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Testierunfähigkeit Erblasser bei Erinnerungslücken und Vergesslichkeiten

LG Heilbronn – Az.: II 3 S 5/21 – Beschluss vom 13.09.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Öhringen vom 15.02.2021, Aktenzeichen 2 C 303/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Öhringen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.835,81 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Öhringen vom 15.02.2021, Aktenzeichen 2 C 303/14, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer Bezug genommen.

Die Stellungnahme der Beklagtenseite vom 26.08.2021 vermag hieran im Ergebnis nichts zu ändern.

1.

Ein Mangel der Prozessführungsbefugnis liegt aufgrund des eingreifenden Notprozessführungsrechts nach § 2224 Abs. 2 BGB nicht vor.

Bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 2224 Abs. 2 BGB wird auf die Ausführungen im Hinweis vom 22.07.2021 Bezug genommen.

Eine Antragsstellung auf Herausgabe der Gegenstände an alle Gesamttestamentsvollstrecker gemeinschaftlich ist nicht zu fordern. Aus dem Rubrum geht hervor, dass der Kläger als Testamentsvollstrecker klagt und deshalb die eingeklagten Gegenstände nicht seinem Privatvermögen zugeordnet werden sollen, sondern dem Nachlass des Erblassers.

2.

Die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Beklagten vom 26.08.2021 der Ansicht, dass von einer Testierunfähigkeit des Erblassers am 08.06.2012 nicht ausgegangen werden kann.

In ihrer Stellungnahme bemängeln die Beklagten, dass sich die Kammer im Hinweis vom 22.07.2021 nicht konkret mit der Berufungsbegründung auseinandergesetzt habe. Eine Würdigung der Beweisaufnahme kann allerdings nur in Gesamtschau mit dem gesamten Akteninhalt erfolgen. Das Hervorheben der sich aus den Aussagen einiger Zeugen ergebender Aspekte, die für eine erhebliche kognitive Einschränkung des Erblassers sprechen, unter Weglassen der von anderen Zeugen geschilderten Orientiertheit und geistigen Beweglichkeit des Erblassers verbietet sich.

Die Beklagten nehmen in ihrer Berufungsbegründung und im Schriftsatz vom 26.08.2021 ausführlich auf Erinnerungslücken (Name der langjährigen Zugehfrau, Daten und zeitliche Einordnung bestimmter persönlicher Ereignisse) und Vergesslichkeiten (bspw. Vorversterben der Eltern, Aufgabe der eigenen Berufstätigkeit, Regelungen zur Grabpflege) des Erblassers Bezug, dessen Wiederholen bestimmter Erinnerungen und Geschichten und sein Beharren auf ein ihn beschäftigendes Thema (Schlüssel W…straße am 11.09.2012 im Video „Onkel O. 1“). Dies wird vom Gericht nicht in Abrede gestellt. Solche Auffälligkeiten sind durchaus als alterstypische Erscheinung anzusehen, die allein noch nicht dazu führt, dass von einer Testierunfähigkeit auszugehen ist, zumal einige der dargestellten Auffälligkeiten nur einzige Tage betreffen (Vergessen der erteilten General- und Vorsorgevollmacht am 29.12.2011, Vergessen des notariellen Testaments am 24.10.2012, Vergessen des gestellten Strafantrags am 10.10.2012, Vergessen des Vor- und Zunamen der Zugehfrau am 02.06.2011).

Auch die Angriffe gegen die Zuverlässigkeit des Notars B. und das Gutachten des Sachverständigen Dr. Br. ändern am Ergebnis der nicht nachgewiesenen Testierunfähigkeit nichts, weil das Gericht seine Entscheidung nicht allein und nicht einmal maßgeblich auf das Sachverständigengutachten oder darauf gestützt hat, dass der Notar B. bei den Beurkundungen am 08.12.2011 und am 08.06.2012 keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Erblassers hatte, sondern auf eine Vielzahl von Zeugenaussagen sowie den Gesamteindruck, den der Erblasser in den Videoaufzeichnungen hinterlassen hat.

Die von der Beklagtenseite gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Bl. vorgebrachten Argumente vermögen das Gericht nicht zu überzeugen.

Der Zeuge hat ausweislich seiner in der Sitzungsniederschrift vom 22.06.2016 auf 4,5 Seiten protokollierten Zeugenaussage ausführlich den Ablauf der Testamentserstellung geschildert. Übereinstimmend mit dem Zeugen R., seinem Anwaltskollegen, der beim ersten Termin mit dem Erblasser mit dabei war, gab er an, dass es bei diesem Termin im Oktober 2011 vorrangig um die Betreuung gegangen sei, der Erblasser aber bereits zu diesem Zeitpunkt angegeben habe, sein Testament ändern zu wollen. Es erscheint ohne weiteres einleuchtend, dass daraufhin ein Aktenzeichen, aus dem die damals im Vordergrund stehende Betreuungssache hervorgeht, vergeben wurde. Dass während eines Gesprächs über mehrere Angelegenheiten gesprochen wird, erscheint der Kammer lebensnah. Ebenfalls glaubhaft erscheint der Kammer, dass vor dem Fertigen eines Entwurfs zunächst mindestens eine weitere Besprechung stattgefunden hat, bei welcher der Zeuge dem Erblasser dessen Änderungsmöglichkeiten erklärt hat und sich die Wünsche des Erblassers erläutern ließ. Der erste Entwurf wurde auf Wunsch des Erblassers geändert. Nachdem der Zeuge telefonische Kontakte mit dem Erblasser für unwahrscheinlich hält, ist auch hierfür ein weiterer Termin anzunehmen. Zuletzt gab es den Beurkundungstermin, bei dem auch der Zeuge Bl. anwesend war. Das ergibt mindestens vier Gespräche im Zeitraum Oktober 2011 bis Juni 2012.

Widersprüche zu anderen Zeugenaussagen vermag die Kammer diesbezüglich nicht zu erkennen. Auch aus der Aussage des Zeugen G. ergibt sich nicht, wie viele Termine es zwischen Rechtsanwalt Bl. und dem Erblasser gab. Auf Seite 6 Absatz 2 der Sitzungsniederschrift vom 22.06.2016 gibt der Zeuge G. vielmehr an, dass es „dann noch einmal ein Gespräch mit Herrn Rechtsanwalt Bl., mir und dem Erblasser“ gegeben habe. Aus der Formulierung lässt sich schließen, dass es davor bereits mindestens ein weiteres Gespräch gegeben haben muss.

Die Kammer hält die Aussagen der Zeugen R. und insbesondere des Zeugen Bl. hinsichtlich der Prüfung der Frage der Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit mit dem Amtsgericht für glaubhaft. Anhaltspunkte für die Unterstellung der Beklagtenseite, die Frage der Geschäftsfähigkeit sei dem Zeugen Bl. nach der General- und Vorsorgevollmacht vom 08.12.2011 gleichgültig gewesen, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ergeben sich aus den vom Zeugen Bl. geschilderten Gesprächen mit dem Erblasser jedoch deutliche Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass der Erblasser bei diesen Gesprächen und insbesondere am 08.06.2012 in der Lage war, die Bedeutung des von ihm errichteten Testaments einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Das Ergebnis des Amtsgerichts, dass tatsächlich von einer Einschränkung der Geistestätigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung auszugehen ist, unter Würdigung sämtlicher Anhaltspunkte allerdings nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden konnte, dass der Erblasser aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung des von ihm errichteten Testaments einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ist daher nicht zu beanstanden.

Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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