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Testamentsauslegung bei „Patch-Work-Familie“

OLG München, Az.: 31 Wx 182/17, Beschluss vom 13.11.2018

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München – Nachlassgericht – vom 17.2.2017 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte zu 1 hat die den Beteiligten zu 2 und 3 im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

Gründe

I.

1. Der Erblasser, der deutscher Staatsangehöriger war, verstarb am 6.5.2015. Er war in einziger Ehe verheiratet mit der Mutter der Beteiligten zu 2 (geb. 12.3.1997) und 3 (geb. 12.8.1991). Darüber hinaus hatte er eine Tochter (= Beteiligte zu 4, geb. 22.1.2005) mit seiner Lebensgefährtin, der Beteiligten zu 1.

2. Der Erblasser errichtete am 19.11.2009 ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut:

„Testament

Ich (…) verfüge hiermit, daß im Falle meines Todes oder Geschäftsunfähigkeit … (= Beteiligte zu 1) mein gesamtes Vermögen erbt. Hr. G.V. soll sich um die Auflösung und Abwicklung so kümmern, dass kein Schaden für … (= Beteiligten zu 1) entsteht. Frau … (= Beteiligte zu 1) soll das Vermögen für meine Kinder (…), (…) und (…) verwalten.

Frau … (= Beteiligte zu 1) erhält mit diesem Schreiben Vollmacht über alle Konten meiner Firmen und alle Privatkonten.

(Ort), 19.11.2009

Unterschrift“

3. Die Beteiligte zu 1 hatte zunächst die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als unbeschränkte Alleinerbin ausweist. Sie war der Ansicht, eine Nacherbfolge sei vom Erblasser nicht gewollt gewesen und nicht angeordnet. Das Testament sei so auszulegen, dass sie freien Zugriff auf alle Nachlasswerte haben sollte, was mit einer Vor- und Nacherbfolge nicht zu vereinbaren sei. Die Verwaltung des Vermögens für die Kinder habe lediglich den ihnen zustehenden Pflichtteil betreffen sollen, da der Erblasser habe verhindern wollen, dass seine geschiedene Ehefrau Zugriff auf die Pflichtteile erhalte. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind dem Antrag entgegen getreten. Sie sind der Auffassung, die Beteiligte zu 1 sei lediglich befreite Vorerbin, die drei Kinder des Erblassers dessen Nacherben.

Testamentsauslegung bei „Patch-Work-Familie“
Foto: Siriwat.jr/Bigstock

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 21.7.2016 den Antrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Die von ihr hiergegen eingelegte Beschwerde hat die Beteiligte zu 1 nach Hinweis durch den Senat zurückgenommen.

4. Die Beteiligte zu 1 beantragte sodann die Erteilung eines Erbscheins, der sie als befreite Vorerbin und die Beteiligten zu 2, 3 und 4 als Nacherben ausweist. Sie ist der Ansicht, die Befreiung ergebe sich daraus, dass der Erblasser ihr sein gesamtes Vermögen zugewandt, ihre finanzielle Absicherung bezweckt und ihr uneingeschränkten Zugriff auf alle seine Konten eingeräumt habe. Da zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments die Nacherben noch minderjährig gewesen seien, sei von einem Willen des Erblassers zur Befreiung der Vorerbin auszugehen, um eine Bestellung eines Pflegers für die Nacherben zu vermeiden. Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die von der Beschwerdeführerin erstrebte Erteilung eines Erbscheins deswegen nicht vorliegen, da sie von den Beschränkungen der Vorerbschaft im Sinne des § 2136 BGB nicht befreit ist.

1. Die Anordnung einer Befreiung im Sinne des § 2136 BGB setzt eine Anordnung durch letztwillige Verfügung voraus. Diese muss nicht ausdrücklich oder mit einem bestimmten Wortlaut erfolgt sein, sondern kann auch durch Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln ermittelt werden. Der Befreiungswille muss jedoch in der letztwilligen Verfügung irgendwie angedeutet oder versteckt sein. Ist dies der Fall, so können auch Umstände außerhalb des Testaments zur Bestimmung des Willens des Erblassers herangezogen werden. Dabei kann auch der von dem Erblasser verfolgte Zweck für die Beurteilung der Vorerbschaft herangezogen werden. Ist sein Interesse auf die Sicherung des Vorerben gerichtet, so liegt eine Befreiung nahe; liegt sein Interesse hingegen auf den Erhalt der Nachlasssubstanz, kann dies für eine Beschränkung des Vorerben sprechen (vgl. NK-Erbrecht/Gierl 5. Auflage <2018> § 2136 Rn. 2 m.w.N.).

2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze teilt der Senat die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich in dem Testament keine Anhaltspunkte für eine Willensrichtung des Erblassers finden, die zwingend den Schluss auf eine Befreiung der Beschwerdeführerin von den Beschränkungen der Vorerbschaft rechtfertigen.

a) Die von dem Erblasser verwendete Formulierung zu ihren Gunsten („mein gesamtes Vermögen erbt“) stellt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kein Indiz betreffend eine Befreiung im Sinne des § 2136 BGB dar. Die darin liegende Einsetzung als Alleinerbin deutet in der Laiensphäre nicht bereits zwingend auf die Anordnung einer unbeschränkten Vorerbschaft hin. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der von ihrem Verfahrensbevollmächtigten zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf ZEV 1998, 229. Diese betrifft einen Einzelfall und lässt sich insoweit nicht verallgemeinern. Zudem steht sie im Widerspruch zu der gefestigten Rechtsprechung der Obergerichte (vgl. nur BayObLGZ 1958, 299/303 unter Hinweis auf bereits RG 160, 109/111, 112; FamRZ 1984, 1272; OLG Karlsruhe ZEV 2006, 315), des BGH (vgl. FamRZ 1970, 192/193) und der Literatur (vgl. nur z.B. Palandt/Weidlich BGB 77. Auflage <2018> § 2136 Rn. 6; NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2136 Rn. 4; Lang in: Burandt/Rojahn Erbrecht 2. Auflage <2014> § 2136 Rn. 11; Staudinger/Avenarius <2013> BGB § 2136 Rn. 18).

b) Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin findet die von ihr vertretene Auslegung einer Befreiung im Sinne des § 2136 BGB keine Stütze darin, dass der Erblasser neben der Zuwendung seines Vermögens auch Vollmacht für „alle Konten seiner Firma und aller Privatkonten“ erteilt hat. Möglich ist nämlich auch, dass der Erblasser durch die Vollmachtserteilung lediglich die Handlungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin für alle Eventualitäten sicherstellen wollte. Ein Indiz, dass er sie von den Beschränkungen des § 2136 BGB befreien wollte, liegt darin nicht.

Die Erteilung einer (rechtsgeschäftlichen) Vollmacht bringt nach dem Wortsinn zum Ausdruck, dass deren Inhaber in Vertretung des Rechtsinhabers zu Handlungen ermächtigt werden soll. Insoweit ist die Erteilung der Vollmacht auch im Lichte des vorherigen Satzes im Testament zu würdigen. Darin hat der Erblasser ausdrücklich bestimmt, dass die Beschwerdeführerin das (ihr zugewendete) Vermögen für (!) seine namentlich bezeichneten Kinder verwalten (!) soll. Darin kommt der Wille des Erblassers zum Ausdruck, dass letztendlich die Kinder in den Genuss seines Vermögens kommen sollen und die Bedachte im Rahmen der ihr zugedachten Erbenstellung bzw. der Zuwendung die Interessen seiner Kinder wahren soll. Die ihr von dem Erblasser zugedachte Aufgabe als Sachwalterin bzw. Vertreterin (Vollmacht) stellt insofern vielmehr ein Indiz gegen eine Befreiung von den Beschränkungen des § 2136 BGB dar. Im Übrigen ist die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht durch den Erblasser auch insofern sinnvoll, da er Eigentümer mehrerer Immobilien war wie auch zu dem Nachlass Anteile an Gesellschaftsvermögen gehören, und daher nach seinem Ableben mittels der Erteilung einer Vollmacht in jedem Fall sichergestellt wird, dass die Beschwerdeführerin bereits vor Erteilung eines Erbscheins im Rechtsverkehr auftreten kann.

c) Auch der von der Beschwerdeführerin unter Beweis gestellte Wille des Erblassers, sie und die gemeinsame Tochter finanziell abzusichern, legt vorliegend nicht zwingend den Schluss einer befreiten Vorerbschaft nahe. Denn die Beteiligte zu 4 ist durch ihre Stellung als Nacherbin finanziell abgesichert. Dies gilt aber auch für die Beschwerdeführerin selbst durch ihre Stellung als Vorerbin, da ihr zu Lebzeiten die Nutzungen des Nachlasses zugutekommen (sog. Vorsorgefunktion der Vorerbschaft <vgl. dazu NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2100 Rn. 3>). Die vom Erblasser angeordnete Unterstützung der Beschwerdeführerin durch den Steuerberater bei der Auflösung und Abwicklung (wohl seiner Gesellschaften) zu dem Zweck, dass kein Schaden für die Beschwerdeführerin entsteht, deutet ebenfalls nicht auf einen Willen des Erblassers betreffend die Anordnung einer befreiten Vorerbschaft hin. Aus dieser Anordnung lässt sich das Bestreben des Erblassers entnehmen, die Beschwerdeführerin vor Schäden (also einer etwaigen Haftung) im Rahmen der Nachlassverwaltung zu bewahren. Eine solche Haftung kann sich sowohl im Rechtsverkehr mit Dritten, aber auch im Rahmen eines Verstoßes gegen den Grundsatz einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses gegenüber dem Nacherben (vgl. § 2130 – § 2134 BGB) ergeben. Der Umstand, dass der Erblasser seinen Steuerberater der Beschwerdeführerin unterstützend zur Seite stellt, würde somit auch den Schluss nahe legen, dass er sie nicht von der Einhaltung der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entbunden hat.

d) Das Argument der Beschwerdeführerin, dass im Zeitpunkt der Testamentserrichtung alle drei Kinder noch minderjährig waren, und so die Bestellung eines Pflegers bei erforderlichen Grundstücksverfügungen eines Vorerben notwendig, dies aber bei einer nicht befreiten Vorerbschaft entbehrlich gewesen wäre, trägt nicht.

Zwar kann im Einzelfall eine konkludente Befreiung von der Beschränkung des § 2113 Abs. 1 angenommen werden, um dem Vorerben Grundstücksverfügungen ohne die Notwendigkeit einer Pflegerbestellung zu ermöglichen (vgl. MüKoBGB/Grunsky a.a.O. § 2136 Rn. 4). Vorliegend hat der Erblasser jedoch nicht nur die Beteiligte zu 4 (letztendlich) zur Nacherbin bestimmt, sondern auch seine Kinder aus seiner früheren Ehe. Insofern liegt es auf der Hand, dass die Beteiligte zu 4 nicht gegenüber den Beteiligten zu 2 und 3 bevorzugt werden soll, sondern letztere in gleichem Maße wie die Beteiligte zu 4 Teilhabe an seinem Vermögen haben sollen. Insofern ist ein Wille des Erblassers nahe liegend, dass die Beschwerdeführerin keinen unbeschränkten Zugriff auf die Nachlasssubstanz haben soll, zumal er ausdrücklich angeordnet hat, dass sie das Vermögen für (!) die Kinder verwalten (!) soll. Bei einer nicht befreiten Vorerbschaft wird somit einer etwaigen Bevorzugung der Beteiligten zu 4 entgegengewirkt bzw. vorgebeugt.

e) Demgemäß lässt sich nach Auffassung des Senats keine Andeutung der von der Beschwerdeführerin behaupteten Willensrichtung des Erblassers betreffend eine Befreiung von den Beschränkungen einer Vorerbschaft im Sinne des § 2136 BGB in den von ihm in seiner letztwilligen Verfügung getroffenen Anordnungen finden. Vielmehr legen die von ihm verwendeten Formulierungen („soll das Vermögen für (!) meine Kinder verwalten (!)“) den Schluss nahe, dass nach dem Willen des Erblassers die Beteiligten zu 2, 3 und 4 sein Vermögen letztendlich in der Substanz ungeschmälert erhalten sollen.

II.

Die Beschwerdeführerin hat kraft Gesetzes die Gerichtskosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 22 Abs. 1 GNotKG). Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2 und 3 im Beschwerdeverfahren beruhen auf § 84 FamFG.

III.

Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren fußt auf § 36 Abs. 1 GNotKG. Maßgebend ist das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführerin an der Erteilung des von ihr beantragten Erbscheins. Dieses liegt in der Erlangung der Stellung einer befreiten statt einer unbefreiten Vorerbin. Da diese Bewertung die abschließende Klärung des Wertes des Nachlasses voraussetzt, diese aber durch das Nachlassgericht bisher noch nicht abschließend erfolgt ist, behält sich der Senat die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren vor.

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des OLG Düsseldorf ZEV 1998, 229). Diese betrifft einen Einzelfall. Aus ihr ergibt sich nicht, dass das OLG Düsseldorf grundsätzlich aus der Anordnung einer Alleinerbschaft den Schluss auf eine Befreiung im Sinne des § 2136 BGB zieht, vielmehr auch eine Beweiswürdigung durch das Beschwerdegericht die Entscheidung getragen hat. Im Übrigen ist die Rechtsfrage bereits durch den BGH geklärt (vgl. BGH FamRZ 1970, 192/193).

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