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Testamentsauslegung hinsichtlich der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 237/18 – Beschluss vom 03.04.2020

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuss – Nachlassgericht – vom 5. November 2018 geändert.

Der Antrag der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins wird zurückgewiesen.

Von den erstinstanzlichen Kosten werden die Kosten der Beweisaufnahme den Beteiligten zu 1 und 2 jeweils zur Hälfte auferlegt. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden den Beteiligten zu 1 und 2 jeweils zur Hälfte auferlegt. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

Geschäftswert: 150.000,- €

Gründe

I.

Der Erblasser war in erster Ehe mit der Mutter des Beteiligten zu 2 verheiratet. Anfang des Jahres 2005 wurde die Ehe geschieden; im Herbst 2005 verstarb die Mutter des Beteiligten zu 2. Der Erblasser und die Mutter des Beteiligten zu 2 waren Miteigentümer des Grundstücks … 32 in Meerbusch. Mit Genehmigung des Familiengerichts erklärte der Erblasser für den Beteiligten zu 2 die Ausschlagung des Erbes nach der Mutter.

Am 15. Januar 2015 errichtete der Erblasser ein erstes handschriftliches Testament, mit welchem er die Beteiligte zu 1, damals seine Lebensgefährtin, als Alleinerbin für das Hausgrundstück in Meerbusch sowie für sämtliche, auf seinen Namen zugelassenen Fahrzeuge einsetze. Daneben gehörten zum Vermögen des Erblassers noch Kontoguthaben in Höhe von ca. 16.000,- € sowie der aus der Veräußerung des vom Erblasser zuvor betriebenen Tätowierstudios erzielte Kaufpreis in Höhe von 80.000,- €.

Ein weiteres handschriftliches Testament errichtete der Erblasser am 25. Januar 2017, in welchem er zugunsten der Beteiligten zu 1, mit der er zwischenzeitlich die Ehe geschlossen hatte, und in Bezug auf den Beteiligten zu 2 folgende Verfügungen traf:

„Ich … setze meine Ehefrau … als Alleinerbin ein. Sie bekommt lebenslanges Wohnrecht in meinem Haus … 32 in Meerbusch. Mein Sohn … soll seinen Erbanteil erst im Alter von 30 Jahren ausgehändigt bekommen.“

Mit notarieller Urkunde vom 1. Februar 2018 hat die Beteiligte zu 1, gestützt auf das Testament vom 25. Januar 2017, welches nach ihrer Auffassung der Klarstellung des Testaments vom 15. Januar 2015 diene, die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbescheins beantragt. Sie hat dazu die Auffassung vertreten, der Erblasser habe mit der in Bezug auf den Beteiligten zu 2 getroffenen Verfügung den Pflichtteil gemeint; die Auszahlung habe der Erblasser in guter Absicht auf einen Zeitpunkt verschieben wollen, zu dem der Beteiligte zu 2 vernünftig mit dem Geld umgehen könne. Weiter hat sie zur Begründung ihrer Auffassung zu einer Auslegung, nach der der Beteiligte zu 2 nur seinen Pflichtteil erhalten solle, vorgebracht, zwei Tage vor der Errichtung des Testaments vom 25. Januar 2017 sei es zu einer per Mail geführten Auseinandersetzung zwischen dem Erblasser und dem Beteiligten zu 2 gekommen und der Erblasser habe dem Beteiligten zu 2 Konsequenzen angedroht.

Der Beteiligte zu 2 ist dem Antrag entgegen getreten. Das Testament vom 25. Januar 2017 sei nicht vom Erblasser geschrieben und unterschrieben worden. Hilfsweise hat er geltend gemacht, sei es dahin auszulegen, dass ihm der hälftige Anteil am Nachlass zugewandt worden sei; lediglich bis zur Vollendung seines 30. Lebensjahres solle sein Erbanteil von der Beteiligten zu 1 verwaltet werden. Zum Testament vom 15. Januar 2015 hat er die Auffassung vertreten, es sei entweder dahin auszulegen, dass ihm, dem Beteiligten zu 2, entweder ein Vermächtnis in Bezug auf die im Testament nicht ausdrücklich erwähnten weiteren Vermögensgegenstände zugewandt worden sei oder dass die Beteiligten zu 1 und 2 Miterben nach einer vom Gericht zu bestimmenden Quote geworden seien.

Das Nachlassgericht hat nach Einholung eines Schriftgutachtens mit Beschluss vom 5. November 2018 die Tatsachen, die zur Begründung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1 erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Die Gebühren für die Erteilung des Erbscheins hat das Nachlassgericht der Beteiligten zu 1 auferlegt; die weiteren Gerichtskosten, einschließlich der Kosten für das Sachverständigengutachten, und die außergerichtlichen Kosten beider Beteiligten hat es dem Beteiligten zu 2 auferlegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Testament vom 25. Januar 2017 eigenhändig vom Erblasser geschrieben und unterzeichnet worden sei. Die Auslegung des Testaments führe dazu, dass der Erblasser die Beteiligte zu 1 zu seiner Alleinerbin eingesetzt habe. Dies lasse sich aus der Verwendung des Begriffs „Alleinerbin“ schließen. Die Verwendung des Begriffs „Erbanteil“ in Bezug auf den Beteiligten zu 2 führe dagegen nicht zwingend zu dem Schluss, dass der Erblasser die rechtliche Bedeutung des Begriffs in seiner Tragweite erfasst habe. Laien würden häufig eine Pflichtteilsberechtigung mit einer Erbberechtigung gleichsetzen. Durch nichts sei der Schluss gerechtfertigt, der Erblasser habe den Beteiligten zu 2 gleichrangig neben der Beteiligten zu 1 gesehen. Dass er den Beteiligten zu 2 überhaupt erwähnt habe, könne mit der zusätzlich vorgesehenen Verschärfung zusammenhängen, dass er seinen „Erbanteil“ erst im Alter von 30 Jahren ausgehändigt bekommen solle. Überzeugende Anhaltspunkte für eine vom Erblasser gewollte Verwaltung des Erbanteils des Beteiligten zu 2 durch die Beteiligte zu 1 lägen nicht vor. Aus dem Inhalt des zwei Tage vor Errichtung des Testaments vom 25. Januar 2017 geführten Streit lasse sich erkennen, dass das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Beteiligten zu 2 zerrüttet gewesen sei. Auch das spreche für die Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin. Die zu Lasten des Beteiligten zu 2 getroffene Kostenentscheidung entspreche billigem Ermessen, denn er habe wenig substantiierte Einwände gegen die Echtheit des Testaments vom 25. Januar 2017 erhoben. Die Beweisaufnahme sei zu seinen Lasten ausgegangen und eine besondere Nähe zur Beteiligten zu 1 sei hier nicht zu berücksichtigen.

Gegen die vom Nachlassgericht getroffene Feststellung sowie gegen die zu seinen Lasten getroffene Kostenentscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2 mit seiner Beschwerde vom 13. November 2018. Er meint, schon im ersten Testament vom 15. Januar 2015 sei die Beteiligte zu 1 nicht zur Alleinerbin eingesetzt worden, denn bei den ihr ausdrücklich zugewandten Nachlassgegenständen habe es sich nicht um das ganze Vermögen des Erblassers gehandelt und für die nicht genannten Vermögensbestandteile gelte die gesetzliche Erbfolge. Soweit der Erblasser die Beteiligte zu 1 im zweiten Testament als Alleinerbin eingesetzt habe, habe er ihre Stellung zugleich durch das zu ihren Gunsten verfügte lebenslange Wohnrecht wieder eingeschränkt; ein Wohnrecht am eigenen Eigentum der Beteiligten zu 1 im Falle einer gewollten Alleinerbschaft mache aber keinen Sinn. Im übrigen sei allgemein bekannt, dass ein Pflichtteilsanspruch nicht eingeschränkt werden könne. Dementsprechend mache das Testament nur dann Sinn, wenn es so verstanden werde, dass der Erblasser der Beteiligten zu 1 ein Wohnrecht an dem Haus habe verschaffen wollen und er, der Beteiligte zu 2, im Alter von 30 Jahren seinen Erbanteil erhalte. In Bezug auf die Kostenentscheidung wendet er ein, er selbst hätte die Echtheit des Testaments vom 25. Januar 2017 nicht beurteilen können. Wenn das Gericht der Auffassung gewesen sei, seine Einwände gegen die Echtheit seien unsubstantiiert und ein einfacher Schriftvergleich ausreichend, hätte es selbst die formelle Wirksamkeit des Testaments feststellen müssen. Die Belastung mit den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 widerspreche billigem Ermessen, ein Grund dafür bestehe nicht.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf mit weiterem Beschluss vom 22. November 2018 zur Entscheidung vorgelegt. Eine im ersten Testament etwa getroffene Erbfolgeregelung werde durch die Regelung im zweiten Testament ersetzt. Die Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin habe durch die Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts keine Einschränkung erfahren; es könne genauso gut als doppelte Absicherung verstanden werden. Die Auslegung, der Beteiligten zu 1 sei nur ein Wohnrecht zugewandt worden, sei nicht haltbar, denn dann hätte sie sogar weniger erhalten als nach dem ersten Testament; das sei aber angesichts des persönlichen Verhältnisses zwischen den Beteiligten nicht plausibel. In Bezug auf die vom Erblasser getroffene Bestimmung, nach der der Beteiligte zu 2 seinen Erbanteil erst im Alter von 30 Jahren erhalten solle, sei davon auszugehen, dass der Erblasser nach der Auseinandersetzung mit dem Beteiligten zu 2 habe sicherstellen wollen, dass dieser auf Jahre nichts erhalte. Die insoweit bestehende rechtliche Fehlvorstellung beim Erblasser, die auch in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse an dem Haus in Meerbusch bestanden habe, spreche für die juristische Unbedarftheit des Erblassers und eröffne einen weiten Auslegungsspielraum der vom Erblasser verwendeten Begriffe. Die Kostenentscheidung sei gerechtfertigt, da der Beteiligte zu 2 ins Blaue hinein lediglich die Echtheit des zweiten Testaments bestritten habe, dies in der Annahme, dass seine Erbenstellung nach dem ersten Testament gesicherter sei. Die Einholung des Sachverständigengutachtens habe pflichtgemäßem Ermessen entsprochen, denn wegen des leicht unterschiedlichen Schriftbildes der beiden Testamente habe die eigene Sachkunde des Nachlassgerichts nicht dazu gereicht, die Einwände des Beteiligten zu 2 zu widerlegen. Die versuchte Aufklärung des Sachverhalts durch eine mündliche Anhörung der Beteiligten sei an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft des Beteiligten zu 2 gescheitert. Der Beteiligte zu 2 müsse auch die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 tragen, da er sich selbst habe anwaltlich vertreten lassen und im Ergebnis ungerechtfertigte Einwände erhoben habe, weshalb die sodann erfolgte Einschaltung eines Anwalts durch die Beteiligte zu 1 sachgerecht gewesen sei.

Auch den Ausführungen des Nachlassgerichts im Nichtabhilfebeschluss ist der Beteiligte zu 2 entgegen getreten. In Bezug auf die Kostenentscheidung führt er ergänzend aus, soweit er die Teilnahme an einer vom Nachlassgericht zunächst vorgesehenen Anhörung abgelehnt habe, sei dies aus Kostengründen, nämlich zur Ersparnis zusätzlicher Termingebühren, geschehen.

Die Beteiligte zu 1 verteidigt die Beschlüsse des Nachlassgerichts als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte sowie der beigezogenen Akten des AG Neuss, 131 IV 364/17 (Akte über die Testamente des Erblassers), und 131 VI 221/05 (Akte über den Nachlass der Mutter des Beteiligten zu 2) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 2 ist nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.

Sie hat in der Sache Erfolg, denn der Erblasser hat die Beteiligte zu 1 nicht zu seiner Alleinerbin eingesetzt. Dem vom Nachlassgericht gefundenen Ergebnis zur Auslegung des Testaments vom 25. Januar 2017 kann nicht beigetreten werden.

Zutreffend hat das Nachlassgericht festgestellt, dass sich die Erbfolge nach dem Testament vom 25. Januar 2017 richtet. Dieses Testament ist als zeitlich jüngeres Testament an die Stelle des zuvor errichteten Testaments vom 15. Januar 2015 getreten, denn der Erblasser hat seine zuvor getroffenen Verfügungen durch die letztwillige Verfügung vom 25. Januar 2017 geändert, § 2258 Abs. 1 BGB. Das Testament vom 25. Januar 2017 ist als eigenhändig vom Erblasser geschriebenes und unterschriebenes Testament gemäß § 2247 Abs. 1 BGB wirksam. Die Echtheit des Testaments hat das Nachlassgericht aufgrund des Ergebnisses des erstinstanzlich eingeholten Schriftsachverständigengutachtens in nicht zu beanstandender Weise festgestellt; Einwände hiergegen werden auch vom Beteiligten zu 2 nicht geltend gemacht.

Ebenfalls noch richtig ist das Nachlassgericht von der Auslegungsbedürftigkeit des Testaments vom 25. Januar 2017 ausgegangen. Die vom Erblasser einerseits verfügte Einsetzung der Beteiligten zu 1 als seiner Alleinerbin und das weiter zu ihren Gunsten verfügte Wohnrecht an dem Haus in Meerbusch und die andererseits in Bezug auf den Beteiligten zu 2 getroffene Bestimmung, dass dieser seinen Erbanteil erst im Alter von 30 Jahren bekommen solle, lassen nicht eindeutig erkennen, welche Rechtsstellung der Erblasser den Beteiligten jeweils einräumen wollte. Die hier entscheidungserheblichen Formulierungen in Bezug auf die Beteiligte zu 1 „Alleinerbin“ und in Bezug auf den Beteiligten zu 2 „Erbanteil“ sind auslegungsbedürftig, denn in juristischer Hinsicht gibt es bei Einsetzung einer Person zum Alleinerben keine weiteren „Erbanteile“ bzw. bei Bestimmung einer Person als Alleinerbe und gleichzeitiger Nennung weiterer Personen, die ebenfalls Anteile als Erben erhalten sollen, ist eine Alleinerbstellung nicht möglich.

Erweist sich der Inhalt eines Testaments als nicht eindeutig, ist es auslegungsbedürftig. Dazu ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen. Im Wege der sog. erläuternden Testamentsauslegung ist zu klären, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Es verbietet sich gemäß § 133 BGB eine Auslegung, die allein auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abstellt; vielmehr ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, allein sein subjektives Verständnis ist maßgeblich. Zur Ermittlung des Inhalts eines Testaments ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen. Beachtliche Umstände außerhalb des Testaments können vor oder auch nach der Testamentserrichtung liegen; maßgeblich für die Auslegung des Testaments ist aber stets der Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (vgl. Palandt-Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2084 Rn. 1 ff.). Diese umfassende Berücksichtigung aller sonstigen Umstände kann dementsprechend auch zu dem Ergebnis führen, dass der Erblasser dem vom ihm verwendeten (vermeintlich) eindeutigen und klaren Begriff eine Bedeutung beigelegt hat, die im Widerspruch zum allgemeinen bzw. juristischen Sprachgebrauch steht (vgl. BeckOGK/Gierl, BGB, Stand: 1. März 2020, § 2084 Rn. 25 und 63 ff.).

Ist – wie hier – Grundbesitz seinem Wert nach der Hauptnachlassgegenstand, so liegt es regelmäßig nahe, seine Zuwendung an eine bestimmte Person als deren Einsetzung zum Alleinerben anzusehen. Demgegenüber spricht die Zuwendung von Geldansprüchen in der Regel gegen einen Willen des Testierenden, den in dieser Weise Bedachten als Erben einzusetzen (vgl. BayObLG NJW-RR 2003, 297, 299 m.w.N.). Alternativ kann in der Zuwendung eines einzelnen Nachlassgegenstandes an eine Person – eine gegenständlich beschränkte Erbfolge in Bezug auf einen einzelnen Gegenstand scheidet wegen des Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge aus – und bei weiteren Verfügungen über den übrigen Nachlass aber auch die Anordnung liegen, dass eine Vor- und Nacherbschaft eintreten soll und die Nacherbfolge auf Bruchteile des Nachlasses beschränkt sein soll. Auch bei einem und demselben Erben ist die Aufteilung des Nachlasses in Bruchteile in der Weise möglich, dass teilweise Vor- und Nacherbschaft, teilweise Vollerbschaft angeordnet ist (vgl. BayObLG a.a.O.; BGH NJW 1980, 1276; OLG Hamm FGPrax 2015, 223; BeckOK/Litzenburger, BGB, 53. Edition Stand: 1. Februar 2020, § 2100 Rn. 30).

Nach diesen Grundsätzen kommt im hiesigen Fall auch die Auslegung des Testaments vom 25. Januar 2017 dahin in Betracht, dass die Beteiligte zu 1 zunächst als Vorerbin auf den gesamten Nachlass eingesetzt sein und zu ihren Gunsten ein Wohnrecht an dem Haus in Meerbusch bestehen sollte und der Beteiligte zu 2 mit Erreichen des Alters von 30 Jahren als Nacherbe auf einen Bruchteil des Nachlasses, nämlich den auf ihn als Abkömmling entfallenden gesetzlichen Erbanteil, eingesetzt sein sollte. Darauf hat der Senat die Beteiligten mit Beschluss vom 23. Mai 2019 hingewiesen.

Dass die zweitgenannte Alternative dem wirklichen Willen des Erblassers bei Errichtung seines Testaments vom 25. Januar 2017 entspricht, ist aufgrund des Ergebnisses der Anhörung der Beteiligten zu den Begleitumständen der Errichtung des Testaments festzustellen. So haben beide Beteiligten gegenüber dem Senat übereinstimmend das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Beteiligten zu 2 als über einen langen Zeitraum schwierig beschrieben. Gleichwohl kann eine Zerrüttung des Verhältnisses zwischen ihnen, die Anlass für den Erblasser gewesen sein könnte, den Beteiligten zu 2 auf seinen Pflichtteil zu verweisen, nicht festgestellt werden. Vielmehr zeigen die Angaben beider Beteiligten, dass der Erblasser und der Beteiligte zu 2 sich trotz ihres schwierigen Verhältnisses stets einander verbunden gesehen haben. So hat der Erblasser dem Beteiligten zu 2 eine Ausbildungsstelle vermittelt und für ihn zeitweilig eine Wohnung angemietet. Der Beteiligte zu 2 ist nach dem Eintritt der Erkrankung des Erblassers wieder in dem Haus in Meerbusch eingezogen und hat die Beteiligte zu 1 im Haushalt und bei der Pflege des Erblassers in großem Umfang unterstützt. Dass der Erblasser den Beteiligten zu 2 mit seinen testamentarischen Anordnungen vom 25. Januar 2017 nicht auf seinen Pflichtteil verweisen, sondern vielmehr erreichen wollte, dass der Beteiligte zu 2 erst ab einem bestimmten Zeitpunkt auf sein Erbe zugreifen können sollte, haben die Angaben der Beteiligten zu 1 deutlich gemacht. Sie hat bei ihrer Anhörung geschildert, der Erblasser habe ihr in Bezug auf sein Testament mitgeteilt, dass die dem Beteiligten zu 2 vorgeworfene Geldverschwendung Konsequenzen haben solle und deshalb der Beteiligte zu 2 erst dann Geld bekommen solle, wenn er vernünftig sei.

Entspricht es also dem Willen des Erblassers, die Begünstigung des Beteiligten zu 2 lediglich in zeitlicher Hinsicht hinauszuschieben, ist sein Testament vom 25. Januar 2017 dahin auszulegen, dass Vor- und Nacherbschaft angeordnet ist, die Nacherbschaft beschränkt auf den dem Beteiligten zu 2 gemäß § 1924 Abs. 1 BGB zustehenden gesetzlichen Erbanteil als Bruchteil des Nachlasses.

Ist demnach der angefochtene Feststellungsbeschluss in der Hauptsache abzuändern und der Alleinerbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurückzuweisen, ist auch über Pflicht zur Tragung der erstinstanzlichen Kosten neu zu entscheiden.

Grundlage für die Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten ist § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Bei der auf der Grundlage von § 81 Abs. 1 FamFG nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung in Erbscheinsverfahren sind sämtliche in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Hierzu zählen neben dem Maß des Obsiegens und Unterliegens etwa die Art der Verfahrensführung, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen Erblasser und Verfahrensbeteiligten. Im Rahmen dieser umfassenden Abwägung kann auch aus der Aufzählung der Regelbeispiele für eine Kostenauferlegung in § 81 Abs. 2 FamFG nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass in allen übrigen Fällen eine Kostenauferlegung nicht gleichwohl der Billigkeit entspräche. § 81 Abs. 2 FamFG soll dem Gericht lediglich die Möglichkeit eröffnen, die pflichtwidrige Einleitung von Verfahren sowie Verstöße gegen die Mitwirkungspflichten der Beteiligten negativ zu sanktionieren. Im Übrigen bleibt es bei der umfassenden Abwägung im Rahmen von § 81 Abs. 1 FamFG (BGH FamRZ 2016, 218; dem hat sich der Senat unter Aufgabe seiner vorherigen Rechtsprechung angeschlossen, vgl. etwa FGPrax 2019, 272).

Der Senat übt das ihm zustehende Ermessen dahin aus, dass die erstinstanzlich entstandenen Gerichtskosten nach Maßgabe des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs anteilig von beiden Beteiligten zu tragen sind und dass jeder der Beteiligten die ihm jeweils entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Dass die Beteiligte zu 1 die Kosten für die Erteilung des Erbscheins zu tragen hat, ist schon deshalb angemessen, da sie diese als Antragstellerin in jedem Fall, mithin auch bei Erfolg ihres Erbscheinsantrages, zu tragen hat, § 22 Abs. 1 GNotKG.

Die anteilige Belastung beider Beteiligten mit den Kosten der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist angezeigt, auch wenn der Beteiligte zu 2 im Ergebnis mit seinen Einwendungen zur Echtheit des Testaments vom 25. Januar 2017 keinen Erfolg hatte. Diesem Gesichtspunkt kann bereits deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werden, weil andererseits die Beteiligte zu 1 mit ihrem Antrag auf Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins insgesamt unterlegen ist. Überdies bestand für den Beteiligten zu 2 durchaus Anlass für seine Einwände gegen die Echtheit des Testaments, denn der Fließtext des Testaments vom 25. Januar 2017 und die auf ihm aufgebrachte Unterschrift unterscheiden sich im Schriftbild in nicht nur unerheblicher Weise von dem Schriftbild des Fließtextes des vorangegangen Testaments vom 15. Januar 2015 und der dortigen Unterschrift. Hinzu tritt, dass der Beteiligte zu 2 anders als die Beteiligte zu 1 nur noch vorübergehend im Haushalt des Erblassers gelebt hat und deshalb dessen Schrift zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Kenntnisnahme von den Testamenten nicht mehr, zumindest nicht mehr zuverlässig vor Augen gehabt haben dürfte.

Unerheblich in diesem Zusammenhang ist entgegen der Würdigung im angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts der Umstand, dass der Beteiligte zu 2 zu dem vom Nachlassgericht ursprünglich anberaumten Anhörungstermin nicht erscheinen wollte. Das dahinter stehende Interesse des Beteiligten zu 2 an der Vermeidung von (höheren) Rechtsanwaltskosten ist vielmehr anzuerkennen. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nach einer Anhörung der Beteiligten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der Echtheit des Testaments vom 15. Januar 2017 hätte entbehrlich sein können.

Entscheidend für die nach Auffassung des Senats angemessene Kostenentscheidung ist der Umstand der persönlichen Nähe beider Beteiligten zum Erblasser und untereinander. Dass beide Beteiligten jeweils eine enge familiäre und persönliche Beziehung zum Erblasser hatten, steht außer Zweifel. Die Beteiligte zu 1 ist seine Ehefrau und der Beteiligte zu 2 sein Sohn. Die enge Bindung auch des Beteiligten zu 2 zum Erblasser hat, wie oben in anderem Zusammenhang bereits ausgeführt, die Anhörung der Beteiligten durch den Senat ergeben. Letztlich hat die Anhörung der Beteiligten aber auch gezeigt, dass auch zwischen den Beteiligten – zumindest vorübergehend – eine Nähebeziehung, vermittelt durch die gemeinsame Pflege des Erblassers, bestand. Ist aber die im hiesigen Verfahren geführte Auseinandersetzung von familiären Beziehungen zumindest mitgeprägt, rechtfertigt das die anteilige Kostenbelastung beider Beteiligten unabhängig von der Frage des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens als angemessen.

Entsprechendes gilt für die Entscheidung in Bezug auf die außergerichtlichen Kosten. Beide Beteiligten haben über ihre Verfahrensbevollmächtigten jeweils berechtigte Interessen geltend gemacht; der familiäre Hintergrund verbietet es, das Verhältnis der Beteiligten durch die Anordnung der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des jeweils anderen noch zusätzlich zu belasten.

III.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Ihr liegen die im Zusammenhang mit der Änderung der angefochtenen Kostenentscheidung im Beschluss des Nachlassgerichts angeführten Erwägungen zugrunde.

Die Wertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 61, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG.

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