Vererbbarkeit der Nacherbenstellung: Familiäre Bindungen setzen Grenzen
Das Urteil des OLG Düsseldorf (Az.: I-3 Wx 169/23) vom 27.11.2023 hebt hervor, dass die Nacherbenstellung nach dem Tod eines Nacherben auf dessen Erben übergehen kann, beschränkt sich jedoch auf Familienangehörige der Erblasserin. Dies bedeutet, dass die testamentarisch festgelegte Nacherbenanwartschaft nicht auf einen familienfremden Dritten übertragen werden kann, wenn dies dem Willen der Erblasserin widerspricht. Der Beschluss des Amtsgerichts wurde aufgehoben, und es wurde angewiesen, den Erbscheinantrag neu zu prüfen.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Die Nacherbenstellung ist grundsätzlich vererblich, jedoch mit Einschränkungen.
- Eine Beschränkung auf Familienangehörige soll den Willen der Erblasserin widerspiegeln.
- Familienfremde Dritte sind von der Erbfolge ausgeschlossen, wenn dies dem Erblasserwillen entspricht.
- Der Erbscheinantrag wurde vom Amtsgericht fälschlicherweise zurückgewiesen.
- Das OLG legt einen großen Wert auf die Auslegung des Testaments und den Erblasserwillen.
- Testamentarische Verfügungen sollen den Familienbesitz schützen und innerhalb der Familie weitergeben.
- Rechtliche Grundlagen wie § 2108 Abs. 2 BGB und § 2069 BGB sind zentral für die Entscheidungsfindung.
- Die Auslegungsregeln des Testaments spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Erbfolge.
Übersicht
Vererbbarkeit des Nacherbenrechts: Rechte und Herausforderungen
Das Nacherbenrecht ist ein komplexes Rechtsgebiet, das viele rechtliche Herausforderungen birgt. Eine dieser Herausforderungen ist die Frage der Vererbbarkeit des Nacherbenrechts. Grundsätzlich ist das Nacherbenrecht nach § 2108 Abs. 2 BGB vererbbar, d.h. die Erben des vorverstorbenen Nacherben treten an dessen Stelle. Dabei wird die Vorschrift des § 1923 BGB entsprechend angewandt. Allerdings kann der Erblasser in seinem Testament auch etwas anderes bestimmen.
Es ist wichtig, dass Erblasser sich dieser rechtlichen Herausforderungen bewusst sind und ihr Testament entsprechend gestalten. Es empfiehlt sich, einen erfahrenen Anwalt für Erbrecht zu konsultieren, um sicherzustellen, dass das Testament den Wünschen des Erblassers entspricht und dass die Vererbbarkeit des Nacherbenrechts ordnungsgemäß geregelt ist. Nur so können Streitigkeiten unter den Erben vermieden werden.
Im Zentrum des vorliegenden Falles steht die Frage der Vererblichkeit der Nacherbenstellung gemäß § 2108 Abs. 2 BGB, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen I-3 Wx 169/23 entschieden wurde. Der Streit entbrannte nach dem Tod einer Erblasserin, deren testamentarische Verfügungen zu einer rechtlichen Auseinandersetzung unter den Hinterbliebenen führten. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Rolle der Urenkelin als Beschwerdeführerin, die gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort vorging.
Testamentarische Weichenstellung und ihre Folgen
Die Erblasserin hatte in ihrem Testament verfügt, dass ihre Tochter als Vorerbin und ihre Enkeltochter als Nacherbin ihres Vermögens eingesetzt werden sollten. Des Weiteren waren Vermächtnisse und ein lebenslanges Wohnrecht für die Enkeltochter und die Urenkelin, also die Beschwerdeführerin, vorgesehen. Nach dem Tod der Vorerbin und der festgestellten Nacherbin entstand Unklarheit über die Rechtsnachfolge, insbesondere da die Nacherbin vor dem Eintritt der Nacherbfolge verstarb, was den Erbscheinantrag der Urenkelin als Alleinerbin nach sich zog.
Der rechtliche Knackpunkt: Vererblichkeit der Nacherbenstellung
Das Amtsgericht wies den Antrag der Urenkelin auf Erteilung eines Erbscheins zurück, da es annahm, dass die Nacherbenstellung gemäß der nicht eindeutig widerlegten Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 BGB vererblich sei und auf den vom verstorbenen Nacherben testamentarisch bestimmten Alleinerben, einen familienfremden Dritten, übergegangen war. Diese Auslegung wurde von der Beschwerdeführerin angefochten, die argumentierte, dass eine solche Vererbung weder dem wirklichen noch dem mutmaßlichen Willen der Erblasserin entspräche.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und wies darauf hin, dass die Vererblichkeit der Nacherbenstellung zwar grundsätzlich gegeben ist, sich jedoch auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin beschränkt. Diese Auslegung fand Unterstützung in der testamentarischen Konstellation, die ausschließlich familieninterne Erbfolgen vorsah. Entscheidend für das Gericht war die Intention der Erblasserin, ihr Vermögen innerhalb der Familie zu halten, was durch die testamentarische Berufung ausschließlich enger Familienangehöriger zu Erben deutlich wurde.
Rechtliche Würdigung und Schlussfolgerungen
Die richtungsweisende Klärung durch das OLG Düsseldorf betont die Bedeutung des Erblasserwillens bei der Auslegung testamentarischer Verfügungen. Im konkreten Fall wurde deutlich, dass eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Betrachtung der familiären Verhältnisse und der testamentarischen Anordnungen notwendig ist, um den wahren Willen der Erblasserin zu erfassen. Die Entscheidung stellt klar, dass die Vererblichkeit der Nacherbenstellung nicht dazu führen darf, dass das Vermögen gegen den erklärten oder mutmaßlichen Willen der Erblasserin an familienfremde Personen übergeht.
Das Gericht bestätigte die Beschwerde der Urenkelin und hob die vorherige Entscheidung auf, was den Weg für eine Neubeurteilung des Erbscheinantrags unter Berücksichtigung der familiären Bindungen und des Erblasserwillens ebnete.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Was versteht man unter der Vererblichkeit der Nacherbenstellung nach deutschem Erbrecht?
Unter der Vererblichkeit der Nacherbenstellung nach deutschem Erbrecht versteht man, dass das Anwartschaftsrecht des Nacherben auf die Erbschaft übertragbar und vererblich ist. Dies bedeutet, dass der Nacherbe, der durch eine Verfügung von Todes wegen eingesetzt wurde, die Erbschaft erst nach dem Tod des Vorerben erhält. Bis zu diesem Zeitpunkt, dem sogenannten Nacherbfall, hat der Nacherbe ein Anwartschaftsrecht auf die Erbschaft, welches er auch vererben oder übertragen kann.
Der Vorerbe wird zunächst Erbe und ist in der Verfügung über den Nachlass eingeschränkt, um sicherzustellen, dass der Nacherbe das Vermögen des Erblassers ungeschmälert erhält. So darf der Vorerbe beispielsweise kein Grundstück aus dem Nachlass ohne Zustimmung des Nacherben veräußern. Der Nacherbe erbt direkt vom Erblasser und nicht vom Vorerben, was bedeutet, dass der Nachlass im Prinzip zweimal versteuert werden muss: einmal beim Übergang auf den Vorerben und dann nochmals beim Übergang auf den Nacherben.
Die Vererblichkeit der Nacherbenstellung ermöglicht es dem Nacherben, sein Anwartschaftsrecht auf die Erbschaft zu Lebzeiten zu übertragen oder es geht im Falle seines Todes vor Eintritt des Nacherbfalls auf seine Erben über. Dies kann insbesondere dann relevant werden, wenn der Nacherbe vor dem Vorerben verstirbt.
Wie wirkt sich § 2108 Abs. 2 BGB auf die Erbfolge aus?
Nach § 2108 Abs. 2 BGB geht das Recht des eingesetzten Nacherben, falls dieser vor dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge, aber nach dem Eintritt des Erbfalls verstirbt, auf seine Erben über, es sei denn, der Erblasser hat einen anderen Willen bekundet. Dies bedeutet, dass die Position des Nacherben vererblich ist und im Falle seines Todes seine Erben an seine Stelle treten, sofern nicht aus dem Testament oder einer anderen letztwilligen Verfügung des Erblassers hervorgeht, dass dies nicht gewollt ist.
Die Regelung des § 2108 Abs. 2 BGB steht dabei in einem Spannungsverhältnis zur Auslegungsregel des § 2069 BGB, welche besagt, dass an die Stelle eines wegfallenden Abkömmlings ausschließlich dessen Abkömmlinge treten. Welche Vorschrift im Einzelfall Vorrang hat, muss durch Auslegung des Testaments ermittelt werden. Die Auslegung des Testaments kann ergeben, dass der Erblasser die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen hat, insbesondere wenn ein Ersatznacherbe benannt wurde.
Die Bestimmung des § 2108 Abs. 2 BGB hat somit erhebliche Auswirkungen auf die Erbfolge, da sie die Möglichkeit eröffnet, dass die Rechte des Nacherben auf seine eigenen Erben übergehen und somit die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft nach dem Erbfall beeinflusst werden kann.
Inwiefern beeinflusst die Auslegungsregel des § 2069 BGB die Erbfolge?
Der § 2069 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist eine Auslegungsregel, die die Erbfolge beeinflusst, insbesondere wenn ein Abkömmling des Erblassers, der im Testament bedacht wurde, nach der Errichtung des Testaments wegfällt. In solchen Fällen wird im Zweifel angenommen, dass die Abkömmlinge des verstorbenen Abkömmlings an dessen Stelle treten sollen, soweit sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.
Diese Regelung findet auch Anwendung, wenn der Erblasser nicht mit dem Wegfall des Abkömmlings gerechnet hat oder wenn er davon nichts wusste. Sie gilt auch, wenn der Erblasser vor der Errichtung der letztwilligen Verfügung mit seinem Abkömmling einen Erbverzicht vereinbart hat, seinen Abkömmling aber dennoch bedenkt und dieser dann infolge Vorversterbens wegfällt.
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Vorschrift des § 2069 BGB eingreift, wenn die Auslegung ergibt, dass ein entgegenstehender Erblasserwille, der § 2069 BGB ausschließt, nicht ermittelt werden kann. Um jegliche Zweifel auszuschließen, sollte in der letztwilligen Verfügung explizit geregelt werden, ob § 2069 BGB gelten soll oder nicht.
Es gibt jedoch auch Situationen, in denen § 2069 BGB nicht anwendbar ist. Beispielsweise ist die Regelung nicht anwendbar, wenn der Abkömmling die Nacherbschaft ausschlägt, um den Pflichtteil verlangen zu können. In solchen Fällen entspricht es erfahrungsgemäß nicht dem Willen des Erblassers, dass durch die ersatzweise Berufung der Abkömmlinge des Ausschlagenden dessen Stamm – durch die Anwendung von § 2069 BGB – berücksichtigt wird.
Darüber hinaus ist die Auslegungsregel des § 2069 BGB nicht auf entfernte Verwandte anwendbar. Sie gilt nur, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt.
Es ist daher wichtig, dass der Erblasser seine letztwillige Verfügung sorgfältig formuliert und regelmäßig aktualisiert, um sicherzustellen, dass seine Wünsche in Bezug auf die Erbfolge korrekt umgesetzt werden.
Das vorliegende Urteil
OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 169/23 – Beschluss vom 27.11.2023
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts (Nachlassgericht) Duisburg-Ruhrort vom 17. August 2023 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, über den Erbscheinantrag der Beteiligten vom 15. Juli 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligte ist die Urenkelin der Erblasserin. Sie ist ebenso wie ihre Mutter Heidemarie K….. von der Erblasserin testamentarisch bedacht worden. In dem notariell beurkundeten Testament vom 4. September 1974 heißt es, soweit vorliegend von Interesse:
„Meine einzige Tochter, Frau Ilse N….., …., soll meine alleinige Erbin sein. Insbesondere soll sie mein Hausgrundstück Duisburg-Meiderich, ……… erben.
Sie soll Vorerbin sein ohne Befreiung von den Beschränkungen der Vorschrift des § 2113 BGB.
Nacherbe soll meine einzige Enkeltochter, Frau Heidemarie K… ….. sein.
Als Vermächtnis sollen meine Enkelin Frau Heidemarie K….. 20.000,– DM und deren Tochter … (lies: die Beteiligte), meine einzige Urenkelin, ebenfalls 20.000,– DM erhalten, und zwar innerhalb eines Jahres nach meinem Tode.
Außerdem sollen Frau Heidemarie K….. und …. (lies: die Beteiligte) ein lebenslängliches Wohnrecht in dem Haus Duisburg-Meiderich, ……. erhalten, und zwar gemeinsam an der Wohnung in der 2. Etage links,….“
Die zur Vorerbin berufene Tochter der Erblasserin (und Großmutter der Beteiligten) ist am 16. Februar 2022 verstorben, Frau Heidemarie K….. am 19. Dezember 2008.
Die Beteiligte begehrt die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist. Sie ist der Ansicht, nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB anstelle ihrer Mutter Nacherbin der Erblasserin geworden zu sein.
Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag zurückgewiesen. Es hat angenommen, dass die Nacherbenstellung aufgrund der nicht ausgeräumten Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 BGB vererblich sei und demzufolge auf den von Heidemarie K….. mit handschriftlichem Testament vom 3. Mai 2004 zum Alleinerben berufenen Roland S…., ihrem Lebensgefährten, übergegangen sei. Dieser hat erklärt, keine Einwände gegen den beantragten Erbschein zu erheben.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Beteiligte ihren Erbscheinantrag weiter. Sie ist der Auffassung, dass die Regel des § 2108 Abs. 2 BGB widerlegt sei. Es sei weder der wirkliche noch der mutmaßliche Wille der Erblasserin gewesen, dass ihr Vermögen an einen familienfremden Dritten gehe und zu einem erheblichen Teil für die Begleichung der anfallenden Erbschaftssteuer verbraucht werde.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakten 130 VI 691/22 und 130 VI 690/22 sowie der Testamentsakte 130 IV 212/74, jeweils AG Duisburg-Ruhrort, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Beteiligten hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
Die von der Erblasserin angeordnete Nacherbenstellung ist vererblich. Die Vererblichkeit beschränkt sich allerdings auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin. Das führt im Entscheidungsfall zu dem Ergebnis, dass die letztwillige Verfügung der Heidemarie K…… in Bezug auf ihre eigene Nacherbenstellung nach der Erblasserin ins Leere geht und der Erbscheinantrag der Beteiligten nicht mit dem Argument versagt werden kann, testamentarisch berufener Nacherbe sei Roland S…..
Im Einzelnen:
1. Die Beteiligte stützt ihren Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist, plausibel auf § 2069 BGB.
Nach der genannten Vorschrift ist dann, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.
Im Entscheidungsfall führt dieser Grundsatz nach dem vorgetragenen Sach- und Streitstand zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte Alleinerbin der Erblasserin, ihrer Urgroßmutter, geworden ist. Die Erblasserin hat ihre einzige Tochter zur Vorerbin und die einzige Enkelin zur Nacherbin berufen. Nachdem der Nacherbfall durch den Tod der Vorerbin am 16. Februar 2022 eingetreten ist, wäre testamentarisch die Mutter der Beteiligten als Nacherbin berufen. Diese ist allerdings zwischen Testamentserrichtung und Nacherbfall Ende 2008 verstorben. An ihre Stelle träte der Auslegungsregel des § 2069 BGB folgend die Beteiligte als einzige gesetzliche Erbin ihrer Mutter. Sie wäre an deren Stelle zur Nacherbschaft berufen und, nachdem der Nacherbfall eingetreten ist, Alleinerbin der Erblasserin.
2. Die Beteiligte käme allerdings dann nicht als Alleinerbin zum Zuge, wenn das testamentarisch verfügte Nacherbrecht ihrer Mutter uneingeschränkt vererblich war. In diesem Fall würde nämlich deren Lebensgefährte Roland S…… als testamentarisch bedachter Erbe auch in die Nacherbenstellung einrücken. Der Erfolg des Erbscheinantrags hängt nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand somit von der Vererblichkeit der Nacherbenstellung der Heidemarie K…… ab. Sie ist gegeben, beschränkt sich aber – was das Amtsgericht übersehen hat – auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin, weshalb die Erbeinsetzung des Roland S…… als Alleinerbe der Heidemarie K…. nicht zum Übergang der Nacherbenposition geführt hat.
a) Gemäß § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB geht, wenn ein eingesetzter Nacherbe nach dem Eintritt des Erbfalls, aber vor dem Eintritt der Nacherbfolge stirbt, sein Recht auf seine Erben über, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist. Für die Annahme eines abweichenden Willens des Erblassers genügt es, wenn sich dieser aus den für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung maßgebenden Umständen ergibt. Bei dieser Auslegung kommt es nicht nur auf den Willen an, den der Erblasser bei Testamentserrichtung wirklich gehabt hat, sondern auch auf seinen hypothetischen Willen, den er zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte, wenn er die von ihm nicht vorausgesehene Entwicklung der Verhältnisse bedacht hätte. Voraussetzung ist allerdings, dass sich in der Testamentsurkunde ein – wenn auch noch so unvollkommener – Anknüpfungspunkt für diesen (wirklichen oder mutmaßlichen) Willen findet. Das Ergebnis der Testamentsauslegung kann ein völliger Ausschluss der Vererblichkeit des Anwartschaftsrechtes des Nacherben sein. Denkbar ist aber auch eine mittlere Lösung, wonach der Erblasser eine Vererbung des Nacherbenrechts zwar nicht vollständig ausschließt, aber auf einen bestimmten Personenkreis – etwa Familienangehörige – beschränkt. Als Anknüpfungspunkt für einen dahingehenden Willen des Erblassers kommt in Betracht, dass sämtliche Verfügungen des Testaments zugunsten der nächsten Familienangehörigen getroffen sind. Denn bei der Berufung solcher Personen zu Erben wird der Wille des Erblassers, das Vermögen auch über die Person des unmittelbaren Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tod des unmittelbaren Nacherben nicht dessen familienfremde testamentarische Erben zum Zug kommen zu lassen, besonders häufig im Vordergrund stehen (zu allem Vorstehenden: RGZ 169, 38 ff.; BGH NJW 1963, 1150 ff., OLG Köln OLGZ 1968, 91 ff.; OLG Oldenburg Rpfleger 1989, 106 f.; BayObLG NJW-RR 1994, 460 ff.; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 63 f. sowie 2009, 729 ff.; KG KGR 2002, 135 ff.; OLG München FamRZ 2013, 155 f.; Senat, Beschluss vom 7.12.2016, I-3 Wx 285/15; OLG Hamm, Beschluss vom 11.5.2022, I-10 W 159/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.4.1999, 11 Wx 12/98; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2008, 7 U 8/08).
b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben.
aa) Ein vollständiger Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenstellung lässt sich nicht feststellen.
Zwar wird der Wille desjenigen Erblassers, der einen Familienangehörigen zum Nacherben beruft, besonders häufig dahin gehen, das Vermögen auch über die Person des unmittelbar bedachten Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tod des Nacherben nicht dessen familienfremden testamentarischen Erben zum Zuge kommen zu lassen. Diese Lebenserfahrung und typische Interessenlage alleine reicht indes nicht aus, um beim Fehlen einer ausdrücklichen Erblasserverfügung zur Vererblichkeit der Nacherbenstellung annehmen zu können, der Erblasser wolle einer Berufung der Abkömmlinge des Nacherben den Vorzug vor der gesetzlichen oder gewillkürten Weitervererbung der Nacherbenanwartschaft durch den Nacherben selbst geben (BGH NJW 1963, 1150 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2008, 7 U 8/08). Hinzutreten müssen vielmehr sonstige Umstände, die den hinreichend sicheren Schluss tragen, der Erblasser habe eine Vererblichkeit der Nacherbenstellung (tatsächlich oder mutmaßlich) nicht gewollt, und die zumindest andeutungsweise im Wortlaut des Testaments ihren Niederschlag gefunden haben.
An solchen Umständen fehlt es im Entscheidungsfall. Das in Rede stehende Testament der Erblasserin enthält nicht den geringsten Hinweis, dass die Nacherbenposition einer Erbfolge vollständig entzogen sein sollte.
bb) Nach den Umständen des Falles ist aber anzunehmen, dass die Erblasserin den Kreis ihrer Nacherben auf Familienangehörige beschränkt wissen wollte.
Ein dahingehender (tatsächlicher oder mutmaßlicher) Erblasserwille ist bereits dem Umstand zu entnehmen, dass die Erblasserin in ihrer letztwilligen Verfügung ausschließlich enge Familienangehörige bedacht hat. Ihre Tochter ist zur Vorerbin und die Enkelin zur Nacherbin berufen worden. Es kommt hinzu, dass die Erblasserin die Vorerbin nicht von den Beschränkungen des § 2113 BGB befreit hat. Infolge dessen war diese gehindert, mit Wirkung zu Lasten der Nacherbin über ein zum Nachlass gehörendes Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück (§ 2113 Abs. 1 BGB) sowie unentgeltlich über einen Nachlassgegenstand (§ 2113 Abs. 2 BGB) zu verfügen. Dadurch war sichergestellt, dass zumindest die wesentlichen Teile des Nachlasses der zur Nacherbin berufenen Enkelin zugutekommen und damit in die aus Sicht der Erblasserin übernächste Generation gelangen werden. Schließlich hat die Erblasserin ihrer Enkelin Heidemarie K….. und der Beteiligten ein lebenslanges Wohnrecht an einer Wohnung in ihrem Hausgrundstück „…….. in Duisburg“ vermacht und dadurch die Nutzung jener Wohnung sogar für die überübernächste Generation gewährleistet. Das alles belegt den Willen der Erblasserin, das eigene Vermögen über die nächsten Generationen im Familienbesitz zu erhalten.
Die testamentarisch verfügten Vermächtnisse der Erblasserin stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Annahme des Amtsgerichts, die Beteiligte sei im Testament nur als Vermächtnisnehmerin bedacht und komme aus diesem Grund nicht als Nacherbin nach ihrer Mutter in Betracht, ist unzutreffend. Das Argument wird schon durch die Tatsache widerlegt, dass die Erblasserin in ihrem Testament für die zur Nacherbin berufene Heidemarie K…. die gleichen Vermächtnisse angeordnet hat wie zugunsten der Beteiligten. Nach dem Willen der Erblasserin schließen sich also die Nacherbenstellung und die Begünstigung durch die angeordneten Vermächtnisse nicht aus. Die verfügten Vermächtnisse, die innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Erbfalls zu erfüllen waren, tragen vielmehr dem Umstand Rechnung, dass zwischen dem Eintritt des Erbfalls und des Nacherbfalls viele Jahre liegen konnten – tatsächlich ist der Nacherbfall erst mehr als 45 Jahre nach dem Tod der Erblasserin eingetreten – und die Erblasserin die beiden Vermächtnisnehmerinnen bereits zeitnah zu ihrem Tod begünstigen wollte.
cc) War die Vererblichkeit der Nacherbenposition nach alledem auf Familienangehörige der Erblasserin beschränkt, war die zur Nacherbin berufene Heidemarie K…. aus Rechtsgründen daran gehindert, ihrem Lebensgefährten Roland S…… ihre Nacherbenanwartschaft testamentarisch zu vermachen. Vielmehr geht die testamentarische Anordnung der Nacherbin insoweit ins Leere.
dd) Aus diesem Grund wird das Amtsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob die Beteiligte nach der Zweifelsregel des § 2069 BGB in die Nacherbenstellung ihrer Mutter eingerückt ist.
III.
Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, weil sich die Kostentragungspflicht der Beteiligten bereits aus dem Gesetz (§§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG) ergibt.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG sind nicht gegeben. Bei der Anwendung der Rechtssätze auf den gegebenen Einzelfall ist der Senat über die in der Rechtsprechung bereits entwickelten Grundsätze nicht hinausgegangen.