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Vermächtnisanspruch aus Erbvertrag – Unwirksamkeit einer Wiederverheiratungsklausel

OLG Saarbrücken –  Az.: 5 U 19/13 – Urteil vom 15.10.2014

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14.12.2012 – 4 O 471/07 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1 einen Betrag von 22.271,65 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2007.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2 – über die mit Teilanerkenntnisurteil vom 09.10.2008 ausgeurteilten 3.897,02 € nebst Zinsen hinaus – 35.258,46 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2007.

3. Es wird festgestellt, dass die Hauptsache hinsichtlich der ursprünglichen Klageanträge gemäß den Ziffern 1 bis 4 der Klageschrift vom 16.04.2004 und der Ziffer 3a des Schriftsatzes vom 01.12.2004 erledigt ist.

II. Die Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 54.286,90 (22.271,65 € Berufung des Klägers zu 1; 29.773,34 € Berufung des Klägers zu 2; 2.241,91 € Anschlussberufung des Beklagten).

Gründe

I.

Die Kläger sind die Söhne des Beklagten und dessen erster Ehefrau, der im Jahr 1982 verstorbenen Frau A. H.. Sie machen Vermächtnisansprüche geltend aus einem im Jahr 1968 geschlossenen Ehe- und Erbvertrag (Urkunde des Notars W. S vom 11.10.1968, Urkundenrolle Nr. X/1968, Bl. 9 d.A.).

In dem Ehe- und Erbvertrag (im Folgenden: Erbvertrag) vereinbarten die Eheleute den Güterstand der Gütergemeinschaft. Unter Ziffer II trafen sie sodann folgende Regelungen:

„1. Der Zuerstversterbende setzt hiermit den Überlebenden zu seinem alleinigen Erben ein ohne jede Rücksicht auf das Vorhandensein von Pflichtteilsberechtigten.

2. Sollte der Überlebende sich wieder verheiraten, so hat er an die etwaigen Abkömmlinge des Erstverstorbenen als Vermächtnisse Geldbeträge heraus zu bezahlen, die gleich sind dem Werte des Nachlasses des Erstverstorbenen unter Berücksichtigung der ausgleichungspflichtigen Vorausempfänge.

Für die Berechnung der Vermächtnisse sind maßgebend einerseits unser Vermögensstand im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen und andererseits die Wertverhältnisse zur Zeit der Wiederverheiratung des Überlebenden. Nach dem Tode des Erstverstorbenen etwa veräußerte Vermögensgegenstände sind hierbei mit ihrem Verkaufswerte einzusetzen. Haben etwa einzelne Vermächtnisnehmer nach dem Tode des Erstverstorbenen von dem Überlebenden Zuwendungen erhalten, so haben sie sich deren Wert von ihrem Vermächtnisse in Abzug bringen zu lassen.

3. Sollte einer unserer etwaigen Abkömmlinge hinsichtlich des Nachlasses des Zuerstverstorbenen sein Pflichtteilsrecht geltend machen und den Pflichtteilsanspruch ausbezahlt erhalten, so soll der Betreffende nebst seinen Abkömmlingen auch vom Nachlasse des Längstlebenden ausgeschlossen sein und hat sich den als Pflichtteil bezogenen Betrag auf das oben für den Fall der Wiederverheiratung angeordnete Vermächtnis anrechnen zu lassen.

Dem Überlebenden bleibt das Recht vorbehalten, die vorstehend angedrohte Erbausschließung wieder aufzuheben.

Wir nehmen diesen Ehe- und Erbvertrag gegenseitig an.

[…]

Auf die gegenseitige Bindung dieses Vertrages sind wir hingewiesen. […]“

Der Beklagte und die Erblasserin waren in Gütergemeinschaft Eigentümer eines Hausgrundstücks (Grundbuch von H., Bl. 2143, siehe S. 3 des Nachlassverzeichnisses, Bl. 85 d.A.).

Die Erblasserin verstarb am 24.8.1982. Im Mai desselben Jahres hatte sie von ihrer Mutter, Frau C. Z, eine Zuwendung in Höhe von 28.000 DM erhalten. Im Juni 1998 heiratete der Beklagte Frau M. B. Im Sommer 2002 erfuhren die Kläger von dem Erbvertrag.

Nachdem der Beklagte in einem vorgerichtlichen Schreiben vom 11.02.2004 den Nachlasswert mit 16.472,25 DM (8.422,12 €) angegeben hatte, hatten die Kläger zunächst die Verurteilung zur Zahlung von 4.211,06 € an jeden von ihnen beantragt und außerdem im Wege der Stufenklage eine als richtig und vollständig zu versichernde Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangt sowie die Zahlung eines auf deren Grundlage zu beziffernden weiteren Betrags. Nachdem der Beklagte ein notariellen Nachlassverzeichnis vorgelegt hatte, haben sie die Anträge der ersten beiden Stufen der Stufenklage einseitig für erledigt erklärt (Bl. 150 d.A.), ebenso ihre ursprünglichen Zahlungsanträge.

Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 22.11.2006 (Bl. 165 d.A.) den Beklagten verurteilt, den Wert des im notariellen Nachlassverzeichnis angegebenen Grundbesitzes (Grundbuch von H., Bl. 2143) durch Einholung eines Wertgutachtens zu ermitteln.

Was das – anteilsmäßig – im Nachlass der Erblasserin zu berücksichtigende Hausgrundstück in H. anbelangt, haben die Kläger auf der Grundlage eines von ihnen eingeholten Privatgutachtens der Sachverständigen B.-K. einen Wert von 209.000 € angenommen (Bl. 195 d.A.). Insgesamt haben sie den Wert des Nachlasses auf 80.742,75 € beziffert. Unter Berücksichtigung der Aufrechnung des Beklagten mit unstreitigen Gegenforderungen auf Rückzahlung von Darlehen (18.099,73 € gegen den Kläger zu 1 und 5.112,92 € gegen den Kläger zu 2, Bl. 45 f. d.A.) haben sie Vermächtnisansprüche des Klägers zu 1 in Höhe von 22.271,65 € und des Klägers zu 2 in Höhe von 35.258,46 € ermittelt (Bl. 196 d.A.).

Die Kläger haben behauptet, verschiedene Konten des Beklagten hätten zum Todestag der Erblasserin am 24.8.1982 Guthaben in Höhe von insgesamt 430.000 DM aufgewiesen. Die vom Landgericht als Zeugen geladenen Bankmitarbeiter haben schriftlich mitgeteilt, für den relevanten Zeitraum keine Angaben machen zu können, woraufhin die Kläger auf die Vernehmung der Zeugen verzichtet haben.

Die Kläger haben mit am 04.12.2007 zugestellten Schriftsatz vom 21.11.2007 zuletzt beantragt – der Kläger zu 2 unter Berücksichtigung des mit Teilanerkenntnisurteil vom 09.10.2008 bereits ausgeurteilten Betrags von 3.897,02 € – (Bl. 175, 223 d.A.),

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1 einen Betrag in Höhe von 22.271,65 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2 einen Betrag in Höhe von weiteren 35.258,46 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Hauptsache hinsichtlich der ursprünglich gestellten Zahlungsanträge sowie hinsichtlich der Auskunftserteilung und der eventuellen eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit erledigt ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Wiederverheiratungsklausel des Erbvertrags für sittenwidrig gehalten.

Den Wert des Hausanwesens hat der Beklagte auf 166.205 € beziffert (S. 4 des Gutachtens des vom Beklagten beauftragten Sachverständigen H., Anlage K9, Anlagenband).

Der Beklagte hat zu einer Zuwendung in Höhe von 28.000 DM an die Erblasserin vorgetragen, er gehe davon aus, dass diese einen eventuell erhaltenen Betrag zur Begleichung ihrer Schulden für den Kauf von Alkoholika verwendet habe.

Der Beklagte hat Pflichtteilsansprüche der beiden Kläger in Höhe von jeweils 9.727,43 € als begründet angesehen, mit Blick auf die aufgerechneten unstreitigen Gegenforderungen indessen nur einen Anspruch des Klägers zu 2 in Höhe von noch 3.897,02 € anerkannt.

Das Landgericht hat am 9.10.2008 Teilanerkenntnisurteil über 3.897,02 € erlassen (Bl. 236 d.A.).

Mit dem am 14.12.2012 verkündeten Urteil (Bl. 475 d.A.) hat das Landgericht Saarbrücken nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Wert des Hausanwesens (Gutachten der Sachverständigen N./J. vom 3.2.2009, Bl. 252 d.A., mündlich erläutert im Termin vom 10.6.2009, Bl. 311 d.A.) und nach Vernehmung von Zeugen (Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 20.7.2012, Bl. 461 d.A., und vom 23.11.2012, Bl. 469 d.A.) den Beklagten verurteilt, an den Kläger zu 2 einen Betrag in Höhe von 5.485,12 € nebst Zinsen zu zahlen. In Bezug auf den früheren Zahlungsantrag des Klägers zu 2 und die Anträge auf Auskunftserteilung und eidesstattliche Versicherung hat es die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat den Beklagten als erbvertraglich bestimmten Alleinerben angesehen, die im Erbvertrag für den Fall der Wiederverheiratung angeordneten Vermächtnisse als unwirksam. Die Wiederverheiratungsklausel, die dem Überlebenden für den Fall der Wiederverheiratung nicht einmal den Pflichtteil belasse, sei sittenwidrig. Das Landgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers zu 2 gegen den Beklagten in Höhe von 5.485,12 € auf ein aus § 2303 Abs. 1 BGB folgendes Pflichtteilsrecht in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils – hier der Hälfte von 3/8 (§§ 1924 Abs. 1, Abs. 4, 1931 Abs. 1 Satz 1, 2303 Abs. 1) – gestützt. Den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls (24.8.1982), hat das Landgericht auf 77.306,96 € beziffert (Berechnung im einzelnen S. 17-23 des Urteils, Bl. 491-497 d.A.). Dabei hat es den Wert der Zuwendung von 28.000 DM (14.316,17 €) im Mai 1982 berücksichtigt, nicht aber die von den Klägern behaupteten Kontoguthaben in Höhe von 430.000 DM.

Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils Bezug.

Die Kläger haben Berufung eingelegt, der Beklagte Anschlussberufung.

Die Kläger wenden sich gegen die Annahme des Landgerichts, die Wiederverheiratungsklausel sei sittenwidrig. Nach ihrer Ansicht stand der Schutz des Vermögens der gemeinschaftlichen Abkömmlinge im Vordergrund; ihnen habe das Erbe des Erstverstorbenen erhalten bleiben sollen. Nach ihrer Einschätzung wäre es selbst im Fall einer Enterbung nicht zu einer wirtschaftlich kritischen Situation des überlebenden Ehegatten gekommen. Die Kläger meinen, die Grundsätze der „Hohenzollern-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 (NJW 2004, 2008) seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, zum einen weil dort ein hoher wirtschaftlicher Druck bestanden habe, zum anderen wegen der Besonderheiten der dort in Rede stehenden „Ebenbürtigklausel“.

Schließlich meinen die Kläger, unter der Prämisse einer Nichtigkeit der Wiederverheiratungsklausel sei der Erbvertrag nach dem hypothetischen Willen der Erbvertragsparteien ergänzend im Sinne einer der getroffenen am nächsten kommenden, rechtlich aber zulässigen Regelung auszulegen: Dem Beklagten sei danach ein Wert in Höhe seines (hypothetischen) Pflichtteils zu belassen, der Rest stehe – unter Berücksichtigung des bereits Empfangenen – ihnen als Vermächtnisnehmern zu (Bl. 589 f. d.A.).

Was die Berechnung des vom Landgericht bejahten Pflichtteilsanspruchs anbelangt, sehen die Kläger sich nicht als beweisbelastet dafür, dass zum Nachlass der Erblasserin Konto- und Sparguthaben im Wert von 430.000 DM gezählt hätten). Der Beklagte habe die Vermögensverhältnisse verschleiert und sei damit einer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen.

Die Kläger beantragen, das am 14.12.2012 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken, Az. 4 O 471/07, abzuändern und den Beklagten über den Tenor des Urteils des Landgerichts hinaus zu verurteilen,

1. an den Kläger zu 1 einen Betrag in Höhe von 22.271,65 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. an den Kläger zu 2 einen Betrag in Höhe von 29.773,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Beklagte

das angefochtene Urteil gemäß Ziffer 1. der Klage abzuweisen, soweit dem Kläger zu 2 mehr als 3.243,21 € zugesprochen wurden.

Die Kläger beantragen, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Mit dem Landgericht hält der Beklagte die Wiederverheiratungsklausel für nichtig, Vermächtnisansprüche der Kläger aus diesem Grund für nicht gegeben. Nach seiner Ansicht bleibt die Wirksamkeit seiner Einsetzung als Alleinerbe davon unberührt.

Mit der Anschlussberufung wendet er sich gegen die von ihm als zu hoch erachtete Berechnung der Pflichtteilsansprüche. Er behauptet anstelle des vom Landgericht angenommenen Nachlasswerts von 77.306,96 € einen solchen von nur 65.350,13 €. Zu der Differenz gelangt der Beklagte durch eine Korrektur der Berechnungen im Wertgutachten des Sachverständigen J. Er trägt vor, der Sachverständige habe bei der Berechnung der Bruttogrundfläche des nicht ausgebauten Dachgeschosses die im Jahr 1982 noch nicht geltende DIN 277 (1987) zu Grunde gelegt (Bl. 550 d.A.); nach seiner Einschätzung hätte aufgrund der Gepflogenheiten im Jahr 1982 nur eine Bruttogrundfläche von 51,20 m² (153,60 m² Dachfläche : 3) berücksichtigt werden dürfen; bei Normalherstellungskosten von 350,59 €/m² seien deshalb 9.497,48 € (350,59 € x 27,09 €) abzuziehen; der hälftige Wert des Hausanwesens reduziere sich um 4.798,74 € (9.497,48 €: 2). Der Beklagte ist außerdem der Ansicht, das Landgericht hätte die Hälfte der an die Erblasserin unstreitig im Mai 1982 gezahlten 28.000 DM (umgerechnet 7.158,09 €) bei der Nachlasswertermittlung außer Acht lassen müssen. Er bestreitet, dass der Betrag Ende August 1982 noch vorhanden gewesen sei; er selbst sei damals von dritter Seite mehrfach auf Schulden seiner Ehefrau angesprochen worden.

Die Kläger halten die Anschlussberufung für unbegründet.

Der Senat hat Beweis erhoben zum Wert des in den Wert des Nachlasses einfließenden Hausgrundstücks zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung im Juni 1998 durch Einholung eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen J. (Ergänzungsgutachten vom 14.3.2014, Bl. 615 d.A., mündlich erläutert im Termin vom 24.09.2014, Bl. 652 d.A.).

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, außerdem auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 8.12.2004, vom 18.1.2006, vom 19.4.2006, vom 13.9.2006, vom 18.6.2008, vom 10.6.2009, vom 3.2.2012, vom 20.7.2012, vom 23.11.2012 und des Senats vom 25.9.2013 und vom 24.09.2014 sowie auf das Teilurteil des Landgerichts vom 22.11.2006, das Teilanerkenntnisurteil des Landgerichts vom 9.10.2008 und das Urteil des Landgerichts vom 14.12.2012 (Bl. 475 d.A.).

II.

Die Berufungen der Kläger sind begründet, die Anschlussberufung des Beklagten ist unbegründet.

1. Berufungen der Kläger

a.

Das Landgericht hat Ansprüche der Kläger aus den im Erbvertrag ausgesetzten Vermächtnissen (§ 2174 BGB) letztlich zu Unrecht verneint.

Die Vermächtnisse stehen im Zusammenhang mit einer Wiederverheiratungsklausel. Die Klausel enthält für den Fall der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten aufschiebende bedingte (§ 158 BGB) Vermächtnisanordnungen zugunsten der Abkömmlinge (vgl. zu dieser Gestaltungsform einer Wiederverheiratungsklausel Kanzleiter in: Staudinger, BGB, 2006, § 2269 Rdn. 40). Sie ist unter den hier gegebenen konkreten Umständen zwar gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Das führt aber nicht zu einem vollständigen Wegfall der Vermächtnisse. Vielmehr rechtfertigt eine ergänzende Auslegung des Erbvertrags nach dem hypothetischen Willen der Vertragsparteien die Aufrechterhaltung von Vermächtnisansprüchen in einer Höhe, die dem Beklagten seinen (hypothetischen) Pflichtteil belässt.

(1)

Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Die in der Wiederverheiratungsklausel geregelte Bedingung ist zwar als solche kein „Rechtsgeschäft“, wohl aber der Bestandteil eines solchen. Sie muss sich deshalb ihrerseits am Maßstab der guten Sitten messen lassen.

(a)

Sittenwidrig ist, was „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“. Die Generalklausel des § 138 BGB verweist auf die der Rechtsordnung immanenten rechtsethischen Prinzipien. Bei ihrer Auslegung und Anwendung können – im Wege der mittelbaren Drittwirkung – insbesondere die verfassungsrechtlich geschützten Werte der Grundrechte auf das Privatrecht Einfluss nehmen (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01 – FamRZ 2004, 765; Ellenberger in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 138 Rdn. 2-4).

Eine Sittenwidrigkeit kann sich daraus ergeben, dass die Rechtsordnung schon den Inhalt einer rechtsgeschäftlichen Regelung als solchen schlechterdings nicht hinnimmt. Ist mit dem Inhalt für sich genommen noch kein zwingender Schluss auf eine Sittenwidrigkeit verbunden, kommt es auf den Gesamtcharakter des Geschäfts an. In die Beurteilung sind dann neben dem Inhalt und seinen faktischen Auswirkungen insbesondere die zu Grunde liegenden Motive und die verfolgten Zwecke einzubeziehen (siehe Ellenberger in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 138 Rdn. 8).

Für die Bewertung letztwilliger Anordnungen ist das allgemein von § 138 BGB angesprochene „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ zu relativieren. Die Testierfreiheit geht weit. Der Erblasser kann die Erbfolge im Grundsatz nach seinen Wünschen und Vorstellungen regeln, ohne dass er sich am „Gerechtigkeitsempfinden“ einer gesellschaftlichen Mehrheit ausrichten müsste. Die Entscheidung über erbrechtliche Zuwendungen ist eine höchstpersönliche und muss weder rational begründbar noch nach mehrheitlicher Einschätzung „gerecht“ sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01 – FamRZ 2004, 765; Horsch, Rpfleger 2005, 286, 289). Grenzen bestehen aber auch dort. Sie können überschritten sein, wo eine letztwillige Verfügung eingesetzt wird, um den Bedachten dazu zu bewegen, seine Lebensführung an den Vorstellungen des Erblassers auszurichten, der sich damit einen – nicht schützenswerten – manipulativen Einfluss über den Tod hinaus erhalten will.

(b)

Der Widerstreit zwischen der verfassungsmäßig durch Art. 14 GG geschützten Testierfreiheit einerseits, den Gewährleistungen des Art. 6 GG andererseits und den Auswirkungen der Letzteren auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts war Gegenstand der sog. Hohenzollern-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01 – FamRZ 2004, 765). Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der Bundesgerichtshof eine erbvertragliche Klausel als wirksam ansehen durfte, gemäß deren derjenige als Erbe ausgeschlossen sein sollte, der nach den Feststellungen eines Schiedsgerichts „nicht aus einer den Grundsätzen der alten Hausverfassung des Brandenburg-Preußischen Hauses entsprechenden Ehe stammt oder in einer nicht hausverfassungsmäßigen Ehe lebt“.

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt: Der Bundesgerichtshof habe den Bedeutungsgehalt des Grundrechts auf Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) verkannt. Ausgangspunkt sei die Testierfreiheit als bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Ihr stehe das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber, das die Freiheit gewährleiste, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen. Die erbvertragliche Ebenbürtigkeitsklausel sei geeignet, die Eheschließungsfreiheit des als Nacherben eingesetzten Abkömmlings des Erblassers mittelbar zu beeinflussen. Er stehe vor der Alternative, entweder von der Eheschließung mit einem bestimmten Partner abzusehen oder aber seine Position als Nacherbe zu verlieren. Der Bundesgerichtshof habe nicht hinreichend geprüft, ob die Klausel geeignet gewesen sei, auf den Beschwerdeführer einen unzumutbaren Druck dahin auszuüben, eine beabsichtigte Eheschließung zu unterlassen. Insbesondere hätte gefragt werden müssen, ob der Wert des Nachlasses unter Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers dessen Entschließungsfreiheit nachhaltig habe beeinflussen können. Ferner sei nicht erörtert worden, ob es für den Beschwerdeführer eine realistische Möglichkeit gegeben hätte, durch Eingehung einer „hausverfassungsmäßigen Ehe“ seine Erbenstellung zu behalten. Der Bundesgerichtshof habe im Rahmen der Abwägung auch nicht hinreichend in Erwägung gezogen, ob mit der Abschaffung der Monarchie eine wesentliche Rechtfertigungsgrundlage für eine bedingte Erbeinsetzung im Sinne der Ebenbürtigkeitsklausel weggefallen sei. Schließlich sei unberücksichtigt geblieben, ob und inwieweit der Beschwerdeführer auf Grund anderweitiger erbvertraglicher Regelungen womöglich Ansprüche gegen den an seine Stelle tretenden Nacherben hätte. Solche Ansprüche könnten relevant sein für die Frage, wie groß im Zeitpunkt der Eheschließung der von der Ebenbürtigkeitsklausel ausgehende wirtschaftliche Druck gewesen sei.

(c)

Der Senat meint, dass der Kern der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts auf Fälle der vorliegenden Art übertragbar ist und dass das Ergebnis der Abwägung zwischen Testierfreiheit und Eheschließungsfreiheit im Einzelfall zur Unwirksamkeit von Wiederverheiratungsklauseln – die in der früheren Rechtsprechung und Literatur, soweit ersichtlich, nicht infrage gestellt worden sind (siehe Otte in: Staudinger, BGB, 2013, § 2074 Rdn. 58) – führen kann, weil den überlebenden Ehegatten, wenn er von seinem grundgesetzlich garantierten Recht, eine Ehe einzugehen, Gebrauch macht, drastische Vermögensnachteile hinsichtlich des Nachlasses des verstorbenen ersten Ehepartners treffen können (vgl. Mayer, FPR 2013, 317).

Diese Einschätzung entspricht einer zunehmend vertretenen, inzwischen nach Einschätzung des Senats wohl sogar weit überwiegenden Auffassung in der Literatur und – beginnend – auch in der Rechtsprechung (Leipold in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2074 Rdn. 25, und Musielak, ebd., § 2269 Rdn. 47; Otte in: Staudinger, BGB, 2013, § 2074 Rdn. 58-61; ders., ZEV 2004, 393; Wendtland in: Bamberger/Roth, BGB, Ed. 28, 2013, § 138 Rdn. 75; Reymann in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 2269 Rdn. 105; Nieder in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 4. Aufl. 2011, § 3 Rdn. 25; Weidlich in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 2269 Rdn. 17; Langenfeld, ZEV 2007, 453; Scheuren-Brandes, ZEV 2005, 185; OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902; a.A. – allerdings schon wegen Ablehnung der Hohenzollern-Entscheidung – Gutmann, NJW 2004, 2347, und Isensee, DNotZ 2004, 754). Der Senat hält die Annahme der Kläger, die Erwägungen der Hohenzollern-Entscheidung träfen die hier in Rede stehende Wiederverheiratungsklausel nicht, für falsch. Zwar kommt vorliegend der dem Gleichheitsgrundsatz und der Menschenwürde widersprechende Gedanke einer minderen Wertigkeit eines nicht „ebenbürtigen“ Ehepartners nicht zum Tragen. Dieser Aspekt ist aber von Art. 6 GG unabhängig und war auch nicht der vom Bundesverfassungsgericht in den Vordergrund gestellte. Es macht für die Bedeutung und das Gewicht der Eheschließungsfreiheit keinen entscheidenden Unterschied, ob der in einer letztwilligen Verfügung Bedachte sein Erbe oder dessen Wert nur dann verliert, wenn er eine Person heiratet, die bestimmte Eigenschaften (nicht) aufweist, oder ob er wirtschaftlich sanktioniert wird, wenn er überhaupt heiratet.

(d)

Die demnach gebotene Überprüfung einer Wiederverheiratungsklausel am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB erfordert eine Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, welche den berührten Grundrechten des Art. 6 GG einerseits und des Art. 14 GG andererseits angemessen Rechnung tragen muss. Es kommt darauf an, wie intensiv auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten eingewirkt wird, ob die Höhe des zugewandten Vermögensvorteils die Willensentscheidung wirklich zu beeinflussen geeignet ist, wie stark in den Bereich höchstpersönlicher Lebensplanung eingegriffen wird, inwieweit die Motive des Erblassers als rechtfertigende Grundlage seiner Regelung anzuerkennen sind und ob sie das Gewicht der Beeinträchtigung des Betroffenen kompensieren können (zu den aus der Hohenzollern-Entscheidung folgenden Abwägungskriterien Horsch, Rpfleger 2005, 285; Scheuren-Brandes, ZEV 2005, 185).

(2)

Der Senat ist mit dem Landgericht der Ansicht, dass die Wiederverheiratungs- und Vermächtnisklausel in Ziffer II.2. des Erbvertrags, die den überlebenden Ehegatten für den Fall der Wiederheirat verpflichtet, an die Abkömmlinge Geldbeträge auszuzahlen, die den Wert des gesamten Nachlasses des Erstverstorbenen ausschöpfen, nach den oben dargestellten Grundsätzen als sittenwidrig gewertet werden muss.

(a)

Der auf den Überlebenden ausgeübte wirtschaftliche Druck war beträchtlich, demnach ohne weiteres geeignet, die Entscheidung für oder gegen eine neue Ehe nachhaltig zu beeinflussen.

Der Nachlasswert war schon wegen des zum Gesamtgut der Eheleute zählenden Hausgrundstücks, das einen großen Teil des Gesamtvermögens ausmachte, erheblich. Die Klausel stellt vor die Alternative, entweder nicht mehr zu heiraten und diesen Wert zu behalten, oder aber eine neue Ehe zu schließen und alles zu verlieren. Sie belässt dem zunächst allein Erbenden aus dem Nachlass des verstorbenen Ehepartners im Fall der Wiederverheiratung nämlich wertmäßig gar nichts mehr, nicht einmal einen Wert in Höhe des Pflichtteils. Auf Letzteren zurückzugreifen, ist ihm entgegen der Auffassung der Kläger nicht mehr möglich, denn er hat die Erbenstellung nach wie vor inne, und eine Ausschlagung ist mit Blick auf die vorangegangene Annahme ausgeschlossen (§ 1943 BGB). Speziell mit Blick auf die zu Lebzeiten beider Eheleute bestehende Gütergemeinschaft wird der Druck noch dadurch erhöht, dass in den Nachlass des Ehegatten – hälftig – automatisch auch solche Werte geflossen sind, die der andere während der Ehezeit erwirtschaftet hatte. Auch diese würden ihm im Fall einer neuen Eheschließung verloren gehen. Hinzu kommt bei der von den Ehegatten gewählten Vermächtnislösung der mit der Wiederheirat unmittelbar ausgelöste akute Liquiditätsbedarf, der den Vermächtnisschuldner möglicherweise zur Veräußerung des Hausanwesens zwingt (zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts Scheuren-Brandes, ZEV 2005, 185).

(b)

An Umständen, welche die gravierenden wirtschaftlichen Nachteile im Fall einer zweiten Eheschließung abfedern und den durch die Klausel ausgeübten Druck mildern könnten, fehlt es. Die vom Bundesverfassungsgericht als eines der Abwägungskriterien erwähnte realistische Möglichkeit, die Erbenstellung auch für den Fall einer neuen Eheschließung zu behalten – dort durch Eingehung einer „hausverfassungsmäßigen“ Ehe – besteht nicht. Ebensowenig wird dem überlebenden Ehegatten irgendeine Form der Kompensation zugewendet.

(c)

Was den vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls angesprochenen Aspekt einer „Rechtfertigungsgrundlage“ für eine die Erbenstellung beeinträchtigende Bedingung anbelangt, so käme hier der als solcher selbstverständlich legitim anzustrebende und schützenswerte Vermögenserhalt zu Gunsten der Abkömmlinge in Betracht. Er ist unter den vorliegenden Umständen indessen von untergeordneter Bedeutung. Das folgt aus einer systematischen Betrachtung der Gesamtregelungen des Erbvertrags. Lässt man die Konstellation der Wiederverheiratung nämlich außer Betracht, so haben die Eheleute keinerlei Vorkehrungen zur Sicherung dieses Zwecks getroffen. Sie haben vielmehr den Überlebenden zum Alleinerben gerade „ohne jede Rücksicht auf das Vorhandensein von Pflichtteilsberechtigten“ eingesetzt. Eine letztwillige Verfügung zu Gunsten der Abkömmlinge erfolgte nicht einmal im Sinne der üblichen Schlusserbeneinsetzung, stattdessen behielt der Letztversterbende seine volle Testierfreiheit. Demnach errichteten die Erbvertragsparteien kein stringentes Regelwerk zur Verwirklichung eines dauerhaften Erhalts des Vermögens zu Gunsten der Abkömmlinge, sondern räumten der Dispositionsfreiheit des Überlebenden den Vorrang ein. Dieser hätte prinzipiell völlig frei agieren können, insbesondere die Abkömmlinge enterben und jede beliebige andere Person zum Erben seines – zuvor um den Nachlass des Erstverstorbenen vergrößerten – Vermögens einsetzen können. Diese Dispositionsfreiheit nun – wirtschaftlich – gerade und ausschließlich für den Fall einer neuen Eheschließung einzuschränken, indiziert, dass es nicht vordringlich um das Motiv des Schutzes der Abkömmlinge ging, sondern dass die Wiederheirat als „sanktionsauslösender“ Umstand betrachtet wurde, der dem sich postum einem anderen Ehepartner zuwendenden Erben den Wert sogar seines Pflichtteils nehmen sollte.

(d)

Nimmt man alle vorgenannten Umstände im Sinne einer Abwägung zwischen der Testierfreiheit einerseits und der Eheschließungsfreiheit andererseits zusammen, so muss die erbvertragliche Regelung in Bezug auf die bedingten Vermächtnisse als sittenwidrig betrachtet werden.

Eine testamentarische oder erbvertragliche Verfügung, die den überlebenden Ehegatten einer Gütergemeinschaft zum alleinigen Erben eines nicht unerheblichen Nachlasses bestimmt und ihm zudem seine Testierfreiheit belässt, ihm indessen – und nur – für den Fall, dass er sich zum Eingehen einer neuen Ehe entscheidet, den vollen Wert jenes Erbes einschließlich seines (hypothetischen) Pflichtteils entzieht, dient allein dazu, den überlebenden Ehegatten durch wirtschaftlichen Druck von einer grundrechtlich geschützten Lebensentscheidung abzuhalten, und verstößt deshalb gegen § 138 BGB.

Der Senat hält die Annahme der Sittenwidrigkeit in Fällen der vorliegenden Art insbesondere deshalb für unbedenklich, weil die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB letztlich keine engere Grenze zieht, als es sonst das Pflichtteilsrecht tut. Wenn aber das Erbrecht der Testierfreiheit mit dem Pflichtteilsrecht eine unüberwindbare Mindesthürde setzt und in schwerwiegenden Ausnahmefällen sogar unterhalb dieser Schwelle § 138 Abs. 1 BGB Tragen kommen kann (dazu BGH, Urt. v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89 – BGHZ 111, 36), dann ist ein Zurücktreten der Testierfreiheit ebenso gerechtfertigt, wenn mit einer Regelung – hier durch die gewählte Vermächtnislösung -Pflichtteilsansprüche im Wege einer „Bestrafung“ für eine grundrechtlich geschützte Willensentschließung untergraben werden (zur naheliegenden Sittenwidrigkeit in den Fällen eines kompensationslosen Wegfalls der Erbenstellung bzw. eines faktischen Pflichtteilsentzugs Otte in: Staudinger, BGB, 2013, § 2074 Rdn. 59, 60; Leipold in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2074 Rdn. 25; Reymann in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 2269 Rdn. 106; Langenfeld, ZEV 2007, 453; OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902; siehe auch Weidlich in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 2269 Rdn. 17; Gaier, ZEV 2006, 2).

(e)

Die Einwände der Kläger in der Berufungserwiderung sind nicht geeignet, das vorstehend hergeleitete Ergebnis der Gesamtabwägung infrage zu stellen.

Das gilt zunächst für den Hinweis, dass der Lebensunterhalt des überlebenden Ehegatten in jedem Fall gesichert und dieser auch im Fall einer Wiederheirat nicht mittellos geworden wäre. Die Grenze der Sittenwidrigkeit wird nicht nur und erst dann überschritten, wenn der überlebende Ehegatte wegen der Folgen einer Wiederverheiratungsklausel verarmen würde. Ob ein unzumutbarer, die Eheschließungsfreiheit „nachhaltig“ im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu beeinflussen geeigneter Druck anzunehmen ist, bestimmt sich „unter Berücksichtigung der Lebensführung und der sonstigen Vermögensverhältnisse“ des Bedachten (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01 – FamRZ 2004, 765). Vor diesem Hintergrund ist schon eine empfindliche Störung des gewohnten Lebensstandards relevant. Eine solche war hier mit Blick auf die Höhe des einen hälftigen Anteil an einem Hausgrundstück enthaltenden Nachlasses gegeben.

Auch der Hinweis der Kläger auf den mit der Klausel verfolgten Zweck, wonach es dem Ehepaar primär um den Schutz der Abkömmlinge und den Erhalt des Erbes im Familienkreis gegangen sei, verfängt nicht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Systematik des Erbvertrags, der außerhalb der Konstellation der Wiederverheiratung Vorkehrungen für einen solchen Schutz und Vermögenserhalt nicht traf, Bezug genommen. Auch der von den Klägern weiter angesprochene Aspekt, ein Hinzutreten neuer Pflichtteilsberechtigter zu vermeiden, ändert daran nichts. Abgesehen davon, dass nicht nur eine Wiederheirat neue Pflichtteilsberechtigte hätte hervorbringen können und dass nach Inhalt und Systematik des Erbvertrags der Zweck einer Teilhabe der Abkömmlinge am Familienvermögen nicht konsequent verfolgt wurde, würde eine angestrebte Vermeidung einer Vermögensschmälerung durch Pflichtteile Dritter es nicht rechtfertigen, den seinerseits zu den Pflichtteilsberechtigten zählenden überlebenden Ehegatten vollständig leer ausgehen zu lassen. Zwar kann ein Erblasser grundsätzlich Vorsorge zu treffen, dass die erbrechtliche Position seiner Abkömmlinge nicht durch Erb- oder Pflichtteilsrechte eines künftigen Ehegatten des Überlebenden geschmälert wird. Dafür würde es aber etwa ausreichen, den Überlebenden bei Wiederheirat zum Vorerben mit der Maßgabe einzusetzen, dass der Nacherbfall erst mit dem Tod des Vorerben eintritt. Den Wiederheiratenden, wie hier, mit einem schon zu seinen Lebzeiten fälligen Vermächtnis erheblichen Umfangs zu beschweren, geht – mit strafender Tendenz – über jenes Ziel hinaus (vgl. Otte in: Staudinger, BGB, 2013, § 2074 Rdn. 58).

Das Fehlen einer subjektiven Sittenwidrigkeitskomponente schließt entgegen der Ansicht der Kläger die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB vorliegend nicht aus. Eine „verwerfliche“ Gesinnung oder gar das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ist nicht notwendige Voraussetzung einer Unwirksamkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Ergibt sich die Sittenwidrigkeit, wie hier, aus einer Gesamtbetrachtung, im Rahmen deren widerstreitende grundrechtliche Interessen zu gewichten sind, so können subjektive Faktoren zwar eine Rolle spielen, sie präjudizieren das Abwägungsergebnis aber zwingend weder in die eine noch in die andere Richtung. Subjektive Faktoren können Unbedenkliches bedenklich werden lassen; umgekehrt macht ihr Fehlen Bedenkliches nicht unbedenklich (Armbrüster in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 138 Rdn. 129 m.w.N.). Soweit der Bundesgerichtshof für den Fall eines so genannten Geliebtentestaments eine als unsittlich zu bewertende Benachteiligung nächster Angehöriger nur unter der Prämisse angenommen hat, dass in der letztwilligen Verfügung selbst eine „unredliche (also verwerfliche) Gesinnung des Erblassers“ zum Ausdruck komme (BGH, Urt. v. 10.11.1982 – IV AZR 83/81 – FamRZ 1983, 53; siehe auch BayObLG, FamRZ 1995, 249 [Verneinung der Sittenwidrigkeit einer Pflichtteilsklausel), kann das auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Hier folgt die Sittenwidrigkeit im Wesentlichen daraus, dass die gravierenden an die Eingehung einer Ehe anknüpfenden, kompensationslos auferlegten und faktisch sogar das Pflichtteilsrecht aufhebenden wirtschaftlichen Nachteile schwerer wiegen als das von den Erbvertragsparteien isoliert für den Fall einer Wiederheirat verfolgte Interesse, nun doch eine Beteiligung der Abkömmlinge am Nachlass zu erreichen. Die Eheleute haben Kenntnis von den insoweit relevanten Umständen gehabt. Das muss, soweit man eine subjektive Komponente der Sittenwidrigkeit fordert, für die relevante Konstellation genügen (anders und für das Erfordernis einer verwerflichen Gesinnung wohl Musielak in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2269 Rdn. 47).

Dass keiner der Ehepartner den anderen im Sinne der Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder intellektuellen Überlegenheit zu der in Streit stehenden Vereinbarung gedrängt hat, ist ebenfalls nicht entscheidend. Der hier für die Sittenwidrigkeit im Vordergrund stehende Aspekt ist derjenige der unzulässigen Beschränkung der Persönlichkeitsentfaltung, nicht der Aspekt der Ausnutzung einer Übermacht (zu den Sittenwidrigkeitskriterien in diesem Sinne Armbrüster in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 138 Rdn. 34, 35 und 69: [u.a.] der Familienstand vertrage keine rechtsgeschäftliche Beschränkung). Aus diesem Grund ist auch unerheblich, dass jeder der Ehegatten bei Abfassung des Erbvertrags der potenziell von der Klausel Betroffene hätte sein können.

Soweit in der Rechtsprechung der Vergangenheit Wiederverheiratungsklauseln als unbedenklich angesehen wurden, lagen den Entscheidungen, soweit ersichtlich, regelmäßig Gestaltungen zu Grunde, in denen dem überlebenden Ehegatten auch bei Wiederheirat, anders als hier, jedenfalls ein gewisser Anteil am Nachlasswert verblieb. So betraf das von den Klägern zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8.7.1965 (II ZR 143/63, FamRZ 1965, 600) keine letztwillige Verfügung, sondern eine gesellschaftsvertragliche Klausel einer Familiengesellschaft, wonach der Ehegatte eines Familienmitgliedes – nach seinem Eintritt in die Gesellschaft infolge Todes des Familienangehörigen – im Falle seiner Wiederverheiratung aus der Gesellschaft auszuscheiden habe. Die Klausel bewirkte keinen vollständigen Ausschluss des Ehegatten vom Nachlass und vom Pflichtteil. Entsprechendes gilt für die von den Klägern weiter zum Beleg ihrer Rechtsauffassung erwähnte Entscheidung des OLG Frankfurt vom 1.4.2003 (20 W 386/02), die sich mit einer Klausel befasste, die an eine Wiederverheiratung den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge – naturgemäß unter Berücksichtigung des überlebenden Ehegatten – knüpfte. Auch die im Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6.11.1985 (IVa ZB 5/85, BGHZ 96, 198) in ihrer Wirksamkeit nicht problematisierte Wiederverheiratungsklausel (zitiert von Langenfeld, ZEV 2007, 453) beließ dem wieder heiratenden Ehegatten eine (Vor-)Erbenstellung in Höhe des gesetzlichen Erbteils (ähnlich auch die Klausel im Fall BayObLG, FamRZ 2002, 640).

(3)

Die Nichtigkeit der Wiederverheiratungsklausel berührt die Wirksamkeit der Alleinerbeneinsetzung des Beklagten als solche nicht.

(a)

Die Frage, ob eine sittenwidrige und deshalb nichtige Bedingung eine letztwillige Verfügung insgesamt unwirksam macht und unter Anwendung welcher Vorschriften sie zu beantworten ist, ist für bestimmte Gestaltungen streitig. Es wird vertreten, die Regelungen zur Teilnichtigkeit (§ 139 BGB oder § 2085 BGB) seien nicht anzuwenden, weil es sich nicht um trennbare Teile eines Rechtsgeschäfts in dem von jenen Vorschriften gemeinten Sinn handele (siehe Nieder in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 4. Auflage 2011, § 3, Rdn. 28). Bisweilen wird eine Aufrechterhaltung der Verfügung im Wege der Umdeutung gemäß § 140 BGB zugelassen, andere stellen auf die Wertungen der für die Nichtigkeit der Bedingung verantwortlichen Vorschriften ab (siehe zum Meinungsstreit Leipold in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2074 Rdn. 27). Der Meinungsstreit ist nach Ansicht des Senats nur relevant für den Fall bedingter Erbeinsetzungen, weil dort in der Tat eine enge Verknüpfung zwischen der Bedingung und der Erbenstellung besteht und zweifelhaft ist, ob das eine ohne das andere Bestand haben kann. Im vorliegenden Fall bezieht sich die Bedingung indessen allein auf die Entstehung von Vermächtnisansprüchen und weist zu der Alleinerbeneinsetzung als solcher keinen womöglich als rechtlich unlösbar zu bewertenden Zusammenhang auf. Es bleibt damit bei der Anwendung der gesetzlichen Regelungen zur Teilnichtigkeit.

(b)

Es kann dahinstehen, ob § 2298 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BGB zum Tragen kommt, wonach die Nichtigkeit einer vertragsmäßigen Verfügung in einem Erbvertrag die Nichtigkeit des gesamten Vertrags zur Folge hat, wenn nicht ein anderer Wille der Vertragschließenden anzunehmen ist, oder aber der – außerhalb der vorgenannten Sondervorschrift auch in Erbverträgen grundsätzlich anwendbare (siehe Litzenburger in: Bamberger/Roth, BGB, Ed. 28 2013, § 2085 Rdn. 2) – § 2085 BGB, der mit umgekehrter Vermutung, die Gesamtnichtigkeit nur dann eintreten lässt, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die sonstigen Anordnungen ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde.

Das Landgericht hat § 139 BGB angewandt und sich damit der Sache nach an der strengeren Regelung des § 2298 BGB orientiert. Es hat einen hypothetischen Willen der Eheleute in Bezug auf eine wirksame Alleinerbeneinsetzung des Ehepartners positiv festgestellt und ist zu dem Ergebnis gelangt, die Nichtigkeit der Wiederverheiratungsklausel lasse die Einsetzung des überlebenden Ehegatten als Alleinerbe unberührt. Es sei davon auszugehen, dass sich die Eheleute auch bei Kenntnis von der Unwirksamkeit der Klausel wechselseitig als Alleinerben eingesetzt hätten. Das Landgericht hat zu dieser Frage die Regelungen des Ehe- und Erbvertrags betrachtet und insbesondere aus der Vereinbarung einer Gütergemeinschaft und der Regelung zur Alleinerbeneinsetzung „ohne jede Rücksicht auf das Vorhandensein von Pflichtteilsberechtigten“ geschlossen, der Schwerpunkt habe auf einer engen Verzahnung des Vermögens der Eheleute gelegen, nicht aber auf einer Versorgung der gemeinsamen Abkömmlinge (S. 12-14 des Urteils, Bl. 486-488 d.A.).

Das ist mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Alleinerbeneinsetzung nicht zu beanstanden. Zu der Annahme, dass für die Erbvertragsparteien der Gesichtspunkt einer Sicherung des Nachlasses zu Gunsten der Abkömmlinge nach der konkreten Ausgestaltung des Erbvertrags von nur untergeordneter Bedeutung gewesen ist, wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Sittenwidrigkeit der Wiederverheiratungsklausel Bezug genommen.

(4)

Die Kläger haben aber Recht mit ihrer Annahme, eine ergänzende Auslegung des Erbvertrags führe dazu, dass ihnen Vermächtnisansprüche zwar nicht, wie im Erbvertrag formuliert, in einer den vollen Nachlasswert ausschöpfenden Höhe zustünden, wohl aber – gewissermaßen im Sinne einer „geltungserhaltend“ reduzierenden Interpretation des erbvertraglich Geregelten – in einer Höhe, die sich nach Abzug des hypothetischen Pflichtteils des Beklagten vom maßgeblichen Nachlasswert ergibt.

(a)

Ziel der Auslegung letztwilliger Anordnungen muss es sein, dem Willen des Erblassers zum Erfolg zu verhelfen. Maßstab ist – neben den speziellen erbrechtlichen Auslegungsregeln (z.B. §§ 2066 ff, 2084 f., 2087 ff., 2298 BGB) – wie bei allen Willenserklärungen, zunächst § 133 BGB. Bei Erbverträgen kommt § 157 BGB hinzu (Meyer-Pritzl in: Staudinger, BGB, 2012, Eckpfeiler des Zivilrechts, Y Erbrecht, Rdn. 84). Danach ist der gemeinsame Wille der Vertragsteile zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags zu ermitteln (Kanzleiter in: Staudinger, BGB, 2013, Einl. zu §§ 2274 ff, Rdn. 30). Es besteht ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Verwirklichung des tatsächlichen Erblasserwillens und der Wahrung der strengen erbrechtlichen Formvorschriften, das unter Anwendung der in Rechtsprechung und Rechtslehr überwiegend vertretenen Andeutungstheorie aufzulösen ist. Nach ihr kann der durch Auslegung festgestellte Inhalt einer formbedürftigen rechtsgeschäftlichen Erklärung nur gelten, wenn er in der Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat (vgl. allgemein Singer in: Staudinger, BGB, 2011, § 133 Rdn. 31; speziell zum Erbrecht Otte in: Staudinger, BGB, 2013, Vorbem. zu §§ 2064-2086, Rdn. 28 ff.).

Neben der vom Wortlaut ausgehenden erläuternden Auslegung ist die Zulässigkeit einer ergänzenden Testaments-/Erbvertragsauslegung allgemein anerkannt. Sie greift dann ein, wenn sich nach der Errichtung der Verfügung von Todes wegen Umstände wesentlich geändert haben oder wenn solche zwar schon damals eingetreten, dem Erblasser/den Erbvertragsparteien aber nicht bekannt waren und wenn er/sie in Kenntnis der wahren Sachlage eine andere Regelung getroffen hätte(n). Die ergänzende Auslegung versucht, in Fällen planwidriger Lücken den hypothetischen Erblasserwillen im Zeitpunkt der Testaments-/Erbvertragserrichtung zu ermitteln. Dieser Wille muss, der Andeutungstheorie Rechnung tragend, in der Verfügung von Todes wegen eine Grundlage finden (Meyer-Pritzl in: Staudinger, BGB, 2012, Eckpfeiler des Zivilrechts, Y Erbrecht, Rdn. 87; Leipold in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2084 Rdn. 77-92).

(b)

Nach diesen Grundsätzen gilt für die Auslegung des Erbvertrags vom 11.10.1968:

Die Erbvertragsparteien wollten ihren Abkömmlingen für den Fall der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten Vermächtnisse in Höhe des gesamten Nachlasswerts zukommen lassen. Dieser Wille ist im Erbvertrag manifestiert, allerdings – wie oben dargelegt – mit Blick auf die Anknüpfung einer faktischen Aushöhlung des Ehegattenpflichtteils an die Eheschließung gemäß § 138 Abs. 1 BGB rechtlich unbeachtlich. Das war den Eheleuten bei Errichtung des Erbvertrags nicht klar. Hätten sie gewusst, dass sie eine Wiederverheiratungsklausel der konkret gewählten Art nicht zur Bedingung von Vermächtnisansprüchen in dem im Erbvertrag vorgesehenen Umfang machen konnten, hätten sie sicher nicht von der vereinbarten Vermächtnislösung insgesamt abgesehen, sondern eine Gestaltung gewählt, welche die von § 138 Abs. 1 BGB gesetzte Grenze gewahrt hätte. Sie hätten die für den Fall einer Wiederverheiratung aufschiebend bedingt angeordneten Vermächtnisse nicht am gesamten Nachlasswert orientiert, sondern an dem um den hypothetischen Pflichtteil des Beklagten verminderten Nachlasswert.

Mit diesem reduzierten Inhalt behält der Regelungskomplex der Wiederverheiratungsklausel mit den Vermächtnisanordnungen seine Wirkung.

b.

Die Höhe der Vermächtnisansprüche errechnet sich wie folgt:

(1)

Der für die Höhe der Vermächtnisansprüche maßgebliche Bewertungszeitpunkt ergibt sich aus der einschlägigen – auf den ersten Blick widersprüchlich anmutenden – Regelung des Erbvertrags. Danach ist für die Berechnung „einerseits“ vom „Vermögensstand“ im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen auszugehen, „andererseits“ von den „Wertverhältnisse[n] zur Zeit der Wiederverheiratung des Überlebendenden“. Nimmt man den Folgesatz hinzu, der für nach dem Tod des Erstverstorbenen veräußerte Vermögensgegenstände auf den Verkaufswert abstellt, so erschließt sich der Sinn des mit der Anordnung Gemeinten wie folgt: Die gegenständliche Zusammensetzung des Nachlasses bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erbfalls (hier: August 1982), der Wert jener Gegenstände ist hingegen für den Zeitpunkt der Wiederverheiratung (hier: Juni 1998) zu ermitteln.

(2)

Vorliegend ergibt sich ein für die Vermächtnisse relevanter Nachlasswert, der die von den Klägern in der Berufung geltend gemachten Ansprüche der Höhe nach deckt.

(a)

Für die nicht das Hausgrundstück betreffenden Nachlassaktiva (zum Wert des Hausgrundstücks siehe unten) und die Passiva bleibt es bei den vom Landgericht angenommenen Werten (Aktiva insgesamt 16.588,38 €, Passiva: 43.281,42 €, siehe S. 17-22 des landgerichtlichen Urteils, Bl. 491-496).

Insbesondere mit Blick auf die vom Beklagten gerügte Berücksichtigung eines Betrags von 7.158,09 € infolge der dem Vermögen der Erblasserin unstreitig im Mai 1982 zugeflossenen 28.000 DM besteht keine Veranlassung, von den erstinstanzlichen Feststellungen abzuweichen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat dem Vorbringen des Beklagten, seine Ehefrau habe Alkoholika erworben, keine hinreichenden Anhaltspunkte entnommen, welche dafür sprechen könnten, dass die Erblasserin die Zuwendung innerhalb von drei Monaten aufgebraucht haben sollte. Der Senat teilt diese Einschätzung.

Umgekehrt geht auch der Einwand der Kläger fehl, dem Nachlasswert hätten – behauptete – Vermögenswerte von 430.000 DM hinzugerechnet werden müssen. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der hierauf bezogenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zu Recht hat das Landgericht die Kläger in dieser Hinsicht für beweisfällig gehalten. Diese haben in erster Instanz konkrete Angaben zu verschiedenen angeblichen Guthaben bei der Deutschen Bank, der Kreissparkasse Saarpfalz und der Deutschen Postbank AG gemacht und ihre Behauptungen unter Zeugenbeweis gestellt. Nachdem die benannten Zeugen schriftlich mitgeteilt hatten, sie verfügten über keinerlei Kenntnisse zum Beweisthema, haben die Kläger auf die zunächst angebotenen Beweismittel verzichtet. Es ist nicht erkennbar, was der Beklagte vor dem Hintergrund seines Vorbringens, es habe solche Guthaben nicht gegeben, im Sinne einer von den Klägern angenommenen sekundären Darlegungslast neben seinem schlichten Bestreiten weiter hätte vortragen sollen und auf welcher (prozess-)rechtlichen Grundlage das nicht (mehr) unter Beweis gestellte Vorhandensein von Kontoguthaben in Höhe von 430.000 DM als vom Beklagten zugestanden hätte behandelt werden müssen. Der bloße Hinweis der Kläger darauf, dass Auskünfte über den gesamten Nachlass gerichtlich erstritten werden mussten und dass der Beklagte nach ihrer Einschätzung die tatsächlichen Vermögensverhältnisse bewusst verschleiert habe, genügt nicht.

Auch sonst haben die Parteien nichts dargetan, was – abgesehen von dem in zweiter Instanz für das Jahr 1998 neu geklärten Grundstückswert – eine Annahme von den landgerichtlichen Feststellungen abweichender Nachlasswerte rechtfertigen würde. Der Senat hat ihnen mit Hinweisbeschluss vom 13.11.2013 aufgegeben, zu etwaigen Veränderungen der vom Landgericht für das Jahr 1982 angenommenen Werte zwischen dem Erbfall im Jahr 1982 und der Wiederverheiratung im Juni 1998 vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzubieten. Der Beklagte hat daraufhin – unwidersprochen – auf verschiedene von ihm durchgeführte, den Wert des Hausgrundstücks erhöhende Maßnahmen aufmerksam gemacht. Eine ihm günstige, den Nachlasswert und damit die Vermächtnisansprüche mindernde Änderung kann er damit nicht erreichen. Nach der maßgeblichen erbvertraglichen Regelung kommt es auf den Wert zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung an, ohne dass danach differenziert wird, aufgrund welcher Umstände dieser Wert positiv (oder negativ) beeinflusst wird.

Unbeachtlich ist auch der – nicht unter Beweis gestellte – pauschale Hinweis des Beklagten auf angebliche „erhebliche Leistungen auf die Nachlassverpflichtungen“ seiner Ehefrau (Schriftsatz vom 12.5.2014, Bl. 642a d.A.). Das Vorbringen ist mangels konkreter Tatsachenangaben nicht subsumtionsfähig und zur Begründung eines (Gegen-)Rechts des Beklagten ungeeignet. Der Senat brauchte den Beklagten hierauf nicht gemäß § 139 ZPO hinzuweisen. Einer richterlichen Aufklärung bedarf es bei einem gänzlich substanzlosen Vorbringen, bezüglich dessen sich der Konkretisierungsbedarf geradezu aufdrängt, nicht (BGH, Urt. v. 22.4.1983 – VII ZR 160/81 – BGHZ 82, 371).

(b)

Eine sich auf die Vermächtnisansprüche auswirkende Wertabweichung zu Gunsten der Kläger ist für den in den Nachlass fallenden Grundstücksanteil anzunehmen.

Da in erster Instanz – auf der Grundlage der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig – der Immobilienwert nur für das Jahr 1982 ermittelt worden war, hat der Senat eine Ergänzung des Wertgutachtens des Sachverständigen J. zum Stichtag 12.6.1998 veranlasst. Der Sachverständige ist zu einem Grundstückswert von 273.000 € gelangt. Der Beklagte hat Einwände hiergegen nicht vorgebracht. Seinem früheren Vorbringen in Bezug auf die von ihm für verfehlt gehaltene Anwendung einer DIN-Vorschrift aus dem Jahr 1987 für die Wertermittlung 1982 ist mit Blick auf die nunmehr auf das Jahr 1998 bezogene Berechnung die Grundlage entzogen. Was die von den Klägern mit Schriftsatz vom 13.5.2014 geäußerten Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens anbelangt, so hat der Sachverständige diese in seiner Befragung im Termin vom 24.09.2014 ausgeräumt. Zu dem von den Klägern gerügten Abzug für „besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale“ hat er erläutert, ein solcher Abzug sei schlicht deshalb vorzunehmen, weil kein Gebäude sich nach einer bestimmten Nutzungszeit in einem völlig einwandfreien Zustand befinde; im vorliegenden Fall sei allein im Hinblick auf die bisherige Nutzungsdauer das Ansetzen von 2-3 % gerechtfertigt; er sei unter Berücksichtigung gewisser ihm von den Parteien mitgeteilter Feuchtigkeitsschäden von 3 % ausgegangen. Den von den Klägern angezweifelten, im Vergleich zum ursprünglichen Gutachten reduzierten Marktanpassungsfaktor hat der Sachverständige plausibel mit den zwischen 1982 und 1998 eingetretenen Veränderungen sowohl des Bodenrichtwerts als auch des vorläufigen Sachwerts erklärt.

(c)

Soweit der Kläger sich im Termin vom 24.9.2014 den Sachvortrag des Beklagten aus dessen Schriftsatz vom 09.01.2014 in Bezug auf angebliche Modernisierungsmaßnahmen nach der Wiederverheiratung zu eigen gemacht hat, welche vom Sachverständigen bei seiner Wertberechnung nicht berücksichtigt wurden, ist eine weitere Aufklärung nicht erforderlich.

Die mit den Berufungsanträgen geltend gemachten Ansprüche sind nämlich auch dann in vollem Umfang gedeckt, wenn man für das Hausgrundstück von dem im Gutachten ermittelten Wert von 273.000 € ausgeht.

Das ergibt sich aus folgender Berechnung:

Ersetzt man den vom Landgericht noch mit 104.000 € bemessenen hälftigen Wert des den Ehegatten vormals gesamthänderisch gehörenden Hausanwesens durch den zum Stichtag 12.6.1998 ermittelten hälftigen Wert von 136.500 €, so ist der in erster Instanz mit 77.306,96 € festgestellte Nachlasswert um 32.500 € zu erhöhen. Er beträgt dann 109.806,96 €. Von jenem Nachlasswert ist nunmehr der dem Beklagten zu belassende hypothetische Pflichtteilswert abzuziehen. Der gesetzliche Erbteil des Beklagten betrüge gemäß § 1931 Abs. 1 BGB ein Viertel. Eine Erhöhung gemäß den §§ 1931 Abs. 3, § 1371 BGB scheidet aus, weil die Eheleute nicht im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hatten. Der Pflichtteil des Beklagten würde sich nach § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB auf ein Achtel belaufen. Nach Ansicht des Senats ist Berechnungsgrundlage auch insoweit der Nachlasswert von 109.806,96 € zum 12.6.1998. Die für den Pflichtteil an sich auf den Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls abstellende Wertermittlungsvorschrift des § 2311 Abs. 1 BGB kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht zum Tragen. Eine unmittelbare Anwendung scheidet schon deshalb aus, weil es nicht eigentlich um einen Pflichtteilsanspruch geht, sondern um die Ermittlung eines Werts, der für die Berechnung von Vermächtnisansprüchen außer Betracht zu bleiben hat. Aber auch eine auf den ersten Blick nahe liegende analoge Anwendung ist für die hier in Rede stehende besondere Konstellation nicht sachgerecht. Die Wiederverheiratungsklausel war im Wege der ergänzenden Erbvertragsauslegung nur insoweit als wirksam aufrecht zu erhalten, als bei der Berechnung der an den gesetzlichen Erbteilen der Söhne ausgerichteten Vermächtnisansprüche vorab ein Wert in Höhe des hypothetischen Pflichtteils des Beklagten abgezogen werden muss. Die in diesem Sinne „reduzierte“ Wiederverheiratungsklausel ist nach wie vor als aufschiebende Bedingung für die Entstehung der Vermächtnisansprüche ausgestaltet. Haben aber die Ehegatten dabei Berechnungsvorgaben – in Form der Bestimmung des maßgeblichen Wertermittlungszeitpunkts – gemacht, so müssen diese nach dem hypothetischen Willen der Erbvertragsparteien auch den der Sache nach gewissermaßen ebenfalls aufschiebend bedingt relevant werdenden Pflichtteilswert erfassen. Ein Achtel des Nachlasswerts zum 12.6.1998 entspricht einem Betrag von 13.725,87 €, die von den oben errechneten 109.806,96 € abzuziehen sind. Es verbleiben 96.081,09 €.

Der Wert von 96.081,09 € stünde den beiden Klägern – mangels einer abweichenden Verteilungsregelung im Erbvertrag – zu gleichen Teilen zu. Jeder der Kläger erhielte 48.040,55 €. Für den Kläger zu 1 verbliebe nach Abzug der unstreitigen Gegenforderungen von 18.099,73 € ein Anspruch in Höhe von 29.940,82 €. Der Beklagte ist deshalb, dem Berufungsantrag des Klägers zu 1 entsprechend (§ 308 Abs. 1 ZPO), zur Zahlung von 22.271,65 € zu verurteilen. Der Kläger zu 2 hätte nach Abzug der ebenfalls unstreitigen Verbindlichkeiten von 5.112,92 sowie des mit Teilanerkenntnisurteil des Landgerichts vom 9.10.2008 ausgeurteilten Betrags von 3.897,02 € einen Anspruch auf weitere 39.030,61 €. Ihm ist daher (wegen § 308 Abs. 1 ZPO nur) der mit der Berufung verfolgte Betrag zuzusprechen (29.773,34 € über die in der angefochtenen Entscheidung ausgeurteilten 5.485,12 € hinaus, insgesamt also 35.258,46 €).

c.

Der Zinsanspruch für die geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Schriftsatz mit den Zahlungsanträgen ist dem Beklagten am 04.12.2007 zugestellt worden.

d.

Was die vom Landgericht in Ziffer 2 seines Urteils festgestellte Erledigung anbelangt, so sind die Berufungsanträge unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung dahin auszulegen, dass der Kläger zu 1 auch die in den Ziffern 2 und 3 enthaltene teilweise Abweisung des Erledigungsfeststellungsantrags anficht. Auch insoweit hat die Berufung Erfolg. Die nach der Auskunftserteilung für erledigt erklärten Anträge waren zuvor begründet gewesen. Auch der ursprüngliche Zahlungsantrag des Klägers zu 1 war von dem ihm zustehenden Vermächtnisanspruch gedeckt, und an dem vom Landgericht zu Recht als erledigt betrachteten, aus § 2314 Abs. 1 BGB folgenden Auskunftsanspruch (S. 23 des Urteils, Bl. 497 d.A.) ändert sich nichts dadurch, dass die grundsätzlich zu den Pflichtteilsberechtigten zählenden Kläger mit Vermächtnissen bedacht sind (vgl. Rudy in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2013, § 2174 Rdn. 8; OLG Köln, FamRZ 1992, 1104).

2. Anschlussberufung des Beklagten

Die Anschlussberufung des Beklagten, mit der er Einwände gegen den vom Landgericht zu Grunde gelegten, von ihm als zu hoch betrachteten Wert des Hausgrundstücks und die Berücksichtigung der an die Erblasserin geflossenen 28.000 DM erhebt und eine weitere Herabsetzung der in erster Instanz ausgeurteilten Beträge begehrt, ist unbegründet. Wie oben ausgeführt, steht den Klägern mehr zu als vom Landgericht zugesprochen. Dass die Einwände des Beklagten zum Nachlasswert der Sache nach nicht berechtigt sind, wurde oben im Zusammenhang mit der Berufung der Kläger ausgeführt.

3.

Die Kostenentscheidung beruht für beide Instanzen auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), liegen nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 54.286,90 € (22.271,65 € für die Berufung des Klägers zu 1; 29.773,34 € für die Berufung des Klägers zu 2; 2.241,91 € für die Anschlussberufung).

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