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Testamentsauslegung – Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung

Testamentsauslegung: Klärung von Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung

Das Urteil des AG Hameln vom 10.02.2023 verdeutlicht, dass die Auslegung eines Testaments eine komplexe Angelegenheit ist, bei der Wortwahl, Erblasserwille und das Verhältnis der Nachlasswerte entscheidend sind. Es wurde festgestellt, dass neben den explizit genannten Personen auch ein vierter Beteiligter als Erbe anzusehen ist, obwohl dieser im Testament nicht direkt als Erbe bezeichnet wurde. Die Entscheidung betont die Wichtigkeit einer umfassenden und sorgfältigen Testamentsauslegung.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 19 VI 147/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Wortwahl im Testament: Die Bezeichnung der Erwerbsform („erbt“, „erhält“, „vermachen“) ist nicht ausschlaggebend für die juristische Einordnung.
  2. Ermittlung des Erblasserwillens: Entscheidend ist, wie der Erblasser die Begriffe verstanden hat, nicht der objektive Erklärungswert.
  3. Rechtsstellung und Nachlassregelung: Es geht darum, ob der Erblasser wollte, dass der Bedachte unmittelbare Rechte am Nachlass erlangt und Verpflichtungen übernimmt.
  4. Wertverhältnis der Zuwendungen: Die Relation der Einzelzuwendungen zum Gesamtwert des Nachlasses ist maßgeblich.
  5. Erbenstellung des Beteiligten zu 4: Trotz unklarer Formulierung im Testament wurde der Beteiligte zu 4 als Erbe eingestuft.
  6. Auslegungsregel nach § 2087 Abs. 1 BGB: Bei Unsicherheit über den Erblasserwillen wird die Zuwendung als Erbeinsetzung angesehen.
  7. Nachlasswert und Verteilung: Die prozentuale Aufteilung des Nachlasses spielte eine entscheidende Rolle bei der Erbeinsetzung.
  8. Bedeutung des Erblasserwillens: Letztendlich ist die Interpretation des Willens des Erblassers ausschlaggebend für die Auslegung des Testaments.

Testamentsauslegung und ihre Konsequenzen im Erbrecht

Die Testamentsauslegung stellt einen zentralen Aspekt im Erbrecht dar, der oft zu umfassenden juristischen Auseinandersetzungen führt. Kern des Themas ist die Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung, zwei grundlegenden Konzepten, die bestimmen, wie der letzte Wille eines Verstorbenen umgesetzt wird. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da sie die Rechte und Pflichten der Erben und Vermächtnisnehmer maßgeblich beeinflusst.

In der juristischen Praxis werden oft die Feinheiten des Erblasserwillens und die korrekte Interpretation von Formulierungen im Testament analysiert, um eine gerechte Verteilung des Nachlasses zu gewährleisten. Die Herausforderung liegt in der präzisen Ermittlung des tatsächlichen Willens des Verstorbenen und der entsprechenden rechtlichen Einordnung der testamentarischen Verfügungen. Der gemeinschaftliche Erbschein und die testamentarische Erbfolge sind hierbei Schlüsselbegriffe, die eine wesentliche Rolle spielen. Die folgende Diskussion eines konkreten Urteils bietet tiefere Einblicke in diese komplexen juristischen Prozesse und veranschaulicht, wie Gerichte in spezifischen Fällen zu Entscheidungen kommen. Lassen Sie uns nun in die Details eintauchen und die spannenden Aspekte dieses Urteils genauer betrachten.

Streit um Erbansprüche: Testamentsauslegung vor Gericht

Im Zentrum des Falles vor dem Amtsgericht Hameln stand die Frage der korrekten Testamentsauslegung bezüglich der Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung. Konkret ging es um ein handschriftliches Testament der Eheleute J. S. und U. S., verfasst am 04.12.2022. Nach deren Ableben wurde das Testament im Februar 2003 und dann erneut im November 2021 eröffnet. Die Beteiligte zu 2, eine der Erben, beantragte einen gemeinschaftlichen Erbschein, der sie und zwei weitere Personen als jeweils zu einem Drittel berechtigte Erben auswies. Das Gericht stand vor der Herausforderung, den wahren Willen der Erblasser zu interpretieren, insbesondere in Bezug auf die Verteilung verschiedener Vermögenswerte.

Die testamentarische Erbfolge und ihre Tücken

Das Testament enthielt spezifische Anweisungen zur Verteilung bestimmter Vermögenswerte, darunter Geldbeträge und Immobilien, an verschiedene Personen. Wichtig war hierbei die Formulierung „sollen der Reihe nach erben“, die von der Antragstellerin als Grundlage für eine Erbeinsetzung interpretiert wurde. Trotz fehlender expliziter Angaben zur Erbquote ging sie davon aus, dass die genannten Personen zu gleichen Teilen erben sollten, gestützt auf § 2091 BGB. Das Gericht musste beurteilen, ob diese Interpretation mit dem tatsächlichen Willen der Erblasser übereinstimmte und ob der zugewiesene Erbteil eine Erbeinsetzung oder lediglich ein Vorausvermächtnis darstellte.

Die Rolle des Gerichts in der Auslegung des Testaments

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Hameln wies den Antrag auf Erteilung des gemeinschaftlichen Erbscheins zurück. Sie argumentierte, dass eine reine Vermächtnisanordnung zugunsten des S.-Kinderdorfs, einem weiteren im Testament genannten Begünstigten, nicht der Absicht der Erblasser entsprach. Die vorgeschlagene Verteilung hätte dazu geführt, dass dem Kinderdorf ein unverhältnismäßig großer Anteil des Nachlasses zugefallen wäre, was nicht dem erkennbaren Willen der Erblasser entsprach. Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass die testamentarischen Formulierungen und die Wertverhältnisse der zugewendeten Gegenstände zum Gesamtwert des Nachlasses für die Auslegung entscheidend waren.

Gerichtliche Entscheidung: Erbenstellung erweitert

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass neben den drei ursprünglich genannten Beteiligten auch eine vierte Person, der Beteiligte zu 4, als Erbe anzusehen ist. Dies basierte auf der Auslegung des Testaments und dem Prinzip des § 2087 Abs. 1 BGB, das besagt, dass bei unklarem Willen des Erblassers eine Zuwendung als Erbeinsetzung anzusehen ist. Die Entscheidung unterstrich die Bedeutung einer sorgfältigen und umfassenden Testamentsauslegung, um den wahren Willen des Erblassers zu ermitteln und gerecht umzusetzen.

Das vorliegende Urteil verdeutlicht die Komplexität und Feinheiten der Testamentsauslegung und wirft ein Licht auf die entscheidende Rolle des Gerichts bei der Klärung von Erbansprüchen und der Auslegung von Testamenten.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist der Unterschied zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung im Testament?

Die Begriffe Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung beziehen sich auf verschiedene Arten, wie ein Erblasser sein Vermögen nach seinem Tod verteilen kann. Beide Begriffe sind im deutschen Erbrecht verankert und haben unterschiedliche rechtliche Auswirkungen.

Die Erbeinsetzung bezieht sich auf die Bestimmung einer oder mehrerer Personen als Erben in einem Testament. Der oder die Erben treten in die Rechtsnachfolge des Erblassers ein und werden Eigentümer des gesamten Nachlasses. Dies beinhaltet sowohl die Vermögenswerte als auch die Schulden des Erblassers. Wenn mehrere Erben eingesetzt werden, bilden sie gemeinsam eine Erbengemeinschaft.

Im Gegensatz dazu bezieht sich eine Vermächtnisanordnung auf die Zuweisung bestimmter Vermögenswerte an eine Person, den sogenannten Vermächtnisnehmer. Im Unterschied zum Erben tritt der Vermächtnisnehmer nicht in die Rechtsnachfolge des Erblassers ein und wird auch nicht Teil einer Erbengemeinschaft. Er erhält lediglich einen bestimmten Teil aus dem Nachlass, beispielsweise eine Immobilie oder einen Geldbetrag.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das Vermächtnis gegenüber den rechtmäßigen Erben eingefordert werden muss. Darüber hinaus können Vermächtnisse nur durch das Aufsetzen eines Testaments festgelegt werden, während die Erbeinsetzung auch ohne Testament gemäß der gesetzlichen Erbfolge erfolgen kann.

Ein Vermächtnis bietet mehr Gestaltungsspielraum als eine bloße Erbeinsetzung und kann dabei helfen, einen Erbstreit oder auch den Anfall von Erbschaftsteuer zu vermeiden. Bei der Formulierung eines Testaments sollte jedoch besonders sorgfältig vorgegangen werden, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass die gewünschte Verteilung des Nachlasses erreicht wird.


Das vorliegende Urteil

AG Hameln – Az.: 19 VI 147/22 – Beschluss vom 10.02.2023

Der Antrag der Beteiligten zu 2 vom 14.02.2022 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der die Beteiligten zu 1 bis 3 zu jeweils 1/3 als Erben ausweist, wird zurückgewiesen.

Die gerichtlichen und die eigenen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beteiligte zu 2.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 2 beantragt, ihr einen gemeinschaftlichen Erbschein in drei Ausfertigungen zu erteilen, der die Beteiligten zu 1 bis 3 zu jeweils 1/3 als Erben der oben genannten U. S. ausweist (zu den Einzelheiten des Antrags vgl. Bl. 2 ff. d.A.).

Den Antrag stützt sie auf testamentarische Erbfolge, ein handschriftliches Testament vom 04.12.2022 der Eheleute J. S. u. U. S.. Dieses ist vom Amtsgericht Hameln am 10.02.2003 anlässlich des Ablebens des J. S. (gestorben 26.08.2002) und sodann am 21.11.2021 anlässlich des Ablebens der U. S. eröffnet worden (vgl. Bl. 29, 52 d. A.).

Das Testament bestimmt:

„Unser gemeinsames Testament

Nach unserm Tode setzen wir, J. S. und seine Ehefrau U. S., uns gegenseitig zu Alleinerben ein.

Nach dem Tode des Überlebenden sollen folgende Personen unsern Nachlass erben:

Das Geld in den Stadtsparkassen in H. und in B. P. und bei der Postbank sollen der Reihe nach erben:

1. 30.000 EU unsere Nichte Dr. C. D.-B., ,

2. 30.000 EU unsere Nichte C. B.-B., dazu unsere Ferienwohnung in L., und das Auto VW Golf,

3. 30.000 EU unser Neffe H.-J. B.

Das übrige Geld vermachen wir dem S.-Kinderdorf, Renatastraße 77, 80639 München.

Nach Rücksprache mit meiner Schwester C. B., mögen unsere Nachbarn, Familie … von noch vorhandenen Sachen und Möbeln aussuchen, was sie gebrauchen können.

Für die Entrümpelung bestimmen wir unsere Nichten.

Das Klavier schenken wir der M. in H.

Das ist unser letzter Wille.

U. S., J. S.Hameln

Hameln 4.12.02“

Die Beteiligte zu 2 begründet ihre Ansicht, dass die Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils Erben seien damit, dass sich sowohl aus dem Wortlaut („sollen der Reihe nach erben“) als auch aus der Aufzählung (1. …, 2. …, 3. ….“) ergebe, dass nur den Beteiligten zu 1 bis 3 eine Erbenstellung zukomme. Da die Testatoren keine Angaben zur Erbquote gemacht haben, sei von Gesetzes wegen davon auszugehen, dass die Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils zu gleichen Teilen erbten (§ 2091 BGB). Bei der Zuweisung der jeweils 30.000,- Euro im Testament an die Beteiligten zu 1 bis 3 handele es sich im Vorausvermächtnisse (vgl. Seite 3 f. Antragsergänzung vom 11.07.2022, Bl. 30 f. d.A.; Seite 2 Schriftsatz vom 31.01.2023, Bl. 52 d.A.). Der Verein sei nicht Erbe, weil er keine Person sei und ihm dem Wortlaut des Testaments nach lediglich „etwas vermacht“ würde. Dass dem S.-Kinderdorf e.V. nur die Stellung eines Vermächtnisnehmers zukommen solle, ergebe sich im Übrigen daraus, dass er nur das „übrige Geld“ erhalten solle. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung seien noch weitere Gegenstände, nämlich Personenkraftwagen, Immobilie und Klavier vorhanden gewesen (Seite 3 Schriftsatz vom 31.01.2023, Bl. 53 d.A.).

Diesem Antrag ist die Rechtspflegerin des Amtsgerichts H. nicht gefolgt. Sie hat hierzu ausgeführt, dass eine bloße Vermächtnisanordnung zugunsten des S.-Kinderdorf schon daran scheitere, dass diesem rein rechnerisch 61,67 % des Nachlasswertes zustünden. Eine Erbeinsetzung mit Vorausvermächtnissen zugunsten der Beteiligten zu 1 bis 3 scheitere daran, dass bei einer vorherigen Auszahlung von jeweils 30.000,- Euro und einer anschließenden Verteilung des Geldvermögens auf die Geschwister zu je 1/3 nichts mehr für das S.-Kinderdorf übrig bliebe. Dies entspreche ersichtlich nicht dem Willen der Erblasser (Seite 34 f. d.A.).

Der Beteiligte zu 4 hat der Erteilung des beantragten Erbscheins ebenfalls widersprochen und abweichend davon die Rechtsansicht geäußert, dass er Alleinerbe sei und die Erblasser zugunsten der Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils nur Vermächtnisse ausgesetzt haben (vgl. hierzu Schriftsatz vom 08.12.2022, Bl. 48 f. d.A.).

Das Gericht hat als Tatsache festgestellt, dass das Testament vom 04.12.2022 der Eheleute S. formgültig erstellt und wirksam eröffnet worden ist (vgl. Bl. 29, 52 d. Testamentsakte.). Weitere Ermittlungen sind nicht geboten.

II.

Der beantragte Erbschein ist zurückzuweisen, weil das geltend gemachten Erbrecht nicht der Rechtslage und dem entspricht, was die Erblasser letztwillig bestimmt haben.

Die Auslegung des Testaments (§§ 133, 2084 BGB) ergibt, dass neben den Beteiligten zu 1 bis 3 auch der Beteiligte zu 4 Erbe ist.

1. Die vom Erblasser gewählte Bezeichnung der „Erwerbsform“ („erbt“, „erhält“ oder „vermachen“) oder die Bezeichnung der Bedachten als „Erben“ stellt dabei kein zwingendes Indiz für die juristische Einordnung der Testierung dar (BayObLG BeckRS 2009, 87150; OLG Köln DNotZ 1993, 133, 134; OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 163, 164). Nach § 2087 Abs. 1 BGB liegt eine Erbeinsetzung selbst dann vor, wenn der Erblasser im Rahmen der Zuwendung den Bedachten nicht als Erben bezeichnet hat. Juristischen Laien ist oftmals die Bedeutung der von ihnen verwendeten Begriffe nicht bewusst oder sie verwenden die Begriffe „erhalten“ und „vermachen“ oftmals auch im Sinne von „vererben“. Maßgeblich ist nicht der objektive Erklärungswert der verwendeten Formulierung, sondern der Sinngehalt wie der Erblasser den Begriff verstanden hat. Dieser ist nach den allgemeinen Grundsätzen der erläuternden Auslegung zu ermitteln.

Wesentliches Auslegungskriterium ist, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass zu regeln und die Nachlassschulden zu tilgen hat sowie, ob der Bedachte unmittelbare Rechte am Nachlass oder nur schuldrechtliche Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. Maßgebend ist also, ob der Erblasser durch die Zuwendung seine Rechtsstellung in wirtschaftlicher Hinsicht unmittelbar in der Person des Bedachten fortgesetzt wissen wollte, sodass diesem nicht nur Rechte eingeräumt, sondern auch Pflichten in Bezug auf den Nachlass auferlegt sind (Gierl in: BeckOGK BGB, Stand 1.12.2022, § 2087 Rn. 11 f.).

Wesentliches Auslegungskriterium bei der Ermittlung des Erblasserwillens ist ferner, das Wertverhältnis der zugewendeten Gegenstände zum Wert des gesamten Nachlasses, wobei grundsätzlich die Wertvorstellungen des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung maßgeblich sind (BGH NJW 1997, 392; BayObLG FamRZ 1990, 1399, 1400; OLG Köln RPfl. 1992, 199; OLG Köln FamRZ 1991, 1481, 1482; Krätschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Aufl, 2019, § 10 Rn. 78; Czubayko in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2087 Rn. 8 m.w.N.).

Die Zuwendung einer Geldsumme ist in der Regel nur ein Vermächtnis (BayObLG, Beschluss vom 12.03.2003 – 1Z BR 14/01, NJW-RR 2002, 873, 875 m.w.N.; Krätschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Aufl, 2019, § 9 Rn. 58). Die Zuwendung von Geldsummen muss jedoch nicht in jedem Fall die Absicht ausdrücken, dem Bedachten nur einen Anteil am Wert des Nachlasses und nicht die materielle Rechtsinhaberschaft zuzuwenden. Sie kann auch lediglich als Form der Berechnung der den einzelnen Bedachten zugewandten Bruchteile des Vermögens gemeint sein. Wesentlich für die Einordnung, ob eine Erbenstellung oder Vermächtnisanordnung gemeint ist, ist auch hier das Wertverhältnis der zugewendeten Gegenstände zum Wert des gesamten Nachlasses (BGH, a.a.O.; Krätschel, a.a.O., § 10 Rn. 78 m.w.N.).

2. Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ist eine Erbenstellung des Beteiligten zu 4 anzunehmen.

a) Der Wortlaut des Testaments spricht nicht gegen eine Erbenstellung des Beteiligten zu 4. Auch er ist eingerückt unter dem Obersatz „Das Geld in den Stadtsparkassen in H. und B. P. und bei der Postbank sollen der Reihe nach erben:“ aufgeführt.

Der Umstand, dass die Erblasser dem Beteiligten zu 4 das übrige Geld „vermacht“ haben, steht nach dem oben Gesagten einer Erbenstellung ebenfalls nicht entgegen.

b) Auch aus der Nummerierung der Beteiligten zu 1 bis 3 folgt kein wesentliches Indiz für eine alleinige Erbenstellung der Beteiligten zu 1 bis 3. Zum einen ist auch der Beteiligte eingerückt unter dem Obersatz „Das Geld … sollen der Reihe nach erben:“ aufgeführt. Zum anderen hat dieser Aspekt neben den erheblichen Wertunterschieden der Zuwendungen kein entscheidendes Gewicht (dazu sogleich).

c) Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 2 ist auch Beteiligte zu 4 eine (juristische) Person, die unter den Testamentswortlaut „sollen folgende Personen unseren Nachlass erben“ fällt.

d) Aus der Anordnung im Testament, dass die Nichten, die Beteiligten zu 1 und 2, die Entrümpelung vornehmen sollen, folgt ebenfalls kein Indiz für die Erbenstellung der Beteiligten zu 1 bis 3. Zwar ist Erbe typischerweise derjenige, dem im Testament nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zugewiesen sind. Vorliegend spricht gegen das Erbschaftsindiz einer Pflichtenzuweisung jedoch, dass nur die Beteiligten zu 1 und 2, nicht aber der Beteiligte zu 3 verpflichtet sind. Zudem handelt es sich bei der Bestimmung, wer die Entrümpelung vornehmen soll, nur um eine kurzfristige und untergeordnete Aufgabe, die im Übrigen als unverbindliche Anregung verstanden werden kann.

e) Gegen die Auffassung der Beteiligten zu 2, die Erblasser hätten im Testament Vorausvermächtnisse für die Beteiligten zu 1 bis 3 in Höhe von jeweils 30.000,- Euro angeordnet und die Beteiligten zu 1 bis 3 zu jeweils 1/3 als Erben bestimmt, spricht, dass eine solche Regelung dazu führte, dass der Beteiligte zu 4 nichts aus der Erbmasse erhält. Dies widerspricht eindeutig dem Willen der Erblasser. Diese haben den Nichten und dem Neffen nur jeweils kleinere Geldbeträge zugewandt und ausdrücklich bestimmt, dass der Beteiligte zu 4 „das übrige Geld“ erhalten soll.

f) Damit kommt bei der Ermittlung des Willens der Erblasser und der Abgrenzung zwischen Erben- und Vermächtnisanordnung dem Wertverhältnis zwischen dem Gegenstand, der dem Beteiligten zu 4 zugewandt wurde und dem Gesamtwert des Nachlasses eine entscheidende Bedeutung zu.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung lag der Nachlasswert nach den Angaben der Beteiligten zu 2 bei 252.800,- Euro (vgl. Ausführungen der Beteiligten zu 2 vom 11.07.2022, Bl. 29 f. d.A.). Er setzte sich aus folgenden Einzelwerten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zusammen:

Kontoguthaben 210.800,- Euro

Personenkraftwagen: 17.000,- Euro

Ferienwohnung: 25.000,- Euro.

Zieht man vom Gesamtnachlasswert die Zuwendungen an die Beteiligten zu 1 bis 3 ab (3 x 30.000,- Euro, PKW und Ferienwohnung = 132.000,- Euro), verbleibt ein Wert von 120.800,- Euro an Kontoguthaben, der als „übriges Geld“ dem Beteiligten zu 4 zugewandt ist. 120.800,- Euro machen 48 % des Nachlasswerts aus. Stellte man auf den aktuellen Nachlasswert ab (300.000,- Euro = 275.000,- Euro Kontovermögen, 25.000,- Euro Ferienwohnung, kein KfZ) erhielte der Beteiligte zu 4 sogar 62 % des Nachlasswerts. Bei einem Wertverhältnis von 48 % und erst Recht bei einem Wertverhältnis von 62 % des Gesamtnachlasses ist nicht davon auszugehen, dass die Erblasser dem Beteiligten zu 4 nur die Stellung eines Vermächtnisnehmers zuweisen wollten.

g) Für die Annahme einer Erbenstellung des Beteiligten zu 4 spricht schließlich die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB: Lässt sich der Wille des Erblassers nicht sicher aufklären, ist die Zuwendung an den Bedachten als dessen Erbeinsetzung anzusehen (vgl. hierzu Gierl in: BeckOGK BGB, a.a.O., § 2087 Rn. 15).

 

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