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Testament – Amtsermittlungspflicht Nachlassgericht

OLG München – Az.: 31 Wx 49/17 – Beschluss vom 13.08.2018

1. Der Beschluss des Amtsgerichts München – Nachlassgericht – vom 21.12.2016 und das zugrunde liegende Verfahren werden aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und zur hierfür gegebenenfalls vorab erforderlichen Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren an das Nachlassgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 21.12.2016 und zur Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht gemäß § 69 Abs. 1, S. 3 FamFG.

Die Beschwerde ist dem Senat zur Entscheidung angefallen. In dem aus dem Beschlussausspruch ersichtlichen Umfang hat es auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg.

Die vom Nachlassgericht zur Erteilung des von der Beteiligten zu 1 am 1.9.2016 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen stehen entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts derzeit nicht abschließend fest.

1. Maßgebend für die Beurteilung der von den Ehegatten getroffenen Anordnung ist der Wille der beiden Ehegatten allein im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, also zum 15.6.1992.

a) Die Ehegatten haben mit der Formulierung („Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein“) den Fall des Erstversterbens des jeweiligen Ehegatten regelt.

b) Daneben haben sie mit der Formulierung („Der überlebende Ehegatte bestimmt den „Nacherben“ (richtig wohl: Schlusserben“) gerade keine Anordnung für den Fall des Todes des überlebenden Ehegatten getroffen, sondern die Regelung der Erbfolge nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten bewusst offen gelassen.

Damit bleibt der Fall des Ablebens des überlebenden Ehegatten ungeregelt, sodass grundsätzlich bei einem Ableben des überlebenden Ehegatten im Falle, dass dieser keine weitere letztwillige Verfügung errichtet, gesetzliche Erbfolge nach dem überlebenden Ehegatten eintritt. Diese von den Ehegatten getroffene Anordnung hat somit im Falle der Nichterrichtung eines Testaments durch den Überlebenden zur Folge, dass die „Schlusserbfolge“ davon abhängt, welcher der Ehegatten den anderen überlebt. Ob diese Folge von den Ehegatten gewünscht ist oder nicht, ist unmaßgeblich, sondern Folge der von ihnen getroffenen letztwilligen Verfügungen. Auch ist unmaßgeblich, dass der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge (infolge Unterlassen einer Testierung durch den überlebenden Ehegatten) etwaig nicht dem grundsätzlichen Willen der Ehegatten entspricht, sondern Konsequenz der Nichttestierung (vgl. OLG München FamRZ 2010, 1941).

2. Da also die Ehegatten den Fall des Nacheinanderversterbens bewusst nicht geregelt haben, ist Kernfrage, welchen Fall die Ehegatten mit der Formulierung („Bei einem gemeinsamen Tode, z.B. Unfall) mit ihrer Anordnung geregelt wissen wollten, mit der sie die Beteiligte zu 1 zu ihrer Alleinerbin eingesetzt haben.

a) Bei der Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGH ZEV 1997, 376; FamRZ 2012, 26; Leipold in: MüKo/BGB, 7. Auflage <2017> § 2084 Rn. 1). Im Hinblick auf die von den Ehegatten getroffenen Erbeinsetzung zugunsten der Beteiligten zu 1 ist jedoch der gemeinsame Wille der Ehegatten maßgebend, also welche Vorstellung die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung mit der von ihnen gewählten Formulierung hatten.

b) Im Hinblick darauf, dass sie den Fall des Nacheinanderversterbens bewusst nicht geregelt haben (s.o.), steht vorliegend gerade nicht die Problematik im Vordergrund, ob die von den Ehegatten gewählte Formulierung auch die Fallgestaltung umfasst, in denen Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander versterben (vgl. dazu näher NK-Erbrecht/Gierl 4. Auflage <2014 >§ 2269 Rn. 57). Insofern ist auch die Länge des Zeitraums zwischen den Ableben der beiden Ehegatten grundsätzlich unmaßgeblich.

Entscheidungserheblich ist vielmehr, welche Fallkonstellationen die Ehegatten – außer einem Nacheinanderversterben – mit der von ihnen gewählten Formulierung geregelt wissen wollten.

aa) Der Wortlaut der Urkunde spricht eher dafür, dass die Eheleute den Fall des zeitgleichen Versterbens gemeint haben. Sie haben nämlich die auslegungsbedürftige Formulierung „gemeinsam” nicht ergänzt durch die Formulierung „Nach (einem gemeinsamen Tod)” oder – noch deutlicher – formuliert „nach unserem (gemeinsamen) Tod”, sondern mit den Worten „bei einem”, die für einen einzigen zum Tode beider Eheleute führenden Lebenssachverhalt sprechen, eine auf einen zeitgleichen Tod hindeutende Wortwahl getroffen (vgl. hierzu auch OLG Schleswig NJW-RR 2004, 368). Ein Indiz für einen solchen Willen der Ehegatten kann auch die Nennung des Beispielfalls „Unfall“ sein, dem ein gemeinsamer Lebenssachverhalt zugrunde liegt.

Hintergrund einer Regelung von Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, ist, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen – auch von Todes wegen – frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann für den Fall, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen – und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten – kommt, wie auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es auf Grund ein und derselben Ursache, zB eines Unfalls, sei es auf Grund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten. In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob – wenn keine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen wurde – den gesetzlichen Erben des Ehemanns oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung jedenfalls für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist (vgl. dazu OLG München NJW-RR 2014, 71).

bb) Die Benennung eines Beispielfalles (hier: „Unfall“) legt aber auch den Schluss nahe, dass die Ehegatten nicht nur (abschließend) den Fall ihres „gleichzeitigen Todes“ geregelt wissen wollten, sondern auch ein zeitliches Nacheinanderversterben unter der Prämisse, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Vorversterbenden nicht mehr in der Lage ist, eine (weitere) letztwillige Verfügung von Todes zu errichten. Insoweit wäre der Ansatz des Nachlassgerichts in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich nicht zu beanstanden.

An die Feststellung, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des erstversterbenden nicht mehr in der Lage war, selbst zu testieren, sind aber strenge Anforderungen zu stellen. Denn insoweit muss sichergestellt, dass die von den Ehegatten gerade bewusst unterlassene Testierung für den Fall eines Nacheinanderversterbens nicht durch eine Ausdehnung der Voraussetzungen für die von ihnen als Ausnahmefall geregelten Testierung zugunsten der Beteiligten zu 1 konterkariert wird.

3. Die Feststellungslast, dass trotz Versterbens der Ehegatten im zeitlichen Abstand nacheinander, die Voraussetzungen für die nach der Vorstellung der Ehegatten geregelten Fall des „gemeinsamen Todes“ erfüllt sind, trägt derjenige, der sein Erbrecht darauf stützt. Dies ist vorliegend die Beteiligte zu 1.

4. Ob die Verhinderung des überlebenden Ehegatten betreffend eine eigene Testierung im Nachgang zu dem Ableben des vorverstorbenen tatsächlich vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell beantwortet werden. Die vom Nachlassgericht angeführten Kriterien („Länge des Zeitraums, der zwischen den Todeszeitpunkten liegt, Trauerphase, organisatorischer Aufwand, Länge der Ehe, gesundheitliche Situation und das Alter des überlebenden Ehegatten“) können grundsätzlich taugliche Anknüpfungspunkte für die Würdigung einer Verhinderung des überlebenden Ehegatten an einer neuen Testierung sein.

Jedoch ist es nicht ausreichend, für die Bejahung einer Verhinderung des überlebenden Ehegatten an einer Testierung auf diese Kriterien in abstrakt-genereller Weise abzustellen. Vielmehr bedarf es der Feststellung ihrer konkreten Ausprägung im jeweiligen Einzelfall. So kommt zB allein dem Alter (91 Jahre) der Erblasserin bei Tod ihres Ehemannes ohne Feststellung deren Auswirkung auf ihre geistig-körperliche Verfassung keine Aussagekraft für eine Verhinderung zu. Gleiches gilt für die pauschale Würdigung der Trauerphase, ohne dass Ermittlungen durchgeführt wurden, wie der überlebende Ehegatte im konkreten Fall den Tod des Ehepartners verarbeitet hat.

Insofern bedarf es der konkreten Feststellung der Lebenssituation des überlebenden Ehegatten im Zeitraum zwischen Tod des vorversterbenden Ehegatten und seines eigenen. Erst dann kann eine Gesamtwürdigung der geistig-körperlichen Verfassung der Erblasserin erfolgen.

Aus der Akte ergibt sich bisher allein, dass nach der Behauptung von Frau XXX und Herrn XXX in ihrem Schreiben vom 18.4.2018 die Erblasserin ab 2012 nicht mehr unterschreiben konnte, blind gewesen sei und unter Betreuung stand.

Dies stellt aber auch unter Berücksichtigung des Alters der Erblasserin (91 Jahre) noch keine tragfähige Grundlage für den zweifelsfreien Schluss auf eine Verhinderung der Erblasserin für eine neue Testierung dar, sei es dass sie, in rechtlicher Hinsicht nicht mehr in Lage war, ein formwirksames Testament zu errichten (zB aufgrund Testierunfähigkeit im Sinne des § 2229 BGB), sei es, dass sie aus psychischen Gründen aufgrund des Ablebens ihres Ehegatten (Trauerschmerz) nicht mehr in der Lage war, ein weiteres Testament zu errichten.

5. Demgemäß bedarf es der Feststellung weiterer Umstände betreffend die konkrete persönliche Situation der Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes. Insofern wäre die Beiziehung der Betreuungsakte und die Ermittlung von Kontaktpersonen der Erblasserin, die aussagekräftige Feststellungen betreffend die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes machen konnten, für die erforderliche Gesamtwürdigung der konkreten Situation der Erblasserin geboten gewesen. Zur Abklärung, ob die Erblasserin aufgrund des Todes ihres Ehemannes und aufgrund ihrer körperlich-geistigen Verfassung im zeitlichen Nachgang dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre, zu testieren, wäre zudem die begleitende Einholung eines Gutachtens durch einen psychiatrischen Sachverständigen mit der Zusatzweiterbildung „Geriatrie“ erforderlich gewesen.

6. Solche Feststellungen, die für den konkreten Einzelfall eine tragfähige Grundlage darstellen, sind durch das Nachlassgericht bisher noch nicht abschließend erfolgt. Insofern liegen Aufklärungsdefizite vor.

II.

Die bisher unterlassenen Ermittlungsmaßnahmen sind nach Wiedereröffnung des ersten Rechtszuges nachzuholen. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 2 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, soweit dessen Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwendige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. So liegt es hier.

a) Die Beteiligte zu 1 hat mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 27.7.2018 nach Hinweis des Senats vom 3.7.2018 ausdrücklich die Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht München – Nachlassgericht – beantragt. Dass die Beteiligte zu 7 als Beschwerdeführerin hingegen die Entscheidung des Senats wünscht und ausdrücklich keinen Verweisungsantrag an das Nachlassgericht stellt, steht einer Zurückverweisung nicht entgegen. Denn den notwendigen Antrag iSd § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG kann jeder Verfahrensbeteiligter, nicht nur der Beschwerdeführer stellen. Eine Antrags- bzw. Beschwerdebefugnis ist insoweit nicht erforderlich (Keidel/Sternal FamFG 19. Auflage <2017> § 69 Rn. 15d).

b) Das Nachlassgericht hat, wie zuvor dargestellt, seiner verfahrensrechtlichen Amtsermittlungspflicht in wesentlichen Punkten nicht genügt und damit auf unzureichender Tatsachengrundlage entschieden. Zur Herstellung einer tragfähigen Entscheidungsbasis sind – wie gezeigt – umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen unter Beteiligung eines Sachverständigen erforderlich.

c) Ob eine Zurückverweisung vorgenommen wird, steht im Ermessen des Beschwerdegerichts, wobei eine Abwägung zwischen dem Verlust einer Tatsacheninstanz einerseits und den Nachteilen des Zeit- und Kostenaufwandes andererseits vorgenommen werden muss (Keidel/Sternal, a.a.O. § 69 Rn. 13). Angesichts dessen, dass es an der Ermittlung der maßgeblichen Anknüpfungstatsachen für die Frage der Verhinderung der Erblasserin an einer (eigenen) Testierung im Nachgang zum Ableben des vorverstorbenen Ehemannes fehlt, hätte der Verlust einer zweiten Tatsacheninstanz aber erhebliches Gewicht. Insofern hält es der Senat für geboten, das Verfahren an das Nachlassgericht zurückzugeben.

II.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierfür gegebenenfalls vorab erforderliche Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren (vgl. dazu OLG München ZEV 2017, 634) wird dem Nachlassgericht übertragen.

III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

 

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