AG Bamberg – Az.: RV 54 VI 2253/21 – Beschluss vom 08.07.2022
1. Der Antrag der Beteiligten B. vom 02.03.2022 auf Erteilung eines Erbscheins, in dem bezeugt wird, dass der am 23.08.2021 verstorbene B. von der Beteiligten B. allein beerbt worden ist, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beteiligte G. mit Ausnahme der für den Erbscheinsantrag der Beteiligten B. entstandenen Verfahrenskosten, die diese selbst trägt. Der Beteiligte G. trägt zudem die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten B.; im Übrigen trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Geschäftswert wird auf x,- EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten B. ist die Schwester des am x.08.2021 ehelos verstorbenen Erblassers. Der Beteiligte G. ist sein unehelich geborener Sohn, zu dem er jedoch keinen Kontakt hatte. Der Erblasser lebte seit seiner Geburt fast sein gesamtes Leben mit seiner Schwester in einer Haushaltsgemeinschaft. Das elterliche Wohnanwesen wurde ihm im Jahr 197x überschrieben, seine Schwester, die Beteiligte B., erhielt ein lebenslanges Wohnrecht. Das Geschwisterpaar versorgte sich im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft auch gegenseitig.
Mitte 2019 erlitt der Erblasser einen Schlaganfall, infolgedessen er aus gesundheitlichen Gründen ins Pflegeheim umziehen musste, wo er im August 2021 verstarb. Im Jahr 2015 war beim Erblasser ärztlicherseits der Verdacht auf eine dementielle Entwicklung abgeklärt worden.
Nach dem Tod des Erblassers wies die Beteiligte B. ihren Vorsorgebevollmächtigten, den N., an, in den persönlichen Unterlagen des Erblassers in seinem Nachttisch in seinem Wohnanwesen in S. nach einem Testament zu suchen. Dort fand N. in Anwesenheit der Beteiligten B. unter notariellen Urkunden eine handschriftliche letztwillige Erklärung des Erblassers auf einem karierten Stück Papier datierend auf den 06.06.2004 auf; das betreffende Stück Papier war (mittig) in zwei Teile gerissen und befand sich in einer Klarsichthülle.
Das vorbezeichnete handschriftlich verfasste Schriftstück, unterschrieben mit „B.H.“ hat nachfolgenden Inhalt:
„Ich H.B., geb. am x vermache im
Falle meines Todes mein ganzes Vermögen
meiner Schwester B.
S., 6.6.04.“
Der Vorsorgebevollmächtigte N. klebte daraufhin die beiden Teile entlang des Rissverlaufes auf ein Papier gleicher Größe auf, ohne weitere Veränderungen vorzunehmen, und reichte das entsprechende Schriftstück beim Nachlassgericht ein.
Mit Antrag vom 02.03.2022, aufgenommen zu Protokoll des Nachlassgerichts Bamberg, beantragte die Beteiligte B. die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass der Erblasser beerbt wird von
B.
allein.
Die Beteiligte B. begründet ihr Erbrecht wie folgt:
Auf Grundlage des vom Erblasser handschriftlich verfassten Testaments vom 06.06.2004 sei sie zur alleinigen Erbin berufen. Der Umstand, dass der Erblasser die zwei Teile des Testaments in einer Klarsichthülle in seinem Nachttisch unter wichtigen notariellen Urkunden aufbewahrt habe, zeige, dass der Erblasser sein Testament nicht aus der Welt habe schaffen wollen. Denn das Einlegen und Aufbewahren der beiden Testamentsteile in der Klarsichthülle belege, dass das Testament Bestand haben solle. Von einer Widerrufsabsicht durch Vernichtung oder Veränderung könne daher nicht ausgegangen werden. Letztlich sei nicht mehr aufklärbar, wer den Riss verursacht habe, insbesondere sei nicht erwiesen, dass der Riss vom Erblasser selbst verursacht worden sei. Eine eigene vom Erblasser mit Testierfähigkeit vorgenommene Widerrufshandlung könne nicht zweifellos festgestellt werden. Im Übrigen wird das auf Vorbringen der anwaltlichen Bevollmächtigten der Beteiligten B. in den Schriftsätzen vom 03.05.2022, vom 14.05.2022 und vom 15.06.2022 Bezug genommen.
Der Beteiligte G., der selbst keinen Erbscheinsantrag gestellt hat, beansprucht demgegenüber sein alleiniges Erbrecht aufgrund gesetzlicher Erbfolge als einziger Abkömmling des Erblassers. Er wendet sich gegen die Gültigkeit des Testaments vom 06.06.2004. Zunächst stellte er die eigenhändige Errichtung des Testaments durch den Erblasser in Zweifel, da zwischen dem Schriftbild des Haupttextes des Testaments und dem Schriftbild der Unterschrift eine Diskrepanz bestehe. Nachdem das Gericht Text und Unterschrift des Testaments mit eingereichtem – vom Erblasser stammenden – Schriftmaterial verglichen hatte, hielt der Beteiligte G. an dieser Einwendung offenkundig nicht mehr fest. Hervorzuheben sei seiner Ansicht nach jedoch, dass das in zwei Teile gerissene Testament in zerstörtem Zustand vorgefunden worden sei. Hieraus folge seine Vernichtung durch den Erblasser, da sich das Testament zuletzt in dessen Gewahrsam – nämlich in einer Klarsichthülle in seinem Nachttisch – befunden habe. Es sei davon auszugehen, dass die Vernichtung der Testamentsurkunde auf eine Widerrufshandlung des Erblassers zurückzuführen sei. Nach § 2255 Satz 2 BGB sei daher die Widerrufsabsicht des Erblassers zu vermuten. Demnach greife die gesetzliche Erbfolge, die den Beteiligten G. begünstige. Im Übrigen wird auf das Vorbringen des anwaltlichen Bevollmächtigten des Beteiligten G. in den Schriftsätzen vom 30.03.2022 vom 14.06.2022 und (gleichfalls) vom 14.06.2022 Bezug genommen.
Das Gericht hat die eingereichten, vom Erblasser herrührenden Schriftproben (vgl. Blatt 53 bis 58 der Akte und Sonderheft „Schriftproben Erblasser“) mit dem Schriftbild des Testaments verglichen (vergleiche dazu die gerichtliche Verfügung vom 09.05.2022). Im Übrigen hat das Gericht die Beteiligten mehrfach auf seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage hingewiesen; auf die gerichtlichen Verfügungen vom 08.04.2022, vom 09.05.2022 und vom 25.05.2022 wird verwiesen.
II.
Die Erbfolge nach dem am 23.08.2021 verstorbenen B. ergibt sich vorliegend aufgrund gesetzlicher Erbfolge zugunsten des einzigen Abkömmlings des Erblassers, des Beteiligten G. Gemäß §§ 1922 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB erweist sich dieser als gesetzlicher Alleinerbe. Dem privatschriftlichen Testament des Erblassers vom 06.06.2004, wonach seine Schwester, die Beteiligte B., zur Alleinerbin berufen ist, §§ 1922 Abs. 1, 1937, 2231 Nr. 2, 2247 BGB, ist die Geltung zu versagen, weil von dessen Widerruf durch den Erblasser nach §§ 2253 Abs. 1, 2255 Satz 1, Satz 2 BGB auszugehen ist.
Dies mündete in der Zurückweisung des von der Beteiligten B. gestellten Erbscheinsantrags, da das Gericht die zur Begründung ihres Antrags erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt erachtet, § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG, und dieser daher der Sach- und Rechtslage nicht entspricht.
1. Das Amtsgericht Bamberg ist offenkundig zur Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Beteiligten B. örtlich zuständig. Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der – vorliegend zunächst in S., sodann im Pflegeheim in B. wohnende – Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte.
2. Die Erbfolge bestimmt sich vorliegend nach dem Gesetz zugunsten des Abkömmlings des Erblassers, des Beteiligten G., als Erben erster Ordnung, §§ 1922 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB; gemäß § 1930 BGB ist die Beteiligte B. als Erbin zweiter Ordnung, § 1925 Abs. 1 BGB, von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Dem privatschriftlichen Testament des Erblassers vom 06.06.2004 (Bl. 9 d.A.), wonach seine Schwester, die Beteiligte B., zur Alleinerbin berufen ist, kommt indes keine Wirkung zu, weil von dessen Widerruf durch den Erblasser qua Vernichtung in Widerrufsabsicht nach §§ 2253, 2255 Satz 1, Satz 2 BGB auszugehen ist.
a) Eigenhändige Errichtung des Testaments vom 06.06.2004 und dessen Auslegung – Erbeinsetzung zugunsten der Beteiligten B.
Zunächst ist das gemäß § 26 FamFG zur Amtsermittlung verpflichtete Gericht von der eigenhändigen (und gemäß § 2247 BGB formwirksamen) Errichtung des Testats vom 06.06.2004 durch den Erblasser überzeugt. Nach Vergleich des eingereichten Schriftmaterials betreffend Schriftbild und Unterschrift des Erblassers (Blatt 53-58 der Akte und Sonderheft „Schriftproben Erblasser“) mit dem Schriftbild von Text und Unterschrift des Testaments vom 06.06.2004 (Blatt 9 der Akte) vermag das Gericht keine auffälligen Unterschiede zu erkennen. So stimmt beispielhaft die Schreibweise des Buchstabens „r“ jeweils zwanglos überein ebenso wie weitere Charakteristika des Schriftbildes. Gleichermaßen weist die Unterschrift des Erblassers aus den eingereichten Schriftproben (Blatt 55-57 der Akte) große Ähnlichkeiten mit der Unterschrift aus dem Testament auf, so pflegte der Erblasser offenkundig zuerst mit seinem Nachnamen und sodann mit seinem Vornamen zu unterschreiben ebenso wie beim Anfangsbuchstaben „B“ der Unterschrift „B.“ durchgängig ein nach oben ausweichender Strich vorhanden ist und beim letzten Buchstaben des Vornamens H. das „z“ jeweils nur angedeutet und vom vorangehenden Buchstaben „n“ verschlungen wird. Demnach vermag das Gericht nach einem Vergleich von Testament und eingereichten Schriftproben keine Zweifel an der eigenhändigen Urheberschaft der vorhandenen Testamentsurkunde seitens des Erblassers zu erkennen. Hierfür spricht gerade auch die Auffindesituation des Testats in einer Klarsichthülle unter notariellen Unterlagen im Nachttisch des Erblassers in seinem Wohnanwesen, mithin in seiner unmittelbaren Gewahrsamssphäre.
Auch ist das Schriftstück vom 04.04.2004 unfraglich als testamentarische Alleinerbeinsetzung zugunsten der Schwester des Erblassers, mithin der Beteiligten B., auszulegen (vgl. dazu auch § 2087 Abs. 1 BGB, wonach, wenn der Erblasser sein (gesamtes) Vermögen einem Bedachten zuwendet, die letztwillige Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen ist, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist.).
b) Widerruf durch den Erblasser gemäß § 2255 BGB
In Ansehung der Auffindesituation des in zwei Teile gerissenen Testaments vom August 2004 nach dem Tod des Erblassers im August 2021 in einer Klarsichthülle in dessen Nachttisch in seinem langjährigen Wohnanwesen ist jedoch von einer Widerrufshandlung durch den Erblasser im Sinne des § 2255 Satz 1 BGB auszugehen, so dass gemäß § 2255 Satz 2 BGB Widerrufsabsicht des Erblassers vermutet wird, ohne dass diese Vermutung widerlegt wurde. Im Zerreißen des Testaments (mittig) in zwei Teile ist aus Sicht des Gerichts unfraglich eine Veränderung im Sinne des § 2255 Satz 1 Variante 2 BGB zu sehen, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt.
aa) Rechtliche Maßstäbe
Auch beim in Betracht kommenden Widerruf eines Testaments durch eine Widerrufshandlung (etwa im Sinne von § 2255 BGB) verbleibt es grundsätzlich bei der üblichen Beweislage. Derjenige, der Rechte aus einem Testament herleitet, muss seine Gültigkeit, nämlich die wirksame Errichtung und seinen Inhalt nachweisen. Wer von seiner Unwirksamkeit ausgeht, muss dies, insbesondere einen Widerruf, beweisen. Dies gilt auch dann, wenn die Originaltestamentsurkunde verändert wurde. Eine gesetzliche Vermutung für einen Widerruf durch den Erblasser (etwa nach § 2255 Satz 2 BGB) besteht auch in diesem Fall nicht. Vielmehr muss derjenige, der sich auf das Vorliegen einer Widerrufshandlung beruft, nachweisen, dass die Vernichtung oder Veränderung durch eine Handlung des Erblassers erfolgt ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen muss derjenige, der den Widerruf des Testaments behauptet, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass eine Widerrufshandlung vorliegt. Kann er das nicht, ist vom Fehlen eines Widerrufs auszugehen (vgl. jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung Weidlich, in: Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 2255, Rdn. 7 und 11; Grziwotz, in: beck-online. GROSSKOMMENTAR zum BGB, Hrsg: Müller-Engels, Stand: 01.04.2022, § 2255 Rn. 14; Sticherling, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2255 Rn. 15 a.E.).
In Rechtsprechung und Schrifttum ist allerdings anerkannt, dass die Anforderungen an den Nachweis, dass die Vernichtung bzw. Veränderung einer Testamentsurkunde auf eine Handlung des Erblassers zurückzuführen ist, nicht allzu hoch angesetzt werden dürfen, wenn sich die Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befunden hat, in dem zerstörten oder veränderten Zustand vorgefunden wurde und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden sind (vgl. jeweils mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung Weidlich, in: Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 2255, Rdn. 11 a.E.; Grziwotz, in: beck-online. GROSSKOMMENTAR zum BGB, Hrsg: Müller-Engels, Stand: 01.04.2022, § 2255 Rn. 14; BayObLG FamRZ 1996, 1110/1111; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. November 2018 – I-3 Wx 98/17 -, Rn. 28/29, juris = FamRZ 2019 1102/1103). Hat sich die in verändertem Zustand vorgefundene Testamentsurkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befunden und liegen keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vor, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden sind, spricht der Anschein dafür, dass die Veränderungen vom Erblasser selbst vorgenommen wurden (Stürner, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Auflage 2021, § 2255 Rn. 4; BayObLGZ 1983, 204/208 m.w.N.).
Ist in diesem Sinne anzunehmen, dass der Erblasser eine tatsächliche Widerrufshandlung vorgenommen hat (etwa durch Zerreißen der Testamentsurkunde), wird nach § 2255 Satz 2 BGB vermutet, dass diese in Widerrufsabsicht erfolgte. In diesem Fall muss derjenige, der sich auf das Weiterbestehen des Testaments trotz einer Widerrufshandlung des Erblassers beruft, beweisen, dass der Erblasser das Testament tatsächlich fortbestehen lassen wollte. Der Beweis des Gegenteils ist gem. § 292 S. 1 ZPO mit den zugelassenen Beweismitteln zu führen (vgl. Grziwotz, a.a.O.; Sticherling, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2255 Rn. 14/15).
bb) Beweis des ersten Anscheins für eine Widerrufshandlung (Zerreißen in zwei Teile) durch den Erblasser in Ansehung der Auffindesituation
Da die mittig in zwei Teile zerrissene Testamentsurkunde vorliegend in der unmittelbaren Sphäre des Erblassers (in einer Klarsichthülle in seinem Nachttischschrank in seinem langjährigen Wohnhaus unter weiteren persönlichen Dokumenten wie notariellen Urkunden) aufgefunden wurde und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Veränderung (Zerreißen in zwei Teile) an der Testamtsurkunde von Dritten vorgenommen wurde, spricht aus Sicht des Gerichts der Anschein dafür, dass das vom Erblasser handschriftlich verfasste Testament von diesem selbst zerrissen wurde und damit von ihm eine faktische Widerrufshandlung im Sinne von § 2255 Satz 1 BGB vorgenommen wurde. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Erblasser Mitte Jahr 2019 einen Schlaganfall erlitt, infolgedessen er ins Pflegeheim nach B. umziehen musste. Allerdings ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass nach seinem Umzug ins Pflegeheim circa 15 Jahre nach Errichtung des Testaments Veränderungen am Nachttisch des Erblassers in seinem Schlafzimmer im Wohnanwesen, in dem er seit seiner Geburt lebte, vorgenommen worden wären bzw. dieser Bereich fortan dem (ungehinderten) Zugriff von dritten Personen ausgesetzt gewesen wäre. Aus Sicht des Gerichts ist daher weiter vom ungebrochenen und fortgesetzten Gewahrsam des Erblassers hinsichtlich seiner persönlichen Unterlagen in seinem Nachtisch in seinem Wohnanwesen, einschließlich des dort befindlichen, in zwei Teile zerrissenen Testaments auszugehen. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine dritte Person das Testament in zwei Teile zerrissen hat. Die Beteiligte B. vermochte insofern nur pauschal vorzutragen, dass sie keine Angaben dazu machen könne, wer die Testamentsurkunde zerriss, wann, wie und wo dies stattgefunden habe, ob vor oder nach dem Tod des Erblassers. Vor diesem Hintergrund kommt – mangels jeglicher Anzeichen hierfür – hier nicht ernstlich in Betracht, dass einer dritten Person das Zerreißen des Testaments zuzuordnen ist; wer sonst als der Erblasser soll hierfür verantwortlich sein? Auch bestehen keinerlei belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser die (Testierfähigkeit voraussetzende) Widerrufshandlung (Zerreißen in zwei Teile) in testierunfähigem Zustand im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB vorgenommen hätte. Zum einen bleibt völlig offen, wann der Erblasser das Testament in den 15 Jahren nach dessen Errichtung im Jahr 2004 und seinem krankheitsbedingten Umzug ins Pflegeheim 2019 zerrissen hat. Zum anderen geht aus den eingereichten ärztlichen Unterlagen aus dem Jahr 2015, denen allein die Abklärung des Verdachts auf eine dementielle Entwicklung beim Erblasser im Rahmen einer Konsiliaruntersuchung zu entnehmen ist, nicht ansatzweise hervor, dass der Erblasser zu irgendeinem relevanten Zeitpunkt (vor seinem Schlaganfall 2019) testierunfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB gewesen wäre. Ohnehin ist in rechtlicher Hinsicht nach der ständigen Rechtsprechung ein Erblasser entsprechend dem Grundsatz, dass die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, so lange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist (vgl. dazu statt vieler BayObLGZ 1982, 309/312; 2002, 359/368; FamRZ 2005, 840 ff.).
Nach alledem wurde der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das im Nachttisch des Erblassers unter persönlichen Unterlagen aufgefundene Testament von ihm selbst zerrissen wurde, zumal jegliche Anzeichen für ein Handeln Dritter fehlen, und damit von ihm eine faktische Widerrufshandlung im Sinne von § 2255 Satz 1 BGB vorgenommen wurde, nicht erschüttert.
cc) Gesetzliche Vermutung der Aufhebungsabsicht nach § 2255 Satz 2 BGB nicht widerlegt
Da demnach von einer Widerrufshandlung durch den Erblasser auszugehen ist, wird nach § 2255 Satz 2 BGB gesetzlich vermutet, dass auf subjektiver Seite eine Widerrufabsicht des Erblassers zugrunde lag. Demgegenüber hat die Beteiligten B. weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen, dass der Erblasser das Testament trotz Zerreißens in zwei Teile tatsächlich fortbestehen lassen wollte. Entgegen der Auffassung der Beteiligten B. spricht die Aufbewahrung des in zwei Teile gerissenen Testaments in einer Klarsichthülle unter persönlichen Unterlagen im Nachttischschrank des Erblassers nicht zwingend dafür, dass das zerrissene Testament weiter gültig sein sollte. Denn es sind zahlreiche andere Gründe denkbar, weshalb der Erblasser das „vernichtete“ Testament dennoch aufbewahrt hat, etwa weil es als Entwurf für etwaige künftige letztwillige Verfügungen dienen sollte, aus Sparsamkeit, um das Papier anderweitig zu verwenden, oder es schlichtweg vergessen hat. Der der gesetzlichen Vermutung des § 2255 Satz 2 BGB gegenläufige Beweis eines Fortbestehenswillens des Erblassers hinsichtlich des „vernichteten“ Testaments ist seitens der Beteiligten B., die sich hierauf beruft, jedenfalls nicht ansatzweise erbracht. Die verbleibenden Zweifel, ob nach dem – letztlich nicht mehr aufklärbaren – Willen des Erblassers das Testat weiterbestehen sollte oder nicht, wirken sich zulasten der Beteiligten B. aus.
Das frei widerrufliche privatschriftliche Testament des Erblassers vom 06.06.2004 ist damit infolge Widerrufs gemäß § 2253 BGB unwirksam geworden.
III.
Die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, zumal ein Sonderfall des § 81 Abs. 2 FamFG nicht erkennbar ist. Bei der nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung in Erbscheinsverfahren gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG sind sämtliche in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Hierbei kann neben anderen Umständen auch das Obsiegen und Unterliegen berücksichtigt werden. Zu den weiteren Umständen zählen etwa die Art der Verfahrensführung, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen Erblasser und Verfahrensbeteiligten (vgl. dazu ausführlich BGH, NJW-RR 2016, 200 ff.). Auch ist bei der Kostentragungspflicht gemäß § 81 FamFG die Wertung des § 22 Abs. 1 GNotKG zu berücksichtigen, wonach grundsätzlich der Veranlasser eines antragsgebundenen Verfahrens für die Kosten haftet. Das Veranlasserprinzip entspringt dem Gedanken der Billigkeit, denn wer durch Einleitung eines Verfahrens die Entstehung von Kosten in Kauf nimmt (veranlasst), der hat diese im Verhältnis zu den anderen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich zu tragen (vgl. dazu OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2022 – 2 W 30/21 – beck-online = FGPrax 2022, 34 ff. und ZEV 2022, 153 ff.).
Vorliegend obsiegt letztlich der Beteiligte G. mit der Beanspruchung seines auf gesetzliche Erbfolge gestützten Alleinerbenrechts, während hingegen die Beteiligte B. unterliegt, wobei allein die Beteiligte B. einen (der Sach- und Rechtslage nicht entsprechenden) Erbscheinsantrag gestellt hat. Die Verfahrensführung der Beteiligten und ihrer Bevollmächtigten war durchweg konstruktiv. Die Beteiligte B., die mit dem Erblasser, ihrem Bruder, bis zu dessen Übersiedlung ins Pflegeheim in einer Art Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft in dessen Wohnanwesen zusammenlebte, hatte offenkundig ein besonderes Näheverhältnis zum Erblasser, während dieser zum Beteiligten G. seinem Sohn, keinen Kontakt hatte. Das besondere Näheverhältnis des Erblassers zu seiner Schwester kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er jedenfalls ursprünglich bei Errichtung des Testaments im Jahr 2004 diese zu seiner Alleinerbin einsetzte. Schließlich ist in Rechnung zu stellen, dass der nunmehr ausschließlich dem Beteiligten G. zufallende Nachlass werthaltig ist.
Die vorstehenden Gesichtspunkte münden darin, dass es billigem Ermessen entspricht, wenn der wirtschaftlich begünstigte Beteiligte G. die Gerichtskosten des Verfahrens trägt, mit Ausnahme der für den Erbscheinsantrag der Beteiligten B. entstandenen Kosten, welche entsprechend dem Veranlasserprinzip von dieser zu tragen sind. Weiterhin entspricht es nach den vorstehenden Erwägungen billigem Ermessen, dass der Beteiligte G., dem der werthaltige Nachlass zufällt, die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten B. trägt, während er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
(Es folgen Ausführungen zum Geschäfts- bzw. Nachlasswert und die Rechtsbehelfsbelehrung).