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Testamentsauslegung: Gemeinsames Versterben von Ehegatten

OLG Düsseldorf 3. Zivilsenat – Az:  I-3 Wx 193/11, 3 Wx 193/11 –  23.08.2011

Leitsatz

1. Die Annahme der von Ehegatten durch letztwillige Verfügung bestimmten Voraussetzung eines gemeinsamen Versterbens oder Verunglückens („Sollten wir gemeinsam versterben oder verunglücken, so setzen wir als Ersatzerben unseren Neffen … als Erben ein.“) setzt bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine zeitliche Nähe der beiden Sterbefälle voraus und verbietet sich deshalb im Allgemeinen, wenn zwischen den Todeszeitpunkten eine ganz erhebliche Zeitspanne (hier mehr als 28 Jahre) liegt (Rn.29).

2. Die schlichte Behauptung des „Ersatzerben“, er habe in jedem Falle Erbe des Letztlebenden werden sollen, kann solange nicht zu einer ergänzenden Auslegung herangezogen werden, wie kein Anhalt dafür besteht, dass der Erblasser seiner Wortwahl einen vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Sinn beigemessen haben könnte (Rn.30).

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Geschäftswert: 125.000,- Euro.

Gründe

I.

Die am 14. Februar 2011 verstorbene Erblasserin, die mit dem am 06. Juli 1982 verstorbenen E. W. S. verheiratet war, war die Tante des Beteiligten zu 1 und die Schwester der Beteiligten zu 2.

Die Erblasserin und traf mit ihrem Ehemann zwei Verfügungen von Todes wegen.

Das notarielle Testament vom 29. Juli 1965 lautet u. A. wie folgt:

„Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden zum alleinigen Erben ein …, sodass der Überlebende von uns unser gesamtes Vermögen zur völlig freien Verfügung erhält.

Zu Erben des Längstlebenden von uns berufen wir unsere gemeinsamen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Sind keine solchen Abkömmlinge vorhanden, so berufen wir als Ersatzerben den Bruder K. A. W. der Ehefrau, … . Wenn wir gleichzeitig versterben, so sollen unsere gemeinsamen Abkömmlinge, ersatzweise der genannte K. A. W. unser beider Erbe werden.“

In dem privatschriftlichen gemeinsamen Testament vom 19. Juni 1972 ordneten die Eheleute an:

„Wir setzen uns gegenseitig … zum alleinigen Erben ein, … sodass der Überlebende von uns unser gesamtes Vermögen zur völlig freien Verfügung erhält. Sollten wir gemeinsam versterben oder verunglücken so setzen wir als Ersatzerben unseren Neffen J. W. … Sohn des Bruders der Ehefrau als Erben ein.

Hierdurch erkläre ich mein Testament vom 29.7.1965 … für ungültig.“

Der Beteiligte zu 1 hat mit notarieller Urkunde vom 16. Mai 2011 einen Erbschein beantragt, der ihn als alleinigen Erben des Längstlebenden ausweist. Der Antrag enthält die Erklärung der Beteiligten zu 2, dass sie der Erteilung des beantragten Erbscheins zustimme.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag mit Beschluss vom 22. Juni 2011 zurückgewiesen und ausgeführt,

der Beteiligte zu 1 sei – entgegen der mit dem Antrag vertretenen Auffassung – durch das Testament vom 19. Juni 1972 nicht zum alleinigen Erben berufen worden.

Die im Testament verwendete Formulierung setze als Bedingung für den Eintritt der Ersatzerbfolge ausdrücklich ein gemeinsames Versterben oder Verunglücken voraus, was hier gerade nicht der Fall sei. Der Beteiligte zu 1 sei daher nicht als (Schluss-) Erbe des Längstlebenden bestimmt. Indiz dafür sei auch, dass der Beteiligte zu 1 als „Ersatzerbe“ bezeichnet worden ist.

Eine Auslegung, wonach der als solcher bezeichnete Ersatzerbe auch für den Fall das Versterbens nacheinander erben soll, verlange jedenfalls Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass die Erblasser den Willen hatten, eine vollständige und abschließende Regelung der Vermögensnachfolge zu treffen. Hiervon sei jedoch im vorliegenden Testament nicht auszugehen, denn dort sei ausdrücklich bestimmt, dass der Überlebende das gesamte Vermögen „zur völlig freien Verfügung erhält“. Von einer abschließenden Regelung könne daher keine Rede sein.

Von der ihr ausdrücklich zustehenden letztwilligen Verfügungsmöglichkeit habe die Erblasserin keinen Gebrauch gemacht, weshalb gesetzliche Erbfolge eingetreten sein dürfe.

Hiergegen hat der Beteiligten zu 1 sich beschwert und geltend gemacht, das gemeinschaftliche Testament vom 19. Juni 1972 sei – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – so auszulegen, dass es auch Verfügungen des Längstlebenden der Ehegatten enthalte, wonach dieser den Beteiligten zu 1 als Erben eingesetzt habe.

Das privatschriftliche Testament habe lediglich nach dem Tod des Vaters des Beteiligten zu 1 die Ersatzerfolge neu regeln, nicht aber nunmehr allein den Ausnahmefall des gemeinschaftlichen Versterbens abdecken wollen.

Die als einzige weitere gesetzliche Erbin in Betracht kommende Beteiligte zu 2 sei bei Errichtung des privatschriftlichen Testaments zugegen gewesen und bestätige den Willen der Eheleute S., den Beteiligten zu 1 als Erben des Längstlebenden zu berufen.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 30. Juli 2011 dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Gerade die Tatsache, dass die Eheleute in ihrem privatschriftlichen Testament die im notariellen Testament enthaltene Erbeinsetzung weggelassen hätte, spreche – so das Amtsgericht – dafür, dass sie in Kenntnis dieser rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit darauf verzichten wollten; sie hätten es bei der Ersatzerbeneinsetzung für den Fall des gemeinsamen Versterbens belassen und damit durch den ausdrücklichen Widerruf der Anordnungen im Testament vom 29 Juli 1965 die Erbfolge geändert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der Testamentsakten 36 IV 484-85/82 Amtsgericht Krefeld Bezug genommen.

II.

1.

Das gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG als Beschwerde zulässige Rechtsmittel des Beteiligten zu 1 ist nach der vom Nachlassgericht nunmehr ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.

2.

Es hat in der Sache keinen Erfolg. Das Nachlassgericht hat die Erteilung eines den Beteiligten zu 1 als Alleinerben nach der Erblasserin ausweisenden Erbscheins zu Recht abgelehnt.

Der Beteiligte zu 1 ist nicht aufgrund des privatschriftlichen gemeinsamen Testaments der Erblasserin und ihres Ehemann vom 19. Juni 1972 (§§ 2269, 2270 BGB), nach dem Tod des Letztversterbenden als (Schluss-) Erbe eingesetzt worden.

a)

aa)

Das Testament vom 19. Juni 1972 enthält von seinem Wortlaut her eine durchaus nachvollziehbare und Sinn gebende Erbregelung, nämlich die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute, das freie Verfügungsrecht des Letztversterbenden, im Gegensatz zu dem ausdrücklich aufgehobenen notariellen Testament keine Berufung von Erben des Letztversterbenden mehr, weil die Eheleute offenbar nicht mehr davon ausgingen, gemeinsame Abkömmlinge zu haben und deshalb auch keine Bestimmung eines Ersatzerben, zumal der früher als Ersatzerbe berufene Bruder der Erblasserin und Vater des Beteiligten zu 1 inzwischen verstorben war. Hiernach sollte der Letztversterbende frei verfügen, also auch frei testieren dürfen. Das setzt aber voraus, dass der Letztversterbende nach dem Tode des Erstversterbenden noch in der Lage sein würde, zu testieren. Dies wiederum ist nur der Fall, wenn die Eheleute nicht „gemeinsam versterben oder verunglücken“. Deshalb war mit Blick auf die weiteren testamentarischen Bestimmungen diese Konstellation regelungsbedürftig und ist von den Eheleuten dahin geregelt worden, dass (nur) in diesem Fall der Beteiligte zu 1 „Ersatzerbe“ sein sollte.

bb)

Gerade in der vom Wortlaut gedeckten Auslegung, dass die Erbregelung zugunsten des Beteiligten zu 1 nach dem Willen der Testierenden eintreten sollte, wenn einer von ihnen verstirbt und der Andere – unabhängig von einer gemeinsamen Ursache – so zeitnah ebenfalls verstirbt, dass er nicht mehr die Möglichkeit hat, seinerseits zu testieren, liegt eine nicht fern liegende Sinngebung (vgl. Senat, vom 20.01.2004, I-3 Wx 367/03 – BeckRS 2004 30337610).

cc)

Zu Unrecht reklamiert der Beteiligte zu 1, das gemeinschaftliche Testament vom 19. Juni 1972 sei – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – so auszulegen, dass es auch Verfügungen des Längstlebenden der Ehegatten enthalte, wonach dieser ihn, den Beteiligten zu 1, als Erben eingesetzt habe und beruft sich zum Beleg dieses angeblichen Willens ohne Erfolg auf das Zeugnis der Beteiligten zu 2.

(a)

Denn selbst wenn das bislang in keiner Weise substantiell angedeutete Wissen der Beteiligten zu 2 auf der Kenntnis von Tatsachen beruhen würde, denen hinreichende Anhaltspunkte für einen zum Zeitpunkt der Erbeinsetzung bei der Erblasserin vorhandenen Willen im Sinne der vom Beschwerdeführer befürworteten Verfügung seiner Erbeinsetzung über den Fall des gemeinsamen Versterbens oder Verunglückens hinaus zu entnehmen wären, könnte einem dahin gehenden Willen rechtliche Bedeutung nur zukommen, wenn er rechtswirksam erklärt wäre. Da die Erklärung bei letztwilligen Verfügungen deren Formzwang (§ 125 BGB) unterliegt (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 70. Auflage 2011, § 2229 Rdz. 1; § 2084 Rdz. 4), wäre der so ermittelte Wille des Erblassers nur beachtlich, wenn er im Text selbst einen wenigstens unvollkommenen Ausdruck gefunden hat, indem er dort zumindest vage oder versteckt angedeutet ist (vgl. BGHZ 86, 41; Palandt/Weidlich, a.a.O. § 2084 Rdz. 4).

(b)

Letzteres ist indes nicht der Fall. Das Testament vom 19. Juni 1972 enthält keinerlei Andeutung für einen auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft gerichteten Willen des Erblassers dahin, dass beim Tod des länger lebenden Ehegatten, hier der Erblasserin, das Gesamtvermögen in jedem Falle (also unabhängig von der zwischen den Todeszeitpunkten liegenden Zeitspanne) dem Beteiligten zu 1 als (Schluss-) Erben zufallen sollte.

Die Annahme eines gemeinsamen Versterbens oder Verunglückens von Ehegatten („Sollten wir gemeinsam versterben oder verunglücken,…“) setzt bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine zeitliche Nähe der beiden Sterbefälle voraus und verbietet sich deshalb im Allgemeinen, wenn zwischen den Todeszeitpunkten eine ganz erhebliche Zeitspanne (hier mehr als 28 Jahre) liegt.

Soweit die Beteiligte zu 2 dafür benannt ist, dass es der Wille der Eheleute S. gewesen sei, dass der Beteiligte zu 1 als Erbe des Letztlebenden berufen werden sollte, ist diesem Beweisangebot nicht nachzugehen. Denn diese nicht mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in Einklang stehende, allein auf der schlichten Behauptung eines abweichenden Willens des Erblassers beruhende, Annahme kann solange nicht zu einer ergänzenden Auslegung herangezogen werden, wie kein Anhalt dafür besteht, dass der Erblasser seiner Wortwahl einen vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Sinn beigemessen haben könnte, hier zudem einen solchen, der den allgemeinen Sprachgebrauch in sein Gegenteil verkehrt, nämlich dahin, dass gemeinsames Versterben oder Verunglücken der Eheleute einen zeitlichen Bezug der Sterbefälle nach dem Erblasserwillen nicht verlangen sollte. (vgl. OLG München, NSW-RR 2011, 444). Gerade das stellt der Beteiligte zu 1) nicht in das Wissen der Beteiligten zu 2) als Zeugin (in dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall, ErbR 2011, 251, lagen die Dinge anders).

III.

Die Verpflichtung des Beteiligten zu 1, die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu tragen, ergibt sich aus § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO i.V.m. § 107 analog.

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