Wegen ernster Zweifel an der Echtheit eines handschriftlichen Testaments forderte das Nachlassgericht vom Erbscheins-Antragsteller 7.500 Euro für ein graphologisches Gutachten. Er weigerte sich zu zahlen, berief sich aber auf die gerichtliche Amtsermittlungspflicht bei Testaments-Zweifeln.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Kein Geld, kein Recht? Wenn der Vorschuss für ein Gutachten im Erbscheinsverfahren zum Streitpunkt wird
- Ein Testament voller Vorwürfe: Der Sachverhalt im Detail
- Wer muss was beweisen? Die zentrale Rolle der Amtsermittlungspflicht
- Warum das Gericht die Entscheidung der Vorinstanz aufhob
- Welche Lehren sich aus diesem Urteil ziehen lassen
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Darf das Nachlassgericht die Echtheitsprüfung eines Testaments wegen fehlendem Kostenvorschuss ablehnen?
- Wann muss das Nachlassgericht bei Zweifeln an der Testaments-Echtheit von Amts wegen ermitteln?
- Wer trägt die Kosten für das graphologische Gutachten, wenn die Echtheit des Testaments erfolgreich angefochten wird?
- Was kann ich tun, wenn das Nachlassgericht das Erbscheinsverfahren wegen fehlender Vorschusszahlung einstellt?
- Welche konkreten Anhaltspunkte muss ich dem Gericht vorlegen, um Zweifel an der Echtheit eines Testaments zu begründen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 W 39/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Saarbrücken
- Datum: 17.06.2025
- Aktenzeichen: 5 W 39/25
- Verfahren: Beschwerde in einem Erbscheinsverfahren
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Verfahrensrecht, Kostenrecht
- Das Problem: Der Sohn focht das Testament seiner Mutter an, da er die Echtheit bestritt. Das Nachlassgericht erteilte den Erbschein an die Tochter, ohne die nötigen Gutachten einzuholen, weil der Sohn den geforderten Kostenvorschuss nicht zahlte.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht die Klärung konkreter Zweifel an der Echtheit eines Testaments von der vorherigen Zahlung eines Kostenvorschusses durch einen Beteiligten abhängig machen?
- Die Antwort: Nein. Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung auf und verwies die Sache zurück. Das Gericht muss entscheidende Beweise von Amts wegen erheben und darf diese Pflicht nicht wegen eines fehlenden Vorschusses aussetzen.
- Die Bedeutung: Gerichte müssen alle notwendigen Tatsachen ermitteln, wenn konkrete Zweifel an einem privatschriftlichen Testament bestehen. Die Beweisaufnahme durch Sachverständige ist auch ohne sofortige Vorschussleistung durch die Beteiligten durchzuführen.
Kein Geld, kein Recht? Wenn der Vorschuss für ein Gutachten im Erbscheinsverfahren zum Streitpunkt wird
Ein Sohn, der die Echtheit des Testaments seiner Mutter anzweifelt. Eine Tochter, die durch ebenjenes Testament zur Alleinerbin werden soll. Und ein Gericht, das für die Klärung der Wahrheit einen Vorschuss von 7.500 Euro verlangt. Als der Sohn diesen Betrag nicht zahlt, stellt das Gericht seine Ermittlungen ein und erklärt die Tochter zur Erbin. Darf ein Gericht das? Mit dieser Kernfrage hat sich das Oberlandesgericht Saarbrücken in einem Beschluss vom 17. Juni 2025 (Az. 5 W 39/25) auseinandergesetzt und eine grundlegende Grenze zwischen den Kosten eines Verfahrens und der Pflicht des Gerichts zur Wahrheitsfindung gezogen.
Ein Testament voller Vorwürfe: Der Sachverhalt im Detail

Nach dem Tod ihrer verwitweten Mutter im Oktober 2024 standen sich die beiden einzigen Kinder, ein Sohn und eine Tochter, vor dem Nachlassgericht in Merzig gegenüber. Die Tochter legte ein handschriftliches Testament vor, datiert auf den 6. April 2019, und beantragte einen Erbschein, der sie als alleinige Erbin ausweisen sollte. Das Dokument war nicht nur ein letzter Wille, sondern auch eine Abrechnung: Es enthielt schwere Vorwürfe gegen den Sohn, sprach von Diebstahl und Straftaten und legte dar, dass er „leer ausgegangen“ sei.
Der Sohn widersprach vehement. Er focht das Testament an und präsentierte eine Liste an Ungereimtheiten, die seine Zweifel an der Echtheit untermauern sollten. Die Unterschrift, so seine Behauptung, sei nicht die seiner Mutter. Das Datum wirke nachträglich eingefügt. Zudem sei das Dokument von Rechtschreibfehlern durchsetzt und der Vorname der Mutter falsch geschrieben („Margaretha“ statt „Margareta“). Bestimmte Details in dem Text, so der Sohn, könne nur seine Schwester gewusst haben. Er äußerte den Verdacht, seine Schwester habe die Mutter, die an Alzheimer gelitten habe und zeitweise vergesslich gewesen sei, unter Druck gesetzt.
Wer muss was beweisen? Die zentrale Rolle der Amtsermittlungspflicht
Im deutschen Erbrecht, speziell im Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins, agiert das Gericht nicht nur als passiver Schiedsrichter. Es unterliegt dem sogenannten Amtsermittlungsgrundsatz. Nach § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist das Gericht verpflichtet, von Amts wegen alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Entscheidung notwendig sind. Es muss also aktiv nach der Wahrheit suchen und darf sich nicht allein auf das verlassen, was die Beteiligten ihm vortragen.
Dieser Grundsatz ist das Fundament des gesamten Verfahrens. Wenn also, wie in diesem Fall, ein Testament vorgelegt wird und ein gesetzlicher Erbe dessen Echtheit mit konkreten Anhaltspunkten bestreitet, steht das Gericht in der Pflicht, diesen Zweifeln nachzugehen. Es muss prüfen, ob das Dokument tatsächlich vom Erblasser stammt und ob dieser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierfähig, also im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, war. Fehlt dem Gericht hierfür die eigene Sachkunde – was bei der Beurteilung von Handschriften oder medizinischen Zuständen die Regel ist –, muss es sich der Hilfe von Sachverständigen bedienen, etwa eines Schriftgutachters (Graphologen) oder eines Psychiaters.
Warum das Gericht die Entscheidung der Vorinstanz aufhob
Das Amtsgericht Merzig hatte die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zunächst durchaus erkannt. Es ordnete die Einholung eines graphologischen Gutachtens an, um die Echtheit der Unterschrift zu klären. Doch dann verknüpfte es diesen Schritt mit einer Bedingung: Der Sohn, der die Zweifel geäußert hatte, sollte binnen eines Monats einen Kostenvorschuss von 7.500 Euro zahlen. Als die Frist ohne Zahlung verstrich, sah das Gericht die Beweisaufnahme als „gehindert“ an, stellte seine Ermittlungen ein und erteilte den Erbschein zugunsten der Tochter. Gegen diesen Beschluss legte der Sohn Beschwerde ein – mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hob die Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurück. Die Begründung des OLG ist eine Lektion über die fundamentalen Prinzipien des Gerichtsverfahrens.
Die Pflicht zur Aufklärung wiegt schwerer als die Frage der Kosten
Den Kern der Entscheidung bildet ein einfacher, aber entscheidender Grundsatz: Die gesetzliche Verpflichtung des Gerichts zur Sachaufklärung darf nicht von der Vorauszahlung von Kosten durch einen Beteiligten abhängig gemacht werden. Das OLG stellte klar, dass das Nachlassgericht mit seiner Vorgehensweise den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 26 FamFG verletzt hatte. Es hatte ein „Amtsgeschäft„, also eine Tätigkeit, die das Gericht aus eigenem Antrieb im öffentlichen Interesse an einer richtigen Entscheidung durchführen muss, von einer Handlung eines Beteiligten – der Zahlung des Vorschusses – abhängig gemacht. Dies, so der Senat, widerspreche dem Wesen des gesamten Verfahrens.
Konkrete Zweifel erfordern konkrete Ermittlungen
Das OLG betonte, dass das Amtsgericht nicht grundlos hätte ermitteln müssen. Der Auslöser waren die vom Sohn vorgetragenen, sehr spezifischen Zweifel. Er hatte nicht nur pauschal behauptet, das Testament sei gefälscht, sondern konkrete Anhaltspunkte geliefert: die strittige Unterschrift, die fehlerhafte Namensschreibung, die inhaltlichen Auffälligkeiten. Genau diese Substanz in den Einwänden machte es für das Gericht zwingend erforderlich, die Hilfe eines Experten in Anspruch zu nehmen. Die Anordnung eines graphologischen Gutachtens war daher anfangs der richtige und notwendige Schritt gewesen. Ihn dann aber wieder fallen zu lassen, nur weil kein Geld floss, war der entscheidende Verfahrensfehler.
Die Argumente des Nachlassgerichts: Eine unzulässige Verknüpfung
Das Amtsgericht hatte sein Vorgehen mit Verweisen auf das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) begründet, das in bestimmten Fällen eine Vorschussanforderung erlaubt (§§ 13, 14 GNotKG). Das OLG wies diese Argumentation jedoch scharf zurück. Zwar können Gerichte für bestimmte Tätigkeiten Vorschüsse verlangen, insbesondere wenn diese auf Antrag einer Partei erfolgen. Die Pflicht zur Aufklärung der Erbfolge im Erbscheinsverfahren ist aber keine solche antragspflichtige Dienstleistung. Sie ist eine Kernaufgabe des Gerichts. Die Kostenfrage sei davon getrennt zu behandeln. Das Gericht müsse die notwendigen Beweise erheben und könne erst am Ende des Verfahrens entscheiden, wer die Kosten dafür zu tragen hat – typischerweise derjenige, dessen Position sich als falsch herausstellt (§ 81 FamFG). Die Möglichkeit einer späteren Kostenentscheidung hebt aber nicht die ursprüngliche Ermittlungspflicht auf.
Welche Lehren sich aus diesem Urteil ziehen lassen
Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung und verdeutlicht zentrale Prinzipien, die das Vertrauen in die Justiz sichern.
Die erste und wichtigste Lehre ist, dass der Grundsatz der Amtsermittlung im Erbscheinsverfahren kein leeres Versprechen ist. Wenn ein gesetzlicher Erbe plausible und konkrete Gründe vorträgt, die Zweifel an der Gültigkeit eines Testaments wecken, muss das Gericht diesen nachgehen. Es kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen, indem es die finanzielle Hürde eines hohen Kostenvorschusses aufbaut. Die Suche nach der Wahrheit ist eine Kernaufgabe des Gerichts, die nicht an der Kasse scheitern darf.
Zweitens macht das Urteil eine entscheidende Unterscheidung deutlich: Die Frage, wer eine Untersuchung vorfinanzieren muss, ist nicht dieselbe wie die Frage, wer die Kosten am Ende trägt. Das Gericht muss die notwendigen Schritte zur Wahrheitsfindung selbst veranlassen, auch wenn dies Kosten verursacht. Erst nach Abschluss der Ermittlungen und auf Basis des Ergebnisses wird entschieden, wem diese Kosten auferlegt werden. Ein Beteiligter kann also nicht gezwungen werden, sich die Aufklärungsarbeit des Gerichts quasi im Voraus zu erkaufen.
Schließlich unterstreicht der Fall, wie wichtig die Qualität der Einwände ist. Der Sohn hatte Erfolg, weil seine Zweifel nicht auf vagen Vermutungen beruhten, sondern auf einer Liste konkreter, überprüfbarer Punkte. Allgemeine Unzufriedenheit mit einem Testament reicht nicht aus, um eine gerichtliche Maschinerie in Gang zu setzen. Wer jedoch substantiiert darlegen kann, warum ein letzter Wille fragwürdig ist, kann darauf vertrauen, dass das Gericht seiner Pflicht zur Aufklärung nachkommen muss – unabhängig davon, ob ein teurer Vorschuss sofort gezahlt werden kann.
Die Urteilslogik
Die gerichtliche Pflicht zur Wahrheitsfindung entzieht sich der Abhängigkeit von finanziellen Vorschüssen der Verfahrensbeteiligten.
- Amtsermittlungspflicht priorisieren: Das Nachlassgericht darf die zwingend notwendige Sachaufklärung im Erbscheinsverfahren nicht einstellen oder verweigern, nur weil die Beteiligten den geforderten Kostenvorschuss für Gutachten nicht leisten.
- Substantiierte Zweifel prüfen: Konkrete und plausible Anhaltspunkte, welche die Echtheit oder Gültigkeit eines Testaments infrage stellen, verpflichten das Gericht, Beweise, etwa durch Sachverständige, von Amts wegen zu erheben.
- Kostenentscheidung trennen: Das Gericht muss die Frage der Beweiserhebung strikt von der Kostenfrage separieren; die Entscheidung über die finale Kostentragung fällt erst am Ende des Verfahrens, basierend auf dem Ergebnis der Sachaufklärung.
Das Gesetz gewährleistet, dass die Suche nach der materiellen Wahrheit nicht an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Parteien scheitern darf.
Benötigen Sie Hilfe?
Verlangt das Nachlassgericht Vorschüsse, obwohl Zweifel an der Echtheit des Testaments bestehen? Kontaktieren Sie uns für eine sachliche erste juristische Einschätzung Ihrer Nachlasssituation.
Experten Kommentar
Die Angst, ein Gericht würde die Aufklärung eines Erbstreits einstellen, nur weil ein hoher Vorschuss nicht sofort gezahlt werden kann, ist oft real. Genau hier zieht das OLG eine klare rote Linie: Die Amtsermittlungspflicht des Nachlassgerichts ist keine leere Formalie, sondern überstimmt die sofortige Forderung nach Kostenvorschüssen. Das bedeutet praktisch, dass das Gericht die notwendigen Schritte zur Wahrheitsfindung, wie die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines Testaments, selbst veranlassen muss. Dieses Urteil sichert damit die Chancengleichheit und verhindert, dass finanzschwache Erben ihren Anspruch auf gerichtliche Aufklärung verlieren, nur weil die Kasse momentan leer ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Darf das Nachlassgericht die Echtheitsprüfung eines Testaments wegen fehlendem Kostenvorschuss ablehnen?
Nein, das ist ein schwerwiegender Verfahrensfehler des Nachlassgerichts, der erfolgreich angefochten werden kann. Die Suche nach der Wahrheit im Erbscheinsverfahren darf nicht an den finanziellen Verpflichtungen eines Beteiligten scheitern. Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken hat klargestellt, dass die gerichtliche Amtsermittlungspflicht nicht von der Vorauszahlung eines Kostenvorschusses durch einen Beteiligten abhängig gemacht werden kann.
Mit einer solchen Ablehnung verletzt das Gericht den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG. Die Aufklärung der Erbfolge ist ein „Amtsgeschäft“, das das Gericht aus eigenem Antrieb im öffentlichen Interesse an einer richtigen Entscheidung durchführen muss. Diese grundlegende gerichtliche Pflicht zur Sachaufklärung kann nicht durch die Vorschriften des Gerichts- und Notarkostengesetzes (GNotKG) über Vorschusszahlungen ausgehebelt werden, da diese nur für bestimmte antragspflichtige Dienstleistungen gelten.
Nehmen wir an, das Gericht fordert 7.500 Euro für ein graphologisches Gutachten und stellt das Verfahren bei Nichtzahlung ein. Die Frage der Vorfinanzierung ist von der Pflicht zur Beweiserhebung strikt getrennt. Das Nachlassgericht muss die notwendigen Ermittlungen, beispielsweise zur Echtheit der Unterschrift eines Testaments, auch ohne Vorschuss anordnen. Untätigkeit führt dazu, dass die Gegenseite, deren Erbenstellung möglicherweise auf einer Fälschung beruht, als rechtmäßiger Erbe bestätigt wird.
Erhält der gesetzliche Erbe einen Einstellungsbeschluss wegen fehlendem Vorschuss, muss er sofort Beschwerde einlegen und dabei explizit auf die Verletzung des § 26 FamFG sowie die Entscheidung des OLG Saarbrücken (Az. 5 W 39/25) verweisen.
Wann muss das Nachlassgericht bei Zweifeln an der Testaments-Echtheit von Amts wegen ermitteln?
Die Regel ist klar: Das Nachlassgericht muss nicht bei jedem vagen Verdacht aktiv werden. Die Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG wird ausgelöst, sobald ein gesetzlicher Erbe plausible und konkrete Anhaltspunkte vorträgt. Diese müssen substantielle Zweifel an der Echtheit der Unterschrift, der Testierfähigkeit oder der formellen Gültigkeit des Testaments wecken. Emotionale Einwände oder moralische Unzufriedenheit mit dem Inhalt reichen dafür nicht aus.
Der Amtsermittlungsgrundsatz zwingt das Gericht, aktiv die Wahrheit über die Erbfolge zu erforschen. Es muss von Amts wegen prüfen, ob der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war und somit über die notwendige Testierfähigkeit verfügte. Fehlt dem Gericht die Sachkunde, etwa bei einer Handschriftanalyse (Graphologie) oder der Beurteilung medizinischer Zustände, muss es von Amts wegen einen Sachverständigen hinzuziehen.
Konkret muss der Anfechtende materielle oder formale Ungereimtheiten belegen. Nehmen wir an: Die strittige Unterschrift wirkt ungleichmäßig, das Datum erscheint nachträglich eingefügt, oder das Dokument enthält faktische Fehler, die der Erblasser nicht gemacht hätte. Solche Punkte sind objektiv überprüfbar und zeigen, dass die Zweifel nicht auf reinen Vermutungen beruhen. Nur diese spezifischen und überprüfbaren Fakten verpflichten das Gericht zur Einholung eines teuren Gutachtens.
Erstellen Sie eine chronologisch geordnete Liste aller materiellen und formalen Ungereimtheiten und markieren Sie die exakten Stellen im Testament für das Gericht.
Wer trägt die Kosten für das graphologische Gutachten, wenn die Echtheit des Testaments erfolgreich angefochten wird?
Ein erfolgreicher Anfechtender muss die hohen Gutachterkosten am Ende nicht selbst tragen. Die endgültige Verteilung der Kosten richtet sich nach dem Verfahrensausgang und der Verantwortlichkeit für die Veranlassung der Beweiserhebung. Stellt das Gericht die Ungültigkeit des Testaments fest, trägt die unterlegene Partei die Kosten, deren Rechtsansicht sich als unzutreffend erwiesen hat.
Das Gericht trifft die endgültige Entscheidung über die Kostentragungspflicht erst mit dem Abschluss der Ermittlungen und der Hauptsacheentscheidung. Maßgeblich ist hierbei die Vorschrift des § 81 FamFG. Diese Regelung sorgt dafür, dass die Kosten demjenigen auferlegt werden, der das teure graphologische Gutachten durch seine fehlerhafte Position – im Falle einer Fälschung, das Festhalten an einem ungültigen Testament – indirekt erforderlich gemacht hat.
Dieser Mechanismus ist von der Vorschusspflicht strikt getrennt. Auch wenn das Nachlassgericht Sie theoretisch zur Vorfinanzierung des Gutachtens auffordert, ist diese Zahlung nicht gleichbedeutend mit Ihrer finalen Kostenlast. Wer das Verfahren gewinnt und die Ungültigkeit des Testaments beweist, hat Anspruch auf Erstattung aller notwendigen Aufwendungen durch die unterlegene Seite. Diese klare Trennung zwischen Vorschuss und abschließender Kostenentscheidung ist ein entscheidender Vorteil für den Anfechtenden.
Sichern Sie alle Unterlagen und Beweise, die belegen, dass das graphologische Gutachten ausschließlich notwendig wurde, weil die Gegenseite ein Dokument zur Begründung ihrer Erbenstellung verwendete, dessen Echtheit angezweifelt werden musste.
Was kann ich tun, wenn das Nachlassgericht das Erbscheinsverfahren wegen fehlender Vorschusszahlung einstellt?
Wenn das Nachlassgericht das Verfahren einstellt, weil Sie den geforderten Kostenvorschuss nicht gezahlt haben, müssen Sie unverzüglich juristisch handeln. Diese Einstellung stellt einen gravierenden Verfahrensfehler des Gerichts dar. Legen Sie gegen diesen Beschluss fristgerecht Beschwerde ein. Sie rügen damit, dass das Gericht seine fundamentale Amtsermittlungspflicht zur Wahrheitsfindung verletzt hat.
Das Gericht ist im Erbscheinsverfahren nicht nur ein passiver Schiedsrichter, sondern zur Wahrheitsfindung verpflichtet. Nach § 26 FamFG muss das Gericht alle notwendigen Tatsachen ermitteln, um die Erbfolge korrekt festzustellen. Diese Pflicht zur Sachaufklärung ist ein „Amtsgeschäft“, das die ordnungsgemäße Justizverwaltung sicherstellen soll. Gerichte dürfen diese Kernaufgabe nicht von der Vorauszahlung eines Kostenvorschusses durch einen Beteiligten abhängig machen.
In Ihrer Beschwerde argumentieren Sie, dass die Vorschussforderung die Beweiserhebung unzulässig behindert. Verlangen Sie die Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat in einem Präzedenzfall (Az. 5 W 39/25) klargestellt, dass die Aufklärung der Erbfolge nicht an finanziellen Hürden scheitern darf. Die Berufung auf dieses Urteil zielt darauf ab, die Beweiserhebung ohne sofortige Vorschusszahlung durchzuführen.
Da für Beschwerden in Familiensachen in der Regel nur kurze Fristen gelten, sollten Sie sofort juristischen Beistand konsultieren, um das Beschwerdeschreiben wirksam zu formulieren.
Welche konkreten Anhaltspunkte muss ich dem Gericht vorlegen, um Zweifel an der Echtheit eines Testaments zu begründen?
Um das Nachlassgericht zur Ermittlung zu verpflichten, reichen vage Vermutungen oder emotionale Vorwürfe nicht aus. Sie benötigen eine präzise Liste substantiierter Mängel, die entweder die Form oder den Inhalt des Dokuments betreffen. Das Gericht leitet die Amtsermittlung nur bei konkreten Anhaltspunkten ein, die überprüfbar sind und eine Verletzung des Erblasserwillens plausibel machen.
Legen Sie nicht nur ein ungutes Gefühl dar, sondern benennen Sie klare formale oder materielle Inkonsistenzen. Ein formaler Mangel liegt vor, wenn beispielsweise die Unterschrift ungleichmäßig wirkt oder das Datum verdächtig nachträglich eingefügt wurde. Solche Beobachtungen sind die Grundlage für die Arbeit eines Schriftgutachters und erzwingen dessen Hinzuziehung. Wer ein Testament erfolgreich anfechten will, muss das Dokument detailliert auf Abweichungen von der gewohnten Schreibweise prüfen.
Ebenfalls zwingend erforderlich sind inhaltliche Fehler, die der Erblasser nachweislich nicht gemacht hätte. Im Fallbeispiel wurde die Echtheit des Testaments unter anderem deshalb angezweifelt, weil der Vorname der Mutter im Dokument falsch geschrieben war. Gleichermaßen zählen Indizien für die Testierunfähigkeit des Erblassers. Dazu gehören medizinische Belege, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung geistig stark beeinträchtigt war oder unter unzulässigem Druck stand.
Sammeln Sie mindestens drei aktuelle und drei ältere Vergleichsdokumente mit der zweifelsfreien Original-Unterschrift des Erblassers, um Ihre Behauptungen zu untermauern.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Amtsermittlungsgrundsatz
Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, im Erbscheinsverfahren von Amts wegen alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Feststellung der wahren Erbfolge notwendig sind. Das Gesetz will damit sicherstellen, dass die Entscheidung auf der tatsächlichen Wahrheit beruht und nicht nur darauf, wer die besseren Beweise vorlegt; Juristen nennen das die aktive Rolle des Gerichts bei der Sachaufklärung.
Beispiel: Im vorliegenden Fall verletzte das Amtsgericht den Amtsermittlungsgrundsatz, als es die Einholung des graphologischen Gutachtens an die Zahlung des Kostenvorschusses knüpfte.
Amtsgeschäft
Als Amtsgeschäft bezeichnen Rechtsexperten jene Tätigkeiten, die ein Gericht im öffentlichen Interesse durchführen muss und die es nicht von einem Antrag oder einer Vorschusszahlung der Parteien abhängig machen darf. Diese Definition trennt die Kernaufgaben der Justiz – wie die Wahrheitsfindung – von reinen Dienstleistungen, für die Gebühren erhoben werden können; das Gericht muss diese Pflichtaufgaben aus eigener Motivation heraus wahrnehmen.
Beispiel: Die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung der tatsächlichen Erbfolge ist ein Amtsgeschäft, weshalb der Richter die notwendige Beweiserhebung nicht wegen des fehlenden Vorschusses einstellen durfte.
Graphologisches Gutachten
Ein Graphologisches Gutachten ist die Expertise eines Schriftsachverständigen, der mittels wissenschaftlicher Analyse von Handschriften feststellt, ob ein Dokument, wie beispielsweise ein handschriftliches Testament, echt ist oder gefälscht wurde. Da die Unterschrift des Erblassers ein zentrales Element für die Gültigkeit des letzten Willens ist, dient dieses Gutachten der objektiven Beweisführung und klärt gerichtliche Zweifel an der Echtheit der Urkunde.
Beispiel: Da der Sohn die Unterschrift seiner Mutter anzweifelte, forderte das Nachlassgericht die Erstellung eines graphologischen Gutachtens an, um die strittige Unterschrift im Testament zu überprüfen.
Kostentragungspflicht
Die Kostentragungspflicht bestimmt am Ende eines Gerichtsverfahrens, welche Partei die endgültigen Aufwendungen (Gerichtsgebühren, Gutachterkosten etc.) tragen muss. Diese Regelung sorgt für eine gerechte Verteilung der Verfahrenskosten, indem sie die Kosten der Partei auferlegt, die mit ihrer Rechtsauffassung oder ihrem Antrag unterlegen war; die Kostentragungspflicht ist strikt von der Vorschusspflicht getrennt.
Beispiel: Gemäß § 81 FamFG wird die unterlegene Partei die vollen Kosten für das graphologische Gutachten tragen müssen, wenn sich ihre Position in der Hauptsacheentscheidung als unzutreffend herausstellt.
Testierfähigkeit
Testierfähigkeit bedeutet, dass der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung die nötige geistige Reife und Einsichtsfähigkeit besaß, um die Tragweite und die Konsequenzen seines letzten Willens zu verstehen. Nur wer voll im Bilde über seine Vermögensverhältnisse und die Konsequenzen seiner Entscheidungen ist, kann ein rechtlich gültiges Testament errichten; das Gesetz schützt damit die freie und unbeeinflusste Willensbildung.
Beispiel: Der Sohn äußerte den begründeten Verdacht, die Mutter sei wegen ihrer Alzheimer-Erkrankung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht mehr voll testierfähig gewesen.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 W 39/25 – Beschluss vom 17.06.2025
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.
→ Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…

Dr. jur. Christian Gerd Kotz ist Notar in Kreuztal und seit 2003 Rechtsanwalt. Als versierter Erbrechtsexperte gestaltet er Testamente, Erbverträge und begleitet Erbstreitigkeiten. Zwei Fachanwaltschaften in Verkehrs‑ und Versicherungsrecht runden sein Profil ab – praxisnah, durchsetzungsstark und bundesweit für Mandanten im Einsatz.
