Der Testamentsvollstrecker veräußerte ein Nachlassgrundstück für 90.000 Euro, dessen tatsächlicher Verkehrswert bei 195.000 Euro lag. Das Gericht musste klären, ob dieses grobe Missverhältnis den gesamten Kaufvertrag und die Eigentumsübertragung annullierte.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- War der Verkauf des geerbten Hauses für weniger als die Hälfte des Wertes wirksam?
- Warum weigerte sich die Erbin, das verkaufte Haus zu übergeben?
- Wie bewertete das Oberlandesgericht den Fall?
- Welchen entscheidenden Fehler beging der Testamentsvollstrecker?
- Warum zählte die notarielle Zustimmung der Erbin nicht?
- War der Käufer nicht durch seinen guten Glauben geschützt?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann ist der Verkauf eines geerbten Hauses wegen eines zu niedrigen Preises unwirksam?
- Kann ich einen Kaufvertrag anfechten, wenn der Testamentsvollstrecker das Erbe verschleudert hat?
- Wie muss ein Testamentsvollstrecker den Verkehrswert einer Immobilie korrekt ermitteln?
- Bin ich als Käufer trotz Grundbucheintrag nicht geschützt, wenn der Preis viel zu niedrig ist?
- Welche Haftungsrisiken drohen einem Testamentsvollstrecker bei Pflichtverletzung beim Verkauf?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 U 30/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
- Datum: 24.07.2025
- Aktenzeichen: 2 U 30/23
- Verfahren: Zivilrechtliches Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Kaufvertragsrecht, Sittenwidrigkeit
- Das Problem: Ein Käufer forderte die Herausgabe eines Nachlassgrundstücks, das er vom Testamentsvollstrecker erworben hatte. Die Alleinerbin verweigerte die Übergabe, weil der Kaufpreis deutlich unter dem tatsächlichen Verkehrswert lag.
- Die Rechtsfrage: Ist der Verkauf eines Grundstücks aus einem Nachlass gültig, wenn der Testamentsvollstrecker es für weniger als die Hälfte des geschätzten Wertes veräußert hat?
- Die Antwort: Nein. Der Kaufvertrag und die Eigentumsübertragung sind unwirksam, weil der Testamentsvollstrecker seine Pflichten verletzte. Die Veräußerung war wegen des groben Missverhältnisses keine ordnungsgemäße Verwaltung des Erbes.
- Die Bedeutung: Testamentsvollstrecker müssen den Wert von Nachlassgegenständen sehr sorgfältig prüfen. Wird ein Erbstück zu einem extrem niedrigen Preis verkauft, kann dies zur Ungültigkeit des gesamten Geschäfts führen.
Der Fall vor Gericht
War der Verkauf des geerbten Hauses für weniger als die Hälfte des Wertes wirksam?
Ein Testamentsvollstrecker hat eine klare Aufgabe: den letzten Willen eines Verstorbenen umzusetzen und den Nachlass fair zu verwalten. Im Fall eines geerbten Hauses bedeutete das für den bestellten Verwalter: einen Käufer finden. Er fand einen. Er setzte einen Preis von 90.000 Euro an, holte die Zustimmung der alleinigen Erbin ein und ließ alles notariell besiegeln. Was er nicht tat, war eine simple Prüfung – die Ermittlung des tatsächlichen Wertes. Diese Nachlässigkeit sollte den gesamten Verkauf kippen und die Gerichte mit einer heiklen Frage beschäftigen: Schützt das Gesetz einen Käufer, wenn der Hüter des Erbes seinen Job nicht richtig macht?
Warum weigerte sich die Erbin, das verkaufte Haus zu übergeben?

Ein Mann kaufte ein Grundstück aus einem Nachlass. Der Preis betrug 90.000 Euro. Die alleinige Erbin, eine 70-jährige Frau, hatte dem Geschäft vor einem Notar zugestimmt. Der Käufer wurde als neuer Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Die Sache schien erledigt. Dann der Schock für den Käufer: Die Erbin verweigerte die Herausgabe der Schlüssel. Sie ließ sogar die Schlösser austauschen. Ihr Argument war einfach und schlagkräftig. Ein später beauftragter Gutachter hatte den wahren Verkehrswert des Grundstücks ermittelt. Dieser lag bei 195.000 Euro. Der Kaufpreis deckte nicht einmal die Hälfte des Wertes. Die Erbin fühlte sich ausgenutzt. Sie argumentierte, der Vertrag sei wegen eines wucherähnlichen Geschäfts sittenwidrig und damit nichtig. Sie habe sich in einer gesundheitlichen Schwächesituation befunden und die Tragweite nicht erfasst. Der Käufer zog vor Gericht. Er verlangte die Herausgabe des Hauses und die Unterlassung weiterer Störungen, gestützt auf sein Eigentum (§ 985 BGB) und den Kaufvertrag (§ 433 BGB).
Wie bewertete das Oberlandesgericht den Fall?
Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Es wies die Berufung des Käufers zurück. Der Kaufvertrag und die anschließende Eigentumsübertragung waren unwirksam. Der Käufer hatte keinen Anspruch auf das Haus. Die Richter legten den Finger aber auf einen anderen wunden Punkt als das Landgericht. Der entscheidende Fehler lag nicht allein in der Ausnutzung der Erbin – sondern im Handeln des Testamentsvollstreckers. Seine Befugnisse waren der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Falls. Er hatte seine Macht überschritten.
Welchen entscheidenden Fehler beging der Testamentsvollstrecker?
Das Gesetz zieht einem Testamentsvollstrecker klare Grenzen. Er darf den Nachlass verwalten, aber nicht verschenken. Eine sogenannte Unentgeltliche Verfügung ist ihm grundsätzlich verboten (§ 2205 Satz 3 BGB). Die Richter sahen den Verkauf für 90.000 Euro bei einem Wert von 195.000 Euro genau als einen solchen Fall an. Die Differenz von 105.000 Euro war eine massive, nicht gerechtfertigte Minderung des Nachlasses. Im Ergebnis war es eine teilweise Schenkung. Ein solches Geschäft hätte der Testamentsvollstrecker nur tätigen dürfen, wenn es zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses absolut erforderlich gewesen wäre, was hier nicht der Fall war.
Das Gericht stellte fest: Der Testamentsvollstrecker hatte seine Pflichten zur sorgfältigen Verwaltung (§§ 2203, 2216 BGB) grob verletzt. Er hatte blind auf die Preisvorstellungen der Erbin vertraut, ohne selbst eine Prüfung vorzunehmen. Er holte kein Gutachten ein. Er fragte nicht bei der Stadt nach einem Bodenrichtwert. Er besichtigte das Objekt nicht einmal gründlich. Sein persönlicher Eindruck vor Gericht überzeugte die Richter ebenfalls nicht. Er wirkte, als wollte er nur den Willen einer Partei umsetzen, statt den Nachlass gewissenhaft zu schützen. Seine persönliche Nähe zum Käufer – man kannte sich aus der Gastwirtschaft – rundete das Bild ab.
Warum zählte die notarielle Zustimmung der Erbin nicht?
Der Käufer argumentierte, die Erbin habe doch selbst zugestimmt. Das müsste den Verkauf heilen. Das Gericht sah das anders. Wegen des massiven Missverhältnisses zwischen Kaufpreis und Wert ging es von einem wucherähnlichen Geschäft aus. Bei einer solchen Konstellation greift eine von der Rechtsprechung entwickelte Vermutung: Die Zustimmung der schwächeren Partei wurde unter sittenwidrigen Umständen erlangt (§ 138 Abs. 1 BGB). Der Begünstigte – hier der Käufer – müsste diese Vermutung widerlegen. Er müsste besondere Umstände nachweisen, die den niedrigen Preis rechtfertigen. Das gelang ihm nicht. Die bloße Behauptung, die Erbin habe den Preis selbst genannt, reichte nicht aus. Ihr Einverständnis war unter diesen Umständen rechtlich wertlos. Es war selbst sittenwidrig und damit nichtig.
War der Käufer nicht durch seinen guten Glauben geschützt?
Der Käufer stand im Grundbuch. Er pochte auf seinen gutgläubigen Erwerb. Normalerweise schützt das Recht denjenigen, der auf die Richtigkeit des Grundbuchs und die Befugnis eines Verkäufers vertraut. Doch dieser Schutz hat Grenzen. Das Gericht machte klar: Das Missverhältnis zwischen Preis und Wert war so eklatant, dass der Käufer es hätte erkennen müssen. Ein Preis, der weniger als 50 % des realen Wertes beträgt, schreit förmlich nach einer Überprüfung. Der Käufer hätte stutzig werden müssen und konnte sich nicht einfach auf die Abwicklung durch den Testamentsvollstrecker verlassen. Er verschloss sich der Einsicht leichtfertig. Ein Gutglaubensschutz kam für ihn nicht in Betracht. Da die Zustimmung der Erbin nichtig war und der Testamentsvollstrecker seine Befugnisse überschritten hatte, war die gesamte Eigentumsübertragung – die sogenannte Auflassung – von Anfang an unwirksam. Die Eintragung im Grundbuch war fehlerhaft. Der Käufer ist nie wirksam Eigentümer geworden.
Die Urteilslogik
Die Pflicht zur sorgfältigen Verwaltung schützt den Nachlass; sie zwingt den Testamentsvollstrecker, den tatsächlichen Verkehrswert aktiv zu ermitteln, bevor er über Vermögenswerte verfügt.
- [Pflicht zur aktiven Wertermittlung]: Der Testamentsvollstrecker muss den wahren Verkehrswert von Nachlassimmobilien objektiv ermitteln; er verletzt seine Sorgfaltspflichten, wenn er ohne Gutachten oder fundierte Prüfung veräußert.
- [Die Grenze der Verfügungsmacht]: Ein Testamentsvollstrecker überschreitet seine Befugnis zur Verwaltung, wenn der Verkaufspreis den realen Verkehrswert grob unterschreitet, da dieser Akt als unzulässige unentgeltliche Teilverfügung gilt.
- [Der Schutz des Gutglaubens]: Ein massives Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert verhindert den gutgläubigen Erwerb des Käufers, da die offensichtliche Unterbewertung eine Überprüfungspflicht auslöst und die Wirksamkeit der Auflassung von Anfang an entfällt.
Ein Geschäft, das den Nachlass in erheblichem Umfang schädigt und gegen die Pflichten des Verwalters verstößt, führt zur Nichtigkeit des gesamten Kaufvertrages.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Wer bei einem Nachlassgeschäft mit einem Testamentsvollstrecker verhandelt, darf nicht blind vertrauen, wenn der Preis schon auf den ersten Blick ein Geschenk vermuten lässt. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie für Käufer: Unterschreitet der Kaufpreis den Verkehrswert massiv – hier die 50-Prozent-Marke – kann man sich nicht mehr auf den gutgläubigen Erwerb verlassen. Die Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Wertprüfung springt auch auf den Käufer über, der das eklatante Missverhältnis erkennen musste. Für die Praxis bedeutet das: Auch wenn formell alles stimmt, kippt der Vertrag, weil der Schutz des Nachlasses über dem Wunsch nach dem Superschnäppchen steht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann ist der Verkauf eines geerbten Hauses wegen eines zu niedrigen Preises unwirksam?
Wenn der Verkaufspreis den tatsächlichen Wert einer Immobilie massiv unterschreitet, können Erben den Vertrag erfolgreich anfechten. Juristisch liegt die Schwelle zur Unwirksamkeit oft bei einer Unterschreitung von 50 Prozent des realen Verkehrswertes, da dies als grob fahrlässige Minderung des Nachlasses gilt. Die Gerichte bewerten eine solche eklatante Diskrepanz als Verstoß gegen Treu und Glauben.
Die Regel dafür findet sich in § 138 BGB, der Verträge bei Sittenwidrigkeit für nichtig erklärt. Liegt der Kaufpreis bei der Hälfte oder darunter, vermuten Gerichte ein wucherähnliches Geschäft. Für den Testamentsvollstrecker tritt ein weiterer wichtiger Punkt hinzu: Ihm sind unentgeltliche Verfügungen, also Schenkungen, streng untersagt (§ 2205 BGB). Ein Verkauf weit unter Wert wird deshalb als unzulässige teilweise Schenkung betrachtet.
Die Unwirksamkeit stützt sich demnach auf zwei juristische Pfeiler: Der Kaufvertrag selbst ist sittenwidrig, und der Verwalter hat seine Vertretungsmacht gegenüber dem Nachlass überschritten. Der teuerste Fehler ist die Annahme, die notarielle Beurkundung schütze den Vertrag. Die Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers führt zur Nichtigkeit der gesamten Transaktion. Selbst eine Zustimmung der Erben wird bei Wucherähnlichkeit als unwirksam vermutet, da sie unter diesen Umständen erlangt wurde.
Beauftragen Sie unverzüglich einen unabhängigen, öffentlich bestellten Immobiliengutachter, um den tatsächlichen Wert zum Verkaufszeitpunkt gerichtsfest zu ermitteln.
Kann ich einen Kaufvertrag anfechten, wenn der Testamentsvollstrecker das Erbe verschleudert hat?
Ja, als Erbe haben Sie sehr gute Chancen, das Geschäft für unwirksam erklären zu lassen. Der entscheidende Hebel ist dabei nicht primär die Ausnutzung durch den Käufer, sondern die Überschreitung der Befugnisse des Testamentsvollstreckers. Dieser handelt als Verwalter des Nachlasses und darf den Wert des Erbes nicht schädigen. Der Verkauf eines Vermögenswertes zu einem Spottpreis wird rechtlich als teilweise unzulässige Schenkung interpretiert.
Der Testamentsvollstrecker unterliegt der Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses und darf keine unentgeltlichen Verfügungen treffen (§ 2205 Abs. 3 BGB). Liegt der Verkaufspreis grob unter dem tatsächlichen Verkehrswert – oft bei weniger als 50 Prozent – fehlt dem Vollstrecker die notwendige Vertretungsmacht für diese Transaktion. Diese Überschreitung der Befugnis führt zur Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts, wodurch die Eigentumsübertragung von Anfang an unwirksam ist.
Gerichte legen den Fokus auf die grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht des Testamentsvollstreckers. Ein Beispiel: Wurde ein Haus im Wert von 195.000 Euro für lediglich 90.000 Euro verkauft, liegt eine massive Minderung des Nachlasses vor. Die grobe Pflichtverletzung manifestiert sich dann darin, dass der Vollstrecker kein Gutachten eingeholt oder den Bodenrichtwert nicht geprüft hat.
Erstellen Sie umgehend eine detaillierte Auflistung aller Pflichtversäumnisse des Vollstreckers und legen Sie diese Ihrem Anwalt vor.
Wie muss ein Testamentsvollstrecker den Verkehrswert einer Immobilie korrekt ermitteln?
Der Testamentsvollstrecker (TV) muss bei der Veräußerung einer Immobilie stets die Sorgfalt eines ordentlichen Verwalters (§ 2216 BGB) anwenden. Dies bedeutet, dass Sie den tatsächlichen Verkehrswert nicht schätzen, sondern eine aktive und sachkundige Prüfung vornehmen müssen. Sie vermeiden eine persönliche Haftung wegen grober Pflichtverletzung nur dann, wenn die Wertermittlung objektiv nachweisbar ist und dokumentiert wurde.
Verlassen Sie sich keinesfalls auf subjektive Preisvorstellungen von Erben, Käufern oder gar mündliche Schätzungen von Maklern. Der Testamentsvollstrecker soll den Nachlass sichern und darf keine unentgeltlichen Verfügungen treffen, was bei einem Verkauf weit unter Wert der Fall wäre. Um diesen Pflichtverstoß zu verhindern, ist die Abfrage des amtlichen Bodenrichtwerts bei der zuständigen Gemeinde oder dem Gutachterausschuss das absolute Mindestmaß der Sorgfalt.
Zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehört außerdem immer eine gründliche Besichtigung des Objekts. Dokumentieren Sie den baulichen Zustand, eventuelle Mängel oder Sanierungsstaus, die den Wert mindern. Bei komplexen oder hochpreisigen Objekten sowie bei bestehenden Konflikten unter den Erben empfiehlt sich dringend die Beauftragung eines formalen Sachverständigengutachtens. Wer diese grundlegenden Prüfschritte vernachlässigt, handelt grob fahrlässig, wie im Fall des verschleuderten Hauses geschehen.
Dokumentieren Sie die gesamte Wertermittlung, legen Sie diese Unterlagen der Nachlassakte bei und belegen Sie so die Erfüllung Ihrer Sorgfaltspflichten.
Bin ich als Käufer trotz Grundbucheintrag nicht geschützt, wenn der Preis viel zu niedrig ist?
Ja, der Schutz durch das Grundbuch ist nicht absolut und entfällt, wenn der Kaufpreis das tatsächliche Missverhältnis zum Verkehrswert eklatant widerspiegelt. Gerichte sehen Käufer in der Pflicht, bei auffälligen Preisdifferenzen wachsam zu sein. Beträgt der Preis deutlich weniger als 50 Prozent des Marktwertes, verlieren Sie Ihren Schutz des gutgläubigen Erwerbs.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 892 BGB) schützt denjenigen nicht, der bösgläubig handelt oder sich der Einsicht leichtfertig verschließt. Wenn Sie eine Immobilie zu einem massiv reduzierten Preis erwerben, wird dies als starkes Warnsignal gewertet. Juristisch wird angenommen, dass Sie die fehlende Vertretungsmacht des Verkäufers – etwa eines Testamentsvollstreckers – grob fahrlässig nicht erkannt haben. Sie durften in einem solchen Fall nicht einfach auf die Wirksamkeit der Eigentumsübertragung vertrauen.
Ein Preis, der nur die Hälfte des realen Wertes beträgt, verpflichtet Sie zur aktiven Wertermittlung der Immobilie. Da die zugrundeliegende Übertragung des Eigentums wegen der Überschreitung der Vollmacht des Testamentsvollstreckers unwirksam war, ist auch Ihre spätere Grundbucheintragung fehlerhaft. In dieser Konstellation sind Sie trotz Grundbucheintrag nie wirksam Eigentümer geworden. Konkret müssen Sie die Immobilie auf Verlangen des Erben wieder herausgeben.
Wenn Sie ein Nachlassgrundstück zu einem niedrigen Preis erwerben, fordern Sie vor dem Notartermin stets schriftliche Wertermittlungsunterlagen vom Verkäufer an, um Ihre eigene Sorgfaltspflicht zu belegen.
Welche Haftungsrisiken drohen einem Testamentsvollstrecker bei Pflichtverletzung beim Verkauf?
Wenn Sie als Testamentsvollstrecker Ihre Verwaltungspflichten grob vernachlässigen und dadurch den Nachlass schädigen, haften Sie den Erben persönlich auf Schadensersatz. Dieses ernste Risiko ist in § 2217 BGB klar geregelt. Die Haftung umfasst die gesamte Wertminderung, die dem Nachlass durch den Verkauf unter Wert entstanden ist. Ein Testamentsvollstrecker muss den Nachlass stets mit der Sorgfalt eines ordentlichen Verwalters führen.
Die Grundlage für die persönliche Haftung ist die grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht. Eine solche Verletzung liegt vor, wenn Sie grundlegende Prüfschritte beim Immobilienverkauf versäumen. Konkret gilt: Das Fehlen einer formalen Wertermittlung, etwa das Nicht-Einholen eines Gutachtens oder die Nichtabfrage des amtlichen Bodenrichtwerts, beweist grobe Fahrlässigkeit. Der Testamentsvollstrecker darf sich dabei nicht auf die Schätzung oder die Wünsche der Erben verlassen, sondern muss den realen Wert aktiv überprüfen.
Der eingetretene Schaden entspricht der Differenz zwischen dem erzielten Kaufpreis und dem tatsächlichen Verkehrswert der Immobilie. Hat der Nachlass durch den Verkauf 105.000 Euro verloren, müssen Sie diese Summe ersetzen. Diese Pflicht zur Schadensersatz erlischt auch nicht durch die notarielle Beurkundung. Darüber hinaus riskieren Sie die Entlassung aus dem Amt, wenn eine grobe Pflichtverletzung nachgewiesen wird, was bei mangelnder Wertermittlung regelmäßig der Fall ist.
Kontaktieren Sie umgehend Ihre Vermögensschadenhaftpflichtversicherung und melden Sie den möglichen Haftungsfall, bevor die Erben Klage wegen Pflichtverletzung erheben.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Auflassung
Die Auflassung ist die zwingend notwendige, vor einem Notar erklärte Einigung zwischen Verkäufer und Käufer über den Eigentumsübergang eines Grundstücks. Juristen benötigen diese Formalität, um sicherzustellen, dass Immobiliengeschäfte transparent und rechtsverbindlich sind; ohne Auflassung kann kein Käufer ins Grundbuch eingetragen werden.
Beispiel: Da die Vollmacht des Testamentsvollstreckers überschritten wurde, war die gesamte Auflassung im vorliegenden Fall von Anfang an unwirksam.
Bodenrichtwert
Den Bodenrichtwert bestimmen die örtlichen Gutachterausschüsse als amtlichen, durchschnittlichen Quadratmeterpreis unbebauter Flächen innerhalb einer bestimmten Lagezone. Er dient als wichtige Orientierungshilfe für die steuerliche Bewertung und die professionelle Wertermittlung von Grundstücken, um Transparenz auf dem Immobilienmarkt zu gewährleisten.
Beispiel: Der Testamentsvollstrecker hätte zumindest den amtlichen Bodenrichtwert bei der zuständigen Stadt erfragen müssen, um seine Sorgfaltspflichten zu erfüllen.
Gutgläubiger Erwerb
Der gutgläubige Erwerb schützt einen Käufer, der rechtlich redlich auf die Richtigkeit des Grundbucheintrags vertraut, selbst wenn der Verkäufer gar nicht der wahre Eigentümer war. Das Gesetz sichert damit den Rechtsverkehr und das Vertrauen in öffentliche Register, denn niemand soll bei einem Kauf jedes Mal die gesamte Eigentumshistorie prüfen müssen.
Beispiel: Der Käufer konnte sich nicht auf den Schutz des gutgläubigen Erwerbs berufen, weil das eklatante Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert ihn hätte stutzig machen müssen.
Sittenwidrigkeit (Wucherähnliches Geschäft)
Juristen sprechen von Sittenwidrigkeit, wenn ein Rechtsgeschäft gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei der § 138 BGB das Geschäft für nichtig erklärt. Das Gesetz schützt die schwächere Vertragspartei vor übermäßiger und unfairer Benachteiligung, insbesondere wenn ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegt.
Beispiel: Weil der Kaufpreis weniger als die Hälfte des tatsächlichen Wertes betrug, vermutete das Gericht eine Sittenwidrigkeit des gesamten Kaufvertrages.
Testamentsvollstrecker
Ein Testamentsvollstrecker ist eine vom Erblasser bestimmte Vertrauensperson, die die Aufgabe hat, den letzten Willen umzusetzen und den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten. Er handelt als gesetzlicher Sachwalter des Nachlasses und sorgt dafür, dass die Erben, Vermächtnisnehmer und Gläubiger nach den Vorgaben des Testaments befriedigt werden.
Beispiel: Im vorliegenden Fall überschritt der Testamentsvollstrecker seine Befugnisse massiv, als er die Immobilie weit unter ihrem tatsächlichen Wert veräußerte.
Unentgeltliche Verfügung
Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn jemand Vermögen aus dem Nachlass weggibt, ohne dafür eine angemessene Gegenleistung zu erhalten, was bei reinen Schenkungen der Fall ist. Nachlassverwaltern ist dies streng untersagt (§ 2205 BGB), weil sie den Wert des Erbes erhalten und nicht durch unkontrollierte Geschenke mindern dürfen.
Beispiel: Weil die Differenz zwischen Verkehrswert und Kaufpreis 105.000 Euro betrug, wertete das Gericht den Verkauf als eine unzulässige teilweise unentgeltliche Verfügung.
Verkehrswert
Als Verkehrswert bezeichnen Juristen und Gutachter den Preis, der für eine Immobilie unter normalen Umständen auf dem freien Markt voraussichtlich zu erzielen wäre. Dieser objektiv ermittelte Marktwert ist die entscheidende Messlatte, um festzustellen, ob ein Testamentsvollstrecker den Nachlass angemessen verwaltet oder ihn durch Unterbewertung schädigt.
Beispiel: Das späte Gutachten bewies, dass der Verkehrswert des Hauses 195.000 Euro betrug, während der Testamentsvollstrecker es für nur 90.000 Euro verkauft hatte.
Das vorliegende Urteil
OLG Stuttgart – Urteil vom 24.07.2025 – Az.: 2 U 30/23
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
