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Schlusserbenenterbung aufgrund der Geltendmachung des übergeleiteten Pflichtteilsanspruchs

Sozialhilfeempfänger enterbt: Karlsruher Richter stärken Pflichtteilsstrafklauseln in Testamenten und sorgen für Überraschung im Erbstreit. Erben können aufatmen, Sozialhilfeträger müssen umdenken: Karlsruher Urteil setzt neue Maßstäbe im Erbrecht. Pflichtteilsstrafklausel im Testament: Karlsruher Richter entscheiden über den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Erbe und sorgen für Aufsehen.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Die Beteiligte zu 1 erhielt vom Gericht die alleinige Erbschaft aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments.
  • Die Pflichtteilsstrafklausel wurde angewendet, da der Beteiligte zu 2 nach dem Tod der Mutter den Pflichtteil eingefordert hatte.
  • Der Sozialhilfeträger hatte den Pflichtteilsanspruch des Beteiligten zu 2 übernommen und geltend gemacht.
  • Das Gericht entschied, dass die Pflichtteilsstrafklausel auch bei Forderungen durch den Sozialhilfeträger greift.
  • Ziel der Pflichtteilsklausel ist der Schutz des überlebenden Ehegatten und die Gleichbehandlung der Erben.
  • Eine einschränkende Auslegung der Klausel ist nicht notwendig, da keine besonderen Umstände wie bei Behindertentestamenten vorliegen.
  • Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 wurde daher stattgegeben und sie wurde als Alleinerbin anerkannt.
  • Das Gericht erhob keine Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren.
  • Die Entscheidung der ersten Instanz wurde aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein zu erteilen.
  • Eine weitere rechtliche Überprüfung des Urteils wurde nicht zugelassen.

Erbrechtsstreit: Pflichtteilsanspruch bringt Schlusserben um Erbe

Das deutsche Erbrecht bietet grundsätzlich die Möglichkeit, durch ein Testament zu bestimmen, wer sein Erbe nach dem Tod antreten soll. Doch dieses Recht ist nicht unbegrenzt: Der Gesetzgeber schützt mit dem Pflichtteil bestimmte Familienangehörige, die einen Anspruch auf einen Teil des Erbes haben, auch wenn sie im Testament nicht erwähnt werden. Dies sind die sogenannten Pflichtteilsberechtigten, die im Gesetz namentlich aufgeführt sind. Zu diesen gehören beispielsweise die Kinder, der Ehegatte oder die Eltern des Erblassers.

Ein Pflichtteilsanspruch kann jedoch auch mit einer Erbschaft kollidieren, die bereits auf einen Erben übergegangen ist und somit einen Anspruch auf das gesamte Erbe schafft. In diesem Fall ist der Pflichtteilsberechtigte dazu berechtigt, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen und den übergegangenen Nachlass teilweise zurückzufordern. Dies kann mitunter dazu führen, dass der Schlusserbe, der eigentlich das gesamte Erbe erben sollte, nur einen Teil davon oder gar nichts aus dem Nachlass erhält. In jüngster Zeit gab es mehrere Fälle, die diese komplexe Rechtslage aufzeigen. Ein Fall, der nun vor Gericht verhandelt wurde, soll hier im Detail betrachtet werden.

Der Fall vor Gericht


Erbschaftsstreit: Pflichtteilsstrafklausel greift trotz Überleitung durch Sozialhilfeträger

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Erbrechtsfall eine wichtige Entscheidung zur Wirksamkeit von Pflichtteilsstrafklauseln getroffen. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine solche Klausel auch dann greift, wenn nicht der Pflichtteilsberechtigte selbst, sondern der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch geltend macht.

Hintergrund des Rechtsstreits um das Erbe

Ein Ehepaar hatte in einem gemeinschaftlichen Testament vom 10.10.1994 festgelegt, dass sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Nach dem Tod des Längerlebenden sollten ihre beiden Kinder zu gleichen Teilen erben. Das Testament enthielt zudem eine Pflichtteilsstrafklausel. Diese besagte, dass derjenige, der beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, auch beim Tod des Längerlebenden nur den Pflichtteil erhalten soll.

Nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2012 machte der Sozialhilfeträger für den Sohn, der Sozialhilfeempfänger war, den Pflichtteilsanspruch geltend. Der Vater zahlte daraufhin einen Betrag von 26.674,28 € an den Sozialhilfeträger. Als der Vater später ebenfalls verstarb, beantragte die Tochter die Erteilung eines Alleinerbscheins. Sie berief sich dabei auf die Pflichtteilsstrafklausel im Testament.

Rechtliche Bewertung durch das Oberlandesgericht

Das OLG Karlsruhe gab der Tochter Recht und wies das Nachlassgericht an, ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen. Die Richter begründeten ihre Entscheidung wie folgt:

  1. Die Pflichtteilsstrafklausel greift auch dann, wenn der Sozialhilfeträger den übergeleiteten Pflichtteilsanspruch geltend macht.
  2. Der Sinn und Zweck einer solchen Klausel besteht darin, das gemeinsame Vermögen für den überlebenden Ehegatten zusammenzuhalten und eine Ungleichbehandlung der Erben zu vermeiden.
  3. Diese Schutzfunktion wird nur erfüllt, wenn die Klausel auch bei der Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger Anwendung findet.
  4. Eine einschränkende Auslegung der Klausel, wie sie der Bundesgerichtshof bei sogenannten „Behindertentestamenten“ gebilligt hat, ist in diesem Fall nicht angebracht.

Bedeutung der Entscheidung für die Erbrechtspraxis

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe hat weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung von Testamenten mit Pflichtteilsstrafklauseln:

  1. Sozialhilfeempfänger müssen damit rechnen, dass die Geltendmachung des Pflichtteils durch den Sozialhilfeträger zum Verlust ihres Erbrechts führen kann.
  2. Erblasser können durch solche Klauseln effektiv verhindern, dass Sozialhilfeträger sowohl auf den Pflichtteil als auch auf den vollen Erbteil zugreifen.
  3. Für Erben bedeutet die Entscheidung mehr Rechtssicherheit bei der Durchsetzung von Pflichtteilsstrafklauseln.
  4. Nachlassgerichte müssen bei der Erteilung von Erbscheinen die Wirkung von Pflichtteilsstrafklauseln auch bei Geltendmachung durch Dritte berücksichtigen.

Die Schlüsselerkenntnisse


Die Entscheidung des OLG Karlsruhe stärkt die Wirksamkeit von Pflichtteilsstrafklauseln erheblich. Sie gelten nun auch, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteil geltend macht. Dies schützt das Vermögen des überlebenden Ehegatten und verhindert eine Ungleichbehandlung der Erben. Für die erbrechtliche Praxis bedeutet dies eine klare Linie: Pflichtteilsstrafklauseln entfalten ihre Wirkung unabhängig davon, wer den Anspruch geltend macht, sofern keine besonderen Umstände wie bei „Behindertentestamenten“ vorliegen.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil hat wichtige Auswirkungen für Erblasser und potenzielle Erben. Wenn Sie ein Testament mit einer Pflichtteilsstrafklausel errichten, wirkt diese nun auch, wenn ein Sozialhilfeträger den Pflichtteil geltend macht. Das bedeutet, dass ein Kind, das Sozialhilfe bezieht, sein Erbrecht verlieren kann, ohne selbst aktiv geworden zu sein. Für Sie als Erblasser bietet dies mehr Schutz für den überlebenden Ehegatten und verhindert eine ungewollte Benachteiligung anderer Erben. Als potenzieller Erbe sollten Sie bedenken, dass der Bezug von Sozialhilfe möglicherweise Ihr Erbrecht gefährden kann. Es ist daher ratsam, sich frühzeitig über die Konsequenzen von Pflichtteilsansprüchen zu informieren und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.


FAQ – Häufige Fragen

Sie stehen vor einem Erbrechtsfall und fragen sich, ob eine Pflichtteilsstrafklausel rechtens ist? In unserer FAQ-Rubrik möchten wir Ihnen kompakt und verständlich wichtige Fragen zum Erbrecht und zu Testamenten beantworten.


Wie wirkt sich eine Pflichtteilsstrafklausel auf das Erbe aus?

Eine Pflichtteilsstrafklausel ist eine besondere Regelung im Testament, die darauf abzielt, Pflichtteilsberechtigte davon abzuhalten, ihren Pflichtteil nach dem Tod des ersten Elternteils geltend zu machen. Diese Klausel wird häufig in sogenannten Berliner Testamenten verwendet, in denen sich Ehepartner gegenseitig zu Alleinerben einsetzen und die gemeinsamen Kinder erst nach dem Tod des zuletzt Versterbenden erben sollen.

Funktionsweise und rechtliche Auswirkungen:Die Pflichtteilsstrafklausel besagt im Wesentlichen, dass ein Pflichtteilsberechtigter, der seinen Pflichtteil nach dem Tod des ersten Elternteils einfordert, im zweiten Erbfall nach dem Tod des überlebenden Elternteils enterbt wird. Dies bedeutet, dass der Pflichtteilsberechtigte nur den Pflichtteil und nicht den vollen Erbteil erhält, den er ansonsten nach dem Tod des zweiten Elternteils bekommen hätte.

Beispiel:

Ein Ehepaar hat zwei Kinder und setzt sich gegenseitig als Alleinerben ein. Nach dem Tod des ersten Elternteils fordert eines der Kinder seinen Pflichtteil. Aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel wird dieses Kind nach dem Tod des zweiten Elternteils nur noch den Pflichtteil und nicht den vollen Erbteil erhalten. Das andere Kind, das keinen Pflichtteil eingefordert hat, wird hingegen als Erbe des gesamten verbleibenden Nachlasses eingesetzt.

Rechtliche Voraussetzungen:

Damit die Pflichtteilsstrafklausel greift, muss der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch ernsthaft und bewusst geltend machen. Es reicht nicht aus, den Pflichtteil nur anzukündigen oder zu erwähnen; es muss eine konkrete Forderung gestellt werden. In einigen Fällen kann die Klausel auch dann greifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte nach Kenntnis der Klausel seine Forderung zurückzieht.

Zweck und Nutzen:

Die Pflichtteilsstrafklausel dient mehreren Zwecken:

Schutz des überlebenden Ehepartners: Sie verhindert, dass der Nachlass durch die Auszahlung von Pflichtteilen geschmälert wird, was insbesondere für den überlebenden Ehepartner wichtig sein kann, um finanziell abgesichert zu bleiben.

Erhalt des Familienvermögens: Sie sorgt dafür, dass das Vermögen in der Familie bleibt und nicht durch vorzeitige Pflichtteilsforderungen reduziert wird.

Gerechte Verteilung: Sie kann dazu beitragen, dass alle Kinder letztlich einen fairen Anteil am Nachlass erhalten, insbesondere wenn das Vermögen nach dem Tod des ersten Elternteils noch anwächst.

Rechtsprechung und Auslegung:

Die Auslegung von Pflichtteilsstrafklauseln kann komplex sein und hängt stark vom genauen Wortlaut und dem Willen des Erblassers ab. Gerichte prüfen sorgfältig, ob die Klausel wirksam ist und ob die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind. Beispielsweise hat das OLG Frankfurt entschieden, dass ein tatsächlicher Mittelabfluss aus dem Nachlass notwendig ist, damit die Klausel greift. Das OLG Köln hat hingegen festgestellt, dass bereits die ernsthafte Geltendmachung des Pflichtteils ausreicht, um die Klausel auszulösen.

Was bedeutet es, wenn ein Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch geltend macht?

Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch einen Sozialhilfeträger hat weitreichende rechtliche Konsequenzen. Wenn ein Sozialhilfeempfänger einen Pflichtteilsanspruch erbt, kann der Sozialhilfeträger diesen Anspruch auf sich überleiten und in eigenem Namen geltend machen. Dies basiert auf dem Grundsatz, dass Sozialhilfeempfänger verpflichtet sind, vorrangig eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen, bevor sie staatliche Leistungen in Anspruch nehmen.

Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil vom 08.12.2004 (Az. IV ZR 223/03) entschieden, dass der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch auch gegen den Willen des Berechtigten geltend machen kann. Dies stellt eine bedeutende Abweichung vom Grundgedanken des § 852 ZPO dar, wonach der Pflichtteilsberechtigte normalerweise selbst über die Geltendmachung seines Anspruchs entscheiden darf. Der Bundesgerichtshof begründet diese Ausnahme mit der besonderen Rolle des Sozialhilfeträgers als „Helfer“ des Sozialhilfeempfängers.

Besonders wichtig ist, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger dieselben erbrechtlichen Konsequenzen hat wie die Geltendmachung durch den Berechtigten selbst. Dies bedeutet, dass auch in diesem Fall eine im Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel greift. Eine solche Klausel sieht typischerweise vor, dass ein Erbe, der seinen Pflichtteil geltend macht, auch beim späteren Tod des zweiten Elternteils enterbt wird.

Diese Rechtslage kann zu komplexen Situationen führen, insbesondere bei sogenannten Berliner Testamenten. Hierbei setzen sich Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen ihre Kinder als Schlusserben. Wenn nun der Sozialhilfeträger für ein Kind den Pflichtteil beim ersten Erbfall geltend macht, führt dies automatisch zur Enterbung dieses Kindes auch beim zweiten Erbfall. Der überlebende Ehegatte kann diese Konsequenz aufgrund der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments nicht mehr durch ein neues Testament verhindern.

Die Übernahme des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger hat auch Auswirkungen auf die Berechnung der Sozialleistungen. Der Wert des Pflichtteilsanspruchs wird bei der Bemessung der Sozialleistungen berücksichtigt, was zu einer Kürzung oder sogar zum Wegfall des Anspruchs auf Sozialleistungen führen kann.

Diese Rechtslage wird von vielen Seiten kritisch gesehen, da sie einerseits andere Gläubiger benachteiligt und andererseits dem Pflichtteilsberechtigten die Wahlmöglichkeit nimmt, den Anspruch nicht geltend zu machen. Für die Praxis bedeutet dies, dass bei der Erstellung von Testamenten und der Nachlassplanung die mögliche Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch Sozialhilfeträger berücksichtigt werden sollte.

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Kann eine Pflichtteilsstrafklausel durch besondere Umstände unwirksam werden?

Eine Pflichtteilsstrafklausel kann unter bestimmten Umständen tatsächlich unwirksam werden oder nicht greifen. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, die in der Rechtsprechung und juristischen Fachliteratur herausgearbeitet wurden.

Ein wesentlicher Aspekt ist die konkrete Formulierung der Klausel im Testament. Gerichte legen Pflichtteilsstrafklauseln in der Regel eng aus. So greift eine Klausel, die lediglich auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils abstellt, nicht schon dann ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte nur die Erbenstellung des überlebenden Ehegatten angreift. Die bloße Geltendmachung des Pflichtteils führt also nicht automatisch zur Sanktionierung.

Entscheidend ist oft, ob tatsächlich ein Mittelabfluss aus dem Nachlass stattgefunden hat. Manche Gerichte sehen die Pflichtteilsstrafklausel erst dann als wirksam an, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil nicht nur gefordert, sondern auch erhalten hat. Dies entspricht dem häufigen Willen der Testierenden, primär das Nachlassvermögen zusammenzuhalten.

Auch die Art und Weise, wie der Pflichtteilsberechtigte vorgeht, kann relevant sein. Eine bloße Aufforderung zur Nachbesserung des Nachlassverzeichnisses führt in der Regel noch nicht zur Verwirkung des Erbanspruchs, sofern die Klausel vorsieht, dass der Pflichtteil vom Längstlebenden gefordert werden muss.

Bei zu unbestimmten Formulierungen kann die Klausel ebenfalls unwirksam sein. So hat das OLG Frankfurt entschieden, dass eine allgemeine Verwirkungsklausel, die denjenigen Schlusserben, der mit den Testamentsbestimmungen nicht einverstanden ist, auf den Pflichtteil setzt, nicht automatisch zum Verlust der Schlusserbenstellung führt.

In Patchwork-Familien können besondere Auslegungsregeln gelten. Bei Stiefkindern als Schlusserben kann eine als „Pflichtteil“ bezeichnete Sanktion als Vermächtnis in Höhe eines fiktiven Pflichtteils verstanden werden.

Grundsätzlich müssen Pflichtteilsstrafklauseln mit dem Grundsatz der Testierfreiheit vereinbar sein und dürfen nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Eine Klausel, die jegliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Testaments unmöglich macht, könnte daher unwirksam sein.

Es ist zu beachten, dass die Wirksamkeit einer Pflichtteilsstrafklausel stets eine Frage des Einzelfalls ist. Gerichte berücksichtigen den mutmaßlichen Willen der Erblasser, die konkrete Formulierung der Klausel und die Umstände des jeweiligen Falls. Eine pauschale Aussage zur Unwirksamkeit ist daher nicht möglich.

Für Erblasser bedeutet dies, dass sie bei der Formulierung von Pflichtteilsstrafklauseln besondere Sorgfalt walten lassen sollten. Eine präzise und eindeutige Formulierung, die den gewünschten Zweck klar zum Ausdruck bringt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Klausel im Ernstfall Bestand hat.

Pflichtteilsberechtigte sollten sich bewusst sein, dass nicht jede Handlung automatisch zur Verwirkung ihrer Rechte führt. Es kann durchaus Spielraum für die Wahrnehmung berechtigter Interessen geben, ohne die Sanktion auszulösen. In komplexen Fällen ist jedoch stets eine individuelle rechtliche Beratung ratsam, um die spezifischen Umstände und möglichen Konsequenzen genau zu prüfen.

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Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Erben, wenn eine Pflichtteilsstrafklausel greift?

Bei Greifen einer Pflichtteilsstrafklausel haben Erben verschiedene rechtliche Möglichkeiten, um ihre Interessen zu wahren. Zunächst ist es wichtig zu prüfen, ob die Klausel überhaupt wirksam ist und die Voraussetzungen für ihre Anwendung tatsächlich vorliegen.

Eine zentrale Option besteht darin, die Auslegung der Pflichtteilsstrafklausel gerichtlich überprüfen zu lassen. Gerichte legen solche Klauseln in der Regel eng aus. So hat beispielsweise das Oberlandesgericht Frankfurt entschieden, dass eine Pflichtteilsstrafklausel erst dann greift, wenn tatsächlich Mittel aus dem Nachlass abfließen. Die bloße Geltendmachung des Pflichtteils reicht demnach nicht aus, um eine Sanktionierung auszulösen. Erben können also argumentieren, dass die Klausel in ihrem Fall nicht anwendbar ist, wenn sie zwar den Pflichtteil gefordert, aber nicht erhalten haben.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Wirksamkeit der Klausel anzufechten. Pflichtteilsstrafklauseln können unter Umständen sittenwidrig und damit nichtig sein, etwa wenn sie unverhältnismäßig in die Rechte der Erben eingreifen. Hier kommt es auf die konkrete Formulierung und die Umstände des Einzelfalls an. Erben können vor Gericht geltend machen, dass die Klausel gegen die guten Sitten verstößt und daher unwirksam ist.

Erben sollten auch prüfen, ob sie möglicherweise unwissentlich gegen die Pflichtteilsstrafklausel verstoßen haben. Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass keine Geltendmachung des Pflichtteils vorliegt, wenn zuvor erhobene Ansprüche nach Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel zeitnah zurückgezogen werden. Erben können also unter Umständen die Folgen der Klausel abwenden, indem sie ihre Pflichtteilsforderung zurücknehmen, sobald sie von der Existenz der Klausel erfahren.

Eine weitere Option besteht darin, mit den anderen Erben zu verhandeln und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Oft lässt sich durch Gespräche und Kompromisse eine für alle Beteiligten akzeptable Regelung finden, die die Interessen aller Erben berücksichtigt und gleichzeitig den Willen des Erblassers respektiert.

In bestimmten Fällen können Erben auch argumentieren, dass die Anwendung der Pflichtteilsstrafklausel gegen den mutmaßlichen Willen des Erblassers verstößt. Dies kann insbesondere dann relevant sein, wenn sich die Umstände seit Errichtung des Testaments wesentlich geändert haben und anzunehmen ist, dass der Erblasser die Klausel unter den geänderten Bedingungen nicht mehr gewollt hätte.

Erben sollten zudem bedenken, dass die Geltendmachung des Pflichtteils in manchen Fällen trotz Strafklausel wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Dies ist etwa der Fall, wenn der Pflichtteil nach dem ersten Erbfall höher ausfällt als der zu erwartende Erbteil nach dem zweiten Erbfall. Hier ist eine sorgfältige Abwägung der finanziellen Konsequenzen erforderlich.

Schließlich besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins zu stellen, der die eigene Erbenstellung bestätigt. Wird dieser Antrag abgelehnt, kann dagegen Beschwerde eingelegt werden. Dies eröffnet den Weg für eine gerichtliche Klärung der Rechtslage.

Es ist wichtig zu betonen, dass die rechtliche Beurteilung von Pflichtteilsstrafklauseln oft komplex ist und von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängt. Erben sollten daher in jedem Fall fachkundigen rechtlichen Rat einholen, um ihre individuellen Handlungsmöglichkeiten zu prüfen und die für sie beste Strategie zu entwickeln.

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Welche Schritte sollten Erblasser unternehmen, um Pflichtteilsansprüche zu minimieren?

Um Pflichtteilsansprüche zu minimieren, können Erblasser verschiedene rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Eine zentrale Option ist der Abschluss eines notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrags mit potenziellen Pflichtteilsberechtigten. Hierbei verzichten diese vertraglich auf ihren gesetzlichen Pflichtteilsanspruch, meist gegen eine angemessene Abfindung. Dies bietet Rechtssicherheit für den Erblasser.

Eine weitere Strategie ist die frühzeitige Übertragung von Vermögenswerten zu Lebzeiten. Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgen, werden bei der Berechnung des Pflichtteils nicht mehr berücksichtigt. Allerdings ist Vorsicht geboten: Innerhalb der Zehnjahresfrist können solche Schenkungen anteilig zum Nachlass hinzugerechnet werden.

Die Änderung des Güterstands kann ebenfalls zur Pflichtteilsreduzierung beitragen. Ein Wechsel von der Zugewinngemeinschaft zur Gütertrennung mit anschließendem Zugewinnausgleich kann den Nachlass und damit die Berechnungsgrundlage für Pflichtteilsansprüche verringern. Diese Maßnahme erfordert jedoch eine sorgfältige rechtliche und steuerliche Prüfung.

Erblasser sollten auch die Möglichkeit einer Pflichtteilsstrafklausel im Testament in Betracht ziehen. Diese sieht vor, dass ein Erbe, der seinen Pflichtteil geltend macht, weniger als den gesetzlichen Erbteil erhält. Die Wirksamkeit solcher Klauseln hängt von ihrer konkreten Ausgestaltung ab und sollte rechtlich geprüft werden.

In bestimmten Fällen kann eine Pflichtteilsentziehung erwogen werden. Diese ist jedoch nur unter sehr engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich, etwa bei schweren Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser. Die Gründe müssen im Testament konkret benannt und im Streitfall bewiesen werden können.

Eine weniger bekannte Option ist die Errichtung einer Familienstiftung. Hierbei wird das Vermögen in eine Stiftung eingebracht, wodurch es dem direkten Zugriff der Erben entzogen wird. Die rechtliche Gestaltung muss jedoch sorgfältig erfolgen, um eine Umgehung des Pflichtteilsrechts zu vermeiden.

Erblasser sollten bei der Testamentsgestaltung auch die sogenannte Jastrow’sche Klausel in Erwägung ziehen. Diese sieht vor, dass Kinder, die nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils keinen Pflichtteil geltend machen, beim Tod des zweiten Elternteils mehr erben als ihre Geschwister. Dies kann einen Anreiz schaffen, auf die sofortige Geltendmachung des Pflichtteils zu verzichten.

Bei der Umsetzung dieser Strategien ist stets zu beachten, dass das Pflichtteilsrecht einen starken verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Jede Maßnahme zur Pflichtteilsreduzierung muss daher im Einklang mit geltendem Recht stehen und sollte idealerweise von einem Fachanwalt für Erbrecht begleitet werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die gewählten Gestaltungen im Erbfall auch tatsächlich Bestand haben und nicht erfolgreich angefochten werden können.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Pflichtteilsstrafklausel: Eine Pflichtteilsstrafklausel ist eine Bestimmung im Testament, die besagt, dass ein Pflichtteilsberechtigter, der seinen Pflichtteil verlangt, vom weiteren Erbe ausgeschlossen wird. Dies soll verhindern, dass ein Erbe doppelt begünstigt wird, indem er sowohl den Pflichtteil als auch einen Erbteil erhält. Im vorliegenden Fall wurde die Klausel auch auf den Sozialhilfeträger angewendet.
  • Gemeinschaftliches Testament: Ein gemeinschaftliches Testament wird von Ehepartnern gemeinsam verfasst und regelt den Nachlass beider Partner. Es enthält oft Bestimmungen, die nach dem Tod des Erstversterbenden weiterhin verbindlich sind. Im vorliegenden Fall hatte das Ehepaar festgelegt, dass der Überlebende Alleinerbe wird und die Kinder nach dem Tod des Letztversterbenden erben.
  • Erbschein: Ein Erbschein ist ein vom Nachlassgericht ausgestelltes Dokument, das die Erben und deren Erbanteile nachweist. Es wird benötigt, um das Erbe anzutreten und über den Nachlass zu verfügen. Im vorliegenden Fall beantragte die Tochter einen Erbschein als Alleinerbin.
  • Pflichtteilsberechtigter: Pflichtteilsberechtigte sind nahe Angehörige des Erblassers, die auch dann einen Anspruch auf einen bestimmten Teil des Erbes haben, wenn sie im Testament nicht bedacht wurden. Dazu gehören Kinder, Ehegatten und in manchen Fällen Eltern. Der Sohn im vorliegenden Fall war pflichtteilsberechtigt.
  • Sozialhilfeträger: Ein Sozialhilfeträger ist eine öffentliche Einrichtung, die Sozialhilfe gewährt. Wenn ein Sozialhilfeempfänger pflichtteilsberechtigt ist, kann der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch geltend machen, um die geleisteten Sozialhilfezahlungen zurückzufordern. Im vorliegenden Fall machte der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch des Sohnes geltend.
  • Nachlassgericht: Das Nachlassgericht ist eine Abteilung des Amtsgerichts, die für die Regelung von Erbschaften zuständig ist. Es stellt Erbscheine aus, überwacht Testamentsvollstreckungen und klärt Streitigkeiten zwischen Erben. Im vorliegenden Fall musste das Nachlassgericht über die Wirksamkeit der Pflichtteilsstrafklausel entscheiden.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 2303 BGB (Pflichtteil): Der Pflichtteil ist ein gesetzlich festgelegter Mindestanteil am Erbe, der bestimmten nahen Angehörigen zusteht, auch wenn sie im Testament nicht bedacht wurden. Im vorliegenden Fall ist der Sohn des Erblassers pflichtteilsberechtigt.
  • § 2333 BGB (Pflichtteilsstrafklausel): Eine Pflichtteilsstrafklausel im Testament sieht vor, dass ein Pflichtteilsberechtigter, der seinen Pflichtteil geltend macht, seinen Anspruch auf einen weiteren Erbteil verliert. Im vorliegenden Fall enthielt das Testament eine solche Klausel.
  • § 93 SGB XII (Überleitung des Pflichtteilsanspruchs): Wenn ein Sozialhilfeempfänger pflichtteilsberechtigt ist, kann der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch geltend machen, um die Sozialhilfeleistungen zurückzufordern. Im vorliegenden Fall machte der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch des Sohnes geltend.
  • § 1939 BGB (Testierfreiheit): Grundsätzlich hat jeder Erblasser das Recht, durch Testament frei über sein Vermögen zu verfügen. Dieses Recht ist jedoch durch gesetzliche Regelungen, wie den Pflichtteil, eingeschränkt. Im vorliegenden Fall wollte der Erblasser durch die Pflichtteilsstrafklausel seine Testierfreiheit wahren.
  • § 2065 BGB (Auslegung von Testamenten): Bei der Auslegung von Testamenten ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen. Im vorliegenden Fall musste das Gericht entscheiden, ob die Pflichtteilsstrafklausel auch bei Geltendmachung des Pflichtteils durch den Sozialhilfeträger greift.

Das vorliegende Urteil

OLG Karlsruhe – Az.: 11 W 50/19 (Wx) – Beschluss vom 18.11.2020


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Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…

 

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg – Nachlassgericht – vom 07.03.2019, Az. W-72 IV 2598/18 aufgehoben.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Heidelberg wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, dass sie aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 10.10.1994 den Erblasser alleine beerbt hat.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 194.433,26 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 begehrt die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins.

Der Erblasser und seine Ehefrau haben am 10.10.1994 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, welches auszugsweise wie folgt lautet:

„(…)

I.

Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.

II.

Nach unserem gleichzeitigen Tod bzw. nach dem Tod des Längstlebenden sind Erben zu gleichen Teilen unsere Kinder:

1. E. R.

2. P. R.

(…)

III.

Wer beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, erhält auch beim Tod des Längstlebenden lediglich den Pflichtteil.

IV.

Unsere Tochter E. R. hat bereits bis jetzt Vorausempfänge in Höhe von 50.000,– DM erhalten. Diesen Betrag hat sie sich auf ihren Erbteil anzurechnen lassen. Sollten die Kinder weitere Zuwendungen erhalten, werden wir dies schriftlich festhalten und als Zusatz zum Testament bestätigen. Zu einer derartigen Feststellung ist auch der längstlebende Ehegatte allein berechtigt. (…)“

Die Ehefrau des Erblassers verstarb am 09.06.2012.

In einem Schreiben vom 02.07.2012 erläuterte der Erblasser u.a. detailliert, dass der Beteiligte zu 2 lange Jahre in dem Haus der Eheleute gelebt habe, von ihnen überwiegend mitverköstigt worden sei und Geldbeträge erhalten habe. Ab Oktober 2009 habe er selbst für ihn einen Unterhaltsbeitrag von 27,69 € und ab Januar 2010 von 31,07 € pro Monat an den R. zahlen müssen. In einem „Nachsatz“ vom 17.12.2012 erklärte der Erblasser, er wolle, dass diese Leistungen in seinem Testament berücksichtigt und auf den Erbteil angerechnet würden. Weitere Zuwendungen an ihn erwähnte der Erblasser in Schreiben vom 03.07.2012, vom August 2012, in einer Berechnung vom 03.02.2007 setzte er sich mit Zuwendungen an die Beteiligte zu 1 auseinander. Schließlich ernannte der Erblasser mit maschinenschriftlichem Schreiben vom 12.04.2013 Herrn M. B. zu seinem Testamentsvollstrecker (AS. I/65, I/97).

Mit Schreiben vom 27.06.2013 erklärte der Erblasser (AS. I/111):

„Ergänzend zu meinem letzten Schreiben vom August 2012 erkläre ich hiermit, dass mein Sohn P. einen Betrag von mindestens 173.998 € zur Anrechnung auf sein späteres Erbteil erhalten hat. (…) Auch wenn wir es nicht schriftlich festgelegt haben so haben meine Frau und ich uns ausdrücklich immer die Anrechnungsmöglichkeit auf die spätere Erbschaft auch bei meinem Sohn P. vorbehalten. Es war unser Wunsch, dass beide Kinder gleichbehandelt werden.“

Mit Schreiben vom 30.11.2012 (AS. I/187) hatte das Sozialamt des R. bereits den Pflichtteilsanspruch des Beteiligten zu 2 gegen den Erblasser aus dem Nachlass der vorverstorbenen Ehefrau gemäß § 93 SGB XII bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf sich übergeleitet. Mit Schreiben vom 08.08.2013 machte der R. einen Anspruch in Höhe von 26.674,28 € gegenüber dem Erblasser geltend (AS. I/191). Am 16.08.2013 überwies der Erblasser diesen Betrag an den R. (AS. I/193).

Mit Schreiben vom 11.12.2018 (AS. I/177) hat die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin beantragt. Die Pflichtteilsstrafklausel greife ein, weil der R. nach dem Tod der Mutter den Pflichtteilsanspruch geltend gemacht habe.

Mit Schreiben seines rechtlichen Betreuers vom 28.01.2019 (AS. I/205 ff.) ist der Beteiligte zu 2 dem Antrag entgegen getreten. Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch einen Sozialhilfeträger sei nicht der Geltendmachung durch den Abkömmling selbst gleichzusetzen. Die Strafklausel solle die willentliche Belastung des überlebenden Ehegatten durch einen Abkömmling sanktionieren und ihn davon abhalten. Hingegen sei die Geltendmachung durch einen Sozialhilfeträger gerade nicht eine solche Willensentfaltung des Abkömmlings und diesem auch nicht zurechenbar. Auch die abschreckende Wirkung laufe gegenüber einem Sozialhilfeträger leer.

Das Nachlassgericht hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.12.2018 (AS. I/229) zurückgewiesen. Die Beteiligte zu 1 sei nur zur Hälfte Erbin geworden. Bei der Abfassung des ersten gemeinschaftlichen Testaments sei das Auftreten eines Sozialhilfeträgers noch nicht absehbar gewesen. Wende man die Verwirkungsklausel nicht an, könne der Sozialhilfeträger im ersten Todesfall den Pflichtteil überleiten und im zweiten Todesfall den Erbteil, der hier ohne Einschränkung durch Testamentsvollstreckung zur Verfügung stehe. Wende man die Verwirkungsklausel dagegen an, könne der Sozialhilfeträger zweimal nur den Pflichtteil überleiten, wäre also schlechter gestellt. Der Pflichtteilsberechtigte selbst würde in beiden Auslegungsvarianten keinen Unterschied spüren, da der Sozialhilfeträger die Mittel, gleich wie hoch sie seien, abschöpfe. Aber die Beteiligte zu 1 würde bei Anwendung der Verwirkungsklausel besser stehen. Ausschlaggebend sei daher, was den Eltern wichtiger gewesen sei, die Gleichbehandlung der Kinder oder einem Sozialhilfeträger, dessen Auftreten bei Testamentserrichtung nicht vorhersehbar gewesen sei, möglichst wenig zukommen zu lassen. Die diversen Ergänzungstestamente enthielten Anrechnungsregelungen wegen Zuwendungen an die Kinder zu Lebzeiten. Damit habe offenbar eine Gleichberechtigung gesichert werden sollen. Dieser Wunsch habe beim Erblasser auch dann noch bestanden, als der Sozialhilfeträger am 30.11.2012 den Pflichtteilsanspruch auf das Ableben der Mutter auf sich übergeleitet habe. Denn der Erblasser habe in der Testamentsergänzung von 17.12.2012 erklärt, er wolle, dass diese seinem Sohn zugekommenen Leistungen in seinem Testament berücksichtigt und auf den Erbteil angerechnet würden. Mit „Leistungen“ seien die vom Erblasser erbrachten Unterhaltsbeiträge an das Sozialamt und sicher auch die vom Sozialamt übergeleiteten und erst später bezifferten Pflichtteilsansprüche gemeint. Diese Anrechnungen seien als Vorausvermächtnisse für den jeweils anderen Erben auszulegen, der diese anzurechnende Zuwendung nicht bekommen habe. Die Ergänzung vom 17.12.2012 lasse auch darauf schließen, dass der Überlebende die Geltendmachung des Pflichtteils nicht seinem Sohn zugerechnet habe, weil nicht dieser es so entschieden habe, sondern der Sozialhilfeträger. Dass die erstverstorbene Mutter die Reichweite der Verwirkungsklausel anders gesehen hätte, lasse sich nicht unterstellen.

Gegen diesen Beschluss, der ihr am 14.03.2019 zugestellt worden ist (AS. I/245), richtet sich die am 12.04.2019 beim Nachlassgericht eingegangene Beschwerde der Beteiligten zu 1 (AS. I/247 ff.). Bei der Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments habe für die Ehegatten die Schutzfunktion der Verwirkungsklausel an erster Stelle gestanden. Diese Schutzfunktion greife auch gegenüber einem Sozialhilfeträger, weil dieser nach dem Tode des Erstversterbenden überlegen müsse, ob er sogleich einen geringeren Betrag (Pflichtteil) geltend mache und dann auch später einen geringeren Teil auf sich überleiten könne oder ob er zunächst abwarte, um nach dem zweiten Erbfall einen insgesamt größeren Betrag überleiten zu können. Die weiteren Erwägungen des Nachlassgerichts, ob der Erblasser trotz der Geltendmachung und Überleitung des Pflichtteils noch eine Gleichbehandlung seiner Kinder wollte oder nicht, seien unerheblich. Denn er habe wegen § 2271 BGB im Nachhinein nichts mehr an der Pflichtteilsstrafklausel ändern dürfen. Auch die Erwägungen des Gerichts zu einer gewollten Gleichbehandlung beider Kinder als mutmaßlichem Willen der Erblasser seien unzutreffend. Denn eine Ungleichbehandlung werde schon durch die Verwendung der Pflichtteilsstrafklausel angedroht.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.04.2019 nicht abgeholfen (AS. I/275).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Beschlüsse des Nachlassgerichts vom 11.12.2018 und vom 15.04.2019 sowie den weiteren Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist nach den §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 ist stattzugeben. Sie ist aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 10.10.1994 Alleinerbin nach dem Erblasser geworden. Der Beteiligte zu 2 ist infolge der auf ihn anzuwendenden Pflichtteilsstrafklausel in Ziffer III. der angeführten Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen. Der Beteiligte zu 2 hat nach dem Tod der erstverstorbenen Mutter den Pflichtteil verlangt.

a) Der auf Enterbung beruhende Pflichtteilsanspruch kann, wenn er auf den Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist, von diesem auch geltend gemacht werden, ohne dass es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2005 – IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223, 224).

Vorliegend hat der R. den Pflichtteilsanspruch des Beteiligten zu 2 durch Bescheid vom 30.11.2012 (AS. I/187 ff.) wirksam gemäß § 93 SGB XII in Höhe seiner Aufwendungen auf sich übergeleitet und mit Schreiben vom 08.08.2013 in Höhe von 26.674,28 € gegenüber dem Erblasser geltend gemacht.

b) Dies führt zum Eingreifen der Pflichtteilsstrafklausel. Die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments (§ 133 BGB) ergibt, dass auch eine Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger die in der Klausel ausgesprochenen Rechtsfolgen auslösen soll. Dies folgt aus ihrem Sinn und Zweck.

aa) Bei einer Pflichtteilsklausel, wie sie hier vorliegt, soll regelmäßig das gemeinsame Vermögen der Testierenden als Absicherung für den überlebenden Ehegatten zusammengehalten werden (BGH, Urteil vom 11.03.2015 – IV ZR 400/14, NJW 2015, 1382; OLG Hamm, Urteil vom 28.02.2013 – 10 U 71/12, NJW-RR 2013, 779, 780; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl., § 2074 Rn. 46). Außerdem soll eine Ungleichbehandlung der testamentarisch eigentlich gleichberechtigten Erben vermieden werden (OLG Schleswig, Beschluss vom 24.01.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461, 464; juris-PK/Reymann, 9. Aufl., § 2269 Rn. 79). Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind regelmäßig nicht erforderlich (BayObLG, Beschluss vom 20.01.2004 – 1 Z BR 134/02, BayObLGZ 2004, 5, 9; OLG München, Beschluss vom 29.03.2006 – 31 Wx 7/06, ZEV 2006, 411, 412; OLG Schleswig, Beschluss vom 24.01.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461, 464 mwN; Staudinger/Kanzleiter, BGB [2019], § 2269 Rn. 58). In dem Testament sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Ehegatten mit der Pflichtteilsstrafklausel weitere Zwecke erfolgt haben. Insbesondere findet sich kein Hinweis darauf, dass die Klausel nur bei einem bewussten Auflehnen gegen den Erblasserwillen eingreifen soll.

bb) Danach führt die Geltendmachung des übergeleiteten Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger zum Eingreifen der Pflichtteilsstrafklausel.

(1) Die Pflichtteilsstrafklausel wird hier ihrer Schutzfunktion für den überlebenden Ehegatten nur dann gerecht, wenn sie auch bei der Geltendmachung des übergeleiteten Anspruchs durch den Sozialhilfeträger Anwendung findet. Ohne ihre Sanktion wäre es für den Sozialhilfeträger von Vorteil, bereits nach Todes des erstverstorbenen Ehegatten den Pflichtteil zu fordern. Da ihm dann auch der Zugriff auf den Erbteil nach dem längerlebenden Ehegatten offenstünde, würde er so zusätzlich an dem Nachlass partizipieren. Dies hätte auch eine Ungleichbehandlung der testamentarisch eigentlich gleichberechtigten Beteiligten zu 1 zur Folge.

(2) Eine einschränkende Auslegung der Pflichtteilsklausel, wie sie der Bundesgerichtshof im Falle der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch einen Sozialhilfeträger bei sog. „Behindertentestamenten“ gebilligt hat, ist außerhalb dieser Fallgestaltungen nicht angezeigt (OLG Hamm, Urteil vom 28.02.2013 – 10 U 71/12, NJW-RR 2013, 779, 780; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl., § 2074 Rn. 46; jurisPK-BGB/Reymann, 9. Aufl., § 2269 Rn. 89; Hußmann in: Horn/Kroiß/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl., § 93 SGB XII Rn. 25; iE auch Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, 4. Aufl., Rn. 130). In dem dort entschiedenen Fall hatten die Testierenden über eine Sicherung des überlebenden Ehegatten und eine Gleichbehandlung aller Kinder im Schlusserbfall hinaus das Ziel verfolgt, das Erbe der behinderten Tochter möglichst vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu bewahren. Eine einschränkende Auslegung der Verwirkungsklausel war geboten, weil deren wortgetreue Anwendung zu dem widersinnigen Ergebnis geführt hätte, dass der Zugriff auf den Nachlass des erstverstorbenen Elternteils dem Sozialhilfeträger den ansonsten versperrten Zugriff auf den Nachlass des letztversterbenden Elternteils überhaupt erst eröffnet hätte (BGH, Urteil vom 08.12.2004 – IV ZR 223/03, NJW-RR 2005, 369, 370; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.10.2005 – IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223). So liegt es hier – wie ausgeführt – gerade nicht.

cc) Ein davon abweichender gemeinsamer Wille der Testierenden kann entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts nicht deswegen angenommen werden, weil der Erblasser auch nach der ihm mit Schreiben vom 30.11.2012 mitgeteilten Überleitung des Anspruchs auf den Sozialhilfeträger diese in seinem Nachtrag vom 17.12.2012 nicht erwähnt hat. Einerseits hatte der Erblasser zu diesem Zeitpunkt noch keine Zahlungen getätigt, es stand noch nicht einmal eine konkret bezifferte Forderung im Raum. Andererseits fehlt es an dem für die Annahme eines gemeinsamen Willen erforderlichen Anhaltspunkt im Testament vom 10.10.1994.

2. Das Nachlassgericht ist daher zur Erteilung des beantragten Erbscheins anzuweisen (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 20. Aufl., § 352e Rn. 130). Der Erlass eines gesonderten Feststellungsbeschlusses (§ 352e Abs. 1 Satz 2 FamFG) ist trotz des Widerspruchs des Beteiligten zu 2 entbehrlich, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats nicht gegeben ist (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 20. Aufl., § 352e Rn. 134).

III.

Gerichtskosten werden für das erfolgreiche Rechtsmittel nicht erhoben (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Die Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nach § 81 Abs. 1 und 2 FamFG nicht veranlasst. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) sind nicht gegeben.


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