LG Detmold – Az.: 04 O 211/18 – Urteil vom 26.11.2019
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten, seinen Bruder, Pflichtteilsansprüche nach dem am 14.08.2017 verstorbenen Vater A geltend.
Der Beklagte ist testamentarischer Alleinerbe des Vaters. Unter dem 29.03.1996 schlossen der Erblasser und der Kläger einen notariellen Erbverzichtsvertrag, der sowohl Erb- wie auch Pflichtteilsrechte umfasste (Bl. 5 – 7 d. A.). Durch notariellen Vertrag des Notars B vom14.08.2009 hoben der Erblasser und der Kläger den zuvor genannten Erbverzichtsvertrag wieder auf (Bl. 4 d. A.).
Der Kläger trägt vor, aufgrund der Aufhebung des Erbverzichtes stehe dieser den Pflichtteilsansprüchen nicht mehr entgegen.
Er beantragt im Wege der Stufenklage, den Beklagten zu verurteilen, ihm Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Herrn A, geb. am 26.11.1923 in C zu erteilen, durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:
- alle beim Erbfall tatsächlich vorhandenen Sachen und Forderung,
- alle Nachlassverbindlichkeiten,
- alle Schenkungen, auch Pflicht- und Anstandsschenkungen des Erblassers sowie darüber hinaus auch alle ehebezogenen Zuwendungen des Erblassers an dessen Ehegatten, die nach §§ 2325, 2329 BGB pflichtteilsergänzungspflichtig sein könnten,
- alle Zuwendungen, die nach den §§ 2050 ff., 2316 BGB ausgleichspflichtig sein könnten, den Güterstand, in dem der Erblasser gelebt hat, sämtliche Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall sowie deren Zuwendungsempfänger, sämtliche Lebensversicherungen des Erblassers einschließlich der gezahlten Prämien und der Zuwendungsempfänger, alle Erbverzichtsverträge, die der Erblasser geschlossen hat.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die Aufhebung des Erbverzichts am 14.08.2009 sei unwirksam, weil der Erblasser zu dem Zeitpunkt aufgrund einer demenziellen Erkrankung nicht mehr geschäfts- bzw. testierfähig gewesen sei.
Das Gericht hat die Parteien nach § 141 ZPO gehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines Sachverständigen, durch mündliche Anhörung des Sachverständigen und durch Vernehmung von D als Zeugin. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. E vom 06.07.2019, Bl. 219 – 262 d. A., sowie auf die Protokolle vom 09.10.2018 (Bl. 49 – 50 d. A.) sowie vom 26.11.2019 (Bl. 316 – 319 d. A.) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Dem Kläger stehen aufgrund des Erbverzichtsvertrages vom 29.03.1996 keine Pflichtteilsansprüche gegen den Beklagten zu.
Die unter dem 14.08.2009 beurkundete Aufhebung des Erbverzichtes ist unwirksam, weil der Erblasser zu dem Zeitpunkt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr geschäfts- bzw. testierfähig war.
Nach dem ausführlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. E, dessen Qualifikation und Zuverlässigkeit außer Zweifel stehen, und dessen Ergebnis der Sachverständige im Termin noch einmal bestätigt und erläutert hat, sowie aufgrund der Ausführungen der Zeugin D steht fest, dass der Erblasser zum Beurkundungszeitraum im August 2009 unter einer mittelschweren Demenz litt, die es ihm unmöglich machte, die Bedeutung und die Folgen der Aufhebung des Erbverzichtes angemessen zu beurteilen. Zu diesem Ergebnis kommen sowohl der Sachverständige als auch die Zeugin D, die als Nervenärztin den Erblasser im Jahre 2009 zweimal untersucht bzw. begutachtet hat, zuletzt etwa einen Monat vor der Rede stehenden Beurkundung. Die Demenz hatte sich schon ab dem Jahre 2003/2004 langsam entwickelt und insbesondere im Jahre 2009 zu erheblichen Gedächtnisdefiziten geführt. Zwar mag der Erblasser, wie die Zeugin D festgehalten hat, den natürlichen Willen gehabt haben, beide Söhne beim Erbe gleich zu behandeln. Er war jedoch insbesondere wegen der starken Gedächtnisausfälle nicht mehr in der Lage, die tatsächliche Umsetzung dieser Intention durch Handlungen und rechtliche Verfügungen zu überschauen und angemessen zu beurteilen. Nach den Angaben der Zeugin konnte er sich z. B. nicht mehr an das seinerzeit gemachte gemeinschaftliche Testament erinnern und nicht mehr beurteilen, welche Bedeutung dem Erbverzichtsvertrag aus dem Jahre 1996 in diesem Zusammenhang zukam. Es fehlten ihm auch die Gedächtnisinhalte, um erfassen zu können, ob schon der damalige Erbverzicht der Gleichbehandlung der Söhne diente, namentlich im Hinblick auf Zuwendungen, die der Kläger vorab erhalten hatte. Somit war für den Erblasser auch nicht erkennbar, ob die Aufhebung des Erbverzichts zu einer besseren Gleichbehandlung der Söhne führte (was vordergründig so erscheinen mag), oder ob dadurch in Bezug auf den Gesamtzusammenhang eher eine Ungleichbehandlung bewirkt wurde. Soweit der Sachverständige Dr. E in seinem Gutachten ausgeführt hatte, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine fehlende Geschäftsfähigkeit des Erblassers bestehe, hat er dies im Termin dahin klargestellt, dass er keinen Zweifel am Fehlen der Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit habe, eine 100 %ige Sicherheit aus wissenschaftlicher Sicht aber nicht möglich sei. Auch der Sachverständige hat insoweit betont, dass dem Erblasser bei der Aufhebung des Erbverzichtes die erforderlichen Gedächtnisinhalte nicht zur Verfügung standen, die erforderlich gewesen wären, um die Aufhebung des Erbverzichts in einen größeren Zusammenhang zu stellen und entsprechend zu beurteilen. Die Entwicklung der Demenzerkrankung hat sich bei dem Erblasser nach den Angaben des Sachverständigen auch kontinuierlich verschlechtert, auch wenn es Zeiten eines gewissen Stillstandes gegeben haben mag. Sogenannte luzide Momente sind nach seinen Ausführungen praktisch auszuschließen, weil es nicht möglich ist, dass zerstörte Gehirnbereiche plötzlich wieder funktionieren können. Substantiierte Hinweise auf solche gegenläufigen Tendenzen sind auch nicht vorgetragen.
Da der Erbverzicht aus dem Jahre 1996 weiter besteht und Pflichtteilsansprüche des Klägers ausschließt, konnte die Stufenklage insgesamt, d. h. auch hinsichtlich der noch nicht anhängigen Stufen, abgewiesen werden.
Nebenentscheidungen: §§ 91, 709 ZPO.