OLG Oldenburg – Az.: 3 U 37/22 – Beschluss vom 26.08.2022
Gründe
I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.
II.
Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
Der Kläger ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass des am TT.MM.1927 geborenen und am TT.MM.2021 gestorbenen BB.
Der verstorbene BB war der Lebensgefährte der am TT.MM.2019 verstorbenen Frau DD. Frau DD war vom TT.MM.1966 bis zum TT.MM.1981 verheiratet mit Herrn EE. Die Ehe blieb kinderlos. EE hatte aus erster Ehe einen CC, den Beklagten, und einen Adoptivsohn, Herrn FF.
Die Eheleute DD und EE errichteten am 16.10.1971 ein notarielles gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen, unbeschränkten Erben einsetzten und sollte Frau DD die Überlebende sein, wurden die Söhne von Herrn EE als Erben bestimmt.
Am TT.MM.1981 verstarb Herr EE. Sein Adoptivsohn, Herr FF, verstarb am TT.MM.1995.
Am 17.08.1995 verfasste Frau DD ein handschriftliches Testament, in dem sie ihren Lebenspartner, Herrn BB, als ihren alleinigen Erben einsetzte.
Der Kläger ist der Auffassung, Herr BB sei Erbe der Frau DD geworden. Das handschriftliche Testament vom 17.08.1995 sei wirksam, weil die Erbeinsetzung der Söhne des Herrn FF nicht wechselbezüglich sei.
Das Landgericht Aurich hat die Klage des Klägers festzustellen, dass die am TT.MM.2019 in Ort1 verstorbene Frau DD von Herrn BB, nachverstorben in Ort2 am TT.MM.2021 in Ort2, allein beerbt worden ist, mit Urteil vom 05.05.2022 abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger die begehrte Feststellung nicht beanspruchen könne, da die Berufung des Beklagten zum Erben im gemeinschaftlichen Testament vom 16.10.1971 eine wechselbezügliche Verfügung darstelle (§ 2270 Abs.1 BGB). Bei der Auslegung des Testaments sei zu berücksichtigen, dass Herr EE die Erbeinsetzung seiner Ehefrau zur Alleinerbin nur im Hinblick darauf testiert haben dürfte, dass seine Söhne von Frau DD als Schlusserben eingesetzt werden und so beim zweiten Todesfall am Familienvermögen teilhaben können. Mit dem Tode des Herrn EE sei die Schlusserbeneinsetzung des Beklagten nach § 2271 Abs.2 Hs.1 BGB bindend geworden. Die wechselbezügliche Verfügung sei auch nicht durch das Versterben des Adoptivsohnes FF anteilig gegenstandslos geworden, so dass Frau DD jedenfalls über den hälftigen Erbanteil hätte frei verfügen können.
Eine Ersatzerbenberufung sei nicht anzunehmen, da eine entsprechende Regelung im Testament nicht getroffen worden sei und die Eheleute bestimmt hätten, dass sie mehr nicht zu bestimmen hätten. Der Erbanteil des verstorbenen FF sei daher mit dessen Ableben dem Erbanteil des Beklagten angewachsen (§ 2094 Abs.1 Satz 1 BGB). Das Testament enthalte keine Anhaltspunkte, dass die Anwachsung gemäß § 2094 Abs.3 BGB ausgeschlossen sein sollte.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht erhobenen Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger führt zur Begründung aus, das Landgericht habe die Norm des § 2270 Abs.1 BGB falsch angewendet. Das Landgericht habe nicht den Willen der Eheleute erforscht, sondern sich allein am Willen des Ehemannes orientiert. Ein objektives Interesse der Ehefrau an der getroffenen Regelung bestehe nicht. Bei der Auslegung sei vorliegend zudem nicht berücksichtigt worden, dass die Eheleute ausdrücklich einen Grund für die alleinige Erbfolge der Ehefrau im Testament angeführt haben, nämlich, dass man das Vermögen gemeinsam erarbeitet und erspart habe. Aufgrund dessen könne nicht angenommen werden, dass sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben bestimmt hätte, nur weil die Berufung der Söhne des Ehemannes als Schlusserben erfolgte. Der im Testament angegebene Grund spreche vielmehr dagegen.
Falsch sei auch die Annahme, wonach dem Beklagten bei Vorversterben des FF dessen Erbteil anwachse. Es fehle sowohl ein Wille der Testierenden zu einer Ersatzerbeneinsetzung wie auch gleichermaßen zu einer Anwachsung, denn die Erklärung, mehr nicht zu bestimmen zu wollen, schließe gerade eine Anwachsung aus (§ 2094 Abs.3 BGB). Eine Erstreckung der Vermutungsregelung in § 2270 Abs.2 BGB auf die Vermutungsregelung in § 2094 BGB scheide aus. Wenn der BGH eine Erstreckung der Zweifelsregelung in § 2270 Abs.2 BGB auf Ersatzerben ablehne, müsse dies wegen des Vorrangs der Ersatzerbeneinsetzung (§ 2099 BGB) auch für die Anwachsung gelten. Durch den Tod des Herrn FF sei die Bindung der Erblasserin entfallen und sie sei frei, durch ihr privatschriftliches Testament ihren Lebensgefährten zumindest zu ½ Anteil zum Erben einzusetzen. Das Landgericht hätte demnach zumindest dem Hilfsantrag, nämlich, dass die Erblasserin von Herrn BB zu 1/2-Anteil beerbt worden sei, stattgeben müssen.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das Landgericht ist zu Recht und mit zutreffender Begründung zunächst zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Beklagten zum Schlusserben in dem gemeinschaftlichen Testament vom 16.10.1971 eine wechselbezügliche Verfügung darstellt (§ 2270 Abs.1 BGB).
Es ist jedenfalls gemäß der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB von Wechselbezüglichkeit zwischen der Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin ihres Ehemannes und der Bestimmung der Ehefrau, die Söhne des Ehemannes als Schlusserben einzusetzen, auszugehen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers führt eine Auslegung des Testaments vom 16.10.1971 nicht zu einem anderen Ergebnis.
Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist von Wechselbezüglichkeit auszugehen, wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.
Dies ist vorliegend der Fall: Der Ehemann hat in dem gemeinschaftlichen Testament die Ehefrau als seine Alleinerbin eingesetzt. Sodann hat die Ehefrau bestimmt, dass, sollte sie die Überlebende sein, sie die erstehelichen Söhne ihres Mannes als ihre Erben einsetzt. Da es sich bei den Söhnen um Personen handelt, „die mit dem anderen Ehegatten verwandt sind“, kommt es auf die zweite Alternative des § 2270 Abs. 2 BGB, das Näheverhältnis, nicht an.
Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass § 2270 Abs. 2 BGB nur eine Auslegungsregel ist und deshalb nicht eingreift, wenn sich durch Auslegung des Testaments ergibt, dass eine Wechselbezüglichkeit nicht gewollt war. Der Senat vermag jedoch durch Auslegung nicht festzustellen, dass vorliegend die Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 1971 eine solche Wechselbezüglichkeit nicht gewollt haben.
Das Argument des Beschwerdeführers als Grund für die gegenseitige Einsetzung zum Alleinerben sei im Testament angegeben worden, dass die Eheleute ihr Vermögen gemeinsam erarbeitet und erspart hätten, verfängt nicht. Das Landgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die Angabe, dass man das Vermögen gemeinsam erarbeitet und erspart hat, nicht gegen die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung der Ehefrau zu der Erbeinsetzung der Söhne des Ehemannes für den Fall, dass Frau DD die Überlebende sein sollte, spreche. Vielmehr liefert die Begründung den zutreffenden Grund dafür, warum zunächst die Ehefrau zu Lebzeiten den unbeschränkten und alleinigen Zugriff auf – das gemeinsame und ersparte – Vermögen haben sollte. Durch die Schlusserbeneinsetzung der Söhne durch die überlebende Ehefrau sollte gerade zunächst nicht der nach der gesetzlichen Erbfolge bestehende hälftige Zugriff auf das Vermögen des Ehemannes durch seine Kinder kompensiert werden, indem jedenfalls die Söhne durch die Ehefrau zu Schlusserben eingesetzt werden. Es ist davon auszugehen, dass der Ehemann, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, seine Söhne andernfalls nicht zunächst „enterbt“ und „nur“ seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt hätte. Dies entspricht auch der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB. Der angegebene Grund für die Alleinerbeneinsetzung ersetzt damit nicht die Zweifelsregelung, sondern erklärt lediglich ergänzend den Grund für die jeweiligen Alleinerbeneinsetzung ohne aber der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung durch die Ehefrau in Bezug auf ihre Einsetzung zur Alleinerbin zu widersprechen.
Mit dem Tod des Herrn FF ist die Schlusserbeneinsetzung des Beklagten nach § 2271 Absatz 2 Halbsatz 1 BGB bindend geworden. Eine einseitige Änderung durch die Überlebende, wie mit dem Testament vom 17.08.1995 geschehen, ist damit nicht mehr möglich (§ 2271 Absatz 1 Satz 2 BGB). Die Verfügung vom 17.08.1995 ist damit unwirksam.
Gleichfalls ist das Landgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die wechselbezügliche Verfügung durch das Versterben des Adoptivsohnes FF nicht anteilig gegenstandslos geworden ist, so dass die Frau DD über den hälftigen Erbanteil nicht frei verfügen konnte.
Eine Ersatzerbenbestimmung wurde durch die Eheleute nicht getroffen. Die Voraussetzungen der Ersatzerbenbestimmung gemäß § 2069 BGB liegen nicht vor. Anhaltspunkte für eine ergänzende Testamentsauslegung im Hinblick auf eine mögliche (konkludente) Ersatzerbenbestimmung ergeben sich nicht. Hiervon geht auch der Beschwerdeführer aus. Die Eheleute haben ausdrücklich bestimmt, mehr nicht bestimmen zu haben.
Durch den Tod des Adoptivsohnes FF vor dem Ableben der Frau DD, fiel er als Schlusserbe weg, so dass gemäß § 2094 Absatz 1 Satz 1 BGB sein Erbteil dem verbleibenden anderen Schlusserben, also dem Beklagten, anwuchs.
§ 2099 BGB steht der Anwachsung nicht entgegen, da die Eheleute gerade keine Ersatzerben berufen haben (s.o.).
Die vom Beschwerdeführer zitierte Entscheidung des BGH vom 16. Januar 2002 (IV ZB 20/01) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung hat der BGH entschieden, dass für den Fall, dass ein in einem Ehegattentestament eingesetzter Schlusserbe wegfällt, § 2270 Absatz 2 BGB, also die Annahme der Wechselbezüglichkeit, auf Ersatzerben nur dann anwendbar sei, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lasse, die Ersatzerbeinsetzung also nicht allein auf BGB § 2069 beruhe. Vorliegend geht es aber gerade nicht um die Wechselbezüglichkeit einer möglichen Ersatzerbeneinsetzung, sondern um die Regelung zur Bestimmung zur Anwachsung. Insoweit hatte das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Wechselbezüglichkeit auch die Anwachsung mitumfasse. Anhaltspunkte aus dem Testament, dass die Anwachsung gemäß § 2094 Abs.3 BGB ausgeschlossen ist, ergeben sich nicht. Solche Anhaltspunkte vermochte auch der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde nicht aufzuzeigen.
Der Senat erachtet die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeneinsetzung, sofern sie auf § 2069 BGB beruht, nicht mit der Bestimmung zur Anwachsung nach § 2094 Absatz 1 BGB vergleichbar und damit übertragbar. Bei der Ersatzerbeneinsetzung werden neue Erben bestimmt, die als Ersatz für den weggefallenen Erben eingesetzt werden. Diese Ersatzerben sind, sofern die Regelung des § 2069 BGB zur Anwendung gelangt, von den Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht ausdrücklich bedacht worden. Da es sich um gänzlich neue Erben handelt, überzeugt die Entscheidung des BGH, dass insoweit keine Wechselbezüglichkeit angenommen werden kann und der BGH fordert, dass sich zumindest Anhaltspunkte für die Einsetzung der „neuen“ Ersatzerben aus dem Willen der Testierenden ergeben müssten. Die Konstellation bei der Anwachsung ist eine gänzlich andere. Hier ist die Person des Schlusserben den Testierenden bekannt. Durch den Wegfall einer der Schlusserben, sofern mehrere Schlusserben vorhanden sind, wächst lediglich der dem einen Schlusserben zugestandene Anteil an. Insoweit verbleibt es aber bei der grundsätzlichen Annahme der Wechselbezüglichkeit, da anzunehmen ist, dass auch bei einer Anwachsung die Einsetzung des Ehegatten zum Alleinerben nur deshalb erfolgt, da durch die Schlusserbeneinsetzung sichergestellt ist, dass nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten die Verwandten des Erstverstorbenen Ehegatten als Erben eingesetzt werden. Die Anwachsung vermag an dieser Grundkonstellation nichts zu ändern.
So liegt der Fall hier. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegatten vorliegend im Fall des Ablebens eines Schlusserben eine Anwachsung des weiteren Schlusserben ausschließen wollten oder die überlebende Ehefrau im Hinblick auf den frei werdenden Erbanteil in ihrer Verfügungsbefugnis frei sein sollte, ergeben sich gerade nicht.
Die Berufung des Klägers ist daher vollumfänglich zurückzuweisen.