Einsichtsrecht in die Nachlassakte: OLG Köln klärt Streitigkeiten
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat in einem Beschluss vom 09.03.2020 über das Einsichtsrecht in eine Nachlassakte entschieden. Im Zentrum des Streits stand die Frage, ob und inwieweit eine Partei berechtigt ist, Einsicht in die Nachlassakte und insbesondere in das Nachlassverzeichnis zu nehmen.
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Übersicht
Hintergrund des Streits
Die Beteiligte zu 5) begehrte Einsicht in die Nachlassakte und eine beglaubigte Abschrift des Erbscheins. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie den Erblasser im Jahr 2011 mit bautechnischen Prüfungen beauftragt hatte. Nach einem Sturm im Jahr 2018, bei dem die Fassade eines Gebäudes beschädigt wurde, wurde festgestellt, dass es Planungsfehler im Sanierungskonzept von 2011 gab. Diese Fehler hätten vom Erblasser erkannt werden müssen. Die Beteiligte zu 5) sah sich daher mit erheblichen Instandsetzungskosten konfrontiert und hatte ein Interesse am Umfang des Nachlasses, um mögliche Ansprüche gegen die Erben geltend zu machen.
Widerstand gegen den Antrag
Die Beteiligte zu 1) widersetzte sich dem Antrag der Beteiligten zu 5) auf Einsicht in das Nachlassverzeichnis. Sie argumentierte, dass es sich um privat geschützte Informationen handele und die Beteiligte zu 5) kein Recht auf diese Informationen habe. Das Nachlassgericht jedoch gewährte der Beteiligten zu 5) das Einsichtsrecht. Dagegen legte die Beteiligte zu 1) Beschwerde ein.
Entscheidung des OLG Köln
Das OLG Köln bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichts. Es wurde festgestellt, dass die Beteiligte zu 5) ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Nachlassakte hatte. Dieses Interesse wurde insbesondere durch die Vorlage verschiedener Unterlagen, wie dem Abnahmebericht des Erblassers und dem Gutachten eines Sachverständigen, glaubhaft gemacht. Das Gericht betonte, dass es im vorliegenden Verfahren nicht darum ging, ob ein Schadensersatzanspruch tatsächlich besteht, sondern lediglich um das Einsichtsrecht in die Nachlassakte.
Schlussbemerkungen des Gerichts
Das Gericht wies darauf hin, dass die Kostenentscheidung auf § 84 FamFG beruht und dass die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen ist, da die Voraussetzungen gemäß § 70 Abs. 2 FamFG nicht erfüllt sind. Zudem betonte das Gericht, dass Beschlüsse nach dem FamFG ein vollständiges Rubrum aufweisen müssen.
Das vorliegende Urteil
OLG Köln – Az.: 2 Wx 56/20 – Beschluss vom 09.03.2020
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 11.02.2020 gegen den am 27.01.2020 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Aachen, 700B VI 3037/17, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beteiligte zu 1) zu tragen.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 05.12.2019 hat die Beteiligte zu 5) Einsicht in die Nachlassakte durch Übersendung einer Abschrift der Nachlassakte und einer beglaubigten Abschrift des Erbscheins beantragt (Bl. 63 ff. d.A.). Sie hat vorgetragen, dass sie den Erblasser im Jahr 2011 mit der bautechnischen Prüfung der Sanierung der Fassadenunterkonstruktion ihres Hochregallagers in A beauftragt habe. Der Erblasser habe stichprobenhafte Kontrollen der konstruktiven Ausführung der Fassadenunterkonstruktion durchgeführt und in einem Abnahmebericht vom 07.12.2011 bestätigt, dass die konstruktive Ausführung mit den geprüften Unterlagen übereinstimme. Zudem habe der Erblasser der Antragstellerin bescheinigt, die Standsicherheit der Bauausführung bei der Sanierung der Fassadenunterkonstruktion stichprobenhaft kontrolliert zu haben. Am 18.01.2018 sei die Fassade bei einem Sturm stark beschädigt worden. Fassadenteile hätten abzustürzen gedroht. Einem anschließend eingeholten Gutachten des Sachverständigen B vom 20.10.2018 sei zu entnehmen, dass das erstellte Sanierungskonzept aus dem Jahr 2011 Planungsfehler aufweise und dadurch die Sanierungsmaßnahme nicht standsicher sei. Die Unterkonstruktion sei für die gewählte Fassadenverkleidung nicht zugelassen und ungeeignet. Es seien technische Baubestimmungen nicht eingehalten worden. Dies hätte der Erblasser bei seinen Kontrollen erkennen müssen. Die Kosten der Instandsetzung würden sich auf netto 310.767,15 EUR belaufen. Die Antragstellerin habe daher ein Interesse am Umfang des Nachlasses.
Mit Schriftsatz vom 14.01.2020 hat die Antragstellerin ihren Antrag auf Akteneinsicht auf Übersendung eines Erbnachweises und der Angaben zum Wert des Nachlasses (Nachlassverzeichnis) beschränkt.
Die Beteiligte zu 1) ist dem Antrag der Antragstellerin entgegengetreten, soweit er über die Übersendung einer Kopie des Erbscheins hinausgeht. Der Antragstellerin stehe kein Recht auf Auskunft über das Nachlassvermögen zu, da es sich um privat geschützte Informationen handele.
Durch am 27.01.2020 erlassenen Beschluss hat das Nachlassgericht die Einsicht in den erteilten Erbnachweis durch Übersendung einer beglaubigten Abschrift und in die Angaben zum Wert des Nachlasses / Nachlassverzeichnisses durch Übersendung einfacher Abschriften bewilligt und angekündigt, die Akteneinsicht nach Rechtskraft des Beschlusses auszuführen (Bl. 114 f. d.A.).
Gegen diesen den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) am 05.02.2020 zugestellten Beschluss hat diese mit am 13.02.2020 beim Amtsgericht Aachen eingegangenen Schriftsatz vom 11.02.2020 Beschwerde eingelegt, soweit die beantragte Einsicht in die aus den Akten ersichtlichen Angaben zum Wert des Nachlasses bzw. in das Nachlassverzeichnis durch Übersendung einer einfachen Abschrift bewilligt wurde (Bl. 123 ff. A.). Sie hat vorgetragen, dass die Antragstellerin ihr berechtigtes Interesse nicht glaubhaft gemacht habe. Es sei streitig, ob sie Nachlassgläubigerin sei. Es seien auch keine besonderen Gründe ersichtlich, der Antragstellerin Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse eines etwaigen Schuldners zu gewähren. Die schutzwürdigen Interessen der Erben an ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht würden jedenfalls überwiegen.
Durch am 20.02.2020 erlassenen Beschluss hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 128 ff. d.A.).
II.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist zulässig. Ihre Beschwerdeberechtigung gem. § 59 Abs. 1 FamFG ergibt sich aus ihrem Interesse an der Geheimhaltung des Akteninhalts (vgl. BayObLG FGPrax 1997, 32).
In der Sache hat die Beschwerde indes keinen Erfolg.
Das Nachlassgericht hat zu Recht ein Einsichtsrecht der Beteiligten zu 5) in die Nachlassakte bezüglich der Angaben der Beteiligten zu 1) zum Wert des Nachlasses angenommen. Die Beteiligte zu 5) hat ein berechtigtes Interesse gem. § 13 Abs. 2 S. 1 FamFG glaubhaft gemacht. Schutzwürdige Interessen der Beteiligten zu 1) bis 4) stehen nicht entgegen. Die Ermessensausübung des Nachlassgerichts ist nicht zu beanstanden.
Ein berechtigtes Interesse der Beteiligten zu 5) liegt vor. Der Begriff des berechtigten Interesses ist in § 13 FamFG nicht näher bestimmt. Er lässt sich aber daraus ableiten, dass das Gesetz allgemein zwischen subjektiven Rechten (§ 59 Abs. 1 FamFG), rechtlichen Interessen (§§ 357 FamFG, 299 Abs. 2 ZPO, 62 PStG) und berechtigten Interessen (§ 13 Abs. 2 FamFG) unterscheidet. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist dabei weiter als der des subjektiven Rechts, aber enger als der des berechtigten Interesses. Ein rechtliches Interesse, das sich auf ein bereits vorhandenes Recht stützen muss, ist dann gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis vom Akteninhalt zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Das berechtigte Interesse muss sich dagegen nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen. Es genügt vielmehr jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann. Es ist insbesondere dann gegeben, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Aktenkenntnis beeinflusst sein kann, wobei das Interesse grundsätzlich nicht durch den Verfahrensgegenstand begrenzt wird (Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 13 Rn. 30 m.w.N.; OLG Stuttgart FGPrax 2011, 263, 264; noch zu § 34 FGG: BGH NJW-RR 1994, 381). Hier macht die Beteiligte zu 5) geltend, dass ihr Ansprüche gegen die Erben zustehen. Sie hat daher im Hinblick auf eine etwaige Durchsetzung ihrer behaupteten Ansprüche ein Interesse an der Kenntnis vom Umfang des Nachlasses. Dementsprechend wird in Nachlasssachen ein berechtigtes Interesse eines Nachlassgläubigers an der Einsicht in die Nachlassakte auch grundsätzlich bejaht (BayObLG FGPrax 1997, 32; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 13 Rn. 41).
Die Beteiligte zu 5) hat ihr berechtigtes Interesse durch die Vorlage von verschiedenen Unterlagen, insbesondere des Abnahmeberichts des Erblassers vom 07.12.2011, seine Bescheinigung gem. § 12 Abs. 2 SV-VO und das Gutachten des Sachverständigen B vom 20.10.2018 glaubhaft gemacht. Nach dem Sachvortrag der Beteiligten zu 5) und den vorgelegten Unterlagen kann ein Schadensersatzanspruch bestehen. Ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist im vorliegenden Verfahren indes nicht zu prüfen.
Ein besonderes über ihr allgemeines Geheimhaltungsinteresse hinausgehendes schutzwürdiges Interesse hat die Beteiligte zu 1) dem konkret aufgezeigten berechtigten Interesse der Beteiligten zu 5) nicht entgegengehalten. Auch ihr Einwand, die Beteiligte zu 5) würde hier durch den Erbfall besser gestellt, weil ein Gläubiger grundsätzlich kein Recht auf Einsicht in die Vermögensverhältnisse eines Schuldners habe, greift nicht durch. Denn das Einsichtsrecht betrifft nicht das (gesamte) Vermögen der Erben, sondern nur den Nachlass, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die Erben ihre (etwaige) Haftung auf eben diesen Nachlass beschränken können. Die Ermessensentscheidung durch das Nachlassgericht, der Beteiligten zu 5) ein Einsichtsrecht auch in die Angaben zum Nachlasswert zu gewähren, ist daher im vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei und nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gem. § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.
Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 5.000,00 EUR (§ 36 Abs. 3 GNotKG)
IV.
Auch wenn es im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht darauf ankommt, weist der Senat für weitere Verfahren darauf hin, dass Beschlüsse nach dem FamFG ein – vollständiges – Rubrum aufweisen müssen (§ 38 FamFG).