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Testament – Nichtigkeit einer Auflage

LG Bochum – Az.: I-8 O 486/20 – Urteil vom 29.04.2021

Es wird festgestellt, dass die den Klägerinnen und Erbinnen erteilte Auflage:

„Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M auf Dauer untersagt wird, die Grundstücke H-str. …, … C1 (Flurstücke 69, 70 und 71) zu betreten.“

in dem notariellen Einzeltestament, der am 10.12.2019 in Bochum verstorbenen F, geborene C, datierend vom 01.06.2017 zur Urkundenrollennummer …/2017 des Notars A aus C1, nichtig ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt es nachgelassen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerinnen Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Klägerinnen sind die Tochter und die Enkelin und zugleich die Erbinnen der am 10.12.2019 verstorbenen F. Mit notariellem Testament vom 01.06.2017 setzte die Erblasserin die Klägerinnen zu je ½ als Erbinnen ein. Zur Erbmasse gehören die Grundstücke in der H-str. 8, … C1 (Flurstücke 69, 70 und 71).

Bis zu ihrem Tod bewohnte die Erblasserin die Erdgeschosswohnung der auf den Grundstücken befindlichen Immobilie, die Klägerin zu 1) bewohnte die Wohnung im ersten Obergeschoss. Die Klägerin zu 2) wohnt seit 2016 nicht mehr in der Immobilie.

Im dem notariellen Testament vom 01.06.2017 formulierte die Erblasserin unter Ziffer III. folgende Auflage:

„Die Erben haben dafür zu Sorgen, dass es Herrn M auf Dauer untersagt wird, die Grundstücke H-str. 8, … C1 (Flurstücke 69, 70. und 71) zu betreten.“

Die Klägerinnen greifen ausdrücklich nur die Auflage hinsichtlich des Betretungsverbotes an.

Weiter heißt es:

„Das Betretungsverbot ist Herrn M von den Erben unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“

Zugleich wurde den Erbinnen für 5 Jahre untersagt, die Grundstücke auch anderweitig zu veräußern oder mit Hypotheken und Grundschulden zu belasten.

Zur Durchsetzung der Auflagen ordnete die Erblasserin die Testamentsvollstreckung durch den Beklagten für 6 Jahre an.

Sollten die Erbinnen gegen diese Auflagen verstoßen, hat der Beklagte als Testamentsvollstrecker die Grundstücke zu veräußern und den Verkaufserlös zu je ¼ an die Klägerinnen auszukehren und im Übrigen zu je ¼ an die im Testament benannten gemeinnützigen Einrichtungen zu zahlen. Bei diesen handelt es sich um den Palliativnetz C1 e.V, C2-str. ##, … C1 sowie um die D-Hospiz-Trägergesellschaft gGmbH, I-str. 15, … C1.

Bei Herrn M handelt es sich um den langjährigen Lebensgefährten der Klägerin zu 1) und den „Ziehvater“ der Klägerin zu 2). Die Klägerin zu 1) lebt mit diesem seit annähernd 10 Jahren in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, ist aber weiterhin mit dem Vater ihrer Tochter, der Klägerin zu 2), verheiratet. Einen dauerhaften gemeinsamen Hausstand haben die Klägerin zu 1) und Herr M bisher nicht begründet.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Auflage sei sittenwidrig. Sie behaupten, Herr M habe an ihrem Familienleben und dem der Erblasserin teilgenommen, im Hause übernachtet, mit ihnen und der Erblasserin Speisen eingenommen sowie Reparaturen am Haus erledigt. Es habe ein inniges und harmonisches familienähnliches Verhältnis bestanden. Vor diesem Hintergrund sei die Auflage völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar. Die Ausübung des bisherigen Familienlebens sei durch die Auflage vollständig unmöglich. Dass man bisher abwechselnd entweder in der Wohnung der Klägerin zu 1) oder der des Herrn M gelebt habe und nicht gemeinsam die Wohnung der Klägerin zu 1) bezogen habe, läge daran, dass man die Erblasserin nicht habe alleine lassen wollen. Diese habe aber unter einem notorischen Kontrollzwang gelitten und neben dem Wohnbereich der Klägerin zu 1) auch deren persönliche Unterlagen durchsucht. Dieses Verhalten habe man Herrn M nicht zumuten können und wollen.

Es handele sich bei der Auflage um einen bösartigen Versuch, insbesondere die Klägerin zu 1) in ihrer privaten Gestaltungsmöglichkeit zu beeinträchtigen. Die Erblasserin habe die Beziehung zu Herrn M nicht gut geheißen. Von einer „außerehelichen“ Beziehung zu sprechen, entbehre aber jeder Grundlage. Der Klägerin zu 1) sei es aufgrund der Auflage unmöglich, mit Herrn M in der Immobilie, deren Miteigentümerin sie nun ist, zusammen zu leben.

Sofern die Erblasserin gegenüber dem Beklagten über Äußerungen des Herrn M berichtet habe, werde dies mit Nichtwissen bestritten. Die Erblasserin habe zudem über ein schlechtes Hörvermögen verfügt, sodass sie das von dem Beklagten vorgetragene Gespräch nicht hätte wahrnehmen können.

Die Klägerinnen beantragen, festzustellen, dass die den Antragstellerinnen und Erbinnen erteilte (nachfolgend wiedergegebene) Auflage, in dem notariellen Einzeltestament, der am 10.12.2019 in C1 verstorbenen F, geborene C, datierend vom 01.06.2017 zur Urkundenrollennummer …/2017 des Notars A aus C1,

„Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M auf Dauer untersagt wird, die Grundstücke H-str. 8, … C1 (Flurstücke 69, 70 und 71) zu betreten.“

nichtig ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Erblasserin habe ihm geschildert, die Klägerin zu 1) habe mit Herrn M eine außereheliche Beziehung aufgenommen, die diese nicht gutgeheißen habe. Herr M habe einen schlechten Einfluss auf die Klägerin zu 1) und die Erblasserin habe befürchtet, dass Herr M versuchen würde, sich die Immobilie nach ihrem Tod anzueignen. Auf Nachfrage, warum die Erblasserin dies befürchte, habe diese geschildert, im Frühjahr 2017 ein Gespräch zwischen Herrn M und dessen Bekannten durch das offene Fenster ihrer Erdgeschosswohnung mitgehört zu haben. Herr M habe sinngemäß geäußert: „Wenn die Alte erstmal tot ist, wird das hier sowieso alles meins“. Daraufhin habe die Erblasserin das notarielle Testament errichtet. Das Betretungsverbot solle auch verhindern, dass Herr M als Fliesenlegermeister den Klägerinnen anbiete, handwerkliche Arbeiten beim Umbau vorzunehmen und diese so in ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu Herrn M geraten könnten. Das Grundstück sei schon lange im Besitz der Familie und man habe es während der schwierigen Zeiten des Krieges und danach nur mit äußerster Anstrengung halten können.

Zur Ergänzung des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Feststellungsklage ist zulässig.

Die Klägerinnen können ein rechtliches sowie wirtschaftliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Nichtigkeit geltend machen. Die Einhaltung der Auflage soll ab dem Zeitpunkt des Erbfalles für 6 Jahre durch den Beklagten überprüft werden, sodass im Zeitpunkt der Entscheidung die Überprüfung durch den Beklagten noch ca. weitere 4,5 Jahre andauert. Auch nach diesem Zeitraum entfaltet die Auflage weiterhin ihre Wirkung. Dass sie nicht mehr durch den Beklagten kontrolliert wird, verhindert nicht, dass die für die Klägerinnen nachteiligen Wirkungen nicht doch eintreten könnten.

Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Die Auflage ist nichtig.

Nach §§ 1940, 2192, 2171, 138 (analog) BGB ist eine Auflage nichtig, die gegen die guten Sitten verstößt.

Dies kann in Fällen angenommen werden, in denen der Erblasser durch seine Verfügung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände einen nicht zu billigenden Druck auf die Entschließungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten ausübt (vgl. Palandt, 78. Aufl. 2019, § 138 Rn. 49). Bei der Beurteilung sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist dabei sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ersinnen. Sofern diese nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des Beschwerten nicht tangieren, sind die Auflagen wirksam (BeckOGK/Tegelkamp, 1.3.2021, BGB § 1940 Rn. 20). Dem Erblasser muss es im Wege der nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung oder Auflage nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann.

Ein solcher schwerwiegender Ausnahmefall ist hier anzunehmen. Dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerinnen zur Folge war die Beziehung der Klägerin zu 1) zu Herrn M für die Erblasserin nach deren Auffassung von Sitte und Anstand nicht hinnehmbar, auch deshalb, weil es sich um eine außereheliche Beziehung handelte. Aus diesem Grund habe die Klägerin zu 1) die überwiegende Zeit nicht in ihrer eigenen Wohnung, sondern in der ihres Lebensgefährten verbracht. Das testamentarisch verfügte Betretungsverbot für Herrn M schränkt die Klägerinnen und insbesondere die Klägerin zu 1) in einem nicht zu billigenden Maße in ihrer privaten und höchstpersönlichen Lebensführung ein. Zwar ist den Klägerinnen selbst nicht verwehrt, die geerbte Immobilie zu betreten oder zu bewohnen, das Betretungsverbot wirkt aber im Ergebnis auch auf die Klägerinnen ein, wenn diese zu jeder Zeit dafür Sorge zu tragen hätten, dass eine Person, mit der sie den Kernbereich ihrer Lebensführung zu gestalten wünschen, ihr Eigentum nicht betreten darf.

Die Auflage verfolgt auch nicht den legitimen Zweck, den Grundbesitz der Familie für eben diese erhalten zu wollen und vor dem Zugriff Dritter, insbesondere vor dem Zugriff durch Herrn M zu schützen. Es ist schon fraglich, inwieweit dieses Ziel mit einem Betretungsverbot sinnvoll erreicht werden kann. Vielmehr hat die Erblasserin dieses redliche Ziel mit den weiteren testamentarischen Auflagen erreicht, wonach den Klägerinnen eine Veräußerung, Schenkung oder Übertragung auf sonstigem Wege an Herrn M sowie dessen Abkömmlingen auf Dauer untersagt ist. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Auflage droht ebenfalls die Veräußerung der Grundstücke durch den Testamentsvollstrecker. Soweit die Erblasserin Herrn M wegen der vermeintlich getätigten Äußerung mit dem Betretungsverbot sanktionieren wollte, hat sie diesen Zweck mit der Auflage insoweit verfehlt, als dass die Auflage lediglich ihre Erbinnen in deren privater Lebensführung spürbar einschränkt. Das Betretungsverbot sieht auch keine Ausnahmen für außerordentliche Umstände vor. So müssten die Klägerinnen beispielsweise in Notfallsituationen, die das Betreten der Grundstücke erfordern würden, auf die Hilfe der ihnen am nächsten stehenden Person verzichten, um nicht den Verlust der Grundstücke zu riskieren.

Die streitgegenständliche Auflage verfolgt daher im Ergebnis lediglich das Ziel, die Beziehung der Klägerin zu 1) zu Herrn M zu erschweren, wenn nicht gar zu unterbinden, indem den Klägerinnen verwehrt wird, diesem Zutritt auf ihre Grundstücke zu gewähren. Die Erblasserin hat daher lediglich versucht, durch die Androhung des Verlustes von zunächst gewährten Vorteilen in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten der Klägerinnen zu erzwingen, namentlich die nach ihrer Auffassung nicht standesgemäße Beziehung der Klägerin zu 1) und Herrn M unterbinden.

Eine derartige Einflussnahme der Erblasserin auf die Entschließungsfreiheit ihrer Erbinnen ist von der Rechtsordnung auch unter Berücksichtigung der Testierfreiheit der Erblasserin nicht hinzunehmen und damit als sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen.

Die Auflage ist auch nicht deshalb wirksam, weil deren Einhaltung faktisch nur für einen Zeitraum von 6 Jahren durch den Beklagten kontrolliert wird. Das Gesetz nennt in § 2194 S. 1 BGB Personen, die die Auflagenerfüllung verlangen können. Dazu gehören neben dem Testamentsvollstrecker auch Miterben und die Auflagenbegünstigten, welche im Rahmen der Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen durch das Nachlassgericht gemäß § 348 FamFG informiert werden. Eine zeitliche Begrenzung auf die Dauer der Testamentsvollstreckung sieht das Gesetz dabei nicht vor.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 5.950,00 EUR festgesetzt.

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