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Sittenwidrigkeit eines notariellen Ehevertrags – Anfechtung nach Tod des Ehegatten

OLG Oldenburg, Az.: 3 W 21/17

Beschluss vom 10.05.2017

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Rechtspflegers des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Osnabrück vom 16.01.2017 abgeändert.

Die Tatsachen, die zur Erteilung des von der Antragstellerin am 12.08.2016 beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.

Das Amtsgericht wird ersucht, der Antragstellerin einen Erbschein zu erteilen, der die Antragstellerin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2. bis 4. zu je 1/6 als Erben des Dr. H. X. ausweist.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

3. Der Wert der Sache in der Beschwerdeinstanz wird auf bis zu 110.000 € festgesetzt.

Gründe

Sittenwidrigkeit eines notariellen Ehevertrags – Anfechtung nach Tod des Ehegatten
Foto: Yastremska / Bigstock

Die nach §§ 58, 63 FamFG zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

I.

Die Antragstellerin beantragt die Erteilung eines Erbscheins, der sie zu 1/2 und die Beteiligten zu 2. bis 4. zu je 1/6 als Erben des am 02.08.2016 verstorbenen Dr. H. X. ausweist.

Der am 11.04.1950 geborene Erblasser war als …arzt mit eigener Praxis berufstätig.

Die am 12.08.1970 geborene Antragstellerin war zunächst Auszubildende in der …arztpraxis des Erblassers. Als die Antragstellerin ein Kind von dem Erblasser erwartete, planten die zukünftigen Eltern, zu heiraten.

Sie ließen am 31.08.1993 einen Ehevertrag beurkunden, der für die Ehe den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft sowie den Versorgungsausgleich ausschloss.

Zum nachehelichen Unterhalt bestimmten sie, dass die Antragstellerin

„Ehegattenunterhalt nach der dann geltenden Rechtsprechung bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres unseres jüngsten Kindes“

erhalten und im Übrigen auf Unterhalt verzichten sollte.

Aus der am 29.09.1993 geschlossenen Ehe sind die Kinder J. X. geb., L. X. und Le. X., hervorgegangen.

Der Erblasser ist am 02.08.2016 verstorben.

Am 12.08.2016 hat die Antragstellerin beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, wonach sie den Erblasser zu 1/2 und die übrigen Beteiligten diesen zu je 1/6 beerbt hätten. Dazu hat sie erklärt, dass für die Ehe der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft bestanden habe.

Das Amtsgericht hat für die noch minderjährigen Beteiligten eine Ergänzungspflegerin bestellt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Antragstellerin eine Erhöhung ihres Erbteils zum Ausgleich des Zugewinns nicht beanspruchen könne, weil zwischen den Ehegatten Gütertrennung bestanden habe.

Die Antragstellerin meint, dass der Ehevertrag wegen einseitiger Benachteiligung der Antragstellerin unter Ausnutzung ihrer Unterlegenheit und ihrer Zwangslage sittenwidrig sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin abgewiesen. Sie könne nicht die Hälfte des Nachlasses für sich in Anspruch nehmen.

Ein Ausgleich des Zugewinns im Todesfall gemäß § 1371 Abs. 1 BGB sei durch den Ehevertrag ausgeschlossen; der Vertrag sei gültig, weil seine Sittenwidrigkeit nicht festgestellt werden könne.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und als „Einspruch“ bezeichneten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Ziel weiter.

II.

Die Antragstellerin hat ihren verstorbenen Ehemann zu 1/2 beerbt.

Das ergibt sich aus der Summe ihres Erbteils nach § 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB und dem Ausgleich des Zugewinns nach § 1371 Abs. 1 BGB im Todesfall.

Die Antragstellerin beruft sich zu Recht darauf, dass die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben. Zwar hatten sie im Vertrag vom 31.08.1993 den Güterstand der Zugewinngemeinschaft ausgeschlossen und vereinbart, dass für ihre Ehe Gütertrennung gelten sollte.

Der Vertrag ist jedoch gemäß § 138 Abs. 1 BGB insgesamt nichtig und entfaltet deshalb keinerlei Wirkung.

Das ergibt sich aus der Wirksamkeitskontrolle nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH (zuletzt XII ZB 109/16 vom 15.03.2017 zur sogenannten „Unternehmerehe“).

Die Gesamtschau aller Elemente des Ehevertrages ergibt eine objektiv unangemessene Benachteiligung der Ehefrau. Die darin getroffenen Vereinbarungen sind, gemessen an den gesetzlichen Scheidungsfolgeansprüchen, für die Antragstellerin durchweg nachteilig.

Zwar sollte ihr der Anspruch auf Unterhalt wegen Kindesbetreuung „nach Maßgabe der dann geltenden Rechtsprechung bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des jüngsten Kindes“ erhalten bleiben. Im Falle einer Ehescheidung hätte sie also nach den tatsächlich gegebenen Umständen noch Unterhalt erhalten, bis das jüngste Kind am 01.07.2010 das 8. Lebensjahr vollendet hätte. Das hätte allerdings auch bedeutet, dass sie danach trotz Betreuung der dann 8 und 10 Jahre alten beiden jüngeren Kinder keinerlei Unterhalt mehr bekommen hätte. Der Vertrag schließt darüber hinaus Unterhaltsansprüche wegen Alters und Krankheit aus, die ebenfalls zum Kernbereich der Scheidungsfolgen gehören. Er schließt auch jeglichen Unterhalt zum Ausgleich ehebedingter Nachteile oder zu einer Teilhabe an dem in der Ehe entwickelten Lebensstandard aus.

Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs mag für sich genommen nicht sittenwidrig gewesen sein, jedenfalls dann, wenn die Ehegatten in der Vorausschau annahmen, dass nur die Ehefrau – als Angestellte im Betrieb des Ehemannes – Anrechte erwerben würde, die dem Versorgungsausgleich unterfallen.

Der Ausschluss des Zugewinnausgleichs führt für sich betrachtet nicht zur Sittenwidrigkeit des Ehevertrages. Sie ergibt sich auch nicht zwangsläufig dann, wenn schon bei Vertragsschluss absehbar war, dass der die Ehefrau ganz oder teilweise nicht erwerbstätig sein und deshalb vorhersehbar eine nicht kompensierte Lücke in ihrer Altersversorgung entstehen werde; denn es kann ein legitimes Interesse des erwerbstätigen Ehegatten anzuerkennen sein, das Vermögen seines selbständigen Erwerbsbetriebes durch die Vereinbarung der Gütertrennung einem möglicherweise existenzbedrohenden Zugriff seines Ehegatten im Scheidungsfall zu entziehen und damit nicht nur für sich, sondern auch für die Familie die Lebensgrundlage zu erhalten.

Gleichwohl ergeben die in dem Vertrag enthaltenen Regeln in ihrer Summe eine einseitige Benachteiligung der Ehefrau.

Mit der Vollendung des 8. Lebensjahres des jüngsten Kindes hätte sie jede Teilhabe an dem eheprägenden Einkommen des Ehemannes verloren.

Für den Fall der Betreuung ehelicher Kinder war auch vorherzusehen, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sein würde, für eine eigene ausreichende Altersvorsorge zu sorgen, ohne dass das durch Kindererziehungszeiten hinreichend kompensiert werden konnte.

Mit dem Vertrag wurde der Antragstellerin jegliche Teilhabe am in der Ehe erworbenen Vermögen, auch solchem, das der Altersvorsorge gedient hätte, genommen.

Aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen kann dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden, wenn sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität wiederspiegelt. Dieser Schluss ist erlaubt, wenn außerhalb der Vertragsurkunde verstärkende Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität hindeuten, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit (BGH a. a. O. Textziffer 39 m. w. N.).

Aus den Begleitumständen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kann hier geschlossen werden, dass sich die Antragstellerin beim Abschluss des Vertrages in einer dem künftigen Ehemann deutlich unterlegenen Verhandlungsposition befunden hat.

So liegt es nahe, dass sie den Vertrag auch deshalb geschlossen hat, weil das Kind dann innerhalb der Ehe mit dem Antragsgegner geboren werden konnte. Sie war dem künftigen Ehegatten aufgrund des Altersunterschiedes in Lebenserfahrung und aufgrund der unterschiedlichen Bildung unterlegen. Es kommt hinzu, dass sie als Auszubildende auch ihrem Arbeitgeber gegenüberstand.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 22 Abs. 1 GNotKG; 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

Der Wert der Sache in der Beschwerdeinstanz ist gemäß § 61 Abs. 1 FamFG mit einem Viertel des Nachlasswertes festgesetzt worden. Unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin mitgeteilten Nachlassverbindlichkeiten schätzt der Senat den Nachlasswert auf 400.000 €.

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