig gemacht hat.
Klassische Beispiele sind der versuchte Mord am Erblasser oder die Verhinderung der Errichtung eines neuen Testaments durch Freiheitsberaubung des Erblassers.
Die Pflichtteilsunwürdigkeit muss aktiv durch Anfechtung geltend gemacht werden. Dazu kann der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten gegenüber die Anfechtung erklären. Dies ist innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes möglich. Nach Ablauf der Frist kann die Pflichtteilsunwürdigkeit nur noch im Wege der Einrede gegen die Pflichtteilszahlung vorgebracht werden.
Wichtig ist, dass der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten nicht verziehen haben darf. Ansonsten ist die Geltendmachung der Pflichtteilsunwürdigkeit ausgeschlossen. Die Pflichtteilsunwürdigkeit führt bei erfolgreicher Anfechtung zum vollständigen Verlust des Pflichtteilsanspruchs.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Pflichtteil zu umgehen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Erblasser, den Pflichtteil zu umgehen oder zumindest zu reduzieren, auch wenn ein vollständiger Ausschluss in den meisten Fällen nicht möglich ist. Am wirksamsten sind Maßnahmen, die der Erblasser bereits zu Lebzeiten ergreift.
Eine Option besteht darin, dass der potenzielle Pflichtteilsberechtigte in einem notariellen Vertrag auf seinen Pflichtteil verzichtet. Als Gegenleistung erhält er typischerweise eine Abfindung. Der Pflichtteilsverzicht kann auch mit einem vollständigen Erbverzicht einhergehen.
Daneben kann der Erblasser sein Vermögen durch Schenkungen an Dritte verringern. Solche Schenkungen werden jedoch bei der Berechnung des Pflichtteils noch für zehn Jahre berücksichtigt, wobei der anrechenbare Wert jährlich um 10% sinkt. Eine frühe Vermögensübertragung ist also vorteilhaft.
Alternativ kann der Erblasser Vermögenswerte auch gegen Zahlung einer Leibrente übertragen. Da es sich nicht um eine unentgeltliche Schenkung handelt, mindert dies den Pflichtteil sofort.
Weiterhin besteht die Möglichkeit, den weichenden Erben zwar formal zu enterben, ihm aber ein Vermächtnis zuzuwenden. Dessen Wert wird auf den Pflichtteil angerechnet. Der Pflichtteilsberechtigte hat dann die Wahl, ob er das Vermächtnis annimmt oder stattdessen seinen Pflichtteil einfordert.
Schließlich kann eine Stiftung dazu dienen, Vermögen dem Zugriff der Erben und Pflichtteilsberechtigten zu entziehen. Jedoch lösen Vermögensübertragungen an die Stiftung zunächst auch Pflichtteilsergänzungsansprüche aus, die ebenfalls innerhalb von zehn Jahren abschmelzen. Eine frühzeitige Planung ist daher ratsam.
Wie hoch ist der Pflichtteil und wie wird er berechnet?
Der Pflichtteil beträgt immer die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der dem Pflichtteilsberechtigten bei der gesetzlichen Erbfolge zustehen würde. Um die konkrete Höhe des Pflichtteils zu ermitteln, muss man also zunächst den Wert des Nachlasses und die gesetzliche Erbquote des Pflichtteilsberechtigten bestimmen.
Für die Berechnung des Nachlasswerts ist der Todeszeitpunkt des Erblassers maßgeblich. Dabei sind alle Aktiva und Passiva zu berücksichtigen. Von diesem Bruttonachlass werden dann die Nachlassverbindlichkeiten wie Bestattungskosten, Erbfallschulden und Vermächtnisse abgezogen. Man erhält so den Nettonachlass, der die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil bildet.
Die Erbquote hängt vom Verwandtschaftsgrad und der Anzahl der gesetzlichen Erben ab. War der Erblasser verheiratet, spielt auch der Güterstand eine wichtige Rolle. Bei der Zugewinngemeinschaft als gesetzlichem Güterstand erbt der überlebende Ehegatte neben Kindern zu 1/4, neben Eltern, Geschwistern oder Großeltern zu 1/2 und wenn nur entferntere Verwandte vorhanden sind, alleine. Jedes Kind erbt zu gleichen Teilen.
Ein Beispiel Ein Witwer hinterlässt ein Vermögen von 400.000 Euro und zwei Kinder. Eines der Kinder wurde enterbt. Ohne Testament hätte jedes Kind 1/2 (also 200.000 Euro) geerbt. Das enterbte Kind hat somit einen Pflichtteilsanspruch von 1/4 (also 100.000 Euro).
Neben dem „regulären“ Pflichtteil kann in bestimmten Fällen auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehen. Dieser greift, wenn der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Der Ergänzungsanspruch soll verhindern, dass der Nachlass und damit der Pflichtteil durch Schenkungen geschmälert wird. Er wird bei Schenkungen berücksichtigt, die bis zu zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgt sind, wobei ihr Wert jedes Jahr um 10% gemindert wird. Bei Schenkungen an den Ehegatten beginnt die Frist erst mit Auflösung der Ehe.
Zusammengefasst hängt die konkrete Höhe des Pflichtteils von einer Vielzahl von Faktoren ab, die bei der Berechnung zu beachten sind. Im Streitfall sollte anwaltlicher Rat eingeholt werden, um zu einer korrekten Bewertung zu kommen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 2314 Abs. 1 BGB: Regelt den Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben. Im vorliegenden Fall muss der Beklagte der Klägerin Auskunft über den Nachlass geben.
- § 2303 Abs. 1 BGB: Bestimmt das Pflichtteilsrecht, das bestimmten Angehörigen einen Mindestanteil am Erbe sichert. Die Klägerin ist pflichtteilsberechtigt, da sie durch das Testament ihrer Mutter enterbt wurde.
- § 2336 Abs. 1 BGB: Erfordert eine letztwillige Verfügung für die Entziehung des Pflichtteils. Die Klägerin hat ihren Pflichtteil nicht verloren, da keine solche Verfügung vorliegt.
- § 2339 Abs. 1 BGB: Definiert die Gründe für Pflichtteilsunwürdigkeit, die nur Verfehlungen gegenüber dem Erblasser betreffen. Im Fall der Klägerin liegen solche Gründe nicht vor.
- § 2345 Abs. 2 BGB: Erlaubt die Anfechtung des Pflichtteilsanspruchs wegen Pflichtteilsunwürdigkeit. Eine Anfechtung wurde hier nicht erfolgreich durchgeführt.
- § 242 BGB: Beinhaltet den Grundsatz von Treu und Glauben und wird angewendet, um unzulässige Rechtsausübungen zu verhindern. Der Anspruch der Klägerin wurde nicht als unzulässig angesehen.
- § 275 Abs. 1 BGB: Betrifft die Unmöglichkeit der Leistung. Der Beklagte argumentierte, er könne keine Auskunft geben, aber das Gericht wies dies zurück.
- § 243 Abs. 1 StGB: Definiert den besonders schweren Fall des Diebstahls. Der Beklagte beschuldigte die Klägerin eines solchen Diebstahls, jedoch ohne Erfolg auf den Ausschluss ihres Pflichtteilsanspruchs.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main
OLG Frankfurt – Az.: 10 U 88/22 – Urteil vom 18.10.2022
Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.4.2022 – Az. 2-25 O 286/21 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage Auskunfts-, Wertermittlungs- und Zahlungsansprüche gegen den Beklagten geltend.
Die Klägerin ist die pflichtteilsberechtigte Tochter der am XX.XX.2018 verstorbenen A (nachfolgend: Erblasserin). Der Beklagte ist der Vater der Klägerin und war der Ehemann der Erblasserin. Er ist der testamentarische Alleinerbe.
Das Landgericht hat dem auf erster Stufe auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gerichteten Auskunftsbegehren der Klägerin vollumfänglich stattgegeben. Begründet hat das Landgericht seine Entscheidung wie folgt:
Da die Erblasserin die Klägerin durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen habe, sei die Klägerin pflichtteilsberechtigt. Ihr stehe gegen den Beklagten als Erben ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 2314 Abs. 1 BGB zu. Die Klägerin habe ihr Pflichtteilsrecht weder verloren noch stehe der Geltendmachung des Pflichtteils der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.
Eine Pflichtteilsentziehung, die zudem gemäß § 2336 Abs. 1 BGB zwingend in Form einer letztwilligen Verfügung hätte erfolgen müssen, liege nicht vor. Das Pflichtteilsrecht der Klägerin sei auch nicht aufgrund einer Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit der Klägerin nach § 2345 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin habe sich keiner der in § 2339 Abs. 1 BGB genannten Verfehlungen schuldig gemacht. Dabei käme nur Taten gegenüber der Erblasserin und nicht gegenüber den Erben in Betracht. Der Beklagte könne sich auch nicht auf eine Verwirkung oder unzulässige Ausübung des Pflichtteilsrechts nach § 242 BGB berufen. Der Ausschluss von Ansprüchen aus dem verfassungsmäßig geschützten Pflichtteilsrecht sei durch die Rechtsinstitute der Pflichtteilsentziehung und der Pflichtteilsunwürdigkeit abschließend geregelt. Insbesondere seien die in § 2333 Abs. 1 BGB angeführten Pflichtteilsentziehungsgründe, wie auch die in § 2339 Abs. 1 BGB angeführten Unwürdigkeitsgründe, einer Analogie nicht zugänglich (vgl. OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 4.1.2018 – 12 U 1668/17). Die Auskunftspflicht des Beklagten erstrecke sich nicht nur auf den tatsächlich vorhandenen, sondern auch auf den sog. fiktiven Nachlass. Die Klägerin könne auch die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verlangen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Auskunftsanspruch nicht wegen Unmöglichkeit der Auskunftserteilung nach § 275 Abs. 1 BGB erloschen. Zwar habe der Auskunftsschuldner nur insoweit ein Bestandsverzeichnis vorzulegen, als dass er zur Erteilung der notwendigen Informationen in der Lage sei. Eine gänzliche Unkenntnis über den Bestand des Nachlasses behaupte der Beklagte aber nicht. Inwiefern er sich hinsichtlich etwaiger abhandengekommener Gegenstände auf eine teilweise Unmöglichkeit der Auskunftspflicht berufen könne, sei in einem etwaigen Vollstreckungsverfahren zu entscheiden. Der Durchsetzbarkeit des Auskunftsanspruchs stehe auch nicht die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Der im Jahr 2018 entstandene Auskunftsanspruch sei nicht verjährt. Die Verjährung sei durch die am 27.12.2021 bei Gericht eingegangene und dem Beklagten auch demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellte Klageschrift rechtzeitig gehemmt worden. Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz nebst den gestellten Anträgen und wegen der Entscheidungsbegründung im Übrigen wird auf das angefochtene Teilurteil (Bl. 74 ff. d.A.) verwiesen.
Gegen die am 22.4.2022 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am 18.5.2022 Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 22.7.2022 rechtzeitig vor Fristablauf begründet.
Der Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landgerichts, wonach der Anspruch weder verwirkt sei noch eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) vorliege. Soweit sich das Landgericht zur Begründung auf den Hinweisbeschluss des OLG Nürnberg vom 4.1.2018 – Az. 12 U1668/17 – bezogen habe, sei der Sachverhalt dort ein anderer. Zudem habe das OLG Nürnberg ausdrücklich Fallgestaltungen für denkbar gehalten, in denen eine Verwirkung der Rechte des Pflichtteilsberechtigten über die Vorschriften der §§ 2333 ff. BGB und des § 2345 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 2339 ff. BGB hinaus eingreifen könne. Eine Verwirkung des Anspruchs sei anzunehmen, wenn es – wie hier – darum gehe, andernfalls unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden. Der Beklagte habe in erster Instanz vorgetragen, dass die Klägerin die in einem mit einer Kette gesicherten Schrank befindlichen Wertgegenstände, die seiner Altersabsicherung dienten, entwendet habe. Im Rahmen des gegen die Klägerin eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und einer Durchsuchung seien einige der entwendeten Gegenstände sichergestellt worden. Andere Gegenstände habe die Klägerin bereits veräußert. Diese könne der Beklagte nicht mehr bezeichnen. Aus Sicht des Beklagten sei es unerträglich, die Klägerin im Rahmen des Pflichtteilsanspruchs nunmehr erneut an den Wertgegenständen zu beteiligen, die sie bereits verwertet habe. Die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen vor. Die Klägerin habe sich gegenüber dem Ehegatten der Erblasserin eines schweren vorsätzlichen Vergehens, nämlich eines besonders schweren Falles eines Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB, schuldig gemacht. Die Erblasserin habe keine Möglichkeit mehr gehabt, ihrer Tochter den Pflichtteil zu entziehen, weil sie zum Zeitpunkt des Vergehens bereits verstorben gewesen sei. Der Klägerin ist der Pflichtteilsanspruch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu versagen, da sie den Nachlass ihrer verstorbenen Mutter durch eine rechtswidrige und strafbare Handlung erheblich beschädigt und sich durch den Verkauf der Nachlassgegenstände bereichert habe. Eine Beteiligung der Klägerin am Nachlass wäre aus der Sicht des Beklagten als dem überlebenden Ehegatten ein unerträgliches Ergebnis und widerspräche dem Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten in zweiter Instanz wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 100 ff. d.A.) und den Schriftsatz vom 17.8.2022 (Bl. 127 ff. d.A.) Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt, das angefochtene Teilurteil abzuändern und die Klage in der Auskunftsstufe abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Der Anspruch sei weder verwirkt noch liege eine unzulässige Rechtsausübung vor. Dem Beklagten sei die Auskunftserteilung auch nicht durch die angebliche Straftat der Klägerin unmöglich geworden. Der Beklagte sei jedenfalls nicht gänzlich in Unkenntnis über den Nachlassbestand. Ohne den Schmuck betrage der Nachlasswert 452.900 € (vgl. den Auszug aus der Nachlassakte, Anlage BB 1, Bl. 116 ff. d.A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin in zweiter Instanz wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 112 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht dem Auskunftsbegehren der Klägerin stattgegeben.
Der Klägerin steht gemäß § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB ein Auskunftsanspruch gegen den Beklagten zu. Die Klägerin ist als Tochter der Erblasserin vom Grundsatz her pflichtteilsberechtigt gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB, da sie durch letztwillige Verfügung ihrer Mutter von der Erbfolge ausgeschlossen wurde. Ihr verklagter Vater ist als Alleinerbe auskunftspflichtig.
Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf den Nachlass und erfasst – wie vom Landgericht zuerkannt – auch pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkungen und Zuwendungen. Die Pflicht des Beklagten zur Aufnahme und Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf das Verlangen der Klägerin folgt aus § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB.
Die Klägerin kann sich auch auf ihr Pflichtteilsrecht berufen.
Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin wurde nicht wirksam entzogen. Wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt, kann die Entziehung des Pflichtteils aus den in § 2333 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB genannten Gründen nur formgerecht durch letztwillige Verfügung erfolgen (vgl. § 2336 Abs. 1 BGB). Die formwirksame Entziehung des Pflichtteils setzt zudem nach § 2336 Abs. 2 BGB voraus, dass der Entziehungsgrund bereits zur Zeit der Testamentserrichtung bestand und in der letztwilligen Verfügung angegeben ist. Diese Voraussetzungen liegen hier unzweifelhaft nicht vor. Die Erblasserin hat der Klägerin den Pflichtteil nicht entzogen. Im gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin und des Beklagten vom Februar 1992 ist ein Pflichtteilsentzug nicht vorgesehen. Der Vorwurf des Diebstahls in einem besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB, der sich nach dem Vorbringen des Beklagten auf zum Nachlass gehörende Gegenstände bezog und der einen Entziehungsgrund im Sinne von § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB (schweres vorsätzliches Vergehen) darstellen könnte, ereignete sich erst nach dem Erbfall und konnte im Zeitpunkt der Testamentserrichtung denknotwendig nicht vorliegen.
Der Beklagte kann die Auskunftserteilung auch nicht unter Hinweis auf eine vermeintliche Pflichtteilsunwürdigkeit der Klägerin nach § 2345 Abs. 2, Abs. 1 BGB i.V. mit § 2083 BGB verweigern. Zwar kann der Einwand als Einrede auch unabhängig von einer (hier nicht erfolgten) Anfechtung des Pflichtteilsanspruchs und nach Ablauf der Anfechtungsfrist erhoben werden (vgl. § 2083 BGB). Gründe für eine Erb(bzw. hier: Pflichtteils)unwürdigkeit der Klägerin im Sinne des § 2339 BGB liegen aber nicht vor. Anders als bei den Gründen nach § 2333 Abs. 1 BGB, die einen Pflichtteilsentzug auch bei Verfehlungen gegenüber dem Erblasser nahestehenden Personen, wie dessen Ehegatten, ermöglichen, kann eine Pflichtteilsunwürdigkeit nach § 2345 BGB i.V. mit § 2339 Abs. 1 BGB nur auf Verfehlungen gegenüber dem Erblasser (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB) oder auf ein die letztwillige Verfügung betreffendes Urkundsdelikt ( § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB) gestützt werden. Dies vor dem Hintergrund, dass durch die Vorschriften über die Erbunwürdigkeit maßgeblich die Testierfreiheit des Erblassers geschützt werden soll (vgl. Burandt/Rojahn-Müller-Engels, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2345 Rn. 5). Der hier in Rede stehende besonders schwere Diebstahl zulasten des Erben, der sich erst nach dem Erbfall ereignet haben soll, stellt weder eine Verfehlung gegenüber der Erblasserin dar noch handelt es sich um ein Urkundsdelikt, das die Testierfreiheit der Erblasserin beeinträchtigte.
Zu Recht hat das Landgericht eine Verwirkung des Pflichtteilsrechts und des daraus resultierenden Auskunftsrechts der Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verneint. Auch stellt die Geltendmachung des Anspruchs keine unzulässige Rechtsausübung dar. Dies gilt selbst dann, wenn der Vorwurf des Beklagten zuträfe, wonach die Klägerin im Zuge ihres Auszugs bei dem Beklagten am 24.11.2020 Schmuck und andere Wertgegenstände entwendet hätte, die der Beklagte in einem mit einer Kette gesicherten Schrank aufbewahrte und die in den Nachlass der Erblasserin fielen. Gleichwohl wäre das Auskunftsbegehren der Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich. Trotz dieses Vorfalls bliebe die Klägerin pflichtteilsberechtigt und hat ein ihr objektiv nicht abzusprechendes erkennbares und berechtigtes Interesse daran, die Berechnungsfaktoren offengelegt zu bekommen, die ihr die Bezifferung ihres Pflichtteilsanspruchs ermöglichen. Dies gilt jedenfalls in Bezug auf Nachlassgegenstände, über die die Klägerin keine eigene Kenntnis besitzt.
Das Pflichtteilsrecht der Klägerin ist weder ausgeschlossen noch untergegangen.
Wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt, ist der Ausschluss von Ansprüchen aus dem Pflichtteilsrecht durch die Rechtsinstitute der Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) und der Pflichtteilsunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 1, Abs. 2 BGB, §§ 2339 ff. BGB) grundsätzlich abschließend geregelt und einer Analogie nicht zugänglich (zu § 2333 BGB: BGH, Urt. vom 25.10.1976 – IV ZR 109/74 in NJW 1977, 339 und zu § 2339 BGB: BGH, Urt. vom 10.6.1968 – III ZR 67/66 in NJW 1968, 2051). Grund dafür ist, dass das in §§ 2303 ff. BGB geregelte Pflichtteilsrecht den nächsten Verwandten des Erblassers auch dann eine Mindestteilhabe am Nachlass sichern soll, wenn der Erblasser sie durch Verfügung von Todes wegen von ihrer gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat. Das BVerfG hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 19.4.2005, Az. 1 BvR 1644/00 u.a. (abgedruckt in NJW 2005, 1561), festgestellt, dass das Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass durch die Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 S.1 GG und dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet wird. Begründet hat das BVerfG dies – zusammengefasst – mit der im Erbrecht zwingenden Teilhabe der Kinder am Nachlass als Ausdruck der Familiensolidarität, die den Familienzusammenhalt über den Tod des Erblassers hinaus ermöglichen soll (BVerfG, wie vor, NJW 2005, 1561).
Nicht überzeugend ist die Auffassung des Beklagten, § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei (analog) anwendbar, weil die Erblasserin, die zum Zeitpunkt des behaupteten besonders schweren Diebstahls bereits verstorben gewesen sei, gar keine Möglichkeit gehabt habe, ihrer Tochter den Pflichtteil zu entziehen. Die Vorschriften zur Pflichtteilsentziehung sollen es dem Erblasser ermöglichen, einen Pflichtteilsberechtigten, der eine besonders schwere Verfehlung gegenüber dem Erblasser oder einer ihm nahestehenden Person begangen hat (vgl. § 2333 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB) oder der wegen eines rechtskräftig festgestellten schweren sozialwidrigen Fehlverhaltens, das einen schweren Verstoß gegen die Wertvorstellungen des Erblassers darstellt, vollständig von der Teilhabe am Nachlass auszuschließen. Die Pflichtteilsentziehung setzt danach voraus, dass der Erblasser das schwere Fehlverhalten als unzumutbar für eine Nachlassteilhabe empfindet und sich deswegen für den (formgerecht nach § 2336 BGB auszuübenden) Ausschluss des Pflichtteilsberechtigten entscheidet. Dieser Willensentschluss nebst anschließender Willensausübung kann nur durch den Erblasser höchstpersönlich getroffen werden. Dass es einzig und allein auf den persönlichen und tatsächlichen Willen des Erblassers ankommt, zeigt sich auch daran, dass nur der Erblasser berechtigt ist, die Pflichtteilsentziehung nachträglich gemäß § 2337 BGB durch Verzeihung zu revidieren, indem er nach außen zum Ausdruck bringt, dass er das schwere Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten nicht mehr als unzumutbar für eine Nachlassteilhabe empfindet.
Der Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung ist auch nicht wegen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Zwar ist ein Auskunftsschuldner nur insoweit zur Auskunft verpflichtet und hat ein Bestandsverzeichnis vorzulegen, als dass er zur Erteilung der notwendigen Informationen in der Lage ist und er sich ggf. die erforderliche Kenntnis verschaffen kann. Soweit der Auskunftsberechtigte – wie hier die Klägerin in Bezug auf die ggf. entwendeten Gegenstände – über eigene (bessere) Kenntnisse verfügt, schuldet der Auskunftspflichtige keine weiteren Auskünfte. Soweit es sich aber um Nachlassgegenstände handelt, die nach erfolgter Sicherstellung im Rahmen der Durchsuchung bei der Klägerin ggf. wieder in den Besitz des Beklagten zurückgelangt sind oder es um Vermögenswerte geht, die nach wie vor im Besitz und Eigentum des Beklagten sind bzw. um pflichtteilsrelevante Vermögensverfügungen der Erblasserin, die eine Ausgleichspflicht des Beklagten auslösen könnten, ist dem Beklagte eine Auskunftserteilung möglich und auch zumutbar. Dass derartige weitere erhebliche Vermögenswerte vorhanden sind, ergibt sich u.a. aus dem von der Klägerin als Anlage BB 1 (Bl. 116 ff. d.A.) mit der Berufungserwiderung vorgelegten Auszug aus der Nachlassakte. Danach gehört zum Nachlass auch Grundvermögen in Polen sowie Einfamilienhäuser im Straße1 und in der Straße2 in Stadt1-Stadtteil1. In einem etwaigen Vollstreckungsverfahren bzw. vor Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wird zu klären sein, ob dem Beklagten, z.B. im Hinblick auf ggf. von der Klägerin entwendete und nicht wieder in seinen Besitz gelangte Gegenstände, eine Auskunftserteilung noch möglich bzw. im Hinblick auf besseres Wissen der Klägerin überhaupt erforderlich ist.
Wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt, ist der im Jahr 2018 entstandene Auskunftsanspruch auch nicht verjährt. Die Verjährung ist durch die am Ende des Jahres 2021 beim Gericht eingegangene und dem Beklagten demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellte Klageschrift rechtzeitig gehemmt worden. Auf die Ausführungen des Landgerichts, die der Beklagte mit der Berufung nicht angreift, wird vollumfänglich Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO).