OLG München – Az.: 31 Wx 126/20 – Beschluss vom 28.05.2020
Der Senat weist die Beteiligten auf folgendes hin:
Verfahrensgegenständlich ist die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts, in dem der Antrag der Beschwerdeführerin, sie zur Ersatzvornahme gemäß § 887 ZPO zu ermächtigen, zurückgewiesen worden ist.
Gründe
Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
I.
Die Erblasserin am 26.10.2016 verstorbene Erblasserin errichtete am 1.1.2002 eine handschriftliche Verfügung von Todes wegen mit folgendem Wortlaut:
„Testament
Zum alleinigen Erben meines Besitzes bestimme ich Herrn U. H. – ausgenommen ist das Haus. Hier erhält Herr H. das Wohnrecht auf Lebenszeit.
Ich mache Herrn H. zur Auflage, daß er alle meine Tiere gut versorgt.
Das Haus erben zu gleichen Teilen
a) J. H. z. Z. wohnhaft xxx
b) M. S. z. Z. wohnhaft xxx.
Sollte Herr H. vor mir sterben, oder unsere Beziehung beendet sein, erhalten die Mädchen alles – inklusive gleicher Auflage.
[eigenhändige Unterschrift]“
Mit Beschluss vom 12.6.2017 kündigte das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins zugunsten des Beteiligten zu 1 an; der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 (= Beschwerdeführerin) wurde zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 schlossen die Beteiligten vor dem Nachlassgericht am 12.12.2017 einen Vergleich mit folgendem Inhalt:
„1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Beteiligte H. einen Erbschein erhält.
Die Beteiligte K. nimmt zu diesem Zweck den Erbscheinsantrag vom 04.02.2017 zurück.
2. Der Beteiligte H. verpflichtet sich in Vollzug des Testaments der Erblasserin, der Beteiligten K. die Hälfte des Eigentums an dem zum Nachlass gehörenden Grundbesitz bis sp. 28.02.2018 unentgeltlich zu übertragen, die Auflassung zu erklären und die Eintragung in das Grundbuch zu beantragen.
3. Der Beteiligte H. verpflichtet sich eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beteiligten K. für den Fall seines Todes an seiner Miteigentumshälfte eintragen zu lassen.“
In der Folgezeit erteilte das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist und bezüglich des Vergleichs eine vollstreckbare Ausfertigung für die Beteiligte zu 2.
Nachdem die Ziffern 2 und 3 des Vergleichs bislang nicht umgesetzt worden sind, beantragte die Beschwerdeführerin nunmehr beim Nachlassgericht, nach § 887 ZPO ermächtigt zu werden, die Auflassung für das näher bezeichnete Grundstück zu erklären.
Das Nachlassgericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass der Vergleich vom 12.12.2017 keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und deswegen nicht Grundlage der Zwangsvollstreckung sein kann.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde dürfte im Ergebnis ohne Erfolg bleiben.
1. Das Nachlassgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass sich eine Vollstreckung nach § 888 ZPO richte und die Voraussetzungen insoweit nicht vorlägen, weil der Vergleich keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe.
Die Entscheidung des Nachlassgerichts könnte sich im Ergebnis als richtig erweisen, ohne dass es auf die vom Nachlassgericht erörterte (und verneinte) Frage, ob der Vergleich vom 12.12.2017 hinreichend bestimmt ist, überhaupt ankommt.
2. Der Vergleich vom 12.12.2017 dürfte – im Gegensatz zur Ansicht des Nachlassgerichts – schon gar kein Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sein (BayObLG NJW-RR 1997, 1368).
Der Senat teilt die Ansicht des BayObLG, das im Kern von folgendem ausgeht:
a) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit können die Beteiligten, soweit der Gegenstand der Vereinbarung ihrer Disposition unterliegt, einen Vergleich schließen (§ 36 FamFG). Dies gilt grundsätzlich auch für das Erbscheinsverfahren. Insoweit können sich die Beteiligten verfahrensrechtlich über die Zurücknahme eines Erbscheinsantrags oder eines Rechtsmittels oder auch über einen Rechtsmittelverzicht einigen, materiell-rechtlich allerdings nicht über die Erbenstellung selbst (BayObLGZ 1966, 233 (236)).
Dabei können auch Gegenstände mit geregelt werden, die selbst nicht Verfahrensgegenstand sind, wie z.B. die Zahlung einer Abfindung oder die Auseinandersetzung des Nachlasses. Dies folgt schon daraus, dass auch die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Kern darauf abzielen, Rechtsfrieden unter den Beteiligten zu schaffen. Eine Möglichkeit der Vollstreckung von Vergleichen nach § 36 FamFG unmittelbar nach dem FamFG ist nicht vorgesehen, wie beispielsweise §§ 366, 371 FamFG zeigen, die ihrerseits auf § 795 ZPO verweisen.
b) Ob eine im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht und protokollierte Vereinbarung als Vollstreckungstitel i.S. von § 794 I Nr. 1 ZPO anzusehen ist, für den eine Vollstreckungsklausel erteilt werden kann, wird unterschiedlich beurteilt.
Der Senat ist wie das BayObLG der Auffassung, dass der von den Beteiligten in einem Erbscheinsverfahren geschlossene Vergleich kein Vollstreckungstitel i.S. von § 794 I Nr. 1 ZPO ist.
aa) Unmittelbar ist § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht anwendbar, da er nur für die dort genannten Titel der ZPO, nicht aber für Vergleiche nach § 36 FamFG gilt.
bb) Der Senat ist darüber hinaus der Ansicht, dass auch keine entsprechende Anwendbarkeit von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Betracht kommt (so wohl auch: Wolfsteiner in: MüKo/ZPO 5. Auflage <2016> § 794 Rn. 115; Lackmann in: Musielak/Voit ZPO 17. Auflage <2020> § 794 Rn. 49).
§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geht von Vergleichen aus, die „zur Beilegung des Rechtsstreits seinem ganzen Umfang nach oder in betreff eines Teiles des Streitgegenstandes” geschlossen werden. Angesichts dieses Wortlautes ging der ZPO-Gesetzgeber mithin davon aus, dass die Verfahrensbeteiligten über den Verfahrensgegenstand im materiellen Sinn verfügen können.
(1) Im Erbscheinsverfahren fehlt es jedoch an einer solchen materiellen Befugnis (BayObLGZ 1997, 217 Ulrici in: MüKoFamFG 3. Auflage <2018> § 36 Rn. 17; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 34 Rn. 2). Die beteiligten Erbprätendenten können über die Erbenstellung gerade nicht verfügen, vielmehr können sie regelmäßig nur durch verfahrensrechtliche Handlungen und Erklärungen darauf Einfluss nehmen, ob – und gegebenenfalls mit welchem Inhalt – ein Erbschein erteilt wird (BayObLG a.a.O.; Gierl in: Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2019> § 352e Rn. 165). Soweit der gerichtliche Vergleich eine verfahrensrechtliche Verfügung der Beteiligten zum Gegenstand hat, bedarf es eines Vollstreckungstitels aber nicht, da die entsprechenden Erklärungen, die in einem im Nachlassverfahren geschlossenen Vergleich abgegeben werden, gegenüber dem Nachlassgericht unmittelbar wirksam werden (z.B. Rücknahme eines Erbscheinsantrages). Ein Bedürfnis für die Anwendung des § 794 I Nr. 1 ZPO besteht daher allenfalls insoweit, als im Vergleich andere vermögensrechtliche Positionen als die Erbenstellung geregelt werden, die gerade nicht Gegenstand des Erbscheinsverfahrens sind, wie Vermächtnisse, Abfindungen, Fragen der Auseinandersetzung oder Pflichtteilsansprüche (BayObLG a.a.O.).
Soweit sich die Beteiligten also vorliegend geeinigt haben, dass dem Beteiligten zu 1 ein Erbschein zu erteilen ist, kann diese Regelung schon nicht Gegenstand eines Vergleichs in dem Sinne sein, dass damit das materielle Erbrecht erfasst wird.
Ist eine (materiell-rechtliche) Einigung insoweit aber nicht möglich, kann sie insoweit auch nicht die Grundlage einer Zwangsvollstreckung sein; darüber hinaus spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, dass die unwirksame Einigung insoweit auch den restlichen Vergleich erfasst (§ 139 ZPO), so dass es schon an einem Titel überhaupt fehlen würde.
(2) Darüber hinaus sprechen nach Auffassung des Senats im Anschluss an die zutreffende Rechtsprechung des BayObLG gegen die Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die letztgenannten Fälle entscheidend auch die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, die im Fall von Meinungsverschiedenheiten unter den Beteiligten über den Vollzug des Vergleichs auftreten können. Dies gilt vor allem für die Frage, welches Gericht über eine Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zu entscheiden hätte.
Diesem Gesichtspunkt kommt schon deshalb besondere Bedeutung zu, weil bei gerichtlichen Vergleichen die Präklusion gemäß § 767 Abs. 2 ZPO nicht eingreift und demzufolge Einwendungen gegen den vollstreckbaren Anspruch in vollem Umfang geltend gemacht werden können. Die Vollstreckung aus Vergleichen in Erbscheinsverfahren kann sich schon nach dem Ziel dieses Verfahrens, der Erteilung oder Einziehung eines Erbscheins, ausschließlich auf Gegenstände beziehen, die ihrerseits nicht unmittelbarer Gegenstand des Verfahrens sind. Eine Zuständigkeit des Nachlassgerichts, (auch) über solche Gegenstände zu entscheiden, wäre keinesfalls sachgerecht, abgesehen davon, dass das Erbscheinsverfahren also solches auch keine Rechtskraft kennt (BayObLG, a.a.O.).
Handelt es sich mithin bei dem Vergleich vom 12.12.2017 nicht um einen tauglichen Vollstreckungstitel, kann er auch nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein.
Der Senat räumt der sofortigen Beschwerde deshalb keine Erfolgsaussichten ein.
Der Senat regt an, die Beschwerde zurückzunehmen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat – insoweit ohne Bindungswirkung – auf folgendes hin:
Im Hinblick auf die o.g. Ausführungen dürfte sich die Frage stellen, ob der am xxx erteilte Erbschein einzuziehen ist (§ 2361 BGB). Selbst wenn der Erbschein der materiellen Erbrechtslage entsprechen sollte – was dem Senat zweifelhaft erscheint, insbesondere aufgrund der nur unzureichend durchgeführten Ermittlungen zu den Wertverhältnissen der zugewendeten Nachlassgegenstände – dürfte seine Einziehung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen naheliegen, weil der geschlossene Vergleich über das materielle Erbrecht nach Auffassung des Senats jedenfalls einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt.
Es besteht Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senats bis einschließlich 26. Juni 2020 (Eingang beim Senat Schleißheimer Straße 141) Stellung zu nehmen.
Anschließend muss jederzeit mit einer Entscheidung gerechnet werden.