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Überschuldung des Nachlasses – Haftung des Beschenkten

LG Stuttgart, Az.: 3 O 42/15, Urteil vom 15.06.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 136.743,10 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verfolgt gegen den Beklagten Ziffer 1) einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung nach § 2329 BGB sowie gegen die Beklagte Ziffer 2) und 3) Pflichtteilsansprüche gem. § 2303 BGB.

Die Klägerin ist die Schwester des Beklagten Ziffer 1), die Beklagten Ziffern 2) und 3) sind die Kinder des Beklagten Ziffer 1). Der Erbstreitigkeit findet ihren Ursprung im Erbfall des Vaters der Klägerin und des Beklagten Ziffer 1) vom 28.02.2003. Durch notarielles Testament vom 19.04.2000 hatte der Erblasser die Klägerin vom Erbe ausgeschlossen. Zudem verfügte er, dass zu Lebzeiten erfolgte Grundstückübertragungen an die Klägerin sowie ein Bausparvertrag zu ihren Gunsten auf einen eventuellen Pflichtteilsanspruch der Klägerin anzurechnen seien. Am 06.05.2003 schlug der Beklagte Ziffer 1) das Erbe aus. Infolge der Ausschlagung wurden die Beklagten Ziffern 2) und 3) jeweils zur Hälfte Erben des Nachlasses nach dem Erblasser.

  Überschuldung des Nachlasses – Haftung des Beschenkten
Foto: FreedomTumZ/Bigstock

Der Erblasser, die Klägerin und der Beklagte Ziffer 1) schlossen am 06.06.1994 einen Hofübergabevertrag, wonach diverse Grundstücke an die Klägerin sowie den Beklagten Ziffer 1) übertragen wurden. Darüber hinaus gab es auch außerhalb des Hofübergabevertrags diverse Grundstücksübertragungen des Erblassers an die Klägerin und den Beklagten Ziffer 1).

Zwischen den Parteien ist das Verfahren 22 O 125/09 vorausgegangen. Im dortigen Verfahren hat die Klägerin zunächst folgende Ansprüche verfolgt:

1. Der Beklagte Ziffer 1) wird verurteilt, an die Klägerin 136.743,10 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.09.2008 zu bezahlen.

2. Die Beklagten Ziffern 2) und 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.971,00 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2008 zu bezahlen.

Auf gerichtlichen Hinweis, dass der Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) nicht auf Zahlung, sondern lediglich auf Duldung der Zwangsvollstreckung gehen könne, stellte die Klägerin sodann folgende Anträge:

1. Der Beklagte Ziffer 1) wird verurteilt, wegen der Forderung der Klägerin i.H.v. 136.743,10 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.09.2008 die Zwangsvollstreckung in das Grundstück von […] sowie in das Grundstück Flst. […], eingetragen im Grundbuch von […] zu dulden.

2. Die Beklagten Ziffern 2) und 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.971,00 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2008 zu bezahlen.

Im Tatbestand des Urteils in der Sache 22 O 125/09 wurde dieser geänderte Antrag Ziffer 1. allerdings nicht aufgenommen, sondern der ursprünglich gestellte Zahlungsantrag. Das Landgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Ansprüche gegenüber dem Beklagten Ziffern 2) und 3) seien verjährt. Eine Haftung des Beklagten Ziffer 1) bestehe nicht, da dieser nachrangig hafte, §§ 2325, 2329 Abs. 1 BGB. Die Ersatzhaftung des Beschenkten sei nicht gegeben, wenn der Anspruch zwar gegen die Erben, nicht aber gegen den Beschenkten verjährt sei.

Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Mit der Berufung begehrte die Klägerin gegen den Beklagten Ziffer 1) weiterhin die Duldung der Zwangsvollstreckung, allerdings nun wegen einer Forderung i.H.v. 107.960,94 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.12.2005 in den Miteigentumsanteil des Beklagten Ziffer 1) in die Grundstücke Flst. […].

Die Berufung gegen das Urteil wurde vom OLG Stuttgart hinsichtlich der Ansprüche gegen den Beklagten Ziffer 1) als unzulässig verworfen, da sie keine im angegriffenen Urteil selbst liegende Beschwer erstrebe. Das Landgericht habe lediglich einen Zahlungsantrag abgewiesen, der mit der Berufung nicht weiterverfolgt werde. Über den mit der Berufung verfolgten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung sei hingegen nicht entschieden worden. Da die Klägerin keinen (fristgebundenen) Urteilergänzungsantrag gem. § 321 ZPO gestellt habe, sei die Rechtshängigkeit ihres auf Duldung der Zwangsvollstreckung gerichteten Antrags entfallen.

Die Berufung gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) nahm die Klägerin auf Hinweis des OLG Stuttgart, dass diesbezüglich von Verjährung der geltend gemachten Ansprüche auszugehen sei (Anlage K 2), zurück.

Die Klägerin trägt vor, ihr stehe gegen den Beklagten Ziffer 1) im Hinblick auf die an diesen erfolgten Grundstücksübertragungen und anderen Schenkungen ein Anspruch in Höhe von 170.513,64 € zu. Mit der Klage verfolgt die Klägerin einen Teilbetrag dessen i.H.v. 136.743,10 € im Wege der Teilklage. Der Nachlass sei überschuldet, denn er habe lediglich 23.884,00 € und reiche daher von vornherein nicht zur Begleichung des Ergänzungsanspruchs aus, weshalb die Voraussetzungen des § 2329 Abs. 1 BGB vorlägen.

Im Hinblick auf die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung trägt die Klägerin vor, weder seien die Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) verjährt, noch gegen den Beklagten Ziffer 1). Der Nachlass sei überschuldet gewesen, weshalb die Beklagten Ziffern 2) und 3) nur teilweise für die Ergänzungsansprüche der Klägerin gehaftet hätten. Selbst wenn die Ansprüche gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) gemäß §§ 2303 Abs. 1, 2325 Abs. 1 BGB nun verjährt seien, wirke sich dies nicht auf den Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) gemäß § 2329 Abs. 1 BGB aus. Das Urteil 22 O 125/09 stehe der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, da es nicht materiell rechtskräftig geworden sei.

1. Der Beklagte Ziffer 1 wird verurteilt, wegen einer Forderung der Klägerin gegen den Beklagten Ziffer 1 aus 136.743,10 € zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz für den Zeitraum seit 16.12.2005 die Zwangsvollstreckung in die Grundstücke der Gemarkung […] wegen folgender Flurstücke zu dulden:

[…]

2. Hilfsweise: Der Beklagte Ziffer 1 wird verurteilt, an die Klägerin den Betrag von 136.743,10 € zu zahlen zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 16.12.2005.

3. Die Beklagten Ziffer 2 und 3 werden verurteilt, an die Klägerin jeweils den Betrag von 1.500,00 € zu bezahlen zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 16.12.2005.

4. Die Beklagten haben anteilig die Verfahrenskosten zu tragen.

Soweit die Klägerin im zu Beginn des Verfahrens gestellten Klagantrag Ziffer 2 hilfsweise die Duldung des Beklagten Ziffer 1 in die Zwangsvollstreckung bezüglich des Grundstücks Flst. […] beantragt hatte, hat sie diesen Antrag für erledigt erklärt.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, über die Ansprüche sei bereits rechtskräftig entschieden. Des Weiteren berufen sie sich auf Verjährung bzw. der Beklagte Ziffer 1) auf die Subsidiarität der Haftung gem. § 2329 Abs. 1 BGB. Die Grundstücksübertragungen an den Beklagten Ziffer 1) seien überdies keine Schenkungen, sondern ihnen hätten umfangreiche Gegenleistungen gegenübergestanden. Darüber hinaus sei die von der Klägerin vorgenommene Wertberechnung der Grundstücke unzutreffend.

Ergänzend wird umfassend auf den Akteninhalt, insbesondere den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien, diesem beigefügte Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Hauptentscheidung

Die Klage ist zum Teil bereits wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Sie hat überdies in der Sache keinen Erfolg, denn die Ansprüche gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) gemäß §§ 2303 Abs. 1, 2325 Abs. 1 BGB sind verjährt und ein Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) gemäß § 2329 Abs. 1 BGB besteht nicht.

1. Pflichtteilsanspruch gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) gem. §§ 2303 Abs. 1, 2325 Abs. 1 BGB

Der vom Kläger verfolgte Zahlungsanspruch gegen die Beklagten Ziffern 2) und 3) ist unzulässig. Über diesen Anspruch wurde bereits rechtskräftig im Verfahren 22 O 125/09 entschieden. Die Rechtskraft des vorausgegangenen Verfahrens führt dazu, dass die Klagen mit identischem Streitgegenstand unzulässig sind. Der im hiesigen Verfahren verfolgte Zahlungsanspruch ist insofern identisch mit dem Vorverfahren bzw. bleibt dahinter zurück. Es handelt sich um den identischen Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass Ansprüche gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) offensichtlich verjährt sind und die Klage daher insoweit auch unbegründet ist. Insofern kann vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils im Verfahren 22 O 125/09 sowie die Hinweise des OLG Stuttgart vom 17.07.2013 (Anlage K 2) Bezug genommen werden. Die Klägerin hat im hiesigen Verfahren keine Tatsachen vorgetragen, die insofern eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Umstände, die eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung begründen könnten, sind seitens der Klägerin nicht geltend gemacht.

2. Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) gem. § 2329 Abs. 1 BGB

Es kann dahinstehen, ob der – hilfsweise – gestellte Zahlungsantrag gegen den Beklagten Ziffer 1) überhaupt zulässig ist, oder der erneuten Geltendmachung dessen die Rechtskraft des Urteils im Verfahren 22 O 125/09 entgegensteht, wofür spricht, dass die Klägerin auf die Möglichkeit der Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO verzichtet hat und das Urteil insoweit zumindest formell, möglicherweise auch materiell rechtskräftig wurde.

Denn jedenfalls sind sowohl die erneute Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung als auch auf Zahlung gegen den Beklagten Ziffer 1) unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) auf Pflichtteilsergänzung gemäß § 2329 Abs. 1 BGB.

Der Klägerin ist zwar insoweit beizupflichten, als das tragende Argument hierfür nicht die Verjährung möglicher Ansprüche gegen den Erben sein kann und der Rechtssatz, dass Ansprüche gegen den Beschenkten nach § 2329 Abs. 1 BGB automatisch ausscheiden, wenn Ansprüche gegen den Erben aus §§ 2303 Abs. 1, 2325 Abs. 1 BGB verjährt sind, nicht überzeugt oder zumindest missverständlich ist. Denn eine Konstellation, in der Ansprüche gegen den Erben bestehen, diese verjähren und gleichwohl eine Haftung des Beschenkten in Betracht kommt, kann es nicht geben:

Gemäß § 2329 Abs. 1 BGB bestehen Rechte gegen den Beschenkten, auf Herausgabe bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist. Die Haftung des Beschenkten ist demnach subsidiär und greift nur dann, wenn eine Ergänzungshaftung des Erben aus Rechtsgründen scheitert („nicht verpflichtet“), da er nach allgemeinen Grundsätzen für die Nachlassverbindlichkeit nicht oder nur beschränkt haftet. Es ist daher zunächst zu klären, ob zu nicht verjährter Zeit eine entsprechende Enthaftung des Erben stattgefunden hat bzw. vorlag. Ist dies der Fall, bestanden schon ursprünglich keine Ansprüche gegen den Erben, die hätten verjähren können, sodass die Frage, ob sich die Verjährung auch auf die subsidiäre Ausfallhaftung gemäß § 2329 Abs. 1 BGB auswirken kann, in diesem Falle zirkulär ist und sich erübrigt.

War der Erbe hingegen zu nicht verjährter Zeit zur Ergänzung gemäß § 2325 Abs. 1 BGB verpflichtet, kommt es im Verhältnis zum Beschenkten ebenfalls nicht auf die Verjährung dieser Ansprüche an, denn dann besteht die subsidiäre Ausfallhaftung gerade nicht. Der primären Haftung des Erben stehen in dieser Konstellation keine Rechtsgründe entgegen. Dass Ansprüche gegen den Erben verjährt sind, stellt keinen Fall des Haftungsausfalls i.S.d. § 2329 Abs. 1 BGB dar. Wenn ursprünglich bestehende Ansprüche gegen den Erben nur deshalb nicht mehr durchgesetzt werden können, da der Pflichtteilergänzungsberechtigte diese Ansprüche hat verjähren lassen, kann dieser nicht auf den lediglich subsidiär haftenden Beschenkten zugreifen, denn dann hat er die fehlende Durchsetzbarkeit der Ansprüche gegen den Erben selbst herbeigeführt indem er es unterlassen hat, den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Würde man dies für den Haftungsausfall i.S.d. § 2329 Abs. 1 BGB genügen lassen, obläge es dem Pflichtteilberechtigten durch entsprechende Verjährungsverzichtsvereinbarungen aktiv eine Haftung des Beschenkten herbeizuführen, obgleich das Gesetz dessen Haftung ausdrücklich nur subsidiär anordnet. Sinn und Zweck der nur subsidiären Ausfallhaftung ist es, den im Hinblick auf den Erbfall außenstehenden Dritten aus Erbauseinandersetzungen möglichst weitgehend herauszuhalten und somit die gezielte Begünstigung durch den Erblasser nicht auszuhebeln und den durch die Schenkung entstandenen Vertrauensschutz zu wahren. Dieser Zweck würde durch die genannte Verjährungskonstellation unterwandert. Die Voraussetzungen des Haftungsausfalls müssen daher zu unverjährter Zeit vorgelegen haben. Ist dies nicht der Fall, kann auch die Verjährung der Ansprüche gegen den Erben hieran nichts ändern.

Ein Haftungsausfall des Erben i.S.d. § 2329 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die Voraussetzungen der §§ 1975 ff., 1990, 1991 Abs. 4, 2060 BGB oder § 327 InsO vorliegen oder wenn die Erben ihre Haftung gem. § 2328 BGB beschränkt haben (vgl. Lange in MüKo BGB, 7. Aufl, § 2329 Rn. 7).

Keine dieser Konstellationen ist vorliegend einschlägig. Die Beklagten Ziffern 2) und 3) waren jedenfalls zum Zeitpunkt des Eintritts der Verjährung eventueller Ansprüche gegen sie zur Ergänzung des Pflichtteils verpflichtet – vorausgesetzt der Klägerin standen ursprünglich derartige Ansprüche zu, was offenbleiben kann. Die Haftung der Beklagten Ziffern 2) und 3) war auch nicht beschränkt. Weder war eine Nachlassverwaltung oder -insolvenz gem. § 1975 BGB angeordnet, noch haben die Beklagten Ziffern 2) und 3) die Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB erhoben. Sie haben sich – neben dem Bestreiten der Anspruchsentstehung – ausdrücklich auf die Einrede der Verjährung beschränkt.

Ob der Nachlass überschuldet war, wie die Klägerin geltend macht (was keineswegs feststeht und wofür sie die Darlegungs- und Beweislast trägt), kann deshalb dahinstehen. Denn allein die Überschuldung des Nachlasses ohne Erhebung der Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB führt nicht zur subsidiären Haftung des Beschenkten gem. § 2329 Abs. 1 BGB (OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 07.06.1999 – 3 W 32/99, juris-Rn. 22 ff. = OLGR Schleswig 1999, 369; Lenz-Brendel in Damrau/Tack, PK Erbrecht, 3. Aufl., § 2329 BGB Rn. 14; Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe und pflichtteilsberechtigter Beschenkter, Rn. 743, 745 ff. m.w.N.; Lenz/Riedel, ZErb 2002, 4; Lange in MüKo BGB, 7. Aufl, § 2329 Rn. 9 m.w.N.; G. Müller in BeckOK BGB, 45. Edition Stand 01.11.2017, § 2329 Rn. 12 m.w.N.). Erhebt der Erbe keine Dürftigkeitseinrede, haftet er gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten auch bei Überschuldung des Nachlasses. Einen Überschuldungstatbestand, aus dem unmittelbar die Enthaftung folgen würde, sieht das Gesetz gerade nicht vor, denn andernfalls wäre das ausdrücklich statuierte Institut der Dürftigkeitseinrede überflüssig. Es soll dem Erben überlassen werden, ob er sich auf die Überschuldung beruft oder nicht. Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht ins Gegenteil verkehrt und dem Pflichtteilsberechtigen überlassen werden, wen er in Anspruch nimmt, solange sich der Erbe nicht auf die Einrede berufen hat.

Hiergegen kann auch nicht überzeugend angeführt werden, im Falle der Überschuldung sei sicher davon auszugehen, dass der Erbe die Dürftigkeitseinrede erheben werde (Lange in MüKo BGB, 7. Aufl, § 2329 Fn. 21; Lenz-Brendel in Damrau/Tack, PK Erbrecht, 3. Aufl., § 2329 BGB Rn. 14). Diese Argumentation würde in der Konsequenz bedeuten, dass auch im Verjährungsfalle bereits das Vorliegen der Verjährungsumstände ohne Erhebung der Einrede zur Verjährung führen würde. Dass dies aufgrund offenkundiger Systemwidrigkeit nicht überzeugen kann, liegt auf der Hand. Nichts Anderes gilt nach der Systematik des BGB für andere Einreden: Das Bestehen der Einrede lässt den Anspruch nicht untergehen, sondern erst deren Ausübung. Dem bloßen „Verweigern-können“ kommt eben keine materiell-rechtliche Wirkung zum Nachteil des Beschenkten zu. Dementsprechend geht auch die überwiegende Auffassung im Rahmen der Einrede des § 2328 BGB davon aus, dass die Einrede erhoben werden muss und nicht bereits das Bestehen der Einrede genügt (OLG Zweibrücken, Urteil vom 25.06.1976 – 1 U 146/75, juris-Rn. 55 = NJW 1977, 1825; Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe und pflichtteilsberechtigter Beschenkter, Rn. 715, 717 ff. m.w.N.; Röthel in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2329 Rn. 2; Joachim in Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 2. Aufl., Kap. 4 Rn. 171; Olshausen in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, Rn 9 m.w.N.). Nichts Anderes kann für die Dürftigkeitseinrede gelten.

Für die Erben kommt im Übrigen eine vorrangige unbeschränkte persönliche Haftung gemäß § 1967 BGB mit ihrem gesamten Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten und damit auch für Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht. Solange diese Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beklagten Ziffern 2) und 3) im Raum stand, war für den subsidiären Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) kein Raum, denn die Beklagten Ziffern 2) und 3) wären – das Bestehen eines Ergänzungsanspruchs dem Grunde nach vorausgesetzt – gemäß §§ 2325 Abs. 1, 1967 BGB i.S.d. § 2329 Abs. 1 BGB zur Ergänzung verpflichtet gewesen.

Die von den Beklagten Ziffern 2) und 3) erhobene Einrede der Verjährung bzw. deren Zurückweisung der Ansprüche der Klägerin kann auch nicht in eine Dürftigkeitseinrede umgedeutet werden (Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe und pflichtteilsberechtigter Beschenkter, Rn. 763; Lange in MüKo BGB, 7. Aufl, § 2329 Fn. 21; a.A. für die Einrede des § 2328 BGB: OLG Zweibrücken, Urteil vom 25.06.1976 – 1 U 146/75, juris-Rn. 55 = NJW 1977, 1825, wobei dieses Urteil auf einem Missverständnis eines BGH-Zitats beruht, dazu Rn. [30] unten). Das kann für die Dürftigkeitseinrede ebenso wenig der Fall sein wie die Verteidigung gegen einen Anspruch dem Grunde nach in eine Verjährungseinrede umgedeutet werden kann. Insbesondere hat die Dürftigkeitseinrede keineswegs dieselbe Rechtsfolge wie eine Verjährungseinrede oder die Zurückweisung des Anspruchs dem Grunde nach, was der Ausfallhaftungstatbestand des § 2329 Abs. 1 BGB gerade zeigt: Durch Erhebung der Dürftigkeitseinrede gerät der Beschenkte in die Haftung, durch die Einrede der Verjährung oder Abwehr der geltend gemachten Ansprüche aus sonstigen Gründen gerade nicht. Der Erbe kann sich daher ganz bewusst dafür entscheiden, sich zwar gegen die Ansprüche des vermeintlich Pflichtteilsergänzungsberechtigten (dem Grunde nach) wehren zu wollen, das Risiko des Unterliegens aber nicht durch Erhebung der Dürftigkeitseinrede auf den Beschenkten zu übertragen, sondern selbst zu übernehmen.

Dieses Ergebnis benachteiligt den Pflichtteilsberechtigten auch nicht ungebührlich. Denn er ist gerade nicht der Gefahr ausgesetzt, dass die Ansprüche gegen den beschenkten bei einem Rechtsstreit mit den Erben verjähren. Vielmehr kann der Pflichtteilsberechtigte die Klage gegen den Erben mit einer Feststellungsklage gegen den Beschenkten verbinden und so die Verjährung gegen diesen hemmen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.1995 – 7 U 156/94 = FamRZ 1996, 445).

Der Wertung steht, anders als die Klägerin meint, auch nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen. Das in diesem Zusammenhang häufig missverstandene Zitat des BGH, dass der Erbe zur Ergänzung nicht verpflichtet sei, wenn feststehe, dass kein Nachlass vorhanden sei (BGH, Urteil vom 16.11.1967 – III ZR 82/67 = FamRZ 1968, 150 = LM BGB § 2325 Nr.6), stellt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der konkreten Sache im entscheidenden Punkt verkürzt dar: In dem dort zu entscheidenden Fall ging der BGH gerade davon aus, dass die Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB jedenfalls im gerichtlichen Verfahren erhoben wurde („übereinstimmender Parteivortrag“, vgl. dazu auch Lange in MüKo BGB, 7. Aufl, § 2329 Fn. 21; Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe und pflichtteilsberechtigter Beschenkter, Rn. 756 geht ebenfalls davon aus, dass die Dürftigkeitseinrede erhoben worden sein dürfte).

Dies bestätigt eine im selben Zeitraum ergangene Entscheidung des BGH, wo es konkret heißt: „Ist überhaupt kein Nachlaß vorhanden, so fehlt es völlig an einem Haftungsgegenstand, und der Erfüllungsanspruch des Gläubigers wird durch die Unzulänglichkeitseinrede des Schuldners materiell entkräftet“ und weiter „daß schon zur Zeit des Erbfalls ein Aktivnachlaß (jedenfalls netto) nicht vorhanden war (BU S. 7), und weiter ersichtlich davon, daß die Beklagte die Unzulänglichkeitseinrede geltend gemacht“ (BGH, Urteil vom 08.02.1961 – V ZR 137/59, juris-Rn. 18, 21 = MDR 1961, 491; Unterstreichung durch das Gericht).

Auch aus den Entscheidungen vom 29.05.1974 (BGH, Urteil vom 29.05.1974 – IV ZR 163/72 = NJW 1974, 1327), vom 05.04.2000 (BGH, Urteil vom 05.04.2000 – IV ZR 145/98, juris-Rn. 2, 7 = ZEV 2000, 274) und vom 10.11.1982 (BGH, Urteil vom 10.11.1982 – IVa ZR 29/81 = NJW 1983, 1485) ergibt sich nichts Anderes, denn auch in diesen Verfahren war die Dürftigkeitseinrede erhoben worden. Abweichendes hat der BGH schließlich auch nicht in der Entscheidung vom 19.03.1981 – IVa ZR 30/80 (= NJW 1981, 1446) entschieden. In diesem Fall lag eine besondere Konstellation vor, denn der Erbe war zugleich Pflichtteilsberechtigter. Insofern kann ein Alleinerbe von sich selbst selbstverständlich keine Pflichtteilsergänzung beanspruchen, was jedoch mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar ist.

Bestätigt wird das bereits durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts, das in einem Fall, in dem der Nachlass wertlos war, gleichwohl den Erben zur Zahlung verurteilt hat, da dieser offenbar die Einrede der Dürftigkeit nicht erhoben hat (RG, Urteil vom 09.11.1911 – IV 92/11 = RGZ 77, 282).

Der Klägervertreter hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung einen weiteren Schriftsatz vom 06.06.2018 eingereicht, der allerdings verspätet ist, § 296a ZPO. Der Schriftsatz rechtfertigt auch nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 ZPO und enthält im Übrigen auch keinen neuen Vortrag. Ungeachtet dessen scheitert ein Anspruch gegen den Beklagten Ziffer 1) auch nicht an der Verjährung eines Anspruches gegen den Beklagten Ziffer 1), weshalb es auf entsprechende Einreden des Beklagten Ziffer 1) auch nicht ankommt. Vielmehr steht einem Anspruch aus § 2329 Abs. 1 BGB, wie ausgeführt, entgegen, dass die Beklagten Ziffern 2) und 3) nicht im Sinne der Norm zur Ergänzung „nicht verpflichtet“ sind, sondern sich ausschließlich auf die Verjährungseinrede berufen haben. Eine subsidiäre Haftung des Beklagten Ziffer 1) kommt daher nicht in Betracht.

II. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

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