OLG Dresden – Az.: 17 W 1000/18 – Beschluss vom 25.01.2019
Der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 09.10.2018/30.10.2018 wird aufgehoben. Das Verfahren wird zur Durchführung eines regelrechten Abhilfeverfahrens an die zuständige Nachlassabteilung des Amtsgerichts Chemnitz zurückgegeben.
Gründe
I.
Zur Überprüfung steht die Abweisung eines Antrages und eines Hilfsantrages auf Erteilung eines Erbscheines.
Am …2015 verstarb die am …2014 in zweiter Ehe verwitwete A. … U.. Die Eheleute hinterließen zwei Testamente.
Mit letztwilliger Verfügung, von der Erblasserin eigenhändig geschrieben, mit Ort, Datum (20.08.2011) und Unterschrift versehen und vom Ehegatten mitunterzeichnet, setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben ein. Als Erben darüber hinaus benannten sie, jeweils zu gleichen Teilen, die Beteiligten zu 3 und 4, die Stieftöchter des vorverstorbenen zweiten Ehemannes der Erblasserin. Im zweiten Testament vom 20.03.2013, welches in gleicher Weise errichtet wurde, bestimmten die Ehegatten zu Erben die Beteiligten zu 1 – 4, neben den Stieftöchtern des Ehemannes zwei Brüder der Erblasserin. Sie legten fest, dass bereits vorher vorhandene Testamente hiermit ungültig seien.
Am 02.05.2016 behauptete der Prozessbevollmächtigte der Beteiligten zu 4 gegenüber dem Nachlassgericht die Testierunfähigkeit der Erblasser am 20.03.2013 und damit ein Erbrecht der Beteiligten zu 3 und 4 aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 20.08.2011. Er beantragte die Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligten zu 3 und 4 zu je 1/2, hilfsweise einen Teilmindesterbschein zu jeweils mindestens 1/4.
Das Nachlassgericht hat schriftliche Stellungnahmen vom Hausarzt und vom Pflegedienst angefordert sowie ergänzende Unterlagen vom Klinikum …. Am 18.08.2016 hat das Nachlassgericht ein Sachverständigengutachten über die Testierfähigkeit veranlasst. Im Ergebnis des Gutachtens vom 21.01.2018, mit dem eine Testierunfähigkeit nicht festgestellt wurde, hat das Nachlassgericht den Antrag und den Hilfsantrag auf Erteilung eines Erbscheins mit Beschluss vom 04.05.2018, zur Geschäftsstelle gelangt am 17.05.2018, zurückgewiesen. Gegen den am 24.05.2018 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 4 mit ihrer Beschwerde, eingegangen beim Amtsgericht Chemnitz am 19.06.2018. Die Nachlassrichterin hat die Beschwerde mit Beschluss vom 09.10.2018, zur Geschäftsstelle gelangt am 30.10.2018, zurückgewiesen und die Angelegenheit dem Oberlandesgericht Dresden zur weiteren Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt. Der Mitteilung des Beteiligten zu 1 vom 03.03.2016 und dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 vom 23.06.2016, gerichtet auf einen Erbschein für alle vier Beteiligte zu gleichen Teilen, wurde bislang keine Folge gegeben.
II.
1.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, §§ 58 ff. FamFG. Die Beteiligte zu 4 ist auch beschwerdeberechtigt, da ihr Erbscheinsantrag, den sie aufgrund eines behaupteten testamentarischen Erbrechts gestellt hat, zurückgewiesen werden soll (Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, Rn. 78 zu § 59).
2.
Die Beschwerde hat auch im tenorierten Umfang einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die zur Erteilung des von der Beteiligten zu 4 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen lassen sich derzeit nicht feststellen. Der von der Beteiligten zu 4 gestellte Antrag auf Erteilung eines Erbscheins an sich und die Beteiligte zu 3 als Miterben je zur Hälfte auf der Grundlage des Testaments vom 20.08.2011 kann dann keinen Erfolg haben, wenn dieses Testament durch das vom 20.03.2013 wirksam widerrufen ist. Denn auch ein gemeinschaftliches Testament können Ehegatten durch gemeinsames Handeln aus der Welt schaffen (Weidlich in Palandt, 78. Aufl. 2019, Rn. 2 zu § 2271 BGB). Da sich auch der Hilfsantrag auf das Testament vom 20.08.2011 stützt, teilt dieser ohne weiteres das Schicksal des Hauptantrages. Die Frage, ob durch das Testament vom 20.03.2013 das Testament vom 20.08.2011 aufgehoben worden ist, kann derzeit jedoch nicht abschließend beantwortet werden. Die Beteiligte zu 4 hat die Testierunfähigkeit beider Erblasser zu diesem Zeitpunkt ins Feld geführt.
Gem. § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Die Klärung der im Wesentlichen auf dem Gebiet des Tatsächlichen angesiedelten Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit bei einem Erblasser gegeben waren, verlangt vom Gericht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, sodann Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2015, Az.: I-3 Wx 103/14, zitiert nach Juris Rn. 29). Gem. § 29 FamFG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form und ist dabei an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden. Nach § 30 Abs. 3 FamFG soll allerdings eine förmliche Beweisaufnahme über die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird. Sich in diesem vorgegebenen Rahmen bewegend, konnte das Nachlassgericht die Anknüpfungstatsachen, mithin die Wahrnehmungen zu den Verhaltensweisen und Krankheitsbildern, zunächst durch schriftliche Befragung von Zeugen erheben und sodann das strenge Beweisverfahren zur medizinisch-psychiatrischen Würdigung dieser tatsächlichen Feststellungen einleiten (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 20.02.2018, Az.: 2 W 63/17, zitiert nach Juris Rn. 24 f). Die nach § 26 FamFG von Amts wegen einzuleitenden und durchzuführenden Ermittlungen konnten danach jedoch nicht durch Beschlussfassung abgeschlossen werden. Denn die Ermittlungen sind erst abzuschließen, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 30). So ist es hier nicht. Schon das Sachverständigengutachten gibt Anlass genug, in weitere Ermittlungen einzutreten. Denn der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Einschätzungen der betreuenden Mitarbeiter des Pflegedienstes zwar auf erhebliche Einschränkungen der geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit der Testierenden hinwiesen, er sie aber unberücksichtigt lasse, weil die Angaben im Allgemeinen blieben und genaue zeitliche Zuordnungen nicht angeführt seien. Die Einschätzung der Hausärztin, dass die Testierfähigkeit des Ehepaares eingeschränkt gewesen sei, gebe zwar wichtige Hinweise, bliebe aber auch im Ergebnis unberücksichtigt, weil diese Einschätzung nicht näher begründet worden sei. Beides ist ausreichender Anlass, die Wahrnehmungen und Feststellungen der Mitarbeiter und der Ärztin im Konkreten herauszuarbeiten. Zudem ist dem Antrag der Beteiligten zu 4 vom 16.02.2018, den Sachverständigen zum Termin zu laden, um Gelegenheit zu haben, Einwendungen gegen sein Gutachten zu erheben und Ergänzungsfragen zu stellen, zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs zwingend zu entsprechen (§§ 397, 402 ZPO, 30 FamFG; BVerfG, Beschluss vom 06.03.2013, Az. 2 BvR 2918/12, zitiert nach juris). Spätestens im Rahmen des Nichtabhilfeverfahrens hatte die Beteiligte zu 4 konkrete Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erhoben, so dass die Nachlassrichterin jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr davon ausgehen konnte, dass der Antrag rechtsmissbräuchlich oder zum Zwecke der Verfahrensverschleppung gestellt werde (Sternal in Keidel, a.a.O., Rn. 95 zu § 30 FamFG). Neuer Vortrag im Abhilfeverfahren ist auch nach § 65 Abs. 3 FamFG zu berücksichtigen (Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, Rn. 5 zu § 68 FamFG). Wegen dieses erheblichen Verfahrensfehlers macht der Senat von der Möglichkeit des § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG Gebrauch und verweist die Sache an des Nachlassgericht zurück (Sternal, a.a.O., Rn. 95 zu § 30 i.V.m. Rn. 14 a zu § 69). Das Nachlassgericht wird die aufgezeigten Aufklärungsmängel durch ergänzende Vernehmung von Zeugen des Pflegedienstes sowie der Hausärztin und der Gutachterin des MDK, Frau G. (GA I 38), in Gegenwart des Sachverständigen beheben und namentlich eine weitere Erläuterung des Sachverständigen zum Zwecke der Herstellung einer verlässlichen Entscheidungsgrundlage einzuholen haben. Für die abschließende Beschlussfassung erlaubt sich der Senat folgenden Hinweis: Die Testierfähigkeit einer Person erfordert, dass diese in der Lage ist, sich ein klares Urteil über die Tragweite ihrer Anordnungen zu bilden, insbesondere über deren Auswirkungen auf die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen und nach diesem Urteil frei von etwaigen Einflüssen Dritter zu handeln (Weidlich, a.a.O., Rn. 2 zu § 2229). Soweit der Ehemann zum Zeitpunkt der Erstellung des letzten Testamentes den Überblick über komplexe Fragen verloren hatte, streitet auch ein nachgewiesenermaßen großes Vertrauen in die Entscheidungen der Ehefrau für die Testierfähigkeit des Ehemannes nicht.
III.
Kosten- und Wertentscheide sind nicht veranlasst.