AG Hamburg-Wandsbek, Az.: 709 VI 2263/17, Beschluss vom 17.05.2018
1. Die zur Begründung des Antrags vom 12.01.2018 auf Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligten zu 1) und 2) (und) erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
2. Der Antrag der Beteiligten zu 3) (Doris Karin Tepp) auf Erteilung eines Teil-Erbscheins wird zurückgewiesen.
3. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird ausgesetzt.
Die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.
Gründe
Die Erblasserin war seit 1965 verheiratet mit dem 1935 geborenen, der bereits am 2.8.1968 verstarb. Er war wie die Erblasserin bis zu seinem Tod deutscher Staatsbürger. Die Ehegatten errichteten am 2.9.1967 in Chicago ein gemeinschaftliches Testament in englischer Sprache. Dieses ist in Maschinenschrift verfasst und von den Eheleuten sowie drei Zeugen unterzeichnet.
In Ziffer 2 des Testaments setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Erben ein. Wörtlich heißt es im englischsprachigen Text:
„We … desire that all property … of which we may be possessed at the time of the decease of either of us, shall be held by the survivor to use the same as the survivor may see fit, and to have and to hold to the said survivor, survivor’s heirs and assigns forever“.
In Ziffer 3 regeln die Eheleute den Fall, dass entweder bei der Testamentseröffnung bereits beide verstorben sind oder dass beide auf Grund eines gemeinsamen Unfalls versterben. Für diese Fälle soll der gesamte Nachlass den Kindern der Eheleute zustehen. Für den Fall, dass es im Zeitpunkt der Testamentseröffnung keine (lebenden) Kinder gibt, soll das Vermögen zu 75 % der Mutter des Ehemanns () zufallen, und zu 25 % den Geschwistern der Ehefrau (und, den Beteiligten zu 2) und 3)).
Im Originaltext heißt es:
„If, at the time this Will is filed for probate, neither one of us is then living, or in the event of our deaths in or as a result of a common accident, then without inquiring into the actual survivorship, we, or the survivor of us, give, devise and bequeath our entire estate of every kind … to our beloved children or the survivor of them. In the event that there are no children living at the time this Will is filed for probate, we hereby desire that all our property … is hereby devised and bequeated to:, … 75 % … and to and (25 %) … of our entire estate, to their assigns and heirs forever“.
In den Ziffern 4 und 5 des Testaments legen die Eheleute fest, dass die Mutter des Ehemanns,, Testamentsvollstreckerin und Vormund der gemeinsamen Kinder sein soll, wenn von den Eheleuten niemand mehr lebt.
Zur Zeit der Errichtung des Testaments waren die Erblasserin 27 Jahre alt, ihr Ehegatte 31 Jahre und dessen Mutter 59 Jahre.
1951 war die Familie in die USA gezogen. 1961 – 1963 lebte in Stuttgart. Während dieser Zeit in Deutschland lernte er die Erblasserin kennen. Jene kam ca. 1964 als Au-Pair-Mädchen in die USA, wohin bereits zurückgekehrt war.
Kinder hatten die Erblasserin und ihr Ehemann nicht. Das Testament wurde erstmals nach dem Tod des Ehemanns und erneut nach dem Tod der Erblasserin eröffnet.
Die Beteiligte zu 1) beantragt einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der sie und ihren Bruder, also die Geschwister der Erblasserin, als Erben zu je ½ ausweisen soll. Sie begründet dies mit der Ansicht, in dem gemeinschaftlichen Testament seien keine Bestimmungen für den Tod des überlebenden Ehegatten getroffen.
Gegen die Erteilung des Erbscheins wendet sich, die Schwägerin der Erblasserin, die Beteiligte zu 3). Sie stützt ihre Einwendung darauf, dass im Testament ihre verstorbene Mutter als Erbin zu 3/4 eingesetzt worden sei. ist am 7.5.1987 verstorben und von auf Grund Testaments vom 1.7.1982 allein beerbt worden (Erbschein vom 26.6.1987, Amtsgericht Hamburg-Wandsbek 709 VI 646/87). Deshalb beantragt die Beteiligte zu 3) einen Teilerbschein, der sie als Erbin zu 75 % ausweisen soll.
II.
Die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1) und 3) sind zulässig. Begründet ist nur der Antrag der Beteiligten zu 1). Das Erbrecht der Beteiligten zu 1) und 2) ergibt sich aus dem Testament vom 2.9.1967 in Verbindung mit § 2094 Abs. 1 BGB bzw. mit § 49 Satz 3 des Illinois Probate Act of 1939 (Anwachsung).
Die Schwägerin der Erblasserin, die Beteiligte zu 3), ist nicht Erbin zu 3/4 geworden.
1.
a)
Das gemeinschaftliche Testament vom 2.9.1967 ist wirksam, insbesondere formgültig. Auf den Erbfall anwendbar ist gem. deren Art. 83 Abs. 1 die EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO), aus der sich ergibt, welches Recht anzuwenden ist. Art. 75 Abs. 1 der EU-ErbVO lässt aber das Haager Testamentsformübereinkommen vom 5.10.1961 unberührt. Dieses ist am 1.1.1966 für Deutschland in Kraft getreten. Gemäß Art. 1 Buchst. a) des Übereinkommens reicht es zur Formgültigkeit aus, wenn das Testament den Formvorschriften am Ort der Errichtung des Testaments entsprochen hat.
Die Formgültigkeit des Testaments ist deshalb nach dem Recht des Staates Illinois zu beurteilen und zu bejahen:
Gemäß § 43 des bis 1975 geltenden Illinois Probate Act of 1939 (nachgewiesen im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, in: Illinois Revised Statutes 1965) reicht die Unterzeichnung durch die Testierenden sowie mindestens zwei Zeugen aus; vollständige Handschriftlichkeit oder notarielle Beurkundung wie im deutschen Recht ist nicht erforderlich.
b)
aa) Die Bestimmung des Inhalts des Testaments, insbesondere seine Auslegung, richtet sich grundsätzlich ebenfalls nach dem Recht des Staates Illinois. Anwendbar ist gemäß Art. 83 Abs. 1, Abs. 3, 21 Abs. 1 EU-ErbVO für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen zwar das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das ist hier Deutschland, denn hier lebte die Erblasserin vor ihrem Tod.
Für die Frage der materiellen Wirksamkeit des Testaments gilt gem. Art. 24 Abs. 1 EU-ErbVO aber das Recht, das nach der EU-ErbVO auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre, wenn die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung verstorben wäre. Die Auslegung des Testaments ist in Art. 26 Abs. 1 Buchst. d) EU-ErbVO ausdrücklich als Teil der materiellen Wirksamkeit definiert (zur Abgrenzung der Regelungen in Art. 23 zu Art.24 hinsichtlich der Frage, ob eine bestimmte Person Erbe geworden ist: Dutta, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl.2018, Bd. 11 (IPR I), Art. 23 EU-ErbVO, Rn. 13). Es ist also fiktiv von einer Geltung der EU-ErbRVO zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung auszugehen.
Art. 24 Abs. 1 EU-ErbVO verweist damit auf Art. 21 EU-ErbVO (Dutta, aaO., Art. 24 EU-ErbVO, Rn. 6), wonach das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Erblasser (zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, Art. 24 Abs. 1) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das ist Illinois. Eine abweichende Rechtswahl (siehe Art. 22 EU-ErbVO) der verfügenden Eheleute liegt nicht vor.
Da auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (unter fiktiver Geltung der EU-ErbVO) abgestellt wird, ist auch hinsichtlich der Auslegung des Testaments der Probate Act of 1939 in der seit 4.6.1957 geltenden Fassung anzuwenden, obwohl dieses Gesetz durch Sec. 30-1 des Illinois Probate Act von 1975 aufgehoben wurde.
bb) Allerdings ist für die Frage der Auslegung nach hiesiger Auffassung zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung – ohne fiktive Anwendung der EU-ErbVO – auf dessen Inhalt nicht amerikanisches, sondern deutsches Recht anwendbar gewesen wäre.
Inhaltlich war nach der Rechtslage von 1967 deutsches Recht anzuwenden, obwohl das Testament in Chicago errichtet worden war. Das ergibt sich aus Art. 24 Abs. 1 EGBGB der damals geltenden Fassung, wonach ein Deutscher, auch wenn er seinen Wohnsitz im Ausland hatte, nach den deutschen Gesetzen beerbt wurde.
Damit stellt sich das Problem, dass sich die Auslegung des Testaments seit Errichtung im Jahre 1967 bis zum Inkrafttreten der EU-ErbVO im Jahre 2015 nach deutschem Recht gerichtet hat, seitdem jedoch nach amerikanischem Recht richten soll. Das widerspricht dem mit der EU-Erbrechtsverordnung verfolgten Ziel der Rechtssicherheit für die Verfügenden, wie es in Erwägungsgrund 48 der EU-ErbVO niedergelegt ist (siehe auch Dutta, aaO., Vor Art. 20 Rn. 33 und plastisch in FamRZ 2013, S. 4 ff., 9: „…das Erbstatut ist damit zu Lebzeiten des Erblassers wandelbar. Bliebe es bei dieser Wandelbarkeit, so könnte erst zum Todeszeitpunkt endgültig festgestellt werden, ob eine Verfügung von Todes wegen wirksam errichtet wurde, weil erst zu diesem Zeitpunkt Gewissheit über das Erbstatut besteht. Die Erbrechtsverordnung will deshalb zu Recht für eine Stabilität des auf die Verfügung von Todes wegen … anwendbaren Rechts sorgen“). Zudem erscheint der nachträgliche Wechsel der für die Auslegung geltenden Rechtsordnung insbesondere deshalb problematisch, weil die Auslegung einer letztwilligen Verfügung sinnvollerweise nur ex ante vorgenommen werden kann, hier also aus der Sicht des Jahres 1967.
Es spricht deshalb viel dafür, den Konflikt dadurch zu lösen, dass bei der Anwendung der EU-ErbVO eine Ausnahme gemäß Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO anzunehmen ist. Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO lässt es zu, nicht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung anzuwenden, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Beziehung der Testierenden zu einem anderen Staat als dem Wohnsitzstaat ergibt; hier also eine engere Beziehung zu Deutschland als zu den USA. Dafür spricht nicht nur, dass nach der Rechtslage des Jahres 1967 auf den Inhalt des Testaments deutsches Erbrecht anwendbar war, sondern auch, dass die Eheleute beide deutsche Staatsbürger waren und in ihrem Testament außer den noch nicht geborenen Kindern nur Verwandte in Deutschland bedacht haben.
Die Frage, ob das gemeinschaftliche Testament im unionsrechtlichen Sinne möglicherweise als Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) EU-ErbVO einzuordnen ist, bleibt ohne Belang, weil auch Art. 25 Abs. 2 auf Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO verweist.
cc) Letztlich kann die Frage, ob der Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments nach den Vorschriften des deutschen BGB oder nach dem Recht des Staates Illinois auszulegen ist, offen bleiben. Beide Rechtsordnungen führen zu demselben Ergebnis.
Wenig überraschend kommt es sowohl nach deutschem Recht, als auch nach dem Recht des Staates Illinois in erster Linie darauf an, was die Erblasser bestimmt haben. Das ergibt sich speziell für den hier vorliegenden Fall des Vorversterbens eines Zuwendungsempfängers aus § 49 des Illinois Probate Act of 1939. Unter der Überschrift „Devise or Legacy to a Deceased Devisee or Legatee“ (Zuwendung an einen verstorbenen Zuwendungsempfänger) heißt es dort für alle drei geregelten Fälle: „and there is no provision in the will for that contingency“, also: „soweit im Testament keine Vorsorge für diesen Fall getroffen ist“. Die danach genannten Regeln sollen also nur gelten, wenn der Testierende nichts anderes verfügt hat.
2.
Die Eheleute haben bei der Testamentserrichtung weder ausdrücklich, noch konkludent den Fall geregelt, dass die Mutter des Ehemanns vor dem Tod des letztversterbenden Ehegatten wegfällt.
a)
Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung waren die Eheleute der englischen Sprache mächtig, und zwar so weitgehend, dass kein Zweifel daran besteht, dass sie sprachlich wussten, was sie erklärten. Die Erblasserin lebte zur Zeit der Testamentserrichtung bereits drei Jahre in den USA, davon ein Jahr als Au-Pair-Mädchen in englischsprachiger Umgebung. Ihr Ehemann lebte bereits seit mehr als 13 Jahren in den Vereinigten Staaten.
Eine Vor- oder Nacherbschaft ist nicht angeordnet. Aus Ziffer 2 des Testaments ergibt sich vielmehr, dass der überlebende Ehegatte Vollerbe sein soll. Sein Erbteil soll ihm nämlich nicht nur auf bestimmte Zeit, sondern „forever“, und damit auch seinen Erben (“heirs and assigns“) zu Gute kommen.
Nach dem Tod des Ehemanns im August 1968 ist daher dessen Ehefrau, die jetzige Erblasserin, Erbin ihres Ehegatten geworden. Damit war das gemeinschaftliche Testament aber noch nicht erledigt. Dieses enthält in Ziffer 3 Regelungen für die Erbfolge nach dem Letztversterbenden.
Ziffer 3 des Testaments betrifft nicht nur den Fall des gleichzeitigen oder annähernd gleichzeitigen Versterbens, für den die Eheleute anordnen, dass auf eine Untersuchung, wer von beiden den anderen kurzzeitig überlebt hat, verzichtet werden soll (“without inquiring into the actual survivorship“). Dies ist nur einer der in Ziffer 3 geregelten Fälle, wie sich aus dem Wort „oder“ (das erste “or“ in Zeile 2 von Ziffer 3 ergibt. Der andere Fall ist der hier vorliegende: Zum Zeitpunkt der Berufung auf das Testament ist keiner der beiden Eheleute mehr am Leben.
Die Erblasser haben damit beide Fälle geregelt, die in einem gemeinschaftlichen Testament sinnvollerweise geregelt werden: Wer soll den Erstversterbenden beerben (Ziffer 2), und wer erbt, wenn auch der zweite Ehegatte verstirbt (Ziffer 3). Der Sonderfall, dass die Reihenfolge des Versterbens nicht sicher feststellbar ist, wird in Ziffer 3 auch – aber eben nur zusätzlich – geregelt.
Für die in Ziffer 3 genannten Fälle haben die Eheleute festgelegt, dass ihre Kinder Erbe „von ihnen oder dem Letztversterbenden“ (“we, or the survivor of us, give …“) sein sollen. Dass hier nicht nur der Letztversterbende erwähnt wird, erklärt sich daraus, dass von dieser Regelung ja auch der Fall des gemeinsamen Unfalltodes erfasst sein soll. Dass es nicht nur dieser Fall sein soll, wird darin deutlich, dass neben dem „wir“ auch der Letztversterbende erwähnt wird (der im Fall des Unfalltodes ja nicht ermittelt werden soll, s.o.).
Für den vorliegenden Fall, dass zum Zeitpunkt der Testamentseröffnung keine Kinder der Eheleute vorhanden sind – die Ehe blieb bis zum frühen Tod des Ehemanns ja kinderlos – (“In the event that there are no children living …“), sollte die Zuwendung der Mutter des Ehemanns zu 75 % und den Geschwistern der Erblasserin (zu 25 %) zu Gute kommen. Auch hier ist festgelegt, dass nicht nur Vorerbschaft eintreten soll. Die genannten Personen sollen das Erbe ebenfalls (wie der Erbe des Erstversterbenden) auf Dauer erhalten: „to their assigns and heirs forever“.
Wäre die Erblasserin also bereits 1986 oder früher verstorben, wäre die genannte Regelung zum Zuge gekommen und die Mutter des Ehegatten,, hätte zu 75 % geerbt. Der Wert des Nachlasses wäre dann 1987 deren Tochter, der Beteiligten zu 3), als Teil der Erbschaft nach ihrer Mutter, zu Gute gekommen.
3.
Die Mutter des Erblassers,, ist 1987 verstorben.
a)
Im gemeinschaftlichen Testament der Eheleute ist nicht ausdrücklich geregelt, was für den Fall gelten soll, dass eine der namentlich erwähnten Personen – hier die Mutter des Erblassers – nicht mehr am Leben ist.
Die testierenden Ehegatten haben für den Fall, dass die Mutter des Ehemanns als Erbin wegfällt, keine ausdrückliche Regelung durch Einsetzung eines Ersatzerben (§ 2096 BGB) getroffen. Die Erwähnung der Erben und Rechtsnachfolger (“assigns and heirs“) bei dem Namen der Mutter des Erblassers enthält jedenfalls keine ausdrückliche Regelung, dass diese an ihrer Stelle eingesetzt sein sollen, wenn die Mutter den Erbfall nicht erlebt. Mit der Erwähnung der Erben wird lediglich klargestellt, dass die Mutter Gertrud, wenn sie den Erbfall erlebt, Vollerbin werden soll und nicht nur Vorerbin. Wenn sie Erbin geworden wäre, könnte sie ihren Erbteil vererben. Sie ist aber, da bereits verstorben, nicht Erbin geworden.
b)
aa) Die Ehegatten haben die Beteiligte zu 3) auch nicht konkludent als Ersatzerbin eingesetzt. Insoweit ist eine Auslegung des Testaments erforderlich. Die Formulierung bezüglich der „Erben und Rechtsnachfolger“ ist nicht so zu verstehen, dass damit (zumindest auch) eine Einsetzung der „Erben und Rechtsnachfolger“ als Ersatzerben erfolgen sollte, und nicht (oder nicht nur) die Stellung der bedachten Person als Vollerbe beschrieben werden sollte. Das wäre anders, wenn statt von „Erben und Rechtsnachfolgern“ beispielsweise von „Kindern und Enkeln“ oder „Familienangehörigen“ die Rede wäre. Dann wäre zumindest abstrakt bestimmt, dass für den Fall, dass die bedachte Person wegfällt (hier: die Mutter stirbt), an ihrer Stelle Familienangehörige erben sollen und damit das vererbte Vermögen in der Familie der im Testament namentlich genannten Person bleibt. Durch den Verweis auf die „Erben und Rechtsnachfolger“ besteht diese Gewissheit nicht, denn wer ersatzweise für die bedachte Person erben soll, ist vollständig der Willkür (oder, positiver formuliert: der Testierfreiheit) der im Testament genannten Person überlassen.
Insoweit mag man sich vergegenwärtigen, wie sich die Situation darstellen würde, wenn nach dem Tod der Mutter Gertrud nicht die Beteiligte zu 3) deren testamentarische Erbin geworden wäre, sondern eine Kirchengemeinde, ein Tierschutzverein oder ein Lebensgefährte. Es liegt ganz fern, dass die Eheleute bei Abfassung des Testaments im Jahre 1967 eine dieser Personen als Ersatzerben einsetzen wollten. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn man die Erwähnung der „Erben“ einschränkend als „gesetzliche Erben“ verstehen wollte, wofür es keinen Anhaltspunkt gibt. Gesetzlicher Erbe könnte auch ein zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch unbekannter Ehemann sein, zu dem keinerlei Beziehung der Testamentsverfasser bestehen würde.
bb) Nach dem Recht des Staates Illinois ist schon zweifelhaft, ob die konkludente Einsetzung eines Ersatzerben überhaupt in Betracht kommt. Der Probate Act of 1975 verlangt in Satz 1 von Sec. 4-11 eine ausdrückliche (“expressly“) Bestimmung. Unless the testator expressly provides otherwise in his will …“recherchierbar unter: http://ilga.gov/legislation/ilcs/ilcs4.asp?DocName=075500050HArt%2E+IV&ActID=2104&ChapterID=60&SeqStart=5300000&SeqEnd=6750000 oder: Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, Band IX, US Illinois Texte A). In der hier anzuwendenden Vorgängerregelung von 1939 wird abgeschwächt formuliert: „and there is no provision in the will for that contingency“ (s.o.), so dass eine konkludente Bestimmung möglich sein könnte. Sie liegt jedoch, wie unter aa) gezeigt, nicht vor.
c)
Auch wenn sich aus dem Text des Testaments weder eine ausdrückliche, noch eine konkludente Bestimmung eines Ersatzerben ergibt, könnte eine (ggf. ergänzende) Auslegung des Testaments ergeben, dass die Einsetzung der Beteiligten zu 3) als Ersatzerbin gewollt war.
aa) Eine gesetzliche Auslegungsregel, wonach Abkömmlinge an die Stelle ihrer Eltern treten, gibt es bei der gewillkürten Erbfolge anders als bei der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Recht (§ 1930 BGB) nicht. Lediglich für den Fall, dass ein Kind als Erbe eingesetzt wird und nach Testamentserrichtung wegfällt, bietet § 2069 BGB eine Auslegungsregel dahingehend, dass dann im Zweifel die Enkel bedacht sein sollen. Dieser Fall ist hier nicht gegeben. Gerade die in § 2069 BGB vorgenommene Eingrenzung auf Nachkommen zeigt, dass hier kein allgemeiner Rechtsgedanke mit dem Inhalt vorliegt, dass im Zweifel immer die Erben einer wegfallenden Person bedacht sein sollen (betr. Stieftochter: OLG Frankfurt/M., FamRZ 1996, 829; betr. einen Neffen: OLG München, FamRZ 2008, 306; betr. einen Bruder: OLG Schleswig, FamRZ 2012, S. 666; Weidlich in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 2069 Rn. 8; G. Otte in Staudinger, (2013), § 2069 Rn. 30). Anders gesagt: Soweit der Erblasser nicht seine Kinder als Erben einsetzt, sondern andere Personen, beschränkt sich das Erbrecht auf diese ausdrücklich genannten Personen, sofern der Erblasser nichts anderes angeordnet hat (§ 2096 BGB).
bb) Die Regelung im Illinois Probate Act 1939 entspricht der deutschen Regelung. In § 49 Satz 1 heißt es: (Nur) für den Fall, dass ein im Testament bedachter Abkömmling (“a descendant of the testator“) stirbt, sollen dessen Nachkommen den Erbteil erhalten. Eine allgemeine Regelung, dass für einen weggefallenen Erben dessen Nachkommen eintreten sollen, gibt es auch im Illinois Probate Act nicht.
Nicht einschlägig ist die Regelung in § 49 Satz 2, die den Fall behandelt, dass die Zuwendung einer Gruppe (“class“) zukommen soll, und ein Mitglied dieser Gruppe verstirbt.
cc) Auch wenn sich die Stellung der Beteiligten zu 3) nicht aus der Auslegungsregel des § 2069 BGB ergibt, könnte nach deutschem Recht eine (ggf. ergänzende) Auslegung des Testaments gem. § 2084 BGB dazu führen, dass die Beteiligte zu 3) Ersatzerbin ist (Zur Erforderlichkeit einer Auslegung: OLG Schleswig, aaO., S. 667). Die Einsetzung eines Ersatzerben geht der Anwachsung des Erbteils bei den verbliebenen Erben vor, § 2099 BGB.
Dabei ist der Wille der Testierenden anhand aller Umstände des Einzelfalls, bezogen auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung, zu ermitteln (OLG München, aaO.). Eine ergänzende Auslegung kommt nur in Betracht, wenn eine planwidrige Lücke vorliegt (Weidlich in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 2084 Rn. 8; ausdrücklich KG, FamRZ 2011, 928 ff., 929; angedeutet in OLG Frankfurt/M., aaO., S. 830). Schon das ist sehr zweifelhaft. Zwar war bei Abfassung des Testaments, wie sich aus den Zeitangaben im Totenschein des Ehemanns ergibt, die Krebserkrankung des Ehemanns bereits bekannt. Sie war vermutlich Anlass für die letztwillige Verfügung. Für eine entsprechende Erkrankung der Ehefrau, der jetzigen Erblasserin, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Es ist deshalb (anders als in dem der Entscheidung des OLG München, aaO. S. 307, zu Grunde liegenden Fall) naheliegend, dass die Eheleute bei der Abfassung des Testaments damit rechnen mussten und damit gerechnet haben, dass einer der Eheleute – vermutlich die Ehefrau – die 32 Jahre ältere Mutter des Ehemannes überleben würde. Das spricht dafür, dass die Eheleute nicht planwidrig, sondern bewusst keinen Ersatzerben für die Mutter eingesetzt haben. Denn die Antragstellerin entstammte ungefähr der Generation der testierenden Eheleute. Sie war zur Zeit der Testamentserrichtung präsent und hätte unproblematisch als Ersatzerbin im Testament aufgeführt werden können, wenn die Eheleute dies gewollt hätten – so, wie die Eheleute Vorsorge für den Fall getroffen haben, dass im Erbfall keine Kinder vorhanden sind.
Selbst wenn aber das Vorliegen einer planwidrigen Lücke zu bejahen wäre, ergibt sich daraus keine Einsetzung der Beteiligten zu 3) als Ersatzerbin. Zu fragen ist, was die Eheleute angeordnet hätten, wenn sie den Fall ausdrücklich geregelt hätten, dass die Mutter des Erblassers früher verstirbt als der letzte der Eheleute (zu dieser Fragestellung: OLG Frankfurt/M., aaO., S. 830). Dabei sind drei Konstellationen denkbar (vgl. Otte in Staudinger, aaO. Rn. 30): Die Zuwendung an die Mutter könnte unwirksam sein, mit der Folge des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge; es könnte Anwachsung bei den übrigen Bedachten eintreten, oder es könnte eine Ersatzberufung gewollt sein.
Dabei führen die beiden ersten Möglichkeiten im konkreten Fall zum gleichen Ergebnis: Tritt hinsichtlich des Teils des Nachlasses, der für die Mutter des Ehegatten bestimmt war, gesetzliche Erbfolge ein, so kommt dieser Anteil nach dem Tod der Erblasserin deren Geschwistern – als gesetzliche Erben – zu Gute. Nimmt man hingegen an, dass der Erbteil der Mutter (75 %) den übrigen Testamentserben anwachsen soll, so profitieren hiervon ebenfalls die Geschwister der Erblasserin zu gleichen Teilen, § 2094 Abs. 1 BGB. Auch der Gleichlauf dieser beiden Ergebnisse spricht dafür, dass in der gegebenen Konstellation (Ehefrau als Letztversterbende, Vorversterben der Mutter des Erblassers) die im Testament ohnehin erwähnten Geschwister der Ehefrau und nicht etwa eine im Testament nicht erwähnte Verwandte (die Beteiligte zu 3)) erben sollten.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter des Ehemanns nicht als individuelle Person, sondern „als erste ihres Stammes“ (Zu diesem Kriterium: OLG Schleswig, aaO., S. 667; Otte in Staudinger, aaO., Rn. 31 unter Bezugnahme auf das Reichsgericht) erben sollte. Nennenswertes Vermögen, dass in der Familie zu halten wäre, war bei Testamentserrichtung bei keiner der beteiligten Personen vorhanden. Ob das von den Eheleuten in den USA erworbene Reihenhaus als wichtigster Vermögensgegenstand ausschließlich dem Ehemann, oder anteilig beiden gemeinsam gehörte, ist ebensowenig bekannt, wie eine mögliche Belastung und der verbleibende Nettowert. Selbst wenn man annimmt, dass das Haus werthaltig und ausschließlich Eigentum des Ehemanns gewesen ist, und dass es ausschließlich aus Mitteln des Ehemanns und seiner Mutter erworben wurde, ergibt sich daraus nicht, dass es (bzw. dessen Erlös) im „Stamm des Ehemanns“ verbleiben sollte, falls die Mutter den (zweiten) Erbfall nicht erlebt. Die Beteiligte zu 3) hat aus damaliger Perspektive ersichtlich keinen Bezug zu diesem (angenommenen) Vermögen, anders als die Mutter zu deren Lebzeiten. Auch ein besonderes Näheverhältnis (zu diesem Kriterium: OLG Schleswig, aaO., S. 668) der Beteiligten zu 3) zu den beiden Eheleuten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ist nicht bekannt. Die Versorgung der Mutter stellt einen nachvollziehbaren Grund ihrer Einsetzung „als Person“als Erbin ein. Das gilt erst Recht, wenn die Mutter nichts zu dem Kauf des Hauses beigesteuert hat und beisteuern konnte.
Im Ergebnis führt eine Anwachsung des 75%-Erbteils der verstorbenen Mutter bei den Geschwistern der Erblasserin nach § 2094 Abs. 1 BGB zu einer ausgewogenen und gerechten Lösung. Es darf angenommen werden, dass die gesetzlich vorgesehene Lösung nicht zu einem ungerechten Ergebnis führt, so dass die Auffassung vertreten wird, eine Auslegung solle sich an der gesetzlichen Regelung orientieren (BayObLG, Beschluss vom 19.1.2001, 1Z BR 176/99 – juris -, Rn. 22). . Hier führt die Anwachsung zu keinem anderen Ergebnis, als wenn es kein Testament geben und die gesetzliche Erbfolge eintreten würde.
Gerade aus der Perspektive des Jahres 1967 ist die Annahme einer Anwachsung plausibel: Die Eheleute mussten bei Abfassung des Testaments damit rechnen, dass der Ehemann deutlich früher als seine Ehefrau versterben würde. Den Eheleuten war bewusst, dass zunächst – und vermutlich für viele Jahre – die Ehefrau Nutznießerin des gemeinsamen Vermögens sein würde. Würde die Ehefrau vor der Mutter des Ehemanns sterben, erscheint die Anordnung, wonach diese 3/4 des Erbes erhalten sollte, zu deren Versorgung plausibel und nachvollziehbar. Würde hingegen die Ehefrau – wie es den unterschiedlichen Geburtsdaten entspricht – die Mutter um viele Jahre überleben, so wäre das dann zu vererbende Vermögen immer mehr zu „ihrem“ Vermögen geworden und hätte immer weniger Bezüge zu einem (möglicherweise 1967 vorhandenen) Familienvermögen der Mannesseite. So erscheint es ebenso plausibel, dass in diesem Fall, wie er hier 49 Jahre nach dem Tod des Ehemanns eingetreten ist, die Erbschaft nach der Ehefrau allein deren Familie zufällt.
dd) Im Illinois Probate Act of 1939 ist die Anwachsung als Rechtsfolge des Wegfalls eines Zuwendungsempfängers ebenfalls geregelt. Denn wenn keiner der oben genannten Fälle des Wegfalls eines Abkömmlings oder eines Gruppenmitglieds vorliegt, soll nach § 49 Satz 3 gelten, dass die Zuwendung an den weggefallenen Zuwendungsempfänger Teil des restlichen Nachlasses wird und in dem hierfür angeordneten Verhältnis aufzuteilen ist:
„Except as above provided, when a devise or legacy lapses by reason of the death of the devisee or legatee before the testator, and there is no provision in the will for that contingency, the estate so devised or bequeathed shall be included in and pass as part of the residue under the will, and if the devise or legacy is or becomes part of the residue, the estate so devised or bequeathed shall pass to and be taken by the legatees or devisees, or those remaining, if any, of the residue in proportions and upon estates corresponding to their respective interests in the residue.“
4.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Aussetzung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses beruht auf § 352e Abs. 2 FamFG.