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Sittenwidrigkeit Erbausschlagung seitens eines behinderten Menschen

LG Neuruppin – Az.: 5 T 21/17 – Beschluss vom 28.06.2017

Auf die Beschwerde der Betroffenen vom 7. November 2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Perleberg vom 24. Oktober 2016 (18 XVII 122/14) wie folgt abgeändert:

Die Ausschlagung der Erbschaft nach der am 7. April 2016 verstorbenen Sigrun XXX durch die Betroffene wird betreuungsgerichtlich genehmigt.

Der Beschluss wird erst mit der Rechtskraft wirksam.

Im übrigen wird die Beschwerde der Betreuer verworfen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Ihre außergerichtlichen Kosten haben die Beteiligten jeweils selbst zu tragen.

Gründe

I.

Für die Betroffene wurde eine Betreuung angeordnet, deren Eltern zu Betreuern bestellt und ihnen u.a. die Aufgabenkreise der Vermögenssorge und der Vertretung vor Behörden übertragen (vgl. Bl. 37 ff. d.A.).

Die Betreuer beantragten am 4. Mai 2016 die Genehmigung der Ausschlagung der Erbschaft nach Sigrun XXX durch die Betroffene (Blatt 108, 113 der Akte). Die am 7. April 2016 verstorbene Erblasserin bestimmte ihre Enkel, zu denen die Betroffene gehört, mit Testament vom 6. Februar 1995 (Blatt 121 der Akte) zu ihren Erben. Der auf die Betroffene anfallende Erbteil beträgt ca. 60.000 €. Die Betreuer führen zur Begründung ihres Antrages aus, dass die Betroffene in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe lebe und Leistungen vom Sozialamt beziehe. Die anfallenden monatlichen Kosten betragen 7.465,20 €, wobei die Übernahme eines Teils dieser Kosten durch das Sozialamt streitig sei. Unter Berücksichtigung der sparsamen Lebensführung der Betroffenen und der Kosten für die Lebenshaltung, Versicherungen, für Wochenend- und Urlaubsfahrten würde das Erbe ca. 5 – 6 Monate für die Deckung der Kosten ausreichen. Die Betroffene habe daher nichts von einem Erbe. Ihre Geschwister als Erben können dagegen mit dem Geld tun und lassen, was sie möchten. Die Betreuer befürchten zudem, dass die Erbschaft zu weiteren Komplikationen führe, die reale Möglichkeit bestehe, dass die Betroffene Leistungskürzungen zu erwarten habe und es zudem zu einer Unruhe unter den Geschwistern kommen könne. Mit den Geschwistern der Betroffenen sei besprochen worden, dass diese sich verpflichten, die Betroffene nach der Erbausschlagung am Erbe teilhaben zu lassen indem sie Annehmlichkeiten, Gegenstände für den Haushalt, Wochenendausflüge, etwaige Urlaubskosten, aber auch etwaige Krankenkosten, die nicht von der Versicherung getragen würden, finanzieren werden. Insofern habe die Betroffene einen direkten und unmittelbaren Vorteil aus der Erbausschlagung. Ergänzend wird auf das Schreiben der Betreuer Bezug genommen (Blatt 108-112 der Akte).

Das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Amt für Soziales, verwies in seiner Stellungnahme vom 26. Mai 2016 auf die Übernahme der Kosten für den Aufenthalt der Betroffenen in einer Einrichtung für behinderte Menschen durch die Allgemeinheit in Höhe von monatlich im Durchschnitt 6.500 €. Die Erteilung der Genehmigung zur Erbausschlagung sei daher sittenwidrig. Ergänzend wird auf vorgenannte Schreiben sowie das Schreiben vom 7. Juli 2016 verwiesen (Blatt 116,117, 131,132 der Akte).

Die mit Beschluss vom 13. Juni 2016 bestellte Verfahrenspflegerin (Blatt 127 ff. der Akte) sprach sich in ihren ausführlich begründeten Stellungnahmen vom 18. Juli 2016 sowie 27. September 2016 gegen die Genehmigung aus (Blatt 135 ff., 143 ff. der Akte).

Das Amtsgericht Perleberg hat mit Beschluss vom 24. Oktober 2016 die betreuungsgerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung der Erbschaft nach der Erblasserin Siegrun XXX im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin versagt (Blatt 146 ff. der Akte).

Gegen den den Betreuern am 28. Oktober und 29. Oktober 2016 sowie der Betroffenen am 2. November 2016 zugestellten Beschluss wenden sich die Betreuer wie die Betroffene mit ihrer am 7. November 2016 eingegangenen Beschwerde. Die Beschwerdeführer treten den Ausführungen der Verfahrenspflegerin sowie dem sich anschließenden Beschluss des Amtsgerichts entgegen. Sie rügen unter anderem die unterbliebene Kontaktaufnahme durch die Verfahrenspflegerin zu den Betreuern wie zu der Betroffenen. Des Weiteren führen sie unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum sog. Behindertentestament sowie der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Aktenzeichen IV ZR 7/10 aus, dass ihnen eine Gestaltungsmöglichkeit offenstehe, die es ermögliche, dass Menschen mit Behinderung staatliche Leistung zustehen und aus einem Erbe weitere Annehmlichkeiten zuflössen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Testament zu einem Zeitpunkt erstellt worden sei, als die Behinderung noch nicht diagnostiziert gewesen sei. Zudem sei die Erbmasse so gering, dass lediglich einige Monate der Bedarf der Betroffenen gedeckt werden könne. Ergänzend wird auf die Beschwerdeschrift vom 7. November 2016 verwiesen (Blatt 182 ff. der Akte).

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. März 2017 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt (Blatt 215 d.A.).

II.

1. Die Beschwerde gegen die vom Rechtspfleger getroffene Entscheidung ist gemäß §§ 58 ff. FamFG, § 11 Abs. 1 RPflG statthaft, sie ist form- und fristgerecht in der Frist von 2 Wochen gemäß § 63 Abs. 2 Ziff. 2 FamFG eingelegt (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl., § 63 Rn. 14c).

Bei einer Erteilung einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 1908i Abs. 1 BGB, 1822 Ziff. 2 BGB handelt es sich um eine Betreuungssache im Sinne von § 271 Ziff. 3 FamFG. Dazu gehört auch die Genehmigung zur Ausschlagung einer Erbschaft durch die Betroffene (vgl. Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Aufl., BGB § 1828 Rn. 2).

1.1 Die Beschwerde steht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Betreuer, die ausdrücklich im eigenen Namen Beschwerde eingelegt haben, sind nicht in ihren Rechten im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt (OLG Stuttgart, 8 W 494/99- juris; a.A. vgl. Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Aufl., § 1828 Rn. 24). Insoweit ist die -eigene- Beschwerde der Betreuer unzulässig.

1.2 Soweit die Beschwerde für die Betroffene, die sich gegen durch die Nichtgenehmigung der Erbausschlagung wendet, eingelegt wurde, ist die Beschwerde zulässig, da die Betroffene in ihren Rechten beeinträchtigt ist (a.a.O.).

2. Diese Beschwerde ist begründet.

2.1 Die Betreuer bedürfen für die Ausschlagung der Erbschaft nach § 1945 BGB, die gegenüber dem Nachlassgericht zu erklären ist (§§ 342, 343 FamFG), gemäß § 1908 i Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1822 Ziff. 2 BGB der Genehmigung des Betreuungsgerichts (Jürgens, Betreuungsrecht, BGB § 1822 Rn. 7). Der entsprechende Aufgabenkreis der Vermögenssorge ist den Betreuern übertragen worden.

2.2 Die Genehmigung der Ausschlagung der Erbschaft ist zu erteilen. Eine Sittenwidrigkeit eines solchen Vorgehens liegt nicht vor. Diese kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass die Berechtigung zur Beziehung von Sozialleistungen durch die Ausschlagung der Erbschaft weiter aufrechterhalten wird. Die damit verbunden Fragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, ohne dass nach kritischen Stimmen in der Kommentarliteratur eine Änderung erfolgt ist.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 19. Januar 2011 (BGH, Urteil vom 19. Januar 2011 – IV ZR 7/10–, BGHZ 188, 96-109) sowie der Rechtsprechung zum sog. Behindertentestament kann ein Erblasser die Gestaltung des Vermögensübergangs im Falle seines Todes so vornehmen, dass sein behindertes Kind Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, ohne dass der Sozialhilfeträger darauf zugreifen kann bzw. eine Anrechung auf die dem Kind zu gewährenden staatlichen Leistungen erfolgt. Nach dieser gefestigten Rechtsprechung sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (BGH, Beschluss vom 01. Februar 2017 – XII ZB 299/15 –, Rn. 15, juris).

Dem entspricht, dass vom Erben grundsätzlich alle im Erbrecht vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente ausgeschöpft werden können (BGH, Urteil vom 19. Januar 2011 – IV ZR 7/10 –, BGHZ 188, 96-109- Rn. 18). Dazu gehören sowohl der Verzicht nach § 2346 BGB (a.a.O. Rn. 18) wie die Ausschlagung der Erbschaft (a.a.O. Rn. 25).

Dem Erben steht spiegelbildlich als sog. „negative Erbfreiheit“ das Recht zu, erbrechtliche Zuwendungen abzulehnen. Die Betroffene kann daher als Erbin entscheiden, ob sie die Erbschaft, die ihr nach §§ 1922, 1942 BGB unmittelbar anfällt, erhalten möchte (a.a.O. Rn 27).

Nachdem die Betroffene von einem ihr zustehenden Gestaltungsrecht durch Ausschlagung der Erbschaft insoweit Gebrauch macht, kann der Wirksamkeit dieser Erklärung nur entgegengetreten werden, wenn positiv feststellbar ist, dass gegen übergeordnete Wertungen verstoßen wird.

Ein solcher Verstoß kann nicht in der weiteren Bezugsmöglichkeit öffentliche Leistungen gesehen werden, weil die Bedürftigkeit der Betroffenen durch die Ausschlagung der Erbschaft befristet aufrechterhalten wird. Der Bundesgerichtshof lehnt eine damit verbundene Einschränkung der Privatautonomie unter Berücksichtigung des Nachrangrundsatzes in der Sozialhilfe wie unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips grundsätzlich ab (a.a.O. Rn. 23; Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 1945 Rn. 3 ). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung an. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der sozialrechtliche Nachranggrundsatz zwar nicht zur Sittenwidrigkeit der Ausschlagung der Erbschaft führen kann, der Verzicht auf eine Erwerbsquelle aber sozialrechtlich sanktioniert werden kann (a.a.O. Rn. 31).

3. Von einer Anhörung der Betroffenen gem. § 299 FamFG hat das Gericht unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 3. April 2017 (Bl. 221 ff. der Akte) nach § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen. Die Ausführungen sowie der Entwicklungsbericht vom 19. September 2016 (Bl 228 ff. der Akte) lassen erkennen, dass für die Betroffene erhebliche gesundheitlichen Nachteile drohen können. Jedenfalls überwiegen der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Schädigung bzw. das mögliche Ausmaß eines gesundheitlichen Schadens das Interesse, welches durch die persönliche Anhörung der Betroffenen geschützt werden soll. Die Anhörung wäre eine für die Betroffene unbekannte Situation in einer fremden Umgebung, die Auslöser von Angst und Anspannung ist, die wiederum zu verschiedenen Formen von Fremd-, Auto- und Sachaggression führen (Bl. 224 der Akte). Weder die Sachaufklärung noch die Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern das Eingehen einer solchen Gefahr für die Betroffene.

4. Die Erhebung von Gerichtskosten ist nicht angezeigt, die Kostentragung im Übrigen ergibt sich nach billigem Ermessen, § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG. § 81 FamFG hat den Grundsatz nicht geändert, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder Beteiligte im Regelfall seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (Nickel in Beck’scher Online-Kommentar, FamFG, 21. Edition, § 81 Rn. 11 mwN).

5. Die Entscheidung zur Wirksamkeit des Beschlusses beruht auf § 40 Abs. 2 FamFG.

 

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