Ein Mann verfügte in handschriftlichen Notizen über sein Erbe und benannte seine Geschwister als neue Erben für Grundstücke und Konten. Doch eine entscheidende Auslassung führte dazu, dass seine Frau trotzdem Alleinerbin blieb.
Übersicht
- Das Urteil in 30 Sekunden
- Die Fakten im Blick
- Der Fall vor Gericht
- Wer stritt um das Erbe und worum ging es genau?
- Was stand in den unterschiedlichen Testamenten?
- Wie sah die Familie die Lage nach den handschriftlichen Notizen?
- Was argumentierte die Ehefrau dagegen?
- Wie urteilte das Amtsgericht in der ersten Runde?
- Warum sah das Oberlandesgericht die Sache anders?
- Was bedeutete das Urteil für die Beteiligten?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Macht ein handschriftliches Testament ein älteres notarielles Testament unwirksam?
- Wann bin ich tatsächlich Erbe und nicht nur Vermächtnisnehmer?
- Wie ändere oder widerrufe ich mein bestehendes Testament rechtssicher?
- Was passiert, wenn mein Testament nicht mein gesamtes Vermögen regelt?
- Wie vermeide ich, dass mein letzter Wille später zu einem Erbstreit führt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil 14 W 100/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Urteil in 30 Sekunden
- Das Problem: Ein Mann hatte seine Frau als Alleinerbin eingesetzt. Spätere handschriftliche Notizen verteilten Vermögen an seine Geschwister, was zu Streit über die Aufteilung des Erbes führte.
- Die Rechtsfrage: Haben die späteren handschriftlichen Notizen das frühere Testament und die Alleinerbschaft der Ehefrau aufgehoben?
- Die Antwort: Nein, das Gericht entschied, dass die Frau weiterhin Alleinerbin war. Die späteren Notizen hoben das ursprüngliche Testament nicht auf, da sie einen großen Vermögenswert nicht erwähnten und nur bestimmte Geschenke festlegten.
- Die Bedeutung: Eine bestehende Erbeinsetzung bleibt gültig, wenn spätere Änderungen nicht eindeutig den Widerruf festlegen. Das Fehlen wichtiger Vermögenswerte in neuen Dokumenten kann gegen eine komplette Neuordnung sprechen.
Die Fakten im Blick
- Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
- Datum: 20. August 2025
- Aktenzeichen: 14 W 100/24 (Wx)
- Verfahren: Beschwerdeverfahren in einer Nachlasssache
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Nachlassverfahrensrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Schwester des Erblassers (Beteiligte Ziffer 2). Sie forderte, dass die Ehefrau, sie selbst und der Bruder des Erblassers zu bestimmten Quoten Erben geworden seien.
- Beklagte: Die Ehefrau des Erblassers (Beteiligte Ziffer 1). Sie vertrat die Ansicht, sie sei Alleinerbin und die späteren Verfügungen hätten dies nicht geändert.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Ein Erblasser hinterließ ein notarielles Testament, das seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Später verfasste er handschriftliche Verfügungen, die auch seine Schwester und seinen Bruder bedachten.
- Kernfrage: Haben spätere handgeschriebene Anweisungen das frühere notarielle Testament des Erblassers ungültig gemacht, das seine Ehefrau als Alleinerbin vorsah?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Beschwerde der Ehefrau (Beteiligte Ziffer 1) wurde stattgegeben und der Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben.
- Zentrale Begründung: Die handschriftlichen Verfügungen des Erblassers wurden als bloße Einzelzuwendungen (Vermächtnisse) interpretiert und nicht als vollständiger Widerruf des früheren notariellen Testaments, da keine umfassende Neuordnung des gesamten Nachlasses erkennbar war.
- Konsequenzen für die Parteien: Die Ehefrau des Erblassers wird als Alleinerbin anerkannt und erhält den gewünschten Erbschein; die Schwester des Erblassers erhält keinen Erbschein mit den beantragten Quoten und beide Parteien teilen sich die Kosten der ersten Instanz.
Der Fall vor Gericht
Wer stritt um das Erbe und worum ging es genau?

Ein Mann hatte vorgesorgt. Er setzte in einem notariell beglaubigten Testament seine Frau als Alleinerbin ein. Jahre vergingen. Der Mann griff selbst zur Feder und verfasste handschriftliche Notizen. Darin verteilte er Grundstücke und Häuser neu. Er nannte dabei seine Schwester und seinen Bruder als „Erben“. Für seine Familie schien die Sache klar: Hier entstand ein völlig neues Erbe, das alte Testament war Geschichte. Doch ein Detail, ein großes Wertpapierdepot, blieb in all den neuen Verfügungen unerwähnt. Dieses Schweigen sollte am Ende die gesamte Erbfolge auf den Kopf stellen. Es entzündete einen erbitterten Streit: War die Frau weiterhin Alleinerbin, oder teilten sich die Geschwister das Erbe in konkreten Quoten?
Was stand in den unterschiedlichen Testamenten?
Im Jahr 1998 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament. Dort bestimmte er seine Frau zur Alleinerbin. Seine Schwester sollte Ersatzerbin werden und bekam zudem als Vermächtnis konkrete landwirtschaftliche Grundstücke und die Hälfte seiner Kontoguthaben – ein Punkt war hier entscheidend: Das Wertpapierdepot schloss er ausdrücklich von diesem Vermächtnis aus; es sollte der Alleinerbin zugutekommen.
Jahre später, in den Jahren 2014 und 2015, verfasste der Erblasser handschriftliche Verfügungen. Diese nannte er „Testament“ und „Nachträge“. Er wies darin seiner Schwester und seinem Bruder einzelne Grundstücke und Teile von Kontoguthaben zu. Den Begriff „Erben“ nutzte er dabei mehrfach. Er schrieb zudem, dass bei Ausschlagung oder Vorversterben die „gesetzliche Erbfolge“ eintreten solle.
Wie sah die Familie die Lage nach den handschriftlichen Notizen?
Für die Schwester und den Bruder war das notarielle Testament von 1998 durch die späteren handschriftlichen Dokumente aufgehoben. Sie sahen die Frau nicht mehr als Alleinerbin. Die Formulierungen in den neuen Texten, die Rede von „Erben“ und die detaillierten Zuweisungen großer Vermögensteile deuteten ihrer Meinung nach auf eine umfassende Neuregelung des Nachlasses hin. Sie berechneten sogar konkrete Quoten für die Erbfolge, basierend auf den Werten der handschriftlich zugewiesenen Vermögensstücke. Ihre Schlussfolgerung: Drei Erben, aufgeteilt in genaue Prozentsätze.
Was argumentierte die Ehefrau dagegen?
Die Ehefrau hielt unbeirrt daran fest: Sie sei die Alleinerbin, wie es das notarielle Testament klar festgelegt hatte. Ihre Position: Die späteren handschriftlichen Dokumente waren keine umfassende Neuordnung. Sie enthielten nur Einzelzuwendungen, im Wesentlichen Regelungen zu bestimmten Grundstücken.
Sie wies auf den fehlenden „Elefanten im Raum“ hin: Das bedeutende Wertpapierdepot fehlte in allen handschriftlichen Verfügungen. Der Erblasser kannte dieses Depot gut; er hatte es im notariellen Testament ausdrücklich erwähnt. Hätte er eine komplette Neuordnung beabsichtigt, hätte er diesen Vermögenswert zweifellos geregelt. Sein Schweigen darüber sprach gerade gegen den Willen zu einer Gesamtlösung. Zudem sah die Ehefrau die Einzelzuwendungen eher als Vermächtnisse, also als bestimmte Geschenke aus dem Nachlass, die ihre Rolle als Alleinerbin unberührt ließen.
Wie urteilte das Amtsgericht in der ersten Runde?
Das Amtsgericht Konstanz folgte der Argumentation der Schwester. Es kam zu dem Schluss, dass die handschriftlichen Verfügungen das frühere notarielle Testament aufgehoben hatten. Das Gericht stellte fest, dass der Erblasser von der Frau, seiner Schwester und seinem Bruder in den von der Schwester berechneten Quoten beerbt worden sei. Den Antrag der Ehefrau auf einen Alleinerbschein wies das Amtsgericht zurück.
Warum sah das Oberlandesgericht die Sache anders?
Die Ehefrau legte Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe prüfte den Fall neu. Die Richter mussten den wahren Willen des Erblassers entschlüsseln. Wer einen früheren Testament widerruft, muss das klar machen. Dafür trägt die Partei die Beweislast, die den Widerruf behauptet.
Das Gericht stellte fest:
- Kein ausdrücklicher Widerruf: Die handschriftlichen Verfügungen enthielten keine einzige Zeile, die das notarielle Testament von 1998 ausdrücklich für ungültig erklärte. Ein Laie hätte bei einem so wichtigen Schritt einen klaren Hinweis erwartet.
- Der Gebrauch des Begriffs „Erbe“: Dass der Erblasser in seinen handschriftlichen Texten von „Erben“ sprach, reichte dem Gericht nicht aus. Juristisch verwenden Laien solche Begriffe oft ungenau. Die formale Bezeichnung allein beweist nicht den Willen zur echten Erbeinsetzung im juristischen Sinne.
- Der fehlende Riese – das Wertpapierdepot: Der Erblasser erwähnte im notariellen Testament sein großes Wertpapierdepot noch explizit. Doch in keiner der späteren handschriftlichen Verfügungen tauchte es auf. Dies war der entscheidende Punkt. Wäre es dem Erblasser wirklich um eine umfassende Neuordnung des gesamten Nachlasses gegangen, hätte er dieses bedeutende Vermögen nicht unerwähnt gelassen. Das Gericht folgerte: Er wollte das Depot nicht neu regeln.
- Einzelzuwendungen als Vermächtnisse: Wenn jemand in seinem Testament hauptsächlich einzelne Gegenstände – wie Grundstücke oder Bankguthaben – verteilt, dann sind das juristisch gesehen oft Vermächtnisse. Das sind Geschenke aus dem Nachlass, die die eigentliche Erbeinsetzung nicht ändern. Die handschriftlichen Notizen des Erblassers passten genau in dieses Bild. Sie waren Ergänzungen und Präzisierungen der Grundstücksverteilung, aber keine Umwälzung der gesamten Erbfolge.
Das Gericht kam zum Schluss: Die handschriftlichen Verfügungen waren mit der Alleinerbeneinsetzung der Frau vereinbar. Sie schafften keinen Widerspruch, der die frühere Regelung aufgehoben hätte. Die Schwester und der Bruder erhielten bestimmte Vermögenswerte, wurden aber nicht zu Miterben.
Was bedeutete das Urteil für die Beteiligten?
Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts auf. Die Ehefrau wurde als Alleinerbin bestätigt. Das Amtsgericht muss nun einen Erbschein ausstellen, der sie als Alleinerbin ausweist. Der Antrag der Schwester auf einen Erbschein mit Erbquoten wurde zurückgewiesen.
Die Schwester und der Bruder erhalten die ihnen zugedachten Grundstücke und Konten nicht als Erben, sondern als sogenannte Vermächtnisnehmer. Sie bekommen also bestimmte Teile des Nachlasses, sind aber nicht in der Rolle der Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz trugen die Ehefrau und die Schwester je zur Hälfte. Für das Beschwerdeverfahren am OLG entstanden keine weiteren Kosten für die Beteiligten.
Die Urteilslogik
Ein späteres handschriftliches Testament ersetzt ein früheres umfassendes nicht ohne Weiteres, besonders wenn es wichtige Vermögenswerte unberücksichtigt lässt.
- Widerruf braucht klaren Willen: Ein Testament widerruft man nicht stillschweigend; der Wille zur Aufhebung muss unmissverständlich hervorgehen.
- Umfassende Neuordnung erfordert Vollständigkeit: Ein Erblasser ordnet seinen gesamten Nachlass nur dann neu, wenn er alle wesentlichen Vermögenswerte in seine Überlegungen einbezieht.
- Laienbegriffe juristisch deuten: Die Verwendung juristischer Begriffe durch Laien in einem Testament bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie auch deren rechtliche Bedeutung meinen.
Das Urteil unterstreicht, wie wichtig es ist, den letzten Willen klar und umfassend zu formulieren, um spätere Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden.
Benötigen Sie Hilfe?
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Das Urteil in der Praxis
Manchmal ist das, was nicht gesagt wird, lauter als jeder geschriebene Satz. Dieses Urteil zeigt knallhart: Wer ein älteres, klares Testament ändern will, muss das unmissverständlich und lückenlos tun. Ein fehlendes Detail bei der vermeintlichen Neuordnung, wie hier das bedeutende Wertpapierdepot, kann die gesamte Absicht zunichtemachen. Der Teufel steckt im fehlenden Detail und macht aus einer vermeintlichen Gesamtrechtsnachfolge bloße Vermächtnisse. Für eindeutige Verhältnisse im Erbfall zählt am Ende nur die absolute Klarheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Macht ein handschriftliches Testament ein älteres notarielles Testament unwirksam?
Nein, ein späteres handschriftliches Testament macht ein älteres notarielles Testament nicht automatisch unwirksam; es muss den Widerruf klar formulieren oder einen unzweideutigen Widerspruch zum Gesamtplan darstellen, sonst werden einzelne Anordnungen oft als bloße Ergänzungen (Vermächtnisse) interpretiert. Juristen nennen das „Auslegung des Erblasserwillens“. Der Grund: Ein Testament soll immer den letzten und vollständigen Willen widerspiegeln, nicht nur eine Momentaufnahme.
Ein ausdrücklicher Widerruf ist entscheidend. Fehlt eine klare Formulierung wie „Ich widerrufe hiermit alle meine früheren Verfügungen“, nimmt das Gericht in der Regel an, dass der Erblasser seine früheren Anordnungen nicht aufheben wollte, sondern nur ergänzen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigte dies in einem Fall: Die handschriftlichen Notizen enthielten keine einzige Zeile, die das notarielle Testament von 1998 ausdrücklich für ungültig erklärte.
Wenn handschriftliche Verfügungen nur einzelne Vermögenswerte wie Grundstücke zuweisen, aber wichtige Nachlassbestandteile wie ein großes Wertpapierdepot unerwähnt lassen, wertet dies die Gerichte oft als Vermächtnisse, nicht als umfassende neue Erbeinsetzung. Eine Laienformulierung „Erben“ reicht hierfür selten aus. Vergleichen Sie daher immer beide Testamente genau. Suchen Sie explizit nach Formulierungen wie „Ich widerrufe hiermit mein früheres Testament vom…“ oder nach klaren Hinweisen auf eine vollständige Neuordnung des gesamten Nachlasses.
Wann bin ich tatsächlich Erbe und nicht nur Vermächtnisnehmer?
Sie sind Erbe, wenn Ihnen der Erblasser seine gesamte Rechtsnachfolge oder eine definierte Quote seines gesamten Vermögens zukommen lässt. Als Vermächtnisnehmer hingegen erhalten Sie lediglich einen spezifischen Gegenstand oder einen festen Geldbetrag aus dem Nachlass. Die Unterscheidung ist fundamental: Der Erbe tritt umfassend in die Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein, haftet also auch für Schulden.
Ein Vermächtnisnehmer hat lediglich einen Anspruch auf Herausgabe eines bestimmten Vermögenswerts – beispielsweise ein Haus oder ein festes Guthaben – gegenüber dem tatsächlichen Erben. Juristen nennen das einen schuldrechtlichen Anspruch. Die bloße Verwendung des Wortes „Erbe“ in einem Laien-Testament reicht dabei oft nicht aus, um wirklich Erbenstellung zu begründen, wenn nur einzelne Gegenstände zugewiesen werden.
Ein Blick in die Praxis zeigt: Selbst wenn Ihnen jemand „mein Haus“ oder „mein Konto“ vermacht, sind Sie damit noch kein Erbe im rechtlichen Sinne. Die Geschwister im Fall sahen sich nach handschriftlichen Verfügungen fälschlicherweise als Miterben und berechneten Quoten. Doch das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigte: Sie waren reine Vermächtnisnehmer, weil ihnen nur einzelne Objekte zugesprochen wurden und ein großer Vermögensteil – das Wertpapierdepot – völlig unberücksichtigt blieb.
Prüfen Sie deshalb genau, ob das Testament Ihnen einen Prozentsatz des gesamten Vermögens zuweist oder ob es sich auf spezifische Gegenstände beschränkt.
Wie ändere oder widerrufe ich mein bestehendes Testament rechtssicher?
Um Ihr Testament rechtssicher zu ändern oder zu widerrufen, müssen Sie dies in einem neuen, gültigen Testament ausdrücklich formulieren („Ich widerrufe hiermit…“) oder eine neue Regelung schaffen. Diese muss mit der alten unzweideutig unvereinbar sein und den gesamten Nachlass umfassend regeln, nicht nur einzelne Teile.
Die Regel lautet: Absolute Klarheit schafft Rechtssicherheit. Juristen wissen, dass jeder Zweifel später kostspielige Erbstreitigkeiten auslösen kann. Wer einen früheren letzten Willen aufheben möchte, muss dies unmissverständlich kundtun. Ohne einen ausdrücklichen Widerruf kann ein älteres Dokument oder dessen Teile weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Das Gesetz erwartet Eindeutigkeit; nur eine umfassende Neuregelung des gesamten Nachlasses kann ein älteres Testament stillschweigend aufheben.
Genau das zeigte der Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe: Ein Erblasser hatte sein umfangreiches Wertpapierdepot in handschriftlichen Änderungen unerwähnt gelassen. Die Richter folgerten: Wer den „Elefanten im Raum“ ignoriert, will meist keine vollständige Neuordnung des Nachlasses. Die Beweislast für einen Widerruf liegt immer bei demjenigen, der ihn behauptet.
Schreiben Sie in Ihr neues Testament, das Sie datieren und unterschreiben, den Satz: „Hiermit widerrufe ich alle meine früheren letztwilligen Verfügungen vom [Datum des alten Testaments, falls bekannt] und setze stattdessen Folgendes fest:…“ So vermeiden Sie Unsicherheiten und stellen Ihren Willen sicher.
Was passiert, wenn mein Testament nicht mein gesamtes Vermögen regelt?
Regelt Ihr Testament nicht Ihr gesamtes Vermögen, insbesondere große Nachlassbestandteile, kann dies weitreichende Folgen haben: Entweder bleiben frühere testamentarische Verfügungen für diese nicht geregelten Teile gültig, oder die gesetzliche Erbfolge tritt für die nicht abgedeckten Vermögenswerte ein. Das kann Ihren eigentlichen Willen massiv untergraben.
Der Grund: Juristen sehen ein Testament, das nur einzelne Posten regelt und große Lücken lässt, oft nicht als vollständigen Ersatz eines früheren Dokuments. Es gilt vielmehr als Ergänzung. Wurde ein wichtiger Vermögenswert in einem älteren Testament explizit bedacht, im neuen aber komplett ignoriert, deutet das stark darauf hin, dass die ursprüngliche Regelung für diesen „vergessenen“ Teil weiterhin Bestand haben soll.
Ein passender Vergleich ist der „fehlende Riese“ aus unserem Fallbeispiel: Ein Erblasser hatte ein großes Wertpapierdepot in seinem notariellen Testament klar erwähnt. In späteren handschriftlichen Verfügungen, die ansonsten Grundstücke und Konten neu verteilten, fehlte das Depot komplett. Für das OLG Karlsruhe war klar: Wäre eine vollständige Neuordnung des gesamten Nachlasses gewollt gewesen, hätte dieses bedeutende Vermögen niemals unerwähnt bleiben dürfen. Das Schweigen sprach gegen eine Gesamtlösung und bestätigte die alte Erbenstellung.
Folglich kann das bewusste Auslassen eines solchen „Elefanten im Raum“ dazu führen, dass frühere testamentarische Regelungen für diesen nicht erwähnten Teil bestehen bleiben oder sogar die gesetzliche Erbfolge greift – und damit jene erben, die Sie vielleicht gar nicht bedenken wollten.
Erstellen Sie eine detaillierte Liste all Ihrer Vermögenswerte und prüfen Sie akribisch, ob jeder Posten in Ihrem Testament klar berücksichtigt ist.
Wie vermeide ich, dass mein letzter Wille später zu einem Erbstreit führt?
Um Erbstreitigkeiten effektiv zu vermeiden, müssen Sie Ihren letzten Willen zweifelsfrei klar, vollständig und juristisch präzise formulieren. Besonders bei Änderungen alter Testamente oder der Unterscheidung zwischen Erben und Vermächtnisnehmern gilt: Jedes Wort zählt, um Interpretationsspielraum auszuschließen und Frieden im Nachlass zu sichern.
Die juristische Realität ist gnadenlos: Ein nicht klar formulierter Wille ist ein Einfallstor für Konflikte. Juristen nennen es „Auslegung“. Hier geht es um Nuancen: Widerrufen Sie ältere Testamente immer ausdrücklich. Kein Spielraum für Annahmen. Zudem müssen Sie klipp und klar definieren, wer Erbe ist – also der Gesamtrechtsnachfolger mit allen Rechten und Pflichten – und wer lediglich ein Vermächtnisnehmer bleibt, der nur einen bestimmten Gegenstand erhält. Laienbegriffe sind hier gefährlich.
Denken Sie an den Fall, in dem handschriftliche Notizen als „völlig neues Erbe“ interpretiert wurden. Die Familie stürzte sich in einen langwierigen Prozess, weil die Absicht des Erblassers im Detail unklar blieb. Sein Schweigen über ein großes Wertpapierdepot war der entscheidende Fehler. Das Oberlandesgericht sah darin ein Indiz, dass keine umfassende Neuordnung beabsichtigt war. Ein Erbstreit, der sich mit einem klaren Dokument hätte verhindern lassen. Sichern Sie daher Ihr Erbe, indem Sie eine lückenlose und kohärente Gesamtlösung für Ihr Vermögen schaffen. Jede Lücke kann ein Streitpunkt werden.
Umso wichtiger: Vereinbaren Sie noch heute einen Termin bei einem Notar oder Fachanwalt für Erbrecht, damit Ihr letzter Wille wasserdicht und unmissverständlich ist.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erbe
Erbe ist die Person, der der gesamte Nachlass eines Verstorbenen oder eine Quote davon als Gesamtrechtsnachfolger zufällt. Der Erbe tritt in alle Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein, übernimmt also nicht nur Vermögen, sondern auch Schulden. Diese umfassende Nachfolge sichert, dass der Nachlass als Ganzes verwaltet und die Verbindlichkeiten des Erblassers erfüllt werden.
Beispiel: Die Ehefrau im Fall wurde im notariellen Testament als Alleinerbin eingesetzt, was ihr die Gesamtrechtsnachfolge über den gesamten Nachlass des Erblassers verschaffte.
Erblasser
Als Erblasser bezeichnet man juristisch die Person, deren Vermögen nach ihrem Tod im Wege der Erbfolge an die Erben übergeht. Dieser Begriff identifiziert klar die Ausgangsposition im Erbrecht, von der alle weiteren Regelungen abhängen. Das Gesetz schützt so den letzten Willen einer Person bezüglich ihres Nachlasses.
Beispiel: Der Mann im vorliegenden Fall war der Erblasser, dessen Ehefrau, Schwester und Bruder nach seinem Tod um die Auslegung seiner letztwilligen Verfügungen stritten.
Erbschein
Ein Erbschein ist ein amtliches Zeugnis des Nachlassgerichts, das die Erben und deren Erbquoten sowie mögliche Beschränkungen der Erbschaft amtlich ausweist. Dieses Dokument dient als Nachweis im Rechtsverkehr, um sich zum Beispiel gegenüber Banken oder dem Grundbuchamt als rechtmäßiger Erbe auszuweisen. Der Gesetzgeber schafft damit Rechtssicherheit für Dritte und vereinfacht die Abwicklung des Nachlasses.
Beispiel: Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts muss das Amtsgericht Konstanz einen Erbschein ausstellen, der die Ehefrau als Alleinerbin bestätigt und den Antrag der Schwester auf einen Erbschein mit Erbquoten ablehnt.
Gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn kein wirksames Testament oder Erbvertrag vorhanden ist oder dieser nicht das gesamte Vermögen regelt, und legt fest, wer in welcher Reihenfolge erbt. Das Gesetz bestimmt hier eine Rangfolge der Verwandten (Ordnungen), die den mutmaßlichen Willen des Erblassers abbilden soll. Es stellt sicher, dass der Nachlass auch ohne explizite letztwillige Verfügung nicht herrenlos wird.
Beispiel: Hätten die handschriftlichen Verfügungen das notarielle Testament vollständig widerrufen und gleichzeitig große Vermögenswerte unberücksichtigt gelassen, hätte für diese Teile möglicherweise die gesetzliche Erbfolge eingegriffen, was die Erbenstellung zusätzlich verkompliziert hätte.
Handschriftliches Testament
Ein handschriftliches Testament ist eine letztwillige Verfügung, die der Erblasser eigenhändig von Anfang bis Ende schreiben, datieren und unterschreiben muss, um gültig zu sein. Diese Form ermöglicht jedem Bürger, ohne Notar seinen letzten Willen festzuhalten, setzt aber strenge Formvorschriften voraus, um Fälschungen zu erschweren und den Willen des Erblassers zweifelsfrei zu dokumentieren. Der Gesetzgeber schützt so die Testierfreiheit bei gleichzeitiger Sicherstellung der Echtheit.
Beispiel: Die handschriftlichen Notizen und Nachträge, die der Erblasser ab 2014 verfasste, wurden von seiner Familie als neues handschriftliches Testament interpretiert, welches das frühere notarielle Testament aufheben sollte.
Vermächtnisnehmer
Ein Vermächtnisnehmer ist eine Person, die aufgrund einer letztwilligen Verfügung einen bestimmten Vermögensgegenstand oder einen Geldbetrag aus dem Nachlass erhält, aber nicht Erbe wird. Juristen bezeichnen dies als schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben, nicht als direkte Beteiligung am gesamten Nachlass. Der Erblasser nutzt ein Vermächtnis, um einzelne Personen gezielt mit bestimmten Werten zu bedenken, ohne sie mit der komplexen Rolle des Erben zu belasten.
Beispiel: Obwohl die Schwester und der Bruder dachten, sie seien Miterben, bestätigte das Oberlandesgericht, dass sie lediglich Vermächtnisnehmer für die ihnen zugedachten Grundstücke und Konten waren.
Widerruf eines Testaments
Der Widerruf eines Testaments meint die rechtliche Handlung, durch die ein Erblasser seine frühere letztwillige Verfügung oder Teile davon aufhebt und für ungültig erklärt. Dieser Akt stellt sicher, dass stets der aktuellste Wille des Erblassers gilt und ermöglicht eine Anpassung an veränderte Lebensumstände. Das Gesetz verlangt hierfür entweder einen ausdrücklichen Widerruf oder einen klaren, unvereinbaren neuen Testamentstext, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Beispiel: Das Oberlandesgericht prüfte, ob die handschriftlichen Verfügungen einen ausdrücklichen Widerruf des notariellen Testaments von 1998 enthielten oder ob sie inhaltlich so unvereinbar waren, dass sie das ältere Testament stillschweigend aufhoben.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Testamentsauslegung (§ 2084 BGB)
Um den wahren Wunsch eines Verstorbenen zu erkennen, muss ein Gericht beim Auslegen eines Testaments dessen tatsächlichen Willen erforschen, nicht nur den Wortlaut.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste den eigentlichen Willen des Erblassers ermitteln, insbesondere ob er mit den späteren handschriftlichen Notizen sein früheres notarielles Testament vollständig aufheben wollte oder nicht. - Widerruf eines Testaments (§ 2253 BGB ff.)
Ein Testament kann durch ein späteres Testament widerrufen werden, entweder ausdrücklich oder indem das spätere Testament dem früheren inhaltlich widerspricht.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Hier war entscheidend, ob die handschriftlichen Verfügungen von 2014/2015 das notarielle Testament von 1998 widerrufen haben, also ob sie ihm inhaltlich so stark widersprachen, dass die frühere Regelung nicht mehr gelten konnte. - Erbeinsetzung und Vermächtnis (§ 1937 BGB, § 2147 ff.)
Als Erbe wird man Gesamtrechtsnachfolger des Verstorbenen und tritt in alle Rechte und Pflichten ein, während ein Vermächtnis nur den Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand oder Geldbetrag aus dem Nachlass gewährt, ohne Erbe zu sein.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die zentrale Frage war, ob die Schwester und der Bruder durch die handschriftlichen Notizen zu (Mit-)Erben wurden, die den gesamten Nachlass mitverwalten, oder ob sie lediglich als Vermächtnisnehmer nur Anspruch auf die ihnen zugewiesenen Grundstücke und Konten hatten. - Beweislast (Allgemeines Rechtsprinzip)
Wer vor Gericht eine Tatsache behauptet, die für ihn vorteilhaft ist, muss diese Tatsache im Zweifel auch beweisen können.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Geschwister mussten beweisen, dass der Erblasser mit seinen handschriftlichen Notizen das notarielle Testament von 1998 wirklich widerrufen und eine neue Erbfolge eingesetzt hatte.
Das vorliegende Urteil
OLG Karlsruhe – Az.: 14 W 100/24 (Wx) – Beschluss vom 20.08.2025
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
