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Testierunfähigkeit infolge einer Demenzerkrankung

AG Bamberg – Az.: RV 56 VI 1518/21 – Beschluss vom 02.08.2022

1. Die zur Begründung des Antrags des Beteiligten D. vom 07.10.2021 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet. Der Beteiligte D. hat beantragt festzustellen, dass die Erblasserin R., geboren am x, verstorben am x.05.2021, letzte Anschrift: S., beerbt worden ist von

1. S.

zu 1/9 – einem Neuntel –

2. S,

zu 1/9 – einem Neuntel –

3. S.,

zu 1/9 – einem Neuntel –

4. S.

zu 1/6 – einem Sechstel –

5. D.

zu 1/6 – einem Sechstel –

6. K.

zu 1/6 – einem Sechstel –

7. K.

zu 1/6 – einem Sechstel -.

2. Der Antrag des Beteiligten R. vom 07.10.2021 auf Erteilung eines Erbscheins, in dem bezeugt wird, dass die am x.05.2021, verstorbene R., zuletzt wohnhaft S., vom Beteiligten R. allein beerbt worden ist, wird zurückgewiesen.

3. Die sofortige Wirksamkeit der Ziffer 1. dieses Beschlusses wird ausgesetzt. Die Erteilung des Erbscheins zugunsten des Beteiligten D. wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.

4. Der Beteiligte R. trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der durch den Erbscheinsantrag des Beteiligten D. entstandenen Kosten, die dieser selbst trägt. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst.

5. Der Geschäftswert wird auf x EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der polnisch stämmige Beteiligte R., der nur gebrochen Deutsch spricht, war seit etwa 2000 der Lebensgefährte der seit 1993 verwitweten Erblasserin. Zeitweise lebte der Beteiligte R. ab dem Jahr 2004 gemeinsam mit der Erblasserin in deren Wohnanwesen in E., bis die Erblasserin Ende 2018 aus gesundheitlichen Gründen ins Pflegeheim nach S. umziehen musste. Die übrigen Beteiligten sind die potentiellen gesetzlichen Erben der am x.05.2021 kinderlos verstorbenen Erblasserin, namentlich Blutsverwandte der Erblasserin in Gestalt von Neffen (Beteiligte S., D., K., S.) und Nichten (Beteiligte S. und K.) bzw. Großnichte (Beteiligte S.). In einer Patientenverfügung vom 24.01.2013 setzte die Erblasserin ihre Nichte S. als Bevollmächtigte ein.

Die Erblasserin hatte drei Geschwister, die jeweils vorverstorben sind. Abkömmlinge

– ihrer Schwester A. sind die Beteiligten K. und K.

– ihrer Schwester G. sind die Beteiligten S. und D. (der weitere Abkömmling der G., E., ist kinderlos vorverstorben) und

– ihrer Schwester K. sind die Beteiligten S., S. und S., wobei letztere der Abkömmling des vorverstorbenen Abkömmlings B. der K. ist.

Demnach entfiele im Wege der gesetzlichen Erbfolge auf jeden Stamm nach den drei Geschwistern der Erblasserin jeweils ein Anteil von 1/3.

Bereits Mitte 2017 wurde bei der Erblasserin ärztlicherseits eine Demenzerkrankung diagnostiziert, im November 2017 wurden bei ihr schwere kognitive Beeinträchtigungen festgestellt; seit Ende 2017 musste sie von der C.s ambulant pflegerisch versorgt werden, Ende 2018 siedelte sie nach stationären Krankenhausaufenthalten ins Pflegeheim über. Hinsichtlich der medizinischen Befunde und der Pflegebedürftigkeit der Erblasserin wird auf Bl. x der Hauptakten, die Sonderhefte („medizinische Unterlagen Sozialstiftung B.“; „Pflegeunterlagen Ambulante Pflege C.“; „Pflegeunterlagen Altenheim S.“; „Unterlagen vom ehemaligen Betreuung F. – medizinische Unterlagen und handschriftliches Vergleichsmaterial“) und die beigezogene Betreuungsakte (Amtsgericht Bamberg – Az. x) verwiesen. Ab Frühjahr 2018 stand die Erblasserin unter umfassender rechtlicher Betreuung, wobei der Vereinsbetreuer F. zum berufsmäßigen Betreuer bestellt wurde; auch insoweit wird auf die vorbezeichnete, beigezogene Betreuungsakte Bezug genommen.

Unter dem 02.09.2017 verfasste die Erblasserin im Beisein des Beteiligten R. nachfolgendes – mit Datums- und Ortsangabe sowie Unterschrift versehenes – Testament (= Bl. x d.A.), in dem sie diesen zum Alleinerben berief:

„02.09.2017

R.

geb. x

(Es folgt die Anschrift der Erblasserin)

mein Testament

Ich erklele freiwillig das ist im Falle meinen Todes. Ich underschreibe Dir

S. R. geboren. x Wohnung in B.. x

Str. x Mein allen Erbe sein soll Das ist meine Wunsch.

 

02.09.2017

(Unterschrift der Erblasserin)“

Zeitnah nach Anordnung der Betreuung für die Erblasserin im Frühjahr 2018 übergab der Beteiligte R. dem Betreuer F. das vorbezeichnete Testament zur Aufbewahrung, welcher dieses sodann hinterlegte.

Unter dem 07.10.2021, eingegangen bei Gericht am 08.10.2021, beantragte der Beteiligte R. qua notariell beurkundetem Antrag die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass die Erblasserin auf Grundlage des Testaments vom 02.09.2017 von ihm allein beerbt wird. Auf den Erbscheinsantrag wird Bezug genommen. Zur Begründung seines auf das Testament vom 02.09.2017 gestützten Erbrechts führt er an, dass die Erblasserin das Testat vom 02.09.2017 aus freien Stücken bei vollen Sinnen selbst errichtet habe. Er, der Beteiligte R., sei daneben gesessen, als die Erblasserin das komplette Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe. Lediglich die Adresse des Beteiligten R. in Polen habe er ihr auf Anfrage mitgeteilt. Im Übrigen wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten des Beteiligten R. vom 20.10.2021 und vom 07.02.2022 Bezug genommen.

Die übrigen Beteiligten, Verwandten und potentielle gesetzliche Erben der Erblasserin, wenden sich gegen den Erbscheinsantrag des Beteiligten R. Der Wortlaut des präsentierten Testaments vom 02.09.2017, der gebrochenes Deutsch darstelle, entspreche nicht der Ausdrucks- und Schreibweise der Erblasserin. Es sei davon auszugehen, dass der Text des Testaments der Verstorbenen „vorgegeben“ bzw. „diktiert“ worden sei und nicht ihrem Willen entspreche. In Ansehung der Demenzerkrankung der Erblasserin bereits im Jahr 2017 sei diese bei Errichtung des Testaments im September 2017 zudem testierunfähig gewesen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Verwandten wird auf die Schriftsätze auf Bl. x d.A. Bezug genommen.

Ein Neffe der Erblasserin, der Beteiligte D., beantragte – gestützt auf die gesetzliche Erbfolge – am 07.10.2021 zur Niederschrift des Nachlassgerichts einen Erbschein dahingehend, dass die Erblasserin aufgrund Gesetzes beerbt wurde von

1. S.

zu 1/9 – einem Neuntel –

2. S.

zu 1/9 – einem Neuntel –

3. S.

zu 1/9 – einem Neuntel –

4. S.

zu 1/6 – einem Sechstel –

5. D.

zu 1/6 – einem Sechstel –

6. K.

zu 1/6 – einem Sechstel –

7. K.

zu 1/6 – einem Sechstel –

Auf den Erbscheinsantrag des Beteiligten D. wird Bezug genommen. Zur Begründung führte er an, dass das Testament vom 02.09.2017 mangels Testierfähigkeit der Erblasserin unwirksam sei und daher die gesetzliche Erbfolge eintrete.

Das Gericht hat zur Aufklärung der Frage der Testierunfähigkeit der Erblasserin Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Professor Dr. V. vom 06.06.2022, eingegangen bei Gericht am 09.06.2022, verwiesen. Zudem hat das Gericht den ehemaligen Betreuer der Erblasserin (schriftlich) angehört, wobei insoweit auf dessen Stellungnahmen vom 03.01.2022 und 17.01.2022 Bezug genommen wird. Weiterhin lag dem Gericht zu Vergleichszwecken von der Erblasserin herrührendes Schriftmaterial vor (vgl. dazu Bl. x d.A. sowie Sonderheft „Unterlagen vom ehemaligen Betreuung F. – medizinische Unterlagen und handschriftliches Vergleichsmaterial“).

II.

Die Erbfolge nach der am x.05.2021 verstorbenen R. ergibt sich vorliegend aufgrund gesetzlicher Erbfolge zugunsten der am Verfahren beteiligten Verwandten der Erblasserin (vier Neffen und zwei Nichten sowie eine Großnichte), §§ 1922, 1925 Abs. 3, 1924 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 BGB. Das handschriftliche Testament der Erblasserin vom 02.09.2017, das den Beteiligten R. zum Alleinerben beruft, kann für die Bestimmung der Erbfolge nicht herangezogen werden, da dieses wegen Testierunfähigkeit der Erblasserin im Errichtungszeitpunkt gemäß § 2229 Abs. 4 BGB unwirksam ist.

Dies mündete

– einerseits in der Stattgabe des auf gesetzliche Erbfolge gestützten Antrags des Beteiligten D. vom 07.10.2021, in dem die gesetzlichen Erbquoten zutreffend wiedergegebenen werden, da das Gericht die zur Begründung seines Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, vgl. dazu § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG, und

– andererseits in der Zurückweisung des nicht der Sach- und Rechtslage entsprechenden, auf gewillkürte Erbfolge gestützten Erbscheinsantrags des Beteiligten R.

1.

Das Amtsgericht Bamberg ist offenkundig zur Entscheidung über die Erbscheinsanträge örtlich zuständig. Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die – zuletzt in S. wohnende – Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte.

2.

Die Erbfolge bestimmt sich vorliegend nicht nach dem den Beteiligten R. als Alleinerben begünstigenden handschriftlichen Testament der Erblasserin vom 02.09.2017, obschon dieses die Formanforderungen des § 2247 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB erfüllt. Allerdings ist dem Testament vom 02.09.2017 wegen Testierunfähigkeit der Erblasserin im Sinne von § 2229 Abs. 4 BGB die Wirksamkeit zu versagen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im September 2017 infolge ihrer Demenzerkrankung testierunfähig war.

a)

Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. (vgl. zu den Maßstäben im Detail Weidlich, in: Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 2229, Rdn. 2 und 8/9 jeweils m.w.N.).

In rechtlicher Hinsicht ist nach der ständigen Rechtsprechung ein Erblasser entsprechend dem Grundsatz, dass die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, so lange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist. Deshalb trifft die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit des Erblassers im Falle der Unaufklärbarkeit grundsätzlich denjenigen, der sich auf die darauf beruhende Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung beruft (vgl. statt vieler BayObLGZ 1982, 309/312; 2002, 359/368; FamRZ 2005, 840 ff.).

b)

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von der Testierunfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 02.09.2017 auszugehen ist.

Nach den fundierten Ausführungen des fachkompetenten und erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. V. bestanden bei der Erblasserin, bei der bereits Mitte 2017 eine Demenz diagnostiziert wurde, schon im September 2017 zum Zeitpunkt der Errichtung des gegenständlichen Testaments vom 02.09.2017 so massive kognitiven Einschränkungen, so dass im relevanten Zeitraum Testierunfähigkeit vorgelegen haben muss. In diagnostischer Hinsicht sei ausweislich der vorhandenen medizinischen Unterlagen im Januar 2017 die Diagnose leichte kognitive Störung und im Mai 2017 die Diagnose Demenz gestellt worden. Im sozialmedizinischen Gutachten vom 02.11.2017, also genau 2 Monate nach der gegenständlichen Testierung, sei ein erheblicher Abbau der kognitiven Fähigkeiten der Erblasserin beschrieben worden: so könne diese nicht mehr kochen, sich keine Termine mehr merken, nicht den Haushalt führen, sie könne ihr Geburtsdatum nicht nennen, sei nicht mehr interessiert und insbesondere das Kurzzeitgedächtnis erheblich gestört, auch das gesprochene Wort habe sie nicht mehr verstanden und sie sei zeitlich desorientiert gewesen. In den Pflegeberichten der C. Sozialstation vom 12.12.2017 sei dieser Eindruck bestätigt worden, namentlich dass die Erblasserin in den letzten Jahren kognitiv stark abgebaut habe. In einem Schreiben des Landratsamts vom 25.05.2018 seien erhebliche kognitive Störungen der Erblasserin berichtet worden, die an Demenz leide und ihren Willen nicht frei bestimmen könne. In der psychiatrischen Klinik M., in der die Erblasserin ab Ende September 2018 circa einen Monat stationär behandelt worden sei, sei im Oktober 2018 eine vaskuläre Demenz neben einer schweren depressiven Episode diagnostiziert worden, wobei eine schwere kognitive Funktionseinschränkung bei der Erblasserin beschrieben worden sei. Hieraus folge, dass spätestens seit Anfang 2017 eine dementielle Entwicklung bei der Erblasserin begonnen habe, die rasch progredient verlaufen sei, so dass bereits Anfang November 2017 erhebliche kognitive Einschränkungen, wie sie einer mittelschwer bis schwer ausgeprägten Demenz entsprächen, festgestellt worden sein, was im Mai und Oktober 2018 bestätigt worden sei. Im relevanten Zeitraum habe daher bei der Erblasserin ein dementielles Syndrom bestanden, wobei die Diagnose einer vaskulären Demenz am wahrscheinlichsten sei. Deutliche Beeinträchtigungen in der kognitiven Alltagsfähigkeit seien bei der Erblasserin im November 2017 sicher gegeben, auf Grundlage der Diagnose des Hausarztes vom 22.05.2017 (Demenz) auch schon vorher belegt. Im gegebenen Kontext der Beurteilung der Testierunfähigkeit komme es in erster Linie nicht auf die genaue Bezeichnung des Demenzerkrankung an, sondern vielmehr auf das Ausmaß der konkreten kognitiven Beeinträchtigungen, welche bei der Erblasserin bereits im November 2017 ein solch schweres Ausmaß vor allem hinsichtlich Orientierung, Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit angenommen hätten, sodass bereits im September 2017 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche kognitive Beeinträchtigungen bestanden haben, die es der Erblasserin nicht mehr ermöglicht haben, die Übersicht zu bewahren und sich in der Welt zurechtzufinden. Zum Testierzeitpunkt habe demnach hoch wahrscheinlich eine Demenz vaskulärer Ursache (ICD-10: F01.9) vorgelegen, die Diagnose einer Demenz sei im Jahr 2017 bereits vor der Testierung gestellt und im Jahr 2017 zeitnah nach der Testierung ebenso wie im Jahr 2018 bestätigt worden, jeweils zusammen mit erheblichen kognitiven Funktionseinschränkungen seitens der Erblasserin. Aus den im November 2017 bereits so deutlich beschriebenen kognitiven Einschränkungen der Erblasserin, die sich in diese Schwere nicht erst in zwei Monaten haben entwickeln können, und aus den schon zuvor bestehenden kognitiven Störungen, die in der hausärztlichen Diagnose Demenz im Mai 2017 mündeten, müsse geschlossen werden, dass auch im September 2017 bereits so massive kognitive Einschränkungen bei der Erblasser bestanden haben, so dass Testierunfähigkeit vorgelegen haben müsse; diese Schlussfolgerung werde durch die eigentümliche Schreibweise des Testaments, die nicht der üblichen Ausdrucksweise der Erblasserin entspreche, unterstützt.

Das Gericht macht sich diese fundierten Einschätzungen des psychiatrischen Sachverständigen Professor Dr. V. nach kritischer Würdigung vollumfänglich zu eigen, zumal der Sachverständige sein Gutachten auf die vorhandenen eingeholten (aussagekräftigen) medizinischen Unterlagen gestützt hat und sich von den zutreffenden medizinischen und rechtlichen Maßstäben hat leiten lassen. Der Sachverständige V. ist dem Gericht überdies als zuverlässiger und auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie ausgesprochen erfahrener Sachverständiger bekannt ist, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel an seiner Expertise erwachsen wären.

Für das Ergebnis der Testierunfähigkeit der Erblasserin bereits im September 2017 spricht auch, dass nach dem Vergleich mit eingereichtem Schriftmaterial (etwa Weihnachts- und Grußkarten der Erblasserin an ihre Nichten und Neffen, siehe etwa Bl. x der Hauptakte, sowie vom ehemaligen Betreuer eingereichtes Schriftmaterial, das von der Erblasserin herrührt) und nach den eingeholten Stellungnahmen (vgl. etwa Schreiben des Beteiligten S. v. 20.12.21: „meine Tante war eine einfache Frau, sprach jedoch normales Deutsch und war (…) bestimmt nicht dumm und einfältig“.) ins Auge springt, dass die Erklärungen im Testament vom 02.09.2017 in Wortwahl, Satzbau und Rechtschreibung nicht der üblichen Ausdrucksweise der Erblasserin entsprechen. Der Testamentstext weist dezidiert auf unzureichende bzw. „gebrochene“ Kenntnisse der deutschen Sprache hin („mein Testament Ich erklele freiwillig das ist im Falle meinen Todes. Ich underschreibe Dir S. R. geboren. X Wohnung in B.. x Mein allen Erbe sein soll Das ist meine Wunsch.“), wie sie dem polnisch stämmigen Beteiligten R. zu eigen sind (vgl. dazu die Stellungnahme des ehemaligen Betreuers F. der Erblasserin vom 17.01.2022, wonach der Beteiligte R. in dem Sinne gebrochenes Deutsch spricht, als er nicht nach der deutschen Grammatik spricht und nur einen begrenzten deutschen Wortschatz hat, sowie die eigene Einlassung des Bevollmächtigten des Beteiligten R. wonach dieser nur schwer deutsch versteht und auch kaum deutsch lesen kann).

Die vorstehenden Umstände (Abweichung der auf gebrochenes Deutsch hindeutenden Erklärungen im Testament vom 02.09.2017 in Grammatik, Wortwahl, Satzbau und Rechtschreibung von der üblichen Ausdrucks- und Schreibweise der Erblasserin) untermauern die Überzeugungsbildung des Gerichts davon, dass Text und Inhalt des Testaments vom 02.09.2017 der Erblasserin vom Beteiligten R. in Gänze „vorgegeben“ wurden und das Testat gerade nicht als Ausdruck des freien Willens der Erblasserin anzusehen ist, selbst wenn diese mit dem Beteiligten R. besonders verbunden gewesen sein sollte.

c)

Nach alledem steht die Testierunfähigkeit der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des streitgegenständlichen Testaments im September 2017 zur Überzeugung des Gerichts fest, so dass dessen Unwirksamkeit anzunehmen ist, § 2229 Abs. 4 BGB. Infolgedessen greift die gesetzliche Erbfolge, die im Erbscheinsantrag des Beteiligten D. zutreffend abgebildet wird, vgl. §§ 1925 Abs. 3, 1924 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 BGB: Im Wege der gesetzlichen Erbfolge entfällt auf jeden Stamm nach den drei Geschwistern der Erblasserin jeweils ein Anteil von 1/3. (Es folgen Ausführungen zur gesetzlichen Erbfolge.)

III.

Da der gegenständliche Beschluss dem erklärten Willen des Beteiligten R. widerspricht, wurde seine Wirksamkeit hinsichtlich Ziffer 1. des Tenors ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins zugunsten des Beteiligten D. bis nach Rechtskraft zurückgestellt, vgl. § 352e Abs. 2 Satz 2 FamFG.

IV.

Die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, zumal ein Sonderfall des § 81 Abs. 2 FamFG nicht vorliegt, obschon mit Blick auf den der Sach- und Rechtslage nicht entsprechenden Erbscheinsantrag des Beteiligten R. vom 07.10.2021 eine gewisse Nähe zur Konstellation des § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu erkennen ist. Bei der nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung in Erbscheinsverfahren gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG sind sämtliche in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Hierbei kann neben anderen Umständen auch das Obsiegen und Unterliegen berücksichtigt werden. Zu den weiteren in die Ermessensentscheidung einzubeziehenden Umständen zählen etwa die Art der Verfahrensführung, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen Erblasser und Verfahrensbeteiligten (vgl. dazu ausführlich BGH, NJW-RR 2016, 200 ff.). Auch ist bei der Kostentragungspflicht gemäß § 81 FamFG die Wertung des § 22 GNotKG zu berücksichtigen, wonach grundsätzlich der Veranlasser eines antragsgebundenen Verfahrens für die Kosten haftet. Das Veranlasserprinzip entspringt dem Gedanken der Billigkeit, denn wer durch Einleitung eines Verfahrens die Entstehung von Kosten in Kauf nimmt (veranlasst), der hat diese im Verhältnis zu den anderen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich zu tragen (vgl. dazu OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2022 – 2 W 30/21 – beck-online = FGPrax 2022, 34 ff. und ZEV 2022, 153 ff.).

Demgemäß ist es hier billig, dem letztlich unterliegenden Beteiligten R., der einen der Sach- und Rechtslage nicht entsprechenden Erbscheinsantrag gestellt hat, die Verfahrenskosten einschließlich der Kosten des psychiatrischen Sachverständigen aufzuerlegen; davon ausgenommen sind allein die durch den Erbscheinsantrag des Beteiligten D. entstandenen Kosten, die dieser mit Blick auf das Veranlasserprinzip selbst zu tragen hat. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass zur Aufklärung der Frage der Testierunfähigkeit der Erblasserin eingedenk des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 26 FamFG von Amts wegen die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens veranlasst war. Auch wird nicht verkannt, dass der nunmehr den gesetzlichen Erben zufallende Nachlass durchaus werthaltig ist. Allerdings wurde der Beteiligte R. vor Einholung des Sachverständigengutachtens mehrfach auf die Prozessrisiken seines Erbscheinsantrags hingewiesen (vgl. dazu Bl. x d.A.), da mit Blick auf den nicht dem Sprachstil der Erblasserin entsprechenden Testamentstext und der bereits im Zeitraum des Testats ärztlich dokumentierten Demenzerkrankung der Erblasserin nach Aktenlage Testierunfähigkeit nahelag. Dies rechtfertigt die Kostentragungspflicht des Beteiligten R. hinsichtlich der gerichtlichen Verfahrenskosten (mit Ausnahme der durch den Erbscheinsantrag des Beteiligten D. entstandenen Kosten, die letztgenannter selbst trägt), während die Beteiligten hingegen ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben. (Es folgen Ausführungen zum Geschäfts- bzw. Nachlasswert und die Rechtsbehelfsbelehrung).

 

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