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Testament – Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung eines Pflegekindes

KG Berlin, Az.: 6 W 30/15, Beschluss vom 25.08.2015

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg als Nachlassgericht vom 28. November 2014 wird zurückgewiesen bei einem Beschwerdewert von 25.000,- EUR.

Der Beteiligte zu 1) trägt die Gerichtskosten; im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Dem Beteiligten zu 1) wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist zulässig, in der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

I.

Zum Sachverhalt kann zunächst auf die Darstellung im angefochtenen Beschluss verwiesen werden. Die Erblasserin hat am 15. Juli 2006 ein eigenhändiges Testament errichtet, in dem sie ihre Nichte A… W… zu ihrer Erbin einsetzte. Auf den Inhalt des Testamentes wird verwiesen (AG Charlottenburg – … IV … /12 – Bl. 28 f.).

Die Mutter der Erblasserin war in erster Ehe mit einem P… G… verheiratet, mit dem sie drei Kinder hatte, darunter die Halbschwester der Erblasserin F… G… . Deren Tochter war A… W… . Die Beteiligten zu 2) und 3) sind gemäß Erbschein des Amtsgerichts Neukölln vom 10. Juli 2013 Alleinerben zu je ½ nach der am … 2012 verstorbenen A… W…, ihrer Großmutter (Bl. I/212 d. A). Der Vater der Beteiligten zu 2) und 3), J… W…, ist am … 1996 vorverstorben.

Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn des M… E…, dem Bruder der Erblasserin.

Der Beteiligte zu 1) streitet mit den Beteiligten zu 2) und 3) über die Frage, ob das Testament vom 15. Juli 2006 deswegen unwirksam ist, weil die Erblasserin durch das am 10. Januar 1986 von ihr und ihrem am 30. 10. 1997 vorverstorbenen Ehemann H… S… errichtete gemeinschaftliche Testament (BA, Bl. 4 f.) an einem Widerruf der dortigen Verfügungen gehindert war. In diesem gemeinschaftlichen Testament heißt es:

„1.)

1) Wir setzen uns gegenseitig

zu alleinerben ein, meines gesamten Vermögen.

2.) Berlin, den 10.1.1986 (Unterschrift) G… S…

2) Nach dem Tode des letztlebenden Ehegatten sollen der Neffe T… E… … der Großneffe J… B… … die Schwester A… S… … Schwägerin E… G… … als Erben ein. Auch Nichte A… W… …

Dieses Testament ist auch mein letzter Wille,

Berlin, den 10.1.86

(Unterschrift) H… S… …

und Ehefrau (Unterschrift) G… S… r …“

Die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1) sowie J… B… sowie seiner Mutter A… W… sind bereits dargestellt. A… S… war die Schwester des Ehemannes der Erblasserin. Sie ist am 24. Juli 2003 verstorben. E… G… ist am 14. März 2004 verstorben. Sie war die Ehefrau des Halbbruders P… der Erblasserin.

Der Beteiligte zu 1), geboren am 25. Oktober 1962, wuchs im Haushalt der Erblasserin und ihres Ehemannes ab dem Einschulungsalter auf und wohnte bei ihnen im Haushalt bis zum Jahr 1983. Anschließend zog er zu seiner leiblichen Mutter.

Das Nachlassgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 28. August 2014 (Bl. II/5 d. A.) über die Frage, ob der Beteiligte zu 1) am 10. Januar 1986 dem vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin „nahe stand“, d. h. ob er zu diesem zu diesem Zeitpunkt enge und persönliche innere Bindungen gehabt hat, durch Vernehmung der A… B…, der Mutter der Beteiligten zu 2) und 3) sowie Witwe des J… B…, und durch Vernehmung des Beteiligten zu 1). Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. September 2014 verwiesen (Bl. II/17 d. A.).

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 28. November 2014 festgestellt, dass die Tatsachen, die zur Begründung des Hauptantrages der Beteiligten zu 1) und 2) (Alleinerbin nach der Erblasserin ist A… W… ) erforderlich sind, vorliegen.

Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt, dass die Erblasserin neu testieren durfte, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Erbeinsetzung der Erblasserin zur Alleinerbin durch ihren Ehemann wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) sei. Dies sei nach der Beweisaufnahme nicht festzustellen.

Auch die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB greife nicht ein, denn dazu reiche der Status als langjähriges Pflegekind der Erblasserin und ihre Ehemannes nicht aus. Enge persönliche Beziehungen und innere Bindungen des Beteiligten zu 1) zum Ehemann der Erblasserin ließen sich nicht feststellen.

Mit der Beschwerde begehrt der Beteiligte zu 1) die Aufhebung dieses Beschlusses. Er wendet sich gegen die Beweiswürdigung des Nachlassgerichts. Die Beteiligten zu 2) und 3) halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist zulässig. Im Ergebnis bleibt sein Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

1) Zutreffend hat das Nachlassgericht ausgeführt, dass das Testament der Eheleute vom 10. Januar 1986 auslegungsbedürftig ist, weil sich nicht eindeutig feststellen lässt, dass die Verfügungen wechselbezüglich sein sollten. Darauf kommt es jedoch an, denn die Erblasserin hat nach dem Tode ihres Ehemannes das Erbe nicht ausgeschlagen im Sinne des § 2271 Abs. 2 BGB, so dass im Falle der Wechselbezüglichkeit die Bindungswirkung der Erblasserin an die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) eingetreten sein könnte.

2) Welche Vorstellungen der Ehemann der Erblasserin am 10. Januar 1986 bei der Abfassung des Testamentes hatte, lässt sich nicht feststellen. Es bleibt offen, ob er seine Ehefrau nur deswegen als seine Alleinerbin einsetzte, weil sie ihrerseits bereit war, auch den Beteiligten zu 1) als Schlusserben einzusetzen. Dabei ist die Aussage der Zeugin B… nicht entscheidend, denn auch wenn sich der Ehemann der Erblasserin mit dem Beteiligten zu 1) häufig gestritten haben und diesen sogar beschimpft haben sollte, schließt dies nicht aus, dass er diesen liebte, ins Herz geschlossen hatte und ihn auf jeden Fall nach seinem Tod als Erben wollte. Es ist denkbar, dass Streit gerade daraus entstand, dass der Ehemann der Erblasserin sich noch für den Beteiligten zu 1) verantwortlich fühlte und diesen zu einer Änderung seiner Lebensführung/-einstellung bewegen wollte. Die wertenden Angaben der Zeugin B… sind auch in dem Licht zu würdigen, dass sie nicht unbeteiligt ist, weil die Beteiligten zu 2) und 3) ihre Kinder sind. Andererseits sind auch die Angaben des Beteiligten zu 1) insoweit nicht zur Überzeugungsbildung von der Richtigkeit der eigenen Behauptungen geeignet, denn auch bei einem guten Verhältnis des Beteiligten zu 1) zum Ehemann der Erblasserin sind dessen Beweggründe zur Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) nicht sicher festzustellen. Es ist gerade nicht auszuschließen, dass der Ehemann der Erblasserin seine Ehefrau auch ohne Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) als Schlusserben zu seiner Alleinerbin bestimmt hätte.

3) Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB hilft dem Beteiligten zu 1) nicht weiter; denn es ist nicht festzustellen, dass ein besonderes Näheverhältnis zum Ehemann der Erblasserin bestand.

A) Es ist unstreitig, dass der Beteiligte zu 1) ausschließlich mit der Erblasserin verwandt war. Er war als Sohn ihres Bruders M… deren Neffe.

B) Für die Feststellung eines sonstigen Nahestehens im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB kommt es auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an (vgl. BGH NJW 2002, 1126 f. – zitiert nach juris: Rdnr. 17 m. w. Nachw.). Deshalb ist es nicht entscheidend, ob zu einem früheren Zeitpunkt jemals ein besonderes Näheverhältnis zwischen dem Ehemann der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1) bestand. Dieses musste vielmehr bei Testamentserrichtung fortbestehen.

C) Es bedarf keiner grundsätzlichen Klärung, ob die Aufnahme eines Pflegekindes in den gemeinsamen Haushalt der gemeinschaftlich testierenden Eheleute dafür spricht, dass enge persönliche und innere Bindungen zu beiden Pflegeelternteilen auch dann anzunehmen sind, wenn – wie auch bei leiblichen Kindern nicht unüblich – das Verhältnis nicht durchgehend spannungsfrei und ungetrübt ist. Diese Kriterien der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm FamRZ 2010, 1201 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 33; OLG Koblenz FamRZ 2007, 1917 f. – zitiert nach juris: Rdnr. 5; KG FamRZ 1993, 1251 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 11; BayObLGZ 1982, 474 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 40) sind nach den konkreten Umständen im Einzelfall zu würdigen. Der Senat zieht nicht in Zweifel, dass auch Pflegekinder, die „schwierig“ oder sogar psychisch krank sind, den Pflegeeltern nahe stehen können, auch wenn sie diesen bei der Erfüllung der Erziehungsaufgaben Probleme und Sorgen bereiten.

Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 1) bei der Abfassung des Testamentes bereits volljährig war, ausgelernt hatte und bereits seit mehreren Jahren wieder im Haushalt seiner leiblichen Mutter lebte. Ob bei dieser Sachlage noch ein besonderes Näheverhältnis des Ehemannes der Erblasserin zum Beteiligten zu 1) bestand, lässt sich nicht sicher feststellen, auch wenn ein unbelastetes persönliches Verhältnis vorgelegen haben sollte. Dagegen spricht, dass der Beteiligte zu 1) im gemeinschaftlichen Testament nicht als „Pflegekind“ oder „Sohn“ bezeichnet wird, was ein besonderes Näheverhältnis zu den Pflegeeltern ausdrücken würde. Vielmehr ist er ausschließlich als „Neffe“ bezeichnet, was dem Verwandtschaftsverhältnis zur Erblasserin entspricht. Er ist auch nicht bei der Erbquote bevorzugt worden, vielmehr ist er gleichberechtigt neben den Schwägerinnen der Erblasserin (einer Ehefrau eines Halbbruders und der Schwester ihres Ehemannes) sowie einer Nichte (Tochter einer Halbschwester) und deren Sohn als Erbe eingesetzt, wie es der Nähe der Verwandtschaftsverhältnisse zu den Eheleuten entsprach.

Er wird zwar an erster Stelle im Testament genannt, dies lässt sich jedoch auch damit erklären, dass er der nächste Verwandte der Erblasserin war.

Die Umstände sprechen eher dafür, dass der Beteiligte zu 1) ausschließlich als Neffe der Erblasserin bedacht sein sollte und dass der Ehemann der Erblasserin es seiner Ehefrau überlassen wollte, ihre Verwandten neu zu bedenken, falls er vor ihr versterben sollte. Dies entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl. OLG Hamm, a. a. O. – Rdnr. 32), die dem Umstand Rechnung trägt, dass für die Testierenden nicht sicher vorherzusehen ist, wie sich das persönliche Verhältnis des überlebenden Ehepartners zu den eigenen Verwandten in der Zukunft entwickeln wird.

Es ist nach Berücksichtigung aller Umstände nicht auszuschließen, dass der Ehemann der Erblasserin diese auch als Alleinerbin eingesetzt hätte, wenn sie den Beteiligten zu 1) nicht als Schlusserben eingesetzt hätte.

Die Feststellungslast trägt der Beteiligte zu 1), weil er sich auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testamentes vom 10. Januar 1986 beruft.

Bei der Kostenentscheidung hat der Senat von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und berücksichtigt, dass die Feststellung des Erblasserwillens hier nach den Umständen mit Schwierigkeiten behaftet war, die für beide Seiten hohe Risiken boten. Die Angriffe des Beschwerdeführers auf die Beweiswürdigung erschienen deshalb auch nicht von vornherein aussichtslos. Es ist deshalb angemessen, dass der Beschwerdeführer letztlich zwar wegen seines Unterliegens die Gerichtskosten tragen muss, dass aber die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Die Schwierigkeit der Beweiswürdigung rechtfertigt, auch wenn die Beschwerde im Ergebnis erfolglos geblieben ist, gleichwohl das Bejahen einer hinreichenden Erfolgsaussicht und damit die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.

Die Wertfestsetzung orientiert sich am fiktiven Anteil des Beschwerdeführers von einem Halb am angegebenen Nachlasswert von 50.000,- EUR (Bl. I/24 d. A.).

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