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Vernichtungsvermutung bei Testamentsvorlage in Kopie?

AG Frankfurt – Az.: 51 VI 4443/18 F – Beschluss vom 11.05.2020

1. Die Tatsachen, die zur Erteilung des von den Beteiligten zu 1) und zu 2) am 16.08.2018 beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.

2. Der Antrag der Beteiligten zu 3) und zu 4) auf Erteilung eines Erbscheins vom 07.12.2018 wird zurückgewiesen.

3. Die Gerichtskosten haben die Beteiligten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner zu 50 % und die Beteiligten zu 3) und zu 4) als Gesamtschuldner zu 50 % zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses zu Ziff. 1. wird ausgesetzt. Die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) begehren einen gemeinschaftlichen Erbschein nach der Erblasserin, Frau A., geb. …, geboren am XX.XX.XXXX, verstorben am XX.XX.XXXX, der sie als Erben zu je ½ ausweist.

Die Beteiligten zu 3) und zu 4) begehren ebenfalls die Erteilung eines Erbscheins nach der Erblasserin, der sie als Erben zu je ½ ausweist.

Die Erblasserin, deren Ehemann B bereits am XX.XX.XXXX vorverstarb, hinterlässt drei letztwillige Verfügungen.

Mit gemeinschaftlichem Ehegattentestament vom 20.06.1967 zur Urkundennummer XXX der Urkundenrolle des Jahres 1967, Notar XXX, eröffnet durch das Amtsgericht – Nachlassgericht – Frankfurt am Main nach dem Tod des Ehemannes am XX.XX.XXXX sowie nach dem Tod der Erblasserin am XX.XX.XXXX verfügten die Eheleute unter anderem wie folgt:

„Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein, so dass also der Längstlebende von uns der alleinige Erbe des Zuerstversterbenden sein soll. […]“

Mit gemeinschaftlichem Ehegattentestament vom 12.04.1997, eröffnet durch das Amtsgericht – Nachlassgericht – Frankfurt am Main nach dem Tod des Ehemannes am XX.XX.XXXX sowie nach dem Tod der Erblasserin am XX.XX.XXXX verfügten die Eheleute unter anderem wie folgt:

„Der letzte Alleinerbe Frau A oder Herr B soll zu Hause gepflegt werden. Entweder durch eine Pflegekraft die aus dem verfügbaren Geld gezahlt wird, oder dass die Pflege von den als Erben von uns jetzt eingesetzten Personen

1) XXX [= Beteiligte zu 3)]

2) XXX [= Beteiligter zu 4)]

übernommen wird. […]“

Mit letztwilliger und hier lediglich als Kopie vorliegender Verfügung der Erblasserin vom 30.12.2010, eröffnet durch das Amtsgericht – Nachlassgericht – Frankfurt am Main am 16.04.2018 verfügte die Erblasserin schließlich wie folgt:

„Ich A enterbe XXX [= Beteiligte zu 3)] und XXX [= Beteiligter zu 4)]. Setze als Erben die Eheleute XXX und XXX [= Beteiligte zu 1) und 2)] ein.“

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) sind der Ansicht, dass die letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 30.12.2010 nicht mangels Auffindbarkeit des Originals ungültig sei. Es bestehe auch keine Vermutung dafür, dass diese von der Erblasserin vernichtet worden und daher als widerrufen anzusehen sei.

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) beantragen, die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der die Beteiligten zu 1) und zu 2) als Erben der Erblasserin zu je ½ ausweist.

Die Beteiligten zu 3) und zu 4) beantragen, die Erteilung eines Erbscheins, nach dem sie Erben zu je ½ geworden sind.

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) beantragen, den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3) und zu 4) zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 3) und zu 4) sind der Ansicht, dass die Verfügungen der Eheleute … im Testament vom 20.06.1967 sowie im Testament vom 12.04.1997 sowohl hinsichtlich der gegenseitigen Erbeinsetzung als auch hinsichtlich der Einsetzung der Beteiligten zu 3) und zu 4) wechselbezüglich gewesen sei und in Folge dessen von der Erblasserin nicht mehr haben einseitig abgeändert werden können.

Die Erblasserin habe gegenüber dem Ehemann der Beteiligten zu 3) und gegenüber der Beteiligten zu 3) zudem mehrfach erklärt, dass diese und der Beteiligte zu 4) noch genug von ihr und ihrem vorverstorbenen Ehemann erbten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B. Es wird in diesem Zusammenhang Bezug genommen auf das Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Amtsgerichtes – Nachlassgericht – Frankfurt am Main vom 03.05.2019 (Bl. 132 ff. d.A.).

II.

Der Antrag der Beteiligten zu 1) und zu 2) vom 16.08.2018 ist zulässig und begründet. Die Beteiligten zu 1) und zu 2) sind aufgrund der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 30.12.2010 Erben zu je ½ geworden.

Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 30.12.2010 hier lediglich als Kopie vorliegt.

So statuiert die Unauffindbarkeit eines Testaments zunächst keine Vermutung dahingehend, dass es von dem Erblasser vernichtet worden und deshalb gem. § 2255 BGB als widerrufen anzusehen ist (Weidlich/Palandt: 77. Aufl. 2018, § 2255 Rn. 9). Die Formgültigkeit sowie der Inhalt des Testaments können vielmehr mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden, wobei an den entsprechenden Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (OLG Köln, Beschluss v. 02.12.2016 – 2 Wx 550/16). Die Feststellungslast trägt hierbei derjenige, der sich auf die formgültige Errichtung des Testaments beruft (OLG Schleswig, Beschluss v. 12.08.2013 – 3 Wx 27/13).

Vernichtungsvermutung bei Testamentsvorlage in Kopie?
(Symbolfoto: Fabio Balbi/Shutterstock.com)

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) haben insoweit eine Kopie des Testaments vom 30.12.2010 zur Akte gereicht, nach der die Anforderungen nach § 2247 BGB erfüllt sind. Darüber hinaus ist das Gericht aufgrund der glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugin B im Rahmen der Beweisaufnahme am 03.05.2019 mit dem nötigen Grad an Gewissheit entsprechend § 286 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 30 FamFG davon überzeugt, dass die Erblasserin das streitgegenständliche Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben hat. Die Zeugin B hat in diesem Zusammenhang angegeben, dass die Erblasserin das streitgegenständliche Testament bei ihr zu Hause auf Kohlepapier geschrieben habe. Das Gericht ist von den Angaben der Zeugin B überzeugt. Diese schilderte nachvollziehbar und konsistent ihrer Erinnerungen, wobei sie auch vereinzelte Erinnerungslücken einräumte. Die Zeugin verfügt auch über die nötige Wahrnehmungsfähigkeit, da sie bei der Errichtung des streitgegenständlichen Testaments körperlich zugegen war.

Soweit die Beteiligten zu 3) und zu 4) in diesem Zusammenhang erklären, dass die Zeugin B entgegen ihrer Angaben im Rahmen ihrer Vernehmung gegenüber der Beteiligten zu 3) und deren Ehemann fortwährend versichert habe, dass diese sich im Hinblick auf das Erbe der Erblasserin keine Sorgen machen müssten, vermag dies nicht zur Unglaubwürdigkeit der Zeugin oder zur Unglaubhaftigkeit ihrer Angaben zu führen. Die Zeugin hat insofern im Rahmen ihrer Vernehmung angegeben, Angst vor Anfeindungen durch die Familie … [der Beteiligten zu 3)] zu haben. Auch die Erblasserin habe Angst vor Herrn C [Ehemann der Beteiligten zu 3)] gehabt und diesem in Folge dessen auch die Schlüssel zu ihrer Wohnung abgenommen, weshalb entsprechende Angaben der Zeugin gegenüber der Beteiligten zu 3) und deren Ehemann interessengeleitet gewesen sein können.

Die Angaben der Zeugin im Rahmen ihrer Vernehmung waren für das Gericht hingegen durchweg überzeugend.

Soweit die Beteiligten zu 3) und zu 4) in diesem Zusammenhang schließlich angeben, dass die Erblasserin außerordentlich ordnungsliebend und gründlich gewesen sei und sämtliche Unterlagen in Ordner abgeheftet sowie besonders wichtige Dokumente in einer Kassette aufbewahrt habe, spricht dies für sich genommen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für eine mit Aufhebungsabsicht erfolgte Vernichtung der letztwilligen Verfügung vom 30.12.2010 durch die Erblasserin. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugin B im Rahmen ihrer Vernehmung angegeben hat, dass die Erblasserin immer gesagt habe, dass die Familie … [Familie der Beteiligten zu 1) und 2)] alles bekommen solle. Schließlich korrespondiert der in der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 30.12.2010 zum Ausdruck kommende Wille mit der am 21.12.2010 erfolgten Übertragung des Grundeigentums der Erblasserin an die Beteiligten zu 1) und zu 2).

Die Erblasserin war auch nicht in ihrer Verfügungsbefugnis beschränkt, §§ 2270, 2271 BGB, da die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 3) und zu 4) gemäß des Testaments vom 12.04.1997 nicht wechselbezüglich ist. Die Feststellungslast trifft hierbei denjenigen, der sein Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt, vorliegend mithin die Beteiligten zu 3) und zu 4). Verbleibende Zweifel gehen somit zu Lasten der Beteiligten zu 3) und zu 4).

Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und für den überlebenden Ehegatten bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen und fallen sollte.

Es ist hierbei auch möglich, dass die Verfügungen in mehreren gemeinschaftlichen Testamenten wechselbezüglich sind. Es ist vorliegend mithin zu fragen, ob die Einsetzung der Beteiligten zu 3) und zu 4) als Erben nach dem Letztversterbenden durch den Ehemann der Erblasserin wechselbezüglich zu deren Einsetzung als Erbin ihres vorverstorbenen Ehemannes sein sollte und, ob der vorverstorbene Ehemann die Beteiligten zu 3) und zu 4) nur deshalb als Erben nach der Erblasserin bestimmt hat, weil dies die Erblasserin auch getan hat.

Beides steht vorliegend nicht zweifelsfrei fest. Als Indiz gegen eine Wechselbezüglichkeit im oben dargelegten Sinn ist vorliegend bereits der sich aus dem Testament selbst ergebende Umstand zu werten, dass die Eheleute sich bereits rund 30 Jahre zuvor durch Verfügung vom 20.06.1967 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten und zwar unabhängig davon, wer Schlusserbe sein sollte. Das bestimmende Motiv der Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 3) und zu 4) ist ausweislich des Wortlauts des Testaments vom 12.04.1997 in Verbindung mit der Präambel der Urkunde Nr. 629/2010 in der Pflege der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes durch die Beteiligten zu 3) und zu 4) zu sehen, nicht jedoch in der Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren vorverstorbenen Ehemann.

Die von den Beteiligten zu 3) und zu 4) angeführte Vermutungsregelung, wonach die Lebenserfahrung dahin geht, dass die Erbeinsetzung von Verwandten des vorverstorbenen Ehemannes (bei der Bedenkung des Überlebenden durch den Vorverstorbenen) regelmäßig wechselbezüglich getroffen worden ist, die der Verwandten des Überlebenden aber nicht, greift mithin vorliegend gerade nicht.

Die Auslegung der Verfügung vom 12.04.1997 ergibt nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht, dass der vorverstorbene Ehemann die Beteiligten zu 3) und zu 4) gerade deshalb als Erben bestimmt hat, weil dies seine Ehefrau auch getan hat.

Der zulässige Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3) und zu 4) vom 07.12.2018 war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 80, 81 FamFG.

Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses zu Ziff. 1. war auszusetzen, da dieser dem erklärten Willen zweier Beteiligter widerspricht, § 352 e Abs. 2 S. 2 FamFG.

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