Die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs für eine geschäftsunfähige Frau begann 1990, obwohl ihr Bruder, der Schuldner, gleichzeitig ihr gesetzlicher Betreuer war. Kann dieser massive Interessenkonflikt die Verjährung hemmen, selbst als das Sozialamt den übergeleiteten Anspruch nachträglich geltend machte?
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Wann verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch, wenn der Betreuer in einem Interessenkonflikt steht?
- Ein Erbe, eine Schenkung und drei Jahrzehnte des Schweigens: Was war geschehen?
- Von alten Fristen und neuen Regeln: Welche Gesetze entscheiden über die Verjährung?
- Warum war der Anspruch trotz des Interessenkonflikts verjährt?
- Welche Lehren birgt dieser Fall für Betreuer und Sozialhilfeträger?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Beginnt die Verjährung des Pflichtteils, wenn der Erbe geschäftsunfähig ist und betreut wird?
- Wie lange verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach einer Schenkung des Erblassers?
- Wie hemmt der Interessenkonflikt des Betreuers automatisch die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs?
- Wie stoppe ich die Verjährung eines Pflichtteilsanspruchs, wenn ich als Betreuer im Interessenkonflikt stehe?
- Kann das Sozialamt bereits verjährte Erbansprüche eines Hilfeempfängers noch überleiten und einfordern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 103/19 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Hamm
- Datum: 22.12.2020
- Aktenzeichen: 10 U 103/19
- Verfahren: Berufungsverfahren (Zivilrecht)
- Rechtsbereiche: Erbrecht (Pflichtteil), Verjährungsrecht, Betreuungsrecht
- Das Problem: Ein Sozialhilfeträger wollte übergeleitete Pflichtteilsergänzungsansprüche einer betreuten Frau durchsetzen. Der Beklagte, der zugleich gesetzlicher Betreuer und Erbe war, weigerte sich. Er argumentierte, dass die Forderung aus dem Erbfall von 1989 bereits verjährt sei.
- Die Rechtsfrage: War der Pflichtteilsergänzungsanspruch der betreuten Person bereits verjährt, bevor der Sozialhilfeträger ihn geltend machte? Stoppt ein Interessenkonflikt des gesetzlichen Betreuers den Lauf der Verjährungsfrist?
- Die Antwort: Ja, die Forderung war verjährt. Das Gericht entschied, dass die dreijährige Verjährungsfrist bereits 1990 mit der Bestellung des Betreuers begann. Die Frist endete 1993 und war lange vor der Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger abgelaufen.
- Die Bedeutung: Die Verjährungsfrist für Erbansprüche einer betreuten Person beginnt, sobald der gesetzliche Betreuer die notwendige Kenntnis erlangt. Ein bloßer Interessenkonflikt des Betreuers hemmt die Verjährung nicht automatisch.
Wann verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch, wenn der Betreuer in einem Interessenkonflikt steht?
Stellen Sie sich eine Familie vor, in der ein Bruder zum gesetzlichen Betreuer seiner schwerbehinderten Schwester bestellt wird. Jahrzehnte später, lange nach dem Tod der Eltern, tritt das Sozialamt auf den Plan. Es fordert im Namen der Schwester einen Anteil an einer Immobilie, die der Vater dem Bruder noch zu Lebzeiten geschenkt hatte.

Der Bruder wendet ein, der Anspruch sei längst verjährt. Das Sozialamt kontert: Wie hätte der Anspruch verjähren können, wenn der Bruder als Betreuer quasi gegen sich selbst hätte klagen müssen? Genau diesen komplexen Fall eines jahrzehntealten Erbanspruchs, der durch einen Interessenkonflikt und die Regeln der Verjährung kompliziert wurde, verhandelte das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 22. Dezember 2020 (Az.: 10 U 103/19). Die Entscheidung beleuchtet das feine Zusammenspiel von Erbrecht, Betreuungsrecht und Sozialrecht und gibt eine klare Antwort auf die Frage, wann die Uhr der Verjährung auch für schutzbedürftige Personen zu ticken beginnt.
Ein Erbe, eine Schenkung und drei Jahrzehnte des Schweigens: Was war geschehen?
Die Geschichte beginnt im Jahr 1987. Ein Vater überträgt zwei Immobilien unentgeltlich auf seinen Sohn, behält sich aber ein lebenslanges Wohn- und Nießbrauchsrecht vor. Zwei Jahre später, im November 1989, verstirbt der Vater. In seinem Testament hat er seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Seine beiden Kinder, der beschenkte Sohn und seine seit früher Kindheit schwer intellektuell behinderte und geschäftsunfähige Tochter, wurden damit enterbt.
Für die Tochter, die bereits seit 1964 Sozialhilfe bezog, hatte dies zunächst keine direkten Folgen. Wenige Monate nach dem Tod des Vaters, am 5. Februar 1990, wurde ihr Bruder vom Gericht zu ihrem gesetzlichen Betreuer bestellt. Viele Jahre vergingen. 2015 verstarb auch die Mutter und setzte ebenfalls den Sohn als alleinigen Erben ein.
Erst im Jahr 2017 wurde der Fall wieder aktuell. Der Sozialhilfeträger, der seit über 50 Jahren die Kosten für die Betreuung der Tochter trug, wurde auf die Schenkung aus dem Jahr 1987 aufmerksam. Er sah eine Möglichkeit, sich einen Teil der aufgewendeten Kosten zurückzuholen. Nach dem Erbrecht hätte der Tochter als enterbtem Kind ein sogenannter Pflichtteilsergänzungsanspruch zugestanden. Dieser Anspruch soll verhindern, dass ein Erblasser sein Vermögen kurz vor dem Tod verschenkt, um den Pflichtteil der Kinder zu schmälern.
Mit einem Bescheid vom 9. Oktober 2017 leitete der Sozialhilfeträger diesen potenziellen Anspruch gemäß § 93 Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) auf sich über. Dieser Verwaltungsakt gibt dem Staat das Recht, Ansprüche eines Sozialhilfeempfängers in eigenem Namen geltend zu machen. Es folgte ein verworrenes Verfahren, in dem der Sozialhilfeträger zunächst erklärte, keine Forderungen mehr zu stellen, nur um im März 2019 den Anspruch erneut auf sich überzuleiten. Schließlich landete der Fall vor dem Landgericht Hagen. Der Sozialhilfeträger verklagte den Bruder in einer sogenannten Stufenklage: Zuerst sollte er Auskunft über den Wert der Immobilien geben, danach sollte er den entsprechenden Geldbetrag zahlen. Der Bruder und Betreuer wehrte sich von Anfang an mit einem schlagkräftigen Argument: die Einrede der Verjährung.
Von alten Fristen und neuen Regeln: Welche Gesetze entscheiden über die Verjährung?
Um die Entscheidung des Gerichts zu verstehen, muss man sich die rechtlichen Werkzeuge ansehen, die hier zur Anwendung kamen. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen dem Anspruch des enterbten Kindes und der Verjährung, die für Rechtsfrieden sorgen soll.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der Kernanspruch. Er gibt einem Pflichtteilsberechtigten das Recht, eine Ergänzung seines Pflichtteils zu verlangen, wenn der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat. Der Anspruch richtet sich grundsätzlich gegen den Erben, in diesem Fall also zunächst gegen die Mutter und nach deren Tod gegen den Bruder.
Die entscheidende Hürde ist die Verjährung. Ein Anspruch kann nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden, wenn der Schuldner sich auf die Verjährung beruft. Da der Erbfall bereits 1989 eintrat, spielte hier altes Recht eine Rolle. Nach § 2332 Abs. 1 BGB in der alten Fassung (a.F.) verjährte der Pflichtteilsergänzungsanspruch in drei Jahren. Diese Frist begann, sobald der Pflichtteilsberechtigte vom Erbfall und von der Schenkung wusste.
Eine Gesetzesreform zum 1. Januar 2010 änderte die Verjährungsregeln im Erbrecht grundlegend. Die Übergangsvorschriften im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 229 § 23 EGBGB) regelten genau, ob und wie die neuen Fristen auf alte Fälle anzuwenden sind. Dies war besonders für den untergeordneten Auskunftsanspruch relevant, der nach altem Recht einer längeren Frist unterlag.
Schließlich war das Betreuungsrecht von zentraler Bedeutung. Da die Tochter geschäftsunfähig war, kam es auf die Kenntnis ihres gesetzlichen Vertreters an (§ 166 Abs. 1 BGB). Die entscheidende Frage war jedoch, ob der Bruder als Betreuer durch einen Interessenkonflikt an der Geltendmachung des Anspruchs gehindert war. Die Vorschriften über den Ausschluss der Vertretungsmacht bei bestimmten Rechtsgeschäften (§§ 1795, 181 BGB) waren hier der Dreh- und Angelpunkt der Argumentation des Sozialhilfeträgers.
Warum war der Anspruch trotz des Interessenkonflikts verjährt?
Das Oberlandesgericht Hamm kam zu einem klaren Ergebnis und wies die Klage des Sozialhilfeträgers vollständig ab. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch war nach Überzeugung des Senats seit fast drei Jahrzehnten verjährt. Die Richter zerlegten die Argumente des Sozialhilfeträgers Punkt für Punkt und legten dar, warum der scheinbar offensichtliche Interessenkonflikt des Bruders den Lauf der Verjährung nicht aufhalten konnte.
Warum begann die Verjährung bereits 1990 zu laufen?
Der Ausgangspunkt der richterlichen Prüfung war die Frage, wann die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begann. Nach altem Recht war dafür die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Erbfall und der beeinträchtigenden Schenkung erforderlich. Da die Tochter selbst geschäftsunfähig war, stellte das Gericht auf die Kenntnis ihres gesetzlichen Vertreters ab, wie es § 166 Abs. 1 BGB vorschreibt.
Dieser Vertreter war ihr Bruder, der am 5. Februar 1990 zum Betreuer bestellt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte er als Sohn des Erblassers und als neuer Betreuer seiner Schwester Kenntnis von allen relevanten Umständen: vom Tod des Vaters, von der Enterbung der Geschwister und von der Schenkung der Immobilien an ihn selbst. Damit waren alle Voraussetzungen erfüllt, damit die Verjährungsuhr zu ticken begann. Die dreijährige Frist des § 2332 BGB a.F. lief somit am 5. Februar 1993 ab. Der Anspruch war also bereits verjährt, lange bevor der Sozialhilfeträger überhaupt aktiv wurde.
Lag kein rechtliches Hindernis für den Betreuer vor?
Der Sozialhilfeträger argumentierte, dass die Verjährung gehemmt, also angehalten, gewesen sei. Der Grund: Der Bruder sei als Betreuer in einem massiven Interessenkonflikt gewesen. Er hätte zunächst im Namen seiner Schwester die Mutter als Erbin und nach deren Tod sich selbst als Erben verklagen müssen. Ein solches Vorgehen sei ihm nach den Vorschriften über das „Selbstkontrahierungsverbot“ (§ 181 BGB) und anderen Vertretungsbeschränkungen (§ 1795 BGB) rechtlich unmöglich gewesen.
Das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Die Richter stellten klar, dass diese Verbote sich auf konkrete Rechtsgeschäfte beziehen, wie etwa den Abschluss eines Vergleichs, einen Erlassvertrag oder die gerichtliche Anerkennung einer Forderung. Für solche Handlungen, bei denen ein Betreuer auf beiden Seiten des Tisches sitzt, hätte er tatsächlich eine Genehmigung des Gerichts oder die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gebraucht.
Die bloße Entscheidung, einen Anspruch nicht gerichtlich geltend zu machen, ist laut Gericht jedoch kein solches zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft. Sie fällt vielmehr in den Bereich der allgemeinen Sorgepflicht des Betreuers. Der Bruder hatte also die rechtliche Befugnis und die Pflicht, die Interessen seiner Schwester zu wahren. Hätte er dies pflichtwidrig unterlassen, hätte er sich schadensersatzpflichtig machen können. Die Vertretungsmacht als solche war ihm aber nicht entzogen. Das Gericht betonte, dass eine Hemmung der Verjährung nur dann in Betracht gekommen wäre, wenn das Vormundschaftsgericht aktiv eingegriffen und ihm die Vertretungsmacht in dieser Angelegenheit entzogen hätte, etwa durch die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers nach § 1796 BGB. Da dies unstreitig nie geschah, lief die Verjährung ungehindert weiter.
Welche Rolle spielten die unterschiedlichen Verjährungsfristen?
Das Gericht prüfte auch den untergeordneten Anspruch auf Auskunft und Wertermittlung der Immobilien. Dieser unterlag nach altem Recht einer längeren, 30-jährigen Verjährungsfrist und war daher zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung am 1. Januar 2010 noch nicht verjährt. Durch die Übergangsvorschrift (Art. 229 § 23 EGBGB) wurde jedoch auf diesen Anspruch die neue, kürzere Regelverjährung von drei Jahren angewendet. Diese neue Frist begann am 1. Januar 2010 zu laufen und endete somit am 1. Januar 2013. Damit war auch der Auskunftsanspruch bei der Überleitung durch das Sozialamt im Jahr 2017 längst verjährt.
Konnte das Sozialamt den verjährten Anspruch wiederbeleben?
Schließlich stellte das Gericht klar, dass die Überleitung eines Anspruchs nach § 93 SGB XII keine Wunder bewirken kann. Dieses Instrument ermöglicht es dem Sozialhilfeträger lediglich, in die Rechtsposition des Hilfeempfängers einzutreten. Er erhält den Anspruch so, wie er besteht – mit allen Stärken und Schwächen. Ein bereits verjährter Anspruch ist rechtlich entwertet. Er kann nicht mehr durchgesetzt werden, wenn der Schuldner die Verjährungseinrede erhebt. Die Überleitung konnte den erloschenen Anspruch also nicht wieder zum Leben erwecken.
Welche Lehren birgt dieser Fall für Betreuer und Sozialhilfeträger?
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm ist mehr als nur die Klärung eines komplexen Einzelfalls. Sie verdeutlicht grundlegende Prinzipien im Spannungsfeld von Erbrecht, Betreuung und staatlicher Fürsorge, die für alle Beteiligten von Bedeutung sind.
Die erste zentrale Lehre ist, dass die Verjährung auch bei geschäftsunfähigen Personen unerbittlich läuft, sobald ein gesetzlicher Vertreter bestellt ist und dieser die notwendige Kenntnis hat. Die Schutzfunktion des Betreuungsrechts entbindet nicht von der Einhaltung gesetzlicher Fristen. Die Verantwortung für die rechtzeitige Geltendmachung von Ansprüchen liegt klar beim Betreuer. Seine Kenntnis wird der betreuten Person zugerechnet und setzt die Verjährungsuhr in Gang.
Zweitens zeigt das Urteil, dass ein potenzieller Interessenkonflikt eines Betreuers nicht automatisch zu einer Hemmung der Verjährung führt. Das Gesetz sieht für solche Konfliktsituationen das Instrument des Ergänzungsbetreuers vor. Solange das Betreuungsgericht nicht von sich aus oder auf Anregung hin einschreitet und die Vertretungsmacht einschränkt, bleibt der Betreuer handlungsfähig und die Fristen laufen weiter. Ein Betreuer, der sich in einem solchen Dilemma befindet, handelt klug, wenn er das Betreuungsgericht aktiv informiert und eine Klärung seiner Befugnisse herbeiführt, anstatt die Sache einfach ruhen zu lassen.
Drittens ist die Entscheidung eine wichtige Mahnung für Sozialhilfeträger. Die Überleitung von Ansprüchen nach § 93 SGB XII ist ein scharfes Schwert, aber es ist wirkungslos gegen bereits verjährte Forderungen. Die Behörden müssen Ansprüche potenzieller Sozialhilfeempfänger frühzeitig identifizieren und deren Verjährungsstatus sorgfältig prüfen. Abwarten kann hier dazu führen, dass berechtigte Regressansprüche der Gemeinschaft für immer verloren gehen. Der Staat kann nicht mehr Rechte geltend machen, als dem Bürger selbst zugestanden hätten.
Die Urteilslogik
Die Verjährung von Erbansprüchen läuft auch dann unerbittlich weiter, wenn ein gesetzlicher Betreuer durch eigene Interessen blockiert ist.
- Kenntnis des Vertreters legt den Verjährungsbeginn fest: Die Verjährungsfrist eines Anspruchs beginnt zu laufen, sobald der gesetzliche Vertreter die relevanten Umstände des Erbfalls und der beeinträchtigenden Schenkung kennt, selbst wenn die betreute Person geschäftsunfähig ist.
- Interessenkonflikte hemmen die Verjährung nicht automatisch: Ein bloßer Interessenkonflikt oder das Verbot des Selbstkontrahierens hält die Verjährung eines Anspruchs nicht an; vielmehr muss der Betreuer aktiv die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers beim Gericht erwirken, um die Vertretungsblockade aufzuheben.
- Überleitung belebt verjährte Ansprüche nicht wieder: Die Überleitung von Forderungen auf einen Sozialhilfeträger verschafft diesem keine besseren Rechte, als dem ursprünglichen Berechtigten zustanden, und kann bereits verjährte Ansprüche nicht reaktivieren.
Die Einhaltung gesetzlicher Fristen hat Priorität vor der Schutzfunktion des Betreuungsrechts und erfordert von Betreuern stets eine proaktive Rechtswahrung.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Viele setzen darauf, dass der Betreuer bei einem Konflikt automatisch handlungsunfähig ist und die Verjährung deshalb pausiert. Das OLG Hamm hat hier klar eine rote Linie gezogen: Die Pflichtteilsergänzung ist verjährt, weil die Untätigkeit des Betreuers kein automatisches Vertretungshindernis darstellt. Wer als Betreuer gleichzeitig der Schuldner ist, muss aktiv das Betreuungsgericht informieren und einen Ergänzungsbetreuer fordern, um die Frist zu sichern. Die reine Hoffnung auf diesen Interessenkonflikt als Fristenretter ist ein Irrtum – für Sozialämter und Betroffene bedeutet das, dass frühzeitiges Handeln alles ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Beginnt die Verjährung des Pflichtteils, wenn der Erbe geschäftsunfähig ist und betreut wird?
Ja, die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs beginnt zu laufen, sobald ein gesetzlicher Vertreter wie ein Betreuer offiziell bestellt wurde. Die Schutzfunktion der Betreuung verhindert nicht den Start der gesetzlichen Fristen. Entscheidend ist die Kenntnis des Betreuers von allen relevanten Umständen wie der Enterbung und einer Schenkung des Erblassers. Dieses Wissen wird der betreuten, geschäftsunfähigen Person gemäß § 166 BGB zugerechnet und setzt die Verjährung in Gang.
Für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist ist die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von Erbfall und Schenkung notwendig. Da die betreute Person diese Kenntnis nicht selbst erlangen kann, tritt der Betreuer an ihre Stelle. Ab dem Zeitpunkt der offiziellen Bestellung gilt das Wissen des Betreuers als maßgeblich. Kenne der Betreuer alle Fakten, beginnt die Verjährungsuhr sofort zu ticken. Die Verantwortung für die rechtzeitige Geltendmachung des Pflichtteils liegt damit vollständig beim gesetzlichen Vertreter.
Konkret: Wurde der Betreuer am 5. Februar 1990 bestellt und wusste er von diesem Datum an von der Enterbung und der früheren Immobilienschenkung des Erblassers, dann startete die Verjährungsfrist genau zu diesem Zeitpunkt. Selbst wenn ein Interessenkonflikt vorlag (etwa weil der Betreuer selbst der Beschenkte war), lief die Frist weiter. Die Ansprüche verjähren in diesem Fall nach drei Jahren. Das Betreuungsrecht bietet also keinen automatischen Aufschub oder eine Hemmung der Fristen.
Überprüfen Sie das Bestallungsdatum des Betreuers sowie den Zeitpunkt, an dem dieser nachweislich Kenntnis von der relevanten Schenkung erlangte.
Hinweis: Diese allgemeinen Informationen ersetzen keine individuelle Rechtsberatung.
Wie lange verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach einer Schenkung des Erblassers?
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch verjährt in der Regel nach drei Jahren. Die Fristberechnung ist kompliziert, weil die geltende Rechtslage stark vom Todeszeitpunkt des Erblassers abhängt. Entscheidend für den Start der Verjährung ist immer, wann der Pflichtteilsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter Kenntnis vom Erbfall und der relevanten Schenkung erlangt hat.
Bei Erbfällen, die vor der großen Reform am 1. Januar 2010 eintraten, kommt oft noch das alte Recht zur Anwendung. Nach § 2332 BGB a.F. begann die dreijährige Frist sofort mit der Kenntnisnahme von Erbfall und Schenkung zu laufen. Für alle späteren Erbfälle gilt die moderne Regelverjährung nach § 195 BGB n.F. Die Verjährungsfrist beträgt ebenfalls drei Jahre, beginnt aber erst am Ende des Jahres, in dem der Anspruchsteller die maßgebliche Kenntnis erlangt hat.
Es besteht eine große Verwechslungsgefahr mit der sogenannten 10-Jahres-Frist, die in diesem Zusammenhang genannt wird. Diese Frist betrifft lediglich die Berechnung, in welchem Umfang eine Schenkung bei der Pflichtteilsergänzung überhaupt noch berücksichtigt wird – sie betrifft nicht die Verjährung des Anspruchs selbst. Durch Übergangsvorschriften seit 2010 gilt die kurze 3-Jahres-Frist sogar für Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung, die früher unter Umständen länger verjährten.
Suchen Sie die Sterbeurkunde des Erblassers heraus, um den Todeszeitpunkt festzustellen und die anwendbare Verjährungsregel exakt bestimmen zu können.
Wie hemmt der Interessenkonflikt des Betreuers automatisch die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs?
Die klare Antwort lautet: Nein, ein bloßer Interessenkonflikt führt nicht automatisch zur Hemmung der Verjährung. Die Vertretungsmacht des Betreuers bleibt bestehen, solange das Gericht nicht aktiv in die Situation eingreift. Die gesetzlichen Fristen laufen daher unerbittlich weiter. Die Unterlassung der Klage oder Geltendmachung eines Anspruchs gilt rechtlich nicht als zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft.
Der Grund für diese strenge Regelung liegt in der Natur der Vertretungsverbote. Das Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB) und andere Beschränkungen verbieten dem Betreuer, aktive Rechtsgeschäfte im Namen der betreuten Person mit sich selbst abzuschließen. Ein Beispiel wäre der Abschluss eines Vergleiches. Die Entscheidung, einen Anspruch nicht gerichtlich geltend zu machen, fällt jedoch in den Bereich der allgemeinen Sorgepflicht des Betreuers.
Ein Interessenkonflikt allein entzieht dem Betreuer nicht die Befugnis, für die betreute Person zu handeln. Unterlässt der Betreuer die Klage, obwohl er aufgrund der Schenkung selbst begünstigt ist, begeht er zwar eine Pflichtverletzung. Diese Pflichtverletzung löst potenziell Schadensersatzansprüche der betreuten Person gegen ihn aus. Eine automatische Hemmung der Verjährung tritt jedoch nur ein, wenn das Betreuungsgericht die Vertretungsmacht formal entzogen oder einen neutralen Ergänzungsbetreuer bestellt hat.
Kontaktieren Sie das zuständige Betreuungsgericht und fordern Sie alle Beschlüsse an, um zu prüfen, ob ein Entzug der Vertretungsmacht jemals angeordnet wurde.
Wie stoppe ich die Verjährung eines Pflichtteilsanspruchs, wenn ich als Betreuer im Interessenkonflikt stehe?
Wenn Sie als Betreuer zugleich Erbe oder Beschenkter sind, müssen Sie zwingend formelle Schritte einleiten, um die Verjährung des Anspruchs Ihrer betreuten Person zu verhindern. Nur ein aktives Vorgehen stoppt die tickende Verjährungsuhr und schützt Sie vor persönlicher Haftung. Um die Verjährung rechtssicher zu hemmen, müssen Sie den Interessenkonflikt unverzüglich beim Betreuungsgericht melden und die Bestellung eines neutralen Ergänzungsbetreuers formal fordern.
Der bloße Konflikt, dass Sie faktisch gegen sich selbst klagen müssten, hemmt die Verjährung nicht automatisch. Solange das Betreuungsgericht Ihre Vertretungsmacht nicht formell eingeschränkt hat, bleibt diese bestehen und die gesetzlichen Fristen laufen weiter. Juristisch gesehen gilt die Unterlassung der Klage nicht als zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft. Deshalb ist es entscheidend, dass Sie das Gericht aktiv informieren und eine Klärung Ihrer Befugnisse herbeiführen, um eine Pflichtverletzung zu vermeiden.
Die formelle Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gemäß § 1796 BGB ist der zentrale und rechtssichere Weg. Dieser neutrale Vertreter wird speziell für die Geltendmachung der Pflichtteilsergänzungsansprüche bestellt. Er übernimmt die Verantwortung für diesen konkreten Aufgabenkreis. Erst der Ergänzungsbetreuer kann dann rechtzeitig die notwendigen, verjährungshemmenden Schritte einleiten, etwa durch die Zustellung eines gerichtlichen Mahnbescheids oder die Einreichung einer Stufenklage.
Verfassen Sie sofort ein schriftliches Schreiben an das Betreuungsgericht, das den Interessenkonflikt darlegt und formal die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers für die Geltendmachung des Anspruchs beantragt.
Kann das Sozialamt bereits verjährte Erbansprüche eines Hilfeempfängers noch überleiten und einfordern?
Das Sozialamt kann zwar Ansprüche eines Hilfeempfängers nach § 93 SGB XII auf sich überleiten, dies belebt einen bereits verjährten Anspruch jedoch nicht wieder. Das Amt tritt lediglich in die bestehende Rechtsposition des Bürgers ein, übernimmt aber auch alle deren Schwächen. War der Anspruch vor der Überleitung unwiderruflich entwertet, bleibt er es auch in staatlicher Hand.
Der Sozialhilfeträger kann nicht mehr Rechte geltend machen, als dem ursprünglichen Berechtigten, dem Hilfeempfänger, selbst zustanden. Die Überleitung des Anspruchs ist ein formaler Verwaltungsakt, der die Rechtsnatur der Forderung nicht verändert. Da die Verjährung ein fundamentales Instrument für den Rechtsfrieden darstellt, kann der Staat diese Frist nicht im Nachhinein korrigieren oder verlorene Rechte neu schaffen. Der Schuldner, der in Anspruch genommen wird, behält daher sein Recht, sich erfolgreich auf die abgelaufene Frist zu berufen.
Konkret bedeutet dies für den Beschenkten, dass er sich erfolgreich wehren kann, wenn der Pflichtteilsanspruch tatsächlich vor der Überleitung verjährt war. Hierfür muss er dem Sozialamt gegenüber die sogenannte Einrede der Verjährung aktiv und explizit geltend machen. Gerichte oder Behörden prüfen die Verjährung nicht von Amts wegen; der Schuldner muss sich zwingend darauf berufen. Unterlässt er diese Einrede, müsste er die Forderung trotz der abgelaufenen Frist begleichen.
Wenn Sie vom Sozialamt zur Zahlung aufgefordert werden, prüfen Sie sofort die dreijährige Verjährungsfrist und erheben Sie unverzüglich die Einrede der Verjährung.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Einrede der Verjährung
Die Einrede der Verjährung ist das Recht des Schuldners, die Erfüllung einer Forderung dauerhaft zu verweigern, obwohl die Forderung dem Grunde nach berechtigt wäre. Dieses Verteidigungsinstrument sorgt für Rechtsfrieden, indem es verhindert, dass alte Ansprüche nach Ablauf der gesetzlichen Frist noch gerichtlich durchgesetzt werden können. Juristen betonen: Die Verjährung muss aktiv geltend gemacht werden, das Gericht berücksichtigt sie nicht von Amts wegen.
Beispiel: Der Bruder wendete im vorliegenden Fall die Einrede der Verjährung erfolgreich gegen den vom Sozialamt übergeleiteten Pflichtteilsergänzungsanspruch ein, weil die gesetzliche Frist bereits 1993 abgelaufen war.
Ergänzungsbetreuer
Ein Ergänzungsbetreuer ist eine vom Betreuungsgericht bestellte neutrale Person, die die betreute Person in einem genau definierten Bereich rechtlich vertritt, wenn der Hauptbetreuer in einem Interessenkonflikt steht. Das Gesetz schafft durch diese Figur einen Mechanismus, um die Rechtsinteressen des Schutzbedürftigen auch dann zu wahren, wenn der Hauptvertreter selbst auf der Gegenseite steht. Er gewährleistet somit die Funktionsfähigkeit der Betreuung.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Hamm stellte fest, dass die Verjährung nur gehemmt worden wäre, wenn der Bruder als Hauptbetreuer aktiv die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers nach § 1796 BGB beantragt hätte.
Pflichtteilsergänzungsanspruch
Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gibt enterbten, pflichtteilsberechtigten Erben das Recht, eine finanzielle Ergänzung des gesetzlichen Pflichtteils zu verlangen, wenn der Erblasser kurz vor seinem Tod Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Dieser erbrechtliche Schutzmechanismus soll verhindern, dass Erblasser den Pflichtteil ihrer Kinder oder Ehepartner gezielt schmälern, indem sie ihr Vermögen noch zu Lebzeiten verschenken. Der Anspruch richtet sich gegen den Erben oder den Beschenkten.
Beispiel: Der Sozialhilfeträger versuchte, den Pflichtteilsergänzungsanspruch der schwerbehinderten Schwester gegen ihren Bruder geltend zu machen, da der Vater diesem die Immobilien bereits 1987 geschenkt hatte.
Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB)
Juristen nennen das Selbstkontrahierungsverbot die gesetzliche Regelung, die einem Vertreter (wie einem Betreuer) verbietet, Rechtsgeschäfte im Namen des Vertretenen mit sich selbst abzuschließen. Die Vorschrift dient dem Schutz des Vertretenen vor Missbrauch und Interessenkollisionen, da die Gefahr besteht, dass der Vertreter bei einem Geschäft mit sich selbst die eigenen Interessen über die des Schutzbefohlenen stellt.
Beispiel: Der Sozialhilfeträger argumentierte, das Selbstkontrahierungsverbot habe den Bruder daran gehindert, als Betreuer seiner Schwester die Klage gegen sich selbst als Beschenkten zu erheben, doch das Gericht sah hierin kein zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft.
Stufenklage
Eine Stufenklage ist ein prozessuales Vorgehen, bei dem ein Kläger mehrere Anträge nacheinander in einem einzigen Verfahren geltend macht, wobei der Erfolg der nachfolgenden Stufe vom Ergebnis der vorangehenden Stufe abhängt. Diese Klageart ist besonders im Erbrecht nützlich, weil die Höhe eines Anspruchs (zweite Stufe: Zahlungsforderung) oft erst ermittelt werden kann, nachdem der Schuldner auf der ersten Stufe Auskunft über den Vermögenswert erteilt hat.
Beispiel: Im Fall vor dem Landgericht Hagen verklagte der Sozialhilfeträger den Bruder in einer Stufenklage, die zunächst die Auskunft über den Wert der Immobilien forderte und danach die Zahlung des entsprechenden Geldbetrages vorsah.
Überleitung des Anspruchs (§ 93 SGB XII)
Die Überleitung des Anspruchs ist ein formaler Verwaltungsakt, bei dem ein Sozialhilfeträger gesetzlich das Recht erhält, Forderungen eines Hilfeempfängers in eigenem Namen gegen einen Dritten geltend zu machen. Dieses sozialrechtliche Instrument dient dem Regress, das heißt, es ermöglicht dem Staat, aufgewendete Sozialleistungen durch die Nutzung vorhandener Ansprüche des Empfängers teilweise zurückzuerlangen. Der Staat tritt lediglich in die Rechtsposition des Bürgers ein.
Beispiel: Im Jahr 2017 leitete der Sozialhilfeträger den potenziellen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Schwester auf sich über, um die seit vielen Jahren geleisteten Sozialhilfekosten abzudecken.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 10 U 103/19 – Urteil vom 22.12.2020
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Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
